Urteil des AG Schöneberg vom 29.03.2017

AG Schöneberg: kündigung, bezirk, sperrfrist, grundeigentum, wohnungsmarkt, grundbuch, versorgung, eigentümer, bevölkerung, mietvertrag

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Gericht:
AG Schöneberg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 C 322/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 577a Abs 2 BGB, Art 229 § 3
Abs 6 BGBEG, WoVSKlG,
WoVSKlGAnwV BE
Wohnraummiete: Dauer der Kündigungssperrfrist für Vermieter
nach der Umwandlung in Wohnungseigentum
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung des
Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.400,00 Euro abwenden, wenn nicht
der Beklagte selbst vorher Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger, ein Rechtsanwalt aus M., kündigte mit Schreiben vom 31. August 2004 und
3. September 2004 unter Berufung auf Eigenbedarf den schriftlichen Mietvertrag vom
10.03.1980, den der Beklagte mit dem Rechtsvorgänger des Klägers abgeschlossen
hatte. Der Kläger wurde als Eigentümer der Wohnung am 12.01.2001 im Grundbuch
eingetragen.
Der Kläger behauptet, dass die Kündigung vom 31.08.2004 dem Beklagten bereits an
diesem Tage zugegangen sei. Die Wohnung benötige er, weil er wegen seiner Tätigkeit
als Rechtsanwalt sich regelmäßig in Berlin aufhalten werde und dort an ein bis zwei
Wochenenden im Monat in den eigenen Wohnräumen leben wolle.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger die von ihm angemietete Wohnung
V. Platz in B., gelegen in der 3. Etage links des Vorderhauses und bestehend aus vier
Zimmern, Kammer, Küche, Flur, WC, WC mit Bad, Balkon sowie nebst dazugehörigem
Kellerraum Nr. 3, bis zum 31.12.2005 zu räumen und geräumt herauszugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bestreitet das ernsthafte Erlangungsinteresse des Klägers und hält beide
Eigenbedarfskündigungen für unwirksam. Er behauptet, dass ihm die Kündigung vom 31.
August 2004 nicht vor dem 1. September 2004 zugegangen sei, sie sei nicht am
31.08.2004 in seinen Briefkasten eingeworfen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der beiderseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die gemieteten Räume an den Kläger herauszugeben,
da die Kündigung vom 31.08.2004 (und ebenso die zweite Kündigung vom 03.09.2004)
den Mietvertrag mit dem Kläger nicht beendet hat. Die Kündigungserklärung fällt in die
gemäß § 577 a Abs. 2 BGB bis zum 1. Februar 2011 geltende Sperrfrist und ist damit
unwirksam.
Es kann zunächst unterstellt werden, dass die Kündigung ausweislich des in der
mündlichen Verhandlung am 01.12.2005 vorgelegten Übergabeprotokolls dem
Beklagten am 31.08.2004 zuging, ein späterer Zugang oder eine spätere Kündigung
wären unwirksam nach § 1 der Kündigungsschutzklauselverordnung vom 20.07.2004, da
die Wohnung im Bezirk ... liegt und der Kläger erstmalig am 12.01.2001 als Eigentümer
der Wohnung im Grundbuch eingetragen wurde.
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Auch sind die Einwendungen des Beklagten gegen das Übergabeprotokoll
unsubstantiiert, so dass über dessen Richtigkeit nicht erst Beweis erhoben werden muss.
Die am 31. August 2004 zugegangene Kündigung unterliegt der rechtlichen Regelung
am Tag ihres Zugangs, nicht maßgeblich ist, wann die Erklärung abgegeben wurde und
nur dies war mit dem Hinweis auf Art. 229 § 3 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB mit Beschluss vom
19. Januar 2006 gemeint.
Nach der Regelung des Art. 229 § 3 Abs. 6 EGBGB sind die am 31.08.2001 geltenden
Regelungen über Beschränkungen der Kündigungsrechte des Vermieters wegen
Eigenbedarfs bis zum 31.08.2004 weiter anzuwenden. Am 31.08.2001 galt für Berlin die
aufgrund des Sozialklauselgesetzes vom 22.04.1993 erlassene Rechtsverordnung vom
11.05.1993 (so z.B. Schach in Grundeigentum 2002, S. 1379). Diese Verordnung ist
verfassungsgemäß (Landgericht Berlin in Grundeigentum 2002, S. 1431), sie sieht eine
zehnjährige Sperrfrist vor. Diese Frist ist bis zum 31.08.2004 weiterhin zu beachten
(Schmidt-Futterer: Mietrecht; § 577 a, Nr. 27).
Zwar ist es richtig, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 13.06.2002
(Grundeigentum 2002, S. 1128) die Zweckentfremdungsverordnung wegen einer seit
August 2002 eingetretenen Entspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt nicht mehr
in Kraft sah.
Das Oberverwaltungsgericht hat aber in diesem Urteil zur Rechtslage nach Eintritt der
Entspannung auf dem Wohnungsmarkt festgestellt, dass der Handlungsspielraum des
Verordnungsgebers auch noch nach dem Zeitpunkt, zu dem sich eine Entspannung am
Wohnungsmarkt bemerkbar gemacht habe, die Befugnis umfasste, auf diese
Entspannung mit einer Aufrechterhaltung des Verbots der Verordnung zu reagieren.
Dies hat der Verordnungsgeber tatsächlich mit der Kündigungsschutzklauselverordnung
für den Bezirk ... getan. Er hat im § 1 der Verordnung festgestellt, dass im Bezirk ... die
ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen
Bedingungen besonders gefährdet sei und im § 2 die Frist des § 577 a Abs. 1 BGB auf 7
Jahre festgesetzt.
Demnach gab es aber in der Zeit von der Geltung des Sozialklauselgesetzes 1993 bis
zum Inkrafttreten der Kündigungsschutzklauselverordnung vom 20.07.2004 keinen
Zeitraum, in dem die Sperrfrist des § 577 a Abs. 1 BGB nur drei Jahre betragen hätte,
der Verordnungsgeber ist vielmehr konstant weiter von einer nicht ausreichenden
Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen im Bezirk ... ausgegangen, eine
Mangellage, die vor dem 31.08.2004 und nach dem 01.09.2004 bestand. Zu einer
Regelsperrfrist von drei Jahren ist der Verordnungsgeber im genannten Gebiet nie
zurückgekehrt, so dass die Eigenbedarfskündigungen vom 31.08.2004 und 03.09.2004
unwirksam sind.
Nebenentscheidungen: §§ 91, 708 Ziff. 11, 711 ZPO.
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