Urteil des AG Schwelm vom 26.07.2005

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Amtsgericht Schwelm, 20 C 183/05
Datum:
26.07.2005
Gericht:
Amtsgericht Schwelm
Spruchkörper:
Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 C 183/05
Schlagworte:
Private Kostenerstattung, Privatärztlicher Behandlungsvertrag
Normen:
SGB V Abs. 2, BGB § 305 c Abs. 2
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die L des Rechtsstreits.
Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über eine Honorarforderung aus einer kieferorthopädischen
Behandlung.
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Die Tochter des Beklagten, K T, war in der Zeit von Ende 2003 bis Ende März 2004 bei
dem Kläger in kieferorthopädischer Behandlung.
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Unter dem 30.12.2003 füllte der Beklagte ein von dem Kläger ausgehändigtes Formular
aus, in welchem er gegenüber dem Kläger erklärte, dass er für die Behandlung seiner
Tochter die Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V wählt. In diesem Formular heißt
es wörtlich:
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"Vereinbarung mit gesetzlich krankenversicherten Patienten:
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Mit Rücksicht darauf, dass der Gesetzgeber ab 1. Januar 2004 das direkte
Kostenerstattungsverfahren für alle kieferorthopädischen Behandlungen wieder
eingeführt hat ( § 13 Abs. 2 SGB V), wird als Teil des Behandlungsvertrages
vereinbart:
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1. Der Versicherte leitet die Rechnung unverzüglich zur Kostenerstattung an seine
Krankenkasse weiter.
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2. Die Rechnung für kieferorthopädische Leistungen entspricht Ihrem bestehenden
kieferorthopädischen Behandlungsplan und den per Gesetz zum 1. Januar 2004
bestimmten Gebühren und deren Gebührenhöhe.
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3. [...]
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4. Der Versicherte bezahlt die Rechnung des Kieferorthopäden in voller Höhe
binnen vier Wochen nach Rechnungslegung durch die PVS.
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Ich wünsche für oben genannten Patienten/Versicherten der gesetzlichen
Krankenkasse die Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V."
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Mit Schreiben vom 10.05.2004 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er die
Kostenerstattung doch nicht wünsche, da eine anteilige Erstattung der L durch seine
Krankenkasse nicht möglich sei. In diesem Schreiben bat er den Kläger um Stornierung
der Rechnung für das erste Quartal.
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Mit Rechnung vom 26.04.2004 stellte der Kläger dem Beklagten über die privatärztliche
Verrechnungsstelle T-Holstein für die Behandlung der Tochter K unter Fristsetzung bis
zum 16.05.1004 639,76 € in Rechnung. Der Beklagte leistete hierauf keine Zahlung.
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Anschließend mahnte der Kläger den Rechnungsbetrag drei Mal an, P dass eine
Zahlung des Beklagten erfolgte. Ferner forderte er den Beklagten mit anwaltlichem
Schreiben erneut erfolglos zur Zahlung auf.
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Der Kläger trägt vor, dass zwischen den Parteien ein privatärztlicher
Behandlungsvertrag zustande gekommen sei.
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Bei Beantragung der Kostenerstattung sei der Beklagte ausführlich über die
Kostenerstattung und das Vorgehen hinsichtlich der Beantragung bei der Krankenkasse
hingewiesen worden. Am 02.02.2004 habe der Beklagte zusätzlich den "Titanic Flyer"
erhalten, in dem die Voraussetzungen und Auswirkungen des
Kostenerstattungsverfahrens anschaulich beschrieben seien. Durch Unterzeichnung
des von ihm ausgehändigten Formulars sei ein privatärztlicher Behandlungsvertrag
zustande gekommen.
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Er, der Kläger, sei insoweit davon ausgegangen, dass der Beklagte auch gegenüber
seiner Krankenkasse den Wunsch einer privatärztlichen Behandlung geäußert und den
Kostenerstattungsanspruch gegenüber dieser schriftlich geltend gemacht habe.
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Er vertritt die Auffassung, dass sich die Wahl der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2
Satz 1 SGB V auch allein auf die Behandlung beim Kieferorthopäden beschränken
könne.
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Für die dreimalige Anmahnung des Rechnungsbetrages seien ihm, dem Kläger, L in
Höhe von 12,00 €, für die vorgerichtliche Zahlungsaufforderung durch seinen
Rechtsanwalt L in Höhe von 68,61 € entstanden.
