Urteil des AG Ravensburg vom 06.02.2003

AG Ravensburg: gemeinsame elterliche sorge, wohl des kindes, eltern, sorgerechtsentscheidung, anforderung, ruhe, lebensmittelpunkt, feiertag, dienstplan, verbringen

AG Ravensburg Beschluß vom 6.2.2003, 8 F 786/02
Elterliche Sorge: Keine Änderung des Alleinsorgerechts der Mutter mangels triftiger Gründe
Tenor
1. Der Antrag des Vaters auf Änderung der Sorgerechtsentscheidung wird
abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gegenstandswert: EUR 3.000,00
Gründe
1 Die Parteien sind die Eltern des Kindes ..., geb. am ... Ihre Ehe wurde durch Urteil vom 25.05.1998 durch das Familiengericht Ravensburg (AZ: 6 F
282/97) geschieden, wobei zum damaligen Zeitpunkt mit Zustimmung des Vaters die alleinige elterliche Sorge für ..., sowie deren damals noch
minderjähriger Schwester ... (...) auf die Mutter übertragen wurde.
2 Der Antragsteller geht davon aus, dass ... bei ihrer Mutter und ihrer Schwester erheblich unter Druck steht und durch deren gemeinsamer
Überzeugung als Zeugen Jehovas indoktriniert wird, wobei der Vater in ein schlechtes Licht gerückt werde.
3 Nachdem er anfänglich beantragt hatte, ihm die alleinige elterliche Sorge zu übertragen, weil er ... zu sich und seiner Lebensgefährtin in den
Haushalt nehmen wollte, änderte er im Laufe des Verfahrens seinen Antrag dahingehend, die gemeinsame elterliche Sorge anzuordnen, wobei
das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei der Kindesmutter verbleiben könne.
4 Die Mutter hat im Verfahren darauf abgehoben, dass sie und ... nicht negativ gegen den Vater beeinflusse. Auch werde die Tochter nicht im Sinne
der Zeugen Jehovas indoktriniert. Vielmehr zeige die positive Entwicklung der Tochter, dass es aus Gründen der Kontinuität bei ihrem alleinigen
Sorgerecht verbleiben müsse, da keine Erziehungsdefizite festgestellt wurden. Bei einer gemeinsamen elterlichen Sorge mit dem Vater seien
Streitpunkte vorprogrammiert aufgrund der unterschiedlichen Lebenseinstellung der Eltern.
5 Im vorliegenden Verfahren wurden zwei Stellungnahmen durch das Kreisjugendamt, vertreten durch Herrn ... eingereicht. Durch Beschluss vom
23.09.2002 wurde für ... Verfahrenspflegschaft angeordnet und die staatlich anerkannt Erzieherin ... Schneider zur Verfahrenspflegerin bestellt,
welche unter Datum des 26.10.2002 ihre Stellungnahme zu den Akten reichte. Weiter wurde ... durch das Gericht am 17.12.2002 informatorisch
angehört.
6 Nach Auswertung der dem Gericht vorliegenden Fakten und Stellungnahmen, sowie unter Berücksichtigung des Ablaufs der mündlichen
Verhandlung vom 16.01.2003 kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Hürde des § 1696 Abs. 1 BGB, wonach triftige, das Wohl des Kindes
nachhaltig berührende Gründe vorliegen müssen, um eine Sorgerechtsänderung herbeizuführen, nicht genommen ist.
