Urteil des AG Nürtingen vom 13.01.2010

AG Nürtingen: klagerücknahme, schlichtungsverfahren, aktivlegitimation, verfügung, auflage, bad, rechtssicherheit, vollstreckung, vollmacht, zivilprozessordnung

AG Nürtingen Urteil vom 13.1.2010, 11 C 1531/09
Wirksamkeit einer Klagrücknahme durch nicht unterschriebenes Computerfax
Leitsätze
Aus Gründen der Rechtssicherheit wird an dem Unterschriftserfordernis für die Klagerücknahmeerklärung festgehalten. Dies ist bei einem nicht
unterschriebenem Computerfax nicht erfüllt.
Tenor
1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung seitens der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden
Betrages abzuwenden, es sei denn, der Kläger leistet vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe.
4. Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Streitwert:
bis 300,- EUR
Tatbestand
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Mit der am 25.08.2009 beim Amtsgericht Nürtingen eingegangenen Klage, in der der Streitwert mit „bis 300 EUR“ angegeben wurde, die im
Adressenfeld an das Amtsgericht Fulda gerichtet war, verlangt der Kläger unter Berufung auf ein Urteil des Amtsgerichts Nürtingen, Aktenzeichen
11 C 484/96, von der Beklagten, die sich mit der Erfassung und Berechnung von Heizenergie durch Verbraucher beschäftigt, Auskunft über
bestimmte Daten zum Verständnis einer Heizkostenabrechnung.
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In der Klageschrift hat der Kläger ebenfalls beantragt, für den Fall der Weigerung der Beklagten bezüglich der Herausgabe der verlangten Daten,
die Beklagte zur Zahlung von 300,- EUR an den Kläger zu verurteilen.
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Das Gericht hat mit Verfügung vom 26.08.2009, vgl. Bl. 7 und 8 d. Gerichtsakten, den Beklagten anlässlich der Bestimmung des Termins auf den
04. November 2009 darauf hingewiesen, dass das Amtsgericht Nürtingen sich trotz der Adressierung an das Amtsgericht Fulda als zuständig
ansieht (die Beklagte hat ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Amtsgerichts Nürtingen), nachdem als Adresse des Amtsgerichts Fulda
„Neuffener Straße 28, 72622 Nürtingen“ angegeben ist und die Adresse außer der Bezeichnung des Amtsgerichts jene des Amtsgerichts
Nürtingen ist.
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Es wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass beim Amtsgericht Nürtingen aus dem Verfahren 11 C 484/96 lediglich das Urteil vom 18.09.1996
vorhanden ist, welches keine Entscheidungsgründe enthält. Der Kläger wurde weiter gebeten, zumindest das Protokoll vom 18.09.1996 und etwa
vorausgegangene Hinweise des Gerichts in Abschrift vorzulegen.
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Weiterhin wurde auf das Schlichtungsgesetz Baden-Württemberg aufmerksam gemacht, nach dessen § 1 Abs. I Nr. 1, Abs. III, eine Klage bei
Streitwert unter 750,- EUR erst zulässig ist, wenn das sogenannte Schlichtungsverfahren vorangegangen ist.
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Es wurde weiter darauf hingewiesen, dass, falls im vorliegenden Fall ein Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt wurde, die Klage unzulässig
sei. In diesem Fall wurde Klagerücknahme empfohlen.
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Auch auf die Aktivlegitimation des Klägers wurde fragend hingewiesen, falls der Kläger einer von mehreren Wohnungseigentümern sei.
Bezüglich des Anwesens S. in G. wurde vermutet, dass eine Wohnungseigentümergemeinschaft Vertragspartner der Beklagten ist und die
Aktivlegitimation des Klägers selbst bislang nicht dargelegt ist.
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Der Kläger hat die Klageschrift eigenhändig unterzeichnet.
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Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 01.09.2009, vgl. Bl. 10 d. Gerichtsakten, das er als Computerfax bezeichnet und das ohne Unterschrift
gültig sei, reagierenderweise an das Amtsgericht Nürtingen gewandt. Wegen des Inhaltes dieses Schreibens wird auf Bl. 10 d. Gerichtsakten
Bezug genommen. Darin hat sich der Kläger erstaunt gezeigt, dass die Akten des Verfahrens 11 C 484/96 beim Amtsgericht Nürtingen nicht mehr
vorhanden seien.