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Der Kläger hat ursprünglich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 639,76 €
nebst 10 % Zinsen seit dem 17.05.2004 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von
80,61 € zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 13.06.2005 hat er den Zinsanspruch in Höhe von
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5 % zurückgenommen. Nunmehr beantragt er,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 639,76 € nebst 5 % Zinsen seit dem
17.05.2004 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 80,61 € zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, dass er mit dem Kläger für die Behandlung seiner Tochter K zu
keinem Zeitpunkt einen privatärztlichen Behandlungsvertrag geschlossen habe.
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Er, der Beklagte, sei von dem Kläger vor der Unterzeichnung des Formulars nicht
hinreichend darüber aufgeklärt worden, dass seine Krankenkasse wie auch die anderen
gesetzlichen Krankenkassen die Auffassung vertreten, dass die isolierte Wahl der
Kostenerstattung allein für kieferorthopädische Behandlungen nicht möglich sei. Der
Kläger habe ihn insbesondere nicht darüber unterrichtet, dass die Krankenkasse in
diesem Fall dem Versicherten die L für bereits durchgeführte Behandlungen nicht
erstattet. Dies habe zur Folge, dass der Versicherte letztendlich auf den L sitzen bleibe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Das Vorbringen des Klägers rechtfertigt den von ihm erhobenen Anspruch nicht, weil
zwischen den Parteien kein privater Behandlungsvertrag gemäß § 611 Abs. 1 BGB
zustande gekommen ist.
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In dem der Beklagte das durch den Kläger ausgehändigte Formular über die
Vereinbarung mit gesetzlich krankenversicherten Patienten vom 30.12.2003
unterschrieb, hat er keinen privatärztlichen Behandlungsvertrag mit dem Kläger
abgeschlossen. Durch die Unterzeichnung dieses Schriftstücks hat er lediglich erklärt,
daß er für seine Tochter die Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V wünsche.
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Nach § 13 Abs. 2 SGB V können Versicherte anstelle der Gewährung von Sach- oder
Dienstleistungen das Verfahren der Kostenerstattung wählen. An diese Wahl sind sie
mindestens ein Jahr lang gebunden.
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Zwar werden die Versicherten mit der Wahl der Kostenerstattung zu Privatpatienten.
Allein durch die Erklärung der Wahl der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 1 Abs. 2 SGB
V kommt jedoch noch kein privatärztlicher Behandlungsvertrag zustande.
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Bei der Wahl der Kostenerstattung handelt es sich um eine Erklärung des Versicherten
gegenüber seiner Krankenversicherung, dass er anstelle der Sach- oder
Dienstleistungen die Kostenerstattung, also eine andere Abrechnungsart der in
Anspruch genommenen ärztlichen Leistungen wählt.
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Gemäß § 13 Abs. 2 SGB V ist diese Erklärung gegenüber der Krankenkasse als
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Vertragspartner des Versicherten und nicht gegenüber dem behandelnden Arzt
abzugeben. Der Krankenkasse obliegt in diesem Zusammenhang gemäß § 13 Abs. 2
Satz 2 SGB V die Verpflichtung, den Versicherten vor seiner Wahl zu beraten. Dadurch
soll der Versicherte vor voreiligen und nachteiligen Entscheidungen bewahrt werden.
Die Erklärung über die gewünschte Abrechnungsart kann daher nur wirksam gegenüber
der Krankenkasse abgegeben werden.
Eine Erklärung gegenüber dem behandelnden Arzt ist danach wirkungslos.
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In dieser Erklärung ist auch keine interne Vereinbarung mit dem behandelnden Arzt
dahingehend zu sehen, daß sich der Beklagte damit einverstanden erklärt, die
Behandlung seiner Tochter auf der Basis eines privatärztlichen Behandlungsvertrages
durchführen zu lassen, bei der er für die vorzunehmenden Leistungen persönlich haftet.
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Denn aus dem Inhalt des Formulars geht hervor, dass die private Abrechnung
zusammen mit der Kostenerstattung vereinbart werden soll. P eine wirksame Wahl der
Kostenerstattung gegenüber der Krankenkasse ist danach jedoch auch keine
Privatbehandlung des im Übrigen gesetzlich versicherten Patienten vom Willen des
Unterzeichnenden umfasst. Insoweit ist auch ein andere Intention des
Formularverwenders nicht zu erkennen und lässt sich dem verwendeten Formular nicht
entnehmen.
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Bei dem vom Kläger ausgehändigten Formular handelt es sich ferner um für eine
Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, so dass das Formular als
allgemeine H (AGB) im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB qualifiziert.
