Urteil des AG Schöneberg vom 29.03.2017
AG Schöneberg: dominikanische republik, operation, stationäre behandlung, ärztliche behandlung, grobe fahrlässigkeit, eingriff, wiederherstellung, unverzüglich, einweisung, avb
1
2
3
Gericht:
AG Schöneberg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 C 361/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 62 Abs 2 VVG, § 62 Abs 2aF
VVG, ABRV
Reiserücktrittskostenversicherung: Verspätete Stornierung der
Reise nach Gallenblasenoperation als Obliegenheitsverletzung
Leitsatz
Dem Versicherungsnehmer einer Reiserücktrittskostenversicherung, der sich 8 Tage vor dem
geplanten Antritt einer gebuchten Flugreise in die Dominikanische Republik einer
Gallenblasen-Operation unterzieht, die bereits 18 Tage vor dem geplanten Reiseantritt
ärztlich angeordnet war, ist eine versicherungtsvertragliche Obliegenheitsverletzung
vorzuwerfen, wenn er mit der Stornierung der Reise solange zuwartet, bis die
operationsbedingte Reiseunfähigkeit definitiv feststeht (hier: 5 Tage vor Abflug).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien verbindet ein Vertrag über eine Reiserücktrittsversicherung, den die
Klägerin anlässlich der Buchung einer Reise für sich und 3 weitere Personen im Reisebüro
„D. R. i. B.“ am 4.9.2006 abschloss. Die 2-wöchige Flugreise mit Hotelaufenthalt „all
inclusive“ sollte die Klägerin und ihre Mitreisenden am 6.3.2007 in die Dominikanische
Republik führen. Der Reisepreis betrug insgesamt 5.920,00 EUR zuzüglich 13,00 EUR pro
Person für die Einreisekarten in die Dominikanische Republik und wurde von der Klägerin
bezahlt.
Wegen einer Erkrankung der Klägerin stornierte deren Ehemann die Reise am 1.3.2007
und fertigte am gleichen Tage eine Schadensanzeige an die Beklagte. Der
Reiseveranstalter erstattete der Klägerin 2.122,00 EUR auf den Reisepreis. Die
Stornokosten beliefen sich auf 3.850,00 EUR. Die Beklagte erstattete hiervon 2.072,00
EUR, was 35 % des Reisepreises entspricht. Die restlichen Stornokosten in Höhe von
1.778,00 EUR, die ihr für die Erstellung des ärztlichen Attests vom 24.5.2007 des Dr. K.
entstanden Kosten in Höhe von 17,43 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe
von 229,55 EUR macht die Klägerin mit der vorliegenden Klage geltend.
Am 5.2.2007 hatte die Klägerin sich wegen akuter Oberbauchbeschwerden in ärztliche
Behandlung begeben. Bei einer Ultraschalluntersuchung wurde ein Gallenstein
festgestellt. Die Klägerin erhielt darauf eine Überweisung für eine
computertomographische Untersuchung am 15.2.2007, um die genaue Ursache der
Oberbauchschmerzen der Klägerin festzustellen. Am 12.2.2007 begab sich die Klägerin
in die Notaufnahme des S.M.-Krankenhauses, weil sich zwischenzeitlich ihre Schmerzen
verschlimmert hatten. Die Klägerin wurde von dort nach der Verabreichung von
Schmerzmitteln wieder entlassen. Bei der Computertomographie am 15.2.2007 wurde
der Befund eines Gallenblasensteinleides bestätigt. In dem Bericht der Radiologischen
Gemeinschaftspraxis Drs. med. K. u.a. vom 15.2.2007 (Bl. 37) heißt es u.a.
„Cholecystolithiasis. Bei kontrahierter Gallenblase, die deutlich wandverdickt ist, sind
chronisch-entzündliche Veränderungen möglich.“ Am 16.2.2007 erhielt die Klägerin von
ihrem behandelnden Arzt eine Einweisung zur Operation ins Krankenhaus. Die
Voruntersuchung im S.-M.-Krankenhaus fand am 23.2.2007, die stationäre Aufnahme
am 26.2.2007 statt. An diesem Tag wurde die Gallenblase operativ entfernt. Bei der
Operation wurden eine Gallenblasenentzündung und ein Gallenblasenemphysem
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Operation wurden eine Gallenblasenentzündung und ein Gallenblasenemphysem
festgestellt, was eine erhöhte Schwere des operativen Eingriffs und die Notwendigkeit
einer systemischen antibiotischen Therapie sowie kurzfristige laborchemische
Verlaufskontrollen nach sich zog. Am 1.3.2007 teilte der behandelnde Krankenhausarzt
mit, dass die Klägerin die Reise am 6.3.2007 nicht antreten könne. Darauf kam es zur
Stornierung der Reise.