7 Bei der Anhörung von ... fand das Gericht den Eindruck bestätigt, welchen bereits Herr ... vom Kreisjugendamt sowie Frau ... als
Verfahrenspflegerin von ... gewonnen hatten. ... erscheint altersgemäß entwickelt und macht den Eindruck einer bereits recht gefestigten
Persönlichkeit. Sie scheint die aktuelle Lebenssituation sehr gut einschätzen zu können und bringt zum Ausdruck, dass sie an ihrer generellen
Lebenssituation nichts ändern will. Wichtig sind ihr offensichtlich häufige Umgangskontakte mit dem Vater, wobei ihr Lebensmittelpunkt bei der
Mutter liegen soll. Auch sieht sie das Verhältnis zwischen Vater und Mutter nach Auffassung des Gerichts recht objektiv, da sie ein
Aufeinandertreffen der Eltern so beschreibt, dass beide meistens den Ton heben und ... dann versucht, zwischen den Eltern zu vermitteln. Diesen
Eindruck hat das Gericht auch im Laufe der mündlichen Verhandlung vom 16.01.2003 gewonnen, als sich zeigte, dass die Eltern gegenseitig
erhebliche Vorbehalte bezüglich des Lebensstils des anderen haben. Diese Vorbehalte kommen auch deutlich in den eingereichten Schriftsätzen
heraus. Zum jetzigen Zeitpunkt wird durch das Gericht kein realistischer Weg gesehen, durch welchen die Eltern in die Lage versetzt würden, die
Lebenspositionen des jeweiligen anderen zu akzeptieren. Somit ist nicht ersichtlich, wie der auch von der Verfahrenspflegerin in den Vordergrund
gestellte Grundkonsens zwischen den Eltern bezüglich Erziehungsfragen von ... gefunden werden soll. Nach Auffassung des Gerichts ist es
notwendig, dass im Rahmen der Sorgerechtsfrage möglichst schnell Ruhe einkehrt und L. aus dem existierenden Loyalitätskonflikt
herausgenommen wird. Da aber zumindest auf Seiten der Kindesmutter die Kooperationsbereitschaft fehlt, konnte vorliegend keine Änderung der
Sorgerechtsentscheidung zu Gunsten eines gemeinsamen Sorgerechts getroffen werden.
8 Hiermit wird ausdrücklich keine Wertung vorgenommen, welcher Lebensauffassung der Eltern der Vorzug zu geben ist. Es werden hierbei
lediglich die bereits seit Jahren geschaffenen Fakten berücksichtigt, wobei der Gedanke der Kontinuität im Vordergrund zu stehen hat. Der Vater
muss insofern darauf verwiesen werden, seine Ideale und Lebensvorstellungen der Tochter im Rahmen der durchgeführten Umgangskontakte zu
vermitteln, dies jedoch ohne die Mutter und ... in ein schlechtes Licht zu stellen. Die gleiche Anforderung wird jedoch auch an die Mutter gestellt,
welche alles unterlassen muss, um den Vater in ein ungünstiges Licht zu rücken. Die Eltern müssen es schaffen, ... die Möglichkeit einzuräumen,
sich vom jeweils anderen Elternteil ein eigenes, objektives Bild zu verschaffen. Aus diesem Grund ist es für die vorliegende Entscheidung aus
Sicht des Gerichts von besonderer Bedeutung, dass die Kindesmutter in letzter Zeit die Umgangskontakte großzügig handhabt und ... auch die
vom Vater begangenen Feiertag, wie Weihnachten und Geburtstag bei diesem verbringen darf. Dies stellt für die Mutter auch kein größeres Opfer
dar, nachdem sie selbst aus Glaubensgründen diese Tage nicht feiert. Außerdem hält es das Gericht für dringend erforderlich, dass ... möglichst
frei nach Wunsch Umgang mit dem Vater ausüben darf, was insbesondere die hälftige Ferienzeit betrifft sowie auch möglichst häufige
Wochenendkontakte. Hier sollten beide Elternteile so flexibel sein, dass Umgangskontakte notfalls auch kurzfristig eingeplant werden, soweit der
Dienstplan des Vaters eine gewisse Flexibilität erforderlich macht. Es wird eindringlich davor gewarnt, die Sorgerechtsposition dahingehend
auszunutzen, dass die zuletzt angelaufenen Umgangskontakte wieder eingeschränkt werden. Denn die in der Vergangenheit gezeigte, hohe
Bindungstoleranz der Mutter gegenüber dem Vater wird mit vorliegender Entscheidung honoriert. Dieser sensible Bereich könnte jedoch für ein
etwaiges späteres Sorgerechtsverfahren ausschlaggebend sein, sofern zum Nachteil von ... von dieser gewünschte Umgangskontakte zu stark
eingeschränkt würden.
9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a FGG.