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Selbst wenn man diese Vereinbarung als Angebot des Klägers auf Abschluß eines
privatärztlichen Behandlungsvertrages auslegte, so ist durch die Unterschrift des
Beklagten vom 30.212.2003 kein privatärztlicher Behandlungsvertrag zustande
gekommen. Denn das Angebot auf Abschluss eines privatärztlichen
Behandlungsvertrages verstößt gegen die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
Danach gehen Zweifel bei der Auslegung von AGB zu Lasten des Verwenders. Nach §
4 Abs. 5 b) Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) darf der Kassenzahnarzt eine
private Vergütung nur fordern, wenn und soweit der Versicherte klar und erkennbar
verlangt, auf eigene L behandelt zu werden.
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Dem Versicherten wurde durch das verwendete Formular jedoch nicht hinreichend
deutlich gemacht, dass diese Erklärung den Abschluß eines privatärztlichen
Behandlungsvertrages begründen soll, mit der Konsequenz, daß der Versicherte
unabhängig davon für die L der Behandlung selbst aufkommt, ob ein
Erstattungsanspruch gegenüber seiner gesetzlichen Krankenversicherung besteht oder
nicht. Dies wird in der Vereinbarung vom 30.12.2003 nicht hinreichend klar zum
Ausdruck gebracht. Aus dem Formular geht vielmehr hervor, dass eine private
Abrechnung an eine wirksame Wahl der Kostenerstattung geknüpft ist und der
Versicherte die L für die kieferorthopädische Behandlung gerade nicht selber tragen
wollte. Danach ist nicht davon auszugehen, dass der Beklagte durch die Unterschrift
unter die vorformulierte Vereinbarung einen privatärztlichen Behandlungsvertrag
abschließen wollte.
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Da zwischen den Parteien kein privatärztlicher Behandlungsvertrag im Sinne des BMV-
Z zustande gekommen ist, ist die private Abrechnung der Behandlungskosten
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unzulässig und verstößt gegen die vertragszahnärztlichen Pflichten. Der Kläger war
insoweit lediglich berechtigt, die Behandlungskosten über die Kassenärztliche
Vereinigung abzurechnen.
Im Übrigen hätte der Kläger den Beklagten darüber aufklären müssen, dass die
Krankenkassen zur isolierten Wahl der Kostenerstattung die Auffassung vertreten, dass
eine solche allein für kieferorthopädische Leistungen derzeit nicht möglich ist. Indem er
dem Beklagten lediglich das Formular aushändigte, P ihm gleichzeitig mitzuteilen, dass
die Krankenkasse nach der vom Klägers propagierten Vorgehensweise die erbrachten
Leistungen gerade nicht erstattet und der Beklagte die Behandlungskosten letztendlich
selber trägt, hat der Kläger gegen seine vertragszahnärztlichen Pflichten verstoßen.
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Denn nach der Gesetzesbegründung zu § 13 SGB V ist es nicht möglich, die Wahl der
Kostenerstattung auf bestimmte ambulante Leistungen zu beschränken. Ob diese
Auffassung vor der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof in der Entscheidung
"Müller-Fauré"(Az. C-385/99) zutreffend ist, kann dahinstehen, da die Krankenkassen
jedenfalls die Auffassung vertreten, dass die isolierte Wahl der Kostenerstattung nicht
zulässig ist und sie vor diesem Hintergrund die Erstattung der L an ihre Patienten
verweigern. Dies war dem Kläger aufgrund eigener Korrespondenz mit den
Krankenkassen und aufgrund des Schreibens des Beklagten vom 10.05.2004 auch
bekannt.
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Er hätte den Beklagten daher darüber aufklären müssen, dass seine Auffassung, die in
dem von ihm überreichten Formular zum Ausdruck kommt, sehr umstritten ist und von
den Krankenkassen nicht geteilt wird.
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Dass eine derartige Aufklärung stattgefunden hat, hat der Kläger nicht vorgetragen und
unter Beweis gestellt.
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Er ist ferner nicht festzustellen, dass der Kläger den Beklagten darüber aufgeklärt hat,
dass die anteilige Kostenerstattung durch die Krankenkasse unzulässig ist, wenn der
Versicherte bereits eine Privatvereinbarung mit dem Kieferorthopäden geschlossen hat,
P bei der Krankenkasse gleichzeitig die Kostenerstattung gewählt zu haben. Auch in
diesem Fall werden dem Versicherten die für die Behandlung entstandenen L von
seiner Krankenkasse nicht erstattet.
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Soweit der Kläger vorträgt, dass durch Aushändigung des "Titanic Flyers" eine
hinreichende Aufklärung des Beklagten stattgefunden haben soll, ist dem
entgegenzuhalten, dass es sich bei diesem Flyer lediglich um eine werbende
Anpreisung handelt, die keine hinreichende Information über die Wahl der
Kostenerstattung und deren Folgen beinhaltet.
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Danach war die Klage abzuweisen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1 und 708
Nr. 11, 711 ZPO.
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