Die Klägerin behauptet, sie habe die Ärzte von Anfang an darauf hingewiesen, dass sie
am 6.3.2007 verreisen wolle. Sie habe von ihrem behandelnden Arzt und auch im
Krankenhaus stets die Auskunft erhalten, dass eine Gallensteinoperation ein
minimalinvasiver Eingriff sei, man drei Tage nach der Operation sogar wieder arbeiten
gehen könne und eine Absage der Reise aus ärztlicher Sicht nicht erfolgen müsse.
Ärztlicherseits habe man ihr, der Klägerin klar zu verstehen gegeben, dass die
empfohlene Gallensteinoperation kein Problem darstelle und aufgrund ihres
Routinecharakters mit einer Komplikation sicher nicht zurechnen sei. Die Klägerin
behauptet weiter, dass bis zur Operation am 26.2.2007 keine Anhaltspunkte für eine
Gallenblasenentzündung vorgelegen hätten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.795,43 EUR nebst Zinsen in Höhe
von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2007 sowie vorgerichtliche
Kosten in Höhe von 229,55 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass die Klägerin grob fahrlässig gegen ihre
versicherungsvertragliche Schadensminderungspflicht verstoßen habe, weil sie die Reise
nicht unverzüglich, nämlich am 16.2.2007 storniert habe. Hierzu sei sie aber verpflichtet
gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt der Versicherungsfall, nämlich die unerwartete
schwere Erkrankung bereits vorgelegen habe. Der Reiseantritt sei zu diesem Zeitpunkt
aus objektiver Sicht bereits nicht mehr zumutbar gewesen. Die Beklagte sei daher nur
zur Erstattung der sich aus einer Stornierung ab dem 21. Tag bis zum 15. Tag vor
Reisebeginn ergebenden Stornokosten verpflichtet gewesen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Sie aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Übernahme weiterer als von
der Beklagten bereits gezahlter Stornokosten zu, denn die Beklagte ist aufgrund einer
Obliegenheitsverletzung der Klägerin gemäß § 6 AVB AB 06 in Verbindung mit § 62 Abs.
2 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.
In Höhe eines Betrages von 17,43 EUR ist die Klage unbegründet, weil keine
Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten für das ärztliche Attest des Dr. K. vom
24.5.2007 ersichtlich ist. Dass die Kosten für ein ärztliches Attest, welches die Beklagte
unbestrittenermaßen auch nicht von der Klägerin angefordert hat, zu den
Versicherungsleistungen gehören, geht weder aus den Reiseversicherungsbedingungen
der Beklagten hervor, noch legt die Klägerin hierzu irgendeine andere
Anspruchsgrundlage dar.
Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Ersatz weiterer Stornokosten in Höhe von
1.778,00 EUR gegen die Beklagte zu.
Zwar war die Beklagte aufgrund der abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherung
grundsätzlich verpflichtet, die der Klägerin durch die Stornierung der Reise am 1.3.2007
entstandenen Stornokosten zu erstatten, da unstreitig eine Risikoperson unerwartet und
schwer erkrankt war und damit eine planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar
war. Der Versicherungsfall nach § 2 AVB RR 06 lag unstreitig vor.
Die Klägerin war jedoch nach § 4 Nr.1 AVB RR 06 verpflichtet, die Reise unverzüglich nach
Eintritt des versicherten Rücktrittsgrunde zu stornieren, um die Rücktrittskosten
möglichst gering zu halten. Hiergegen hat die Klägerin verstoßen. Unverzüglich bedeutet
nach § 121 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei liegt der Versicherungsfall des
Reiserücktrittsgrundes nicht erst dann vor, wenn die Reiseunfähigkeit definitiv feststeht,
17
18
19
20
Reiserücktrittsgrundes nicht erst dann vor, wenn die Reiseunfähigkeit definitiv feststeht,
sondern wenn der Reiseantritt aus objektiver Sicht, d.h. aus Sicht eines verständigen
Dritten nicht mehr zumutbar wäre, wobei die Zumutbarkeit allein unter Berücksichtigung
des Krankheitsbildes und der Krankheitssymptome sowie der Art der gebuchten Reise zu
beurteilen ist (OLG München, VersR 1987, 1032).
Die Stornierung erfolgte am 1.3.2007. Das war zu spät, denn die Erkrankung war
spätestens am 15. bzw. 16.2.2007 eingetreten.
Die Klägerin hatte unmittelbar nach der computertomographischen Untersuchung am
15.2.2007 eine Einweisung ins Krankenhaus zur Operation an der Gallenblase erhalten,
nachdem sie wegen starker Oberbauchbeschwerden zunächst am 5.2.2007 ihren
behandelnden Arzt und am 12.2.2007 sogar die Notaufnahme im Krankenhaus
aufgesucht hatte. Auch wenn – was zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt werden
mag – bis zur Operation am 26.2.2007 eine Gallenblasenentzündung und ein
Gallenblasenemphysem nicht diagnostiziert werden konnten, so lagen gleichwohl
aufgrund des Berichts der radiologischen Gemeinschaftspraxis Drs. med. K. u.a.