10 Zum Hinweis bezüglich des Schlichtungsgesetzes hat sich der Kläger zunächst nicht geäußert.
11 Mit Schreiben vom 02.09.2009 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass beim Amtsgericht Nürtingen die Akten 11 C 484/96 ausgeschieden
sind. Er wurde weiter darauf hingewiesen, dass ohne Darlegung einer konkreten Rechtsbeziehung eine Auskunftsverpflichtung nicht bejaht
werden könne.
12 Mit weiterem Computerfax vom 02.09.2009, Bl. 14 d. Gerichtsakten, hat der Kläger bezüglich des Schlichtungsgesetzes mitgeteilt, dass nach
Prüfung dem Gericht eine gesonderte Mitteilung zugesandt werde.
13 Mit Schreiben vom 30.09.2009 (wiederum Computerfax, ohne Unterschrift), Bl. 30 d. Gerichtsakten, hat der Kläger die Beklagte, die mittlerweile
sich meldete und die Aktivlegitimation des Klägers bestritten hat, in dem Sinne, dass eine unmittelbare Auskunftsverpflichtung der Beklagten
gegenüber dem Kläger nicht vorhanden sei, darauf hingewiesen, dass das bei diesem Streitwert gesetzlich vorgeschriebene
Schlichtungsverfahren den Rechtsstreit insgesamt verteuere, weil diese Kosten nicht mit den Gerichtskosten verrechnet werden. Ob das die
Auskunftsverweigerung, die die Beklagte nach dem Gesetz erteilen müsse, wert sei, müsse die Beklagte selbst entscheiden.
14 An das Gericht wurde mit diesem Schriftsatz der Antrag gestellt, das Verfahren ruhen zu lassen und Schlichter, die ihren Sitz möglichst zwischen
L. und G. haben, zu nennen bzw. einen Schlichter zu bestimmen.
15 Mit Hinweisschreiben vom 13.10.2009 wurde den Parteien Folgendes mitgeteilt:
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„a) Der Termin am 04. November 2009 bleibt bestehen, es gibt keinen Anlass, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
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b) § 1 Satz 1 SchlG Bad.-Württ. ist eindeutig, bei Streitwerten unter 750 EUR ist bei obligatorischer Schlichtung die Klageerhebung ohne
vorher durchgeführtes Schlichtungsverfahren unzulässig.
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c) Es ist Sache der antragstellenden Partei, das Verfahren einzuleiten. Auf §§ 5 ff SchlG Bad.-Württ. wird hingewiesen.
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d) Das Gericht ist nicht gewillt, die bereits erteilten Hinweise in Zukunft nochmals zu wiederholen.“
20 Ein am 19.10.2009 beim Amtsgericht Nürtingen eingegangenes weiteres Fax des Klägers (diesmal mit Unterschrift des Klägers), vgl. Bl. 37/38 d.
Gerichtsakten, wurde mit Verfügung vom 20.10.2009, vgl. Bl. 39 d. Gerichtsakten, an die Schlichtungsstelle im Hause zur weiteren Bearbeitung
Gerichtsakten, wurde mit Verfügung vom 20.10.2009, vgl. Bl. 39 d. Gerichtsakten, an die Schlichtungsstelle im Hause zur weiteren Bearbeitung
des Antrages auf Einleitung des Schlichtungsverfahrens übermittelt.
21 Die Parteien wurden weiter auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 23.11.2004, Aktenzeichen VI ZR 336/03, abgedruckt in MDR
2005 Seite 285, hingewiesen.
22 Der Kläger hat mit Schreiben vom 23.10.2009, vgl. Bl. 42 d. Gerichtsakten (
Computerfax, ohne Unterschrift
erklärt, dass er die Klage zurückziehe.
23 Mit Hinweis vom 26.10.2009, vgl. Bl. 43 d. Gerichtsakten, wurde der Kläger wie folgt unterrichtet:
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„Das Gericht sieht das Faxschreiben vom 23.10.2009 n i c h t als wirksame Klagerücknahme an, da sie keine eigenhändige Unterschrift
aufweist, vgl. § 130 Nr. 6 ZPO. Bei einer Klagerücknahme entfallen 2 von 3 Gebühren. Dabei macht es keinen Unterschied, ob eine
Klage bereits zugestellt ist oder nur beim Gericht eingegangen ist und die Zustellung unterblieben ist. Der Termin vom 04.11.2009 bleibt
aufrecht erhalten.“
25 Unter Bezugnahme auf Rechtsprechungszitate hat der Kläger im neuerlichen Computerfax vom 30.10.2009, vgl. Bl. 45 d. Gerichtsakten, auf das
Hinweisschreiben vom 26.10.2009 Bezug genommen und die Auffassung vertreten, dass seine Klagerücknahmeerklärung wirksam sei.
26 Hierauf wurde dem Kläger mit Hinweisschreiben vom 02.11.2009, vgl. Bl. 48 d. Gerichtsakten, Folgendes mitgeteilt:
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„Der Termin vom 04.11.2009 wird erst aufgehoben, wenn eine die persönliche Unterschrift des Klägers aufweisende
Klagerücknahmeerklärung beim Amtsgericht Nürtingen eingegangen ist. Das Gericht teilt die Auffassung des Bundesgerichtshofes,
Beschluss vom 15.07.2008, X ZB 8/08 und der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 18.04.2007, 1 BvR 110/07. Die Differenzierung
danach, ob es sich um einen Anwaltsschriftsatz oder einen solchen der Partei handelt, ist für die Frage der Unterschriftserfordernis
unerheblich.“
28 Mit weiterem Computerfaxschreiben vom 03.11.2009, eingegangen beim Amtsgericht Nürtingen um 15.17 Uhr, vgl. Bl. 49 d. Gerichtsakten, hat
der Kläger
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den erkennenden Richter unter Berufung auf §§ 42 ff. ZPO wegen Gehörsverweigerung und willkürlicher Missachtung der herrschenden
Rechtsprechung/Rechtsordnung
abgelehnt
30 In der mündlichen Verhandlung vom 04.11.2009, vgl. Protokollierung Bl. 54 ff. d. Gerichtsakten, ist für den Kläger niemand erschienen.
31 Die Ladung zu diesem Termin war dem Kläger am 28.08.2009 zugestellt worden, vgl. Bl. 13 Rückseite d. Gerichtsakten.
32 Für die Beklagte ist der mit einer Vollmacht gemäß § 141 Abs. III ZPO, herrührend vom Geschäftsführer der Klägerin, ML., ausgestattete Herr OK.
aufgetreten, vgl. Vollmacht Bl. 59 d. Gerichtsakten.
33 Der Richter hat in der mündlichen Verhandlung seine dienstliche Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch abgegeben im Sinne von § 44 Abs. III
ZPO, vgl. Bl. 55 d. Gerichtsakten.
34 Der Beklagtenvertreter hat sich dahin geäußert, dass das Ablehnungsgesuch des Klägers zumindest unbegründet sei.
35 Der
Beklagtenvertreter hat
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Klageabweisung beantragt und beantragt, diesbezüglich ein Versäumnisurteil zu erlassen.
37 Das Gericht hat im Hinblick auf das Ablehnungsgesuch Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 13.01.2010 festgesetzt.
38 Das Ablehnungsgesuch wurde durch den Direktor des Amtsgerichts Gruhl mit Beschluss vom 09.11.2009 als unzulässig verworfen, vgl. Bl. 64 ff.
d. Gerichtsakten.
39 Dieser Beschluss wurde dem Kläger am 12.11.2009 zugestellt, vgl. Bl. 69 d. Gerichtsakten.
40 Diesbezüglich hat sich der Kläger wiederum mit Computerfax ohne Unterschrift an das Amtsgericht Nürtingen gewandt.
41 Mit Hinweisverfügung vom 16.11.2009 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass dieses Schreiben (vom 12.11.2009) nicht als Beschwerde gegen den
Beschluss vom 09.11.2009 angesehen werde.
42 Mit Schreiben vom 18.11.2009 (wiederum nicht unterschriebenes Computerfax), vgl. Bl. 76 d. Gerichtsakten, hat der Kläger ausdrücklich erklärt,
dass eine Beschwerde nicht eingereicht werde, sie könne nicht eingereicht werden.
43 Beim Amtsgericht Nürtingen ist eine Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss vom 09.11.2009 innerhalb der zweiwöchigen Frist für die
sofortige Beschwerde nicht eingegangen.
44 Das Landgericht Stuttgart hat ein Notfristzeugnis erteilt, vgl. Bl. 82 d. Gerichtsakten, dass gegen den Beschluss vom 09.11.2009 bis 08.
Dezember 2009 keine Rechtsmittelschrift eingegangen ist.
45 Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages des Klägers wird auf dessen weitere Schriftsätze mit umfangreichen Ausführungen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
46 Die Klage ist unzulässig im Hinblick auf den Umstand, dass der Streitwert der Klage unter 750,- EUR liegt und der Klageerhebung die
obligatorische Schlichtung gemäß § 1 Abs. I Satz 1 SchlG Bad.-Württ. nicht vorausgegangen ist.
47 Dies hat auch der Kläger eingesehen.
48 Der Kläger war jedoch unbelehrbar im Hinblick darauf, welcher Form die Klagerücknahmeerklärung bedarf.
49 Die Klagerücknahmeerklärung im Sinne von § 269 ZPO ist ein sogenannter bestimmender Schriftsatz, vgl. hierzu etwa Zöller,
Zivilprozessordnung, 28. Auflage, § 129 Randnr. 3, der nach § 130 Nr. 6 ZPO die Unterschrift der Person, die den Schriftsatz verantwortet,
enthalten soll.
50 Die Auslegung dieser Vorschrift ist in Rechtsprechung und Literatur durchaus umstritten, vgl. hierzu etwa die umfangreiche Darstellung von
Kreger in Zöller ZPO, 28. Auflage, § 130, ab Randziff. 10.
51 Das Gericht hat in diesem Zusammenhang, ohne sich auf eine inhaltliche Diskussion mit dem Kläger einzulassen, was die tragenden Gründe für
das Erfordernis der Wiedergabe der eigenhändigen Unterschrift sind, gegenüber dem Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes, vgl. Beschluss vom 15.07.2008, Aktenzeichen X ZB 8/08, und des Bundesverfassungsgerichts, vgl. Beschluss vom
18.04.2007, Aktenzeichen 1 BVR 110/07, mitgeteilt, dass das Gericht für die Klagerücknahme an dem Unterschriftserfordernis festhält.
52 Der Kläger hatte es nun mehrfach in der Hand, eine formrichtige Klagerücknahmeerklärung dem Gericht zu übersenden, wie er auch in der Lage
war, etwa seine Klageschrift zu unterschreiben.
53 Der Kläger hat sich allerdings insoweit auf das Rechthaben versteift und das Gericht, das
allein
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts beachtet und an dem Unterschriftserfordernis für die
Klagerücknahmeerklärung deshalb festhält, zu der nunmehr getroffenen Entscheidung veranlasst.
54 Dem Kläger war auch mitgeteilt worden, dass er aufgrund des Festhaltens an seiner Meinung über die prozessuale Erforderlichkeit der
Unterschriftsleistung im Hinblick auf eine Klagerücknahme damit zwei von drei Gerichtsgebühren nicht einspart, sondern den Verfall derselben
veranlasst.
55 Obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war und der Beklagtenvertreter Erlass eines klagabweisenden
Versäumnisurteils beantragt hat, war durch kontradiktorisches unechtes Versäumnisurteil die Klage als unzulässig abzuweisen. Der Kläger soll
mit seiner unzulässigen Klage nicht allein deshalb besser gestellt sein, weil er auch noch säumig ist, vgl. hierzu auch Zöller-Herget,
Zivilprozessordnung, 28. Auflage, § 330, Randnr. 7.
56 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils stützt sich auf §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
57 Das Gericht hat ausnahmsweise die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen, da weiterhin in Rechtsprechung und Literatur die
Unterschriftserfordernis bei Computerfax im Hinblick auf bestimmende Schriftsätze streitig ist. Mithin hat also die Kernfrage, um die es dem Kläger
bei seinem Beharren auf Klagerücknahmemöglichkeit allein durch Computerfax geht, grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 511 Abs. IV Nr. 1
ZPO. Auch ist im Sinne derselben Vorschrift im Hinblick auf die Fortbildung des Rechts bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Berufungsgerichts erforderlich.
58 Bei dieser Gelegenheit wird der Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufungseinlegung durch einen zugelassenen Rechtsanwalt zu erfolgen
hat.
59 Soweit der Kläger in seinen Schriftsätzen die Amts- und Prozessfähigkeit des erkennenden Richters in Frage stellt, versagt sich der