Urteil des AG Offenbach vom 29.07.2010

AG Offenbach: befangenheit, unparteilichkeit, scheidungsverfahren, sachzusammenhang, vorbefassung, dokumentation, ausnahme, verfügung, unterzeichnung, eng

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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 WF 160/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 42 ZPO, § 113 Abs 1 FamFG
Richterablehnung: Befangenheit wegen Vorbefassung als
Rechtsanwalt für eine Partei
Orientierungssatz
Zur Frage der Befangenheit eines Richters, der in einem früheren Verfahren als
bevollmächtigter Rechtsanwalt für eine Partei einen bestimmenden Schriftsatz als
Urlaubsvertreter der damaligen und auch aktuellen sachbearbeitenden
Prozessbevollmächtigten der Partei unterzeichnete und bei Gericht einreichte
Anmerkung
Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen den Richter X wird für begründet
erklärt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind Teil der Kosten des
Hauptsacheverfahrens.
Gründe
Der Antragsteller hat zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 19.5.2010 den
Richter X, dienstansässig beim Amtsgericht Offenbach am Main, wegen Besorgnis
der Befangenheit abgelehnt.
Der abgelehnte Richter war früher als Rechtsanwalt in der Sozietät tätig, die im
vorliegenden Güterrechtsverfahren die Antragsgegnerin vertritt. Sachbearbeitende
Anwältin ist Frau Rechtsanwältin Y. Mit Schriftsatz vom 6.7.2005 an das
Amtsgericht Offenbach am Main leitete damals die Antragsgegnerin das
Scheidungsverfahren ein. Die Antragsschrift bezeichnete im Rubrum alle Anwälte
der Sozietät, einschließlich des abgelehnten Richters, als Prozessbevollmächtigte.
Unterzeichnet wurde der Schriftsatz von dem abgelehnten Richter ohne besondere
Vertretungshinweise auf einen anderen Sachbearbeiter. Mit der beigefügten
Prozessvollmacht wurde nachgewiesen, dass sämtliche Mitglieder der Sozietät
bevollmächtigt worden waren. Sachbearbeitende Rechtsanwältin war auch damals
Frau Rechtsanwältin Y. Die Unterzeichnung der Antragsschrift erfolgte, weil der
abgelehnte Richter intern ihr Urlaubsvertreter war. Inhaltlich war er mit den
Ausführungen in der Antragsschrift nicht befasst, auch waren ihm die Parteien
persönlich nicht bekannt. Auf diesen Tatbestand wies der abgelehnte Richter die
Parteien im vorliegenden Verfahren hin, hielt sich selbst aber nicht für befangen
und sah auch keine Notwendigkeit für eine Selbstablehnung.
Mit Beschluss vom 24.6.2010 hat das Amtsgericht das Befangenheitsgesuch als
unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller am 2.7.2010
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unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller am 2.7.2010
sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 20.7.2010 hat das
Amtsgericht eine Abhilfe abgelehnt und die Vorlage der Beschwerde an das OLG
Frankfurt am Main verfügt.
Die in der Familienstreitsache (§ 112 Nr. 2 FamFG) nach § 113 Abs. 1 FamFG
i.V.m. §§ 46 Abs. 2, 567 ff ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig,
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Für das Beschwerdeverfahren ist
gemäß Art 112 i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das seit 1. September 2009
geltende Prozessrecht anwendbar, weil bereits das erstinstanzliche
Hauptsacheverfahren nach diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist.
In der Sache hat die Beschwerde Erfolg.
Nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 42 ZPO kann ein Richter, sofern er nicht kraft
Gesetztes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, wegen
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der
geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs.
2 ZPO). Da eine solche Ablehnung die Ausnahme von dem Grundsatz darstellt,
dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, sind die
Vorschriften der §§ 42 ff. ZPO eng auszulegen. Es müssen objektive Gründe
vorgetragen und glaubhaft gemacht sein, die vom Standpunkt eines Ablehnenden
aus bei vernünftiger Betrachtung und ruhiger und besonnener Abwägung die
Befürchtung erwecken können, der Richter stehe der Partei oder der Sache nicht
unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. Zöller, ZPO, §
42, Rn. 9).
Ein solcher triftiger Grund, der aus der Sicht des Antragstellers bei Anlegung eines
objektiven Maßstabs geeignet erscheint, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des
abgelehnten Richters zu rechtfertigen, liegt nach Auffassung des Senats vor.
Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter ist nicht bereits aufgrund eines
gesetzlichen Ausschlussgrundes begründet, denn die Voraussetzungen des § 42
Abs. 1, 1. Alt. ZPO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO sind nicht erfüllt. Danach ist ein Richter
kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes in Sachen ausgeschlossen, in
denen er als Prozessbevollmächtigter einer Partei bestellt gewesen ist. Hierbei
spielt es keine Rolle, ob er alleiniger Vertreter war oder ob er in seiner
Vertretereigenschaft überhaupt inhaltlich tätig wurde (BGH, I ZR 58/00, Beschl.
vom 5.3.2001; Münchner Kommentar, ZPO, 2. Aufl. § 41 Rdnr. 20). Insofern käme
es nicht darauf an, ob der neben den anderen Anwälten bevollmächtigte
abgelehnte Richter als Sachbearbeiter oder nur aufgrund Urlaubsvertretung tätig
wurde.
§ 41 Nr. 4 ZPO gilt nach seinem Wortlaut aber nur, wenn der frühere
Prozessbevollmächtigte in der gleichen Sache nunmehr als Richter tätig werden
wollte. Allerdings erschöpft sich der Sinn dieser Vorschrift, wie der BGH zum
inhaltsgleichen § 22 Nr. 4 StPO bereits ausgeführt hat (BGHSt 28, 262-266), nicht
nur darin, das Verfahren gegen eine aus früherer anderweitiger Tätigkeit
abzuleitende Voreingenommenheit des Richters zu schützen, sondern liegt auch
darin, bereits den Schein eines Verdachts der Parteilichkeit zu vermeiden. Daraus
kann sich die Notwendigkeit ergeben, die Vorschrift auch dann anzuwenden, wenn
es an der vorausgesetzten Verfahrenseinheit fehlt. Für den Bereich der
Strafverfahren hat der BGH ein Aufkommen des Verdachts der Parteilichkeit
vernünftigerweise nur dann für annehmbar gehalten, wenn zwischen mehreren für
eine einheitliche Behandlung in Betracht zu ziehende Verfahren zumindest ein
enger und für die zu treffende Entscheidung bedeutsamer Sachzusammenhang
besteht (BGH a.a.O.).
Inwieweit dieser Rechtsprechung für den Bereich des Zivilrechts zu folgen ist, kann
vorliegend dahingestellt bleiben, denn jedenfalls besteht zwischen dem damaligen
Scheidungsverfahren, das im Jahre 2006 rechtskräftig abgeschlossen wurde, und
dem neuen Güterrechtsverfahren kein derart enger und für die zu treffende
Entscheidung bedeutsamer Sachzusammenhang über den Umstand hinaus, dass
es sich bei beiden Verfahren um Familiensachen im Sinne des § 111 FamFG
handelt und die Scheidung der Ehe nach §§ 1372, 1384 BGB Voraussetzung für
den Zugewinnausgleichsanspruch ist.
Nach Auffassung des Senats ist aber im Rahmen des § 42 Abs. 1, 2. Alt., Abs. 2
ZPO das Misstrauen des Antragstellers gegen die Unparteilichkeit des
abgelehnten Richters wegen dessen früherer persönlicher oder geschäftlicher bzw.
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abgelehnten Richters wegen dessen früherer persönlicher oder geschäftlicher bzw.
beruflicher Nähe zur Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin und wegen der
von ihm für die Partei erfolgten Interessenwahrnehmung gerechtfertigt.
Er war nicht nur der Urlaubsvertreter der Prozessbevollmächtigten, sondern er hat
auch die Scheidungsantragsschrift mit seinem Namen unterschrieben, ohne auf
eine bürointerne Vertretungssituation hinzuweisen. Das Unterschriftserfordernis
nach § 130 Nr. 6 ZPO ermöglicht bei bestimmenden Schriftsätzen nicht nur die
Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung (BVerfG, NJW 2007,
3117), sondern mit der Unterschrift bringt der Rechtsanwalt auch seinen
unbedingten Willen zum Ausdruck, die volle Verantwortung für den Inhalt des
Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (BGH,
Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933, Tz. 7;
Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 130 Rn. 29, jeweils m.w.N.). Damit begründet
sich aus der Sicht des Antragstellers bei vernünftiger Betrachtung der Anschein,
dass der Richter die Interessen der Partei im Rahmen der erteilten
Prozessvollmacht wahrnehmen wollte und ihr entsprechend nahe stand. Wenn
nunmehr dieser Richter in einem Rechtsstreit, in dem dieselbe Partei wiederum
Prozesspartei ist und durch die damals von ihm urlaubsbedingt vertretene
sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte vertreten wird, entscheiden soll, dann
liegen damit ausreichende Gründe vor, die die Befürchtung wecken können, der
Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch
gegenüber. Ob der Richter sich selbst für befangen hält, ist nicht entscheidend.
Eine Kostenentscheidung im erfolgreichen Beschwerdeverfahren ist nicht
veranlasst (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.7.2005, Az 3 WF
119/05; Zöller ZPO, 28. Aufl., § 46, Rdnr. 20 m.w.N.).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.