Anhaltspunkte für eine schwere Erkrankung vor. Aus dem Bericht geht nämlich hervor,
dass chronisch-entzündliche Veränderungen bei der kontrahierten Gallenblase, die
deutlich wandverdickt war, möglich sind. Die am 16.2.2007 festgestellte Notwendigkeit
eines operativen Eingriffs noch vor dem für den 6.3.2007 geplanten Reiseantritt löste
den Rücktrittsgrund aus. In Anbetracht der Strapazen der kurz bevorstehenden langen
Flugreise und der Entfernung des Urlaubsziels Dominikanische Republik, konnte von
einem durchschnittlichen verständigen Dritten nicht mehr erwartet werden, dass er die
Reise antrat.
Aufgrund der Einweisung zur Operation 8 Tage vor Reiseantritt musste die Klägerin die
Aussage ihres Arztes, dass sie ihre Reise ohne weiteres antreten könne, weil es sich um
einen Routineeingriff handele, kritisch hinterfragen. Der Versicherte verletzt seine
Obliegenheit zur unverzüglichen Reiseabsage dann grob fahrlässig, wenn er die Reise
nicht absagt, obwohl eine stationäre Behandlung angeordnet ist und der Verdacht auf
eine schwere Krankheit in Frage steht. Dabei spielt es keine Rolle, dass der in Frage
stehende Eingriff für gewöhnlich ein Routinevorgang ist, von dem sich die meisten
Patienten in relativ kurzer Zeit erholen, denn mit Komplikationen unter einer Operation
oder einer längeren Heilungsphase nach einem operativen Eingriff unter Vollnarkose wie
dem vorliegenden muss grundsätzlich immer gerechnet werden. Die Obliegenheit wird
grob fahrlässig verletzt, wenn der Versicherte die Buchung aufrechterhält, ohne aufgrund
ärztlicher Bestätigung damit rechnen zu können, dass er die gebuchte Reise ohne
medizinische Probleme antreten kann. Die – auch durch allgemeine Äußerungen von
Ärzten über den gewöhnlichen Krankheitsverlauf eines Gallenblasensteinleidens
genährte - Hoffnung auf komplikationsfreien Verlauf der Operation und
schnellstmögliche Wiederherstellung der Reisefähigkeit nach dem Eingriff, rechtfertigt es
nicht, mit der Absage der Reise bis zum sicheren Eintritt der Reiseunfähigkeit zu warten,
denn die vorliegend enttäuschte Hoffnung auf einen günstigen Verlauf einer
Routineoperation und schnellen vollständigen Genesung und Wiederherstellung der
Reisefähigkeit gehört nicht zu den durch eine Reiserücktrittsversicherung versicherten
Risiken (LG München, Urteil v. 5.2.2003, VersR 2003, 1530 = RRa 2003, 137-139). In
Anbetracht des zeitlichen Ablaufs bis zur Stornierung am 1.3.2007 ist auch von grober
Fahrlässigkeit auszugehen. Die Operation fand 8 Tage vor Reiseantritt statt. In
Anbetracht des sehr knappen Zeitraums, der der Klägerin bis zum Reiseantritt verblieb,
hätte die Klägerin sich nicht nur auf die allgemeinen Erklärungen der Ärzte, wonach man
normalerweise bereits drei Tage nach einer Gallenblasenoperation wieder arbeiten
gehen könne und wegen des Routinecharakters eines derartigen Eingriffs nicht mit
Komplikationen zu rechnen sei, verlassen dürfen, sondern hätte sich durch kritische
Nachfragen vergewissern müssen, dass dem Reiseantritt mit Sicherheit keinerlei
gesundheitliche Hindernisse entgegen stehen (vgl. auch LG München, Urteil v.
27.3.2006, VersR 2007, 104). Ein geringeres Verschulden als grobe Fahrlässigkeit kann
nur dann angenommen werden, wenn der Arzt des Versicherten für das konkrete
Reiseziel die Wiederherstellung der Reisefähigkeit bis zum geplanten Reiseantritt
versichert und eine völlig Genesung bis dahin prognostiziert (LG München, a.a.O.; AG
Hamburg, Urteil v. 28.9.2004, RuS 2005, 294-295). Dass die behandelnden Ärzte der
Klägerin die vollständige Genesung nach der Operation bis zum Reiseantritt am 6.3.2007
in Kenntnis einer Flugreise in die Dominikanische Republik mit Sicherheit in Aussicht
gestellt hätten, kann dem klägerischen Vortrag nicht entnommen werden.
Die Klage war daher mit den prozessualen Nebenentscheidungen aus § 91 Abs. 1, 708
Nr. 11, 711 ZPO abzuweisen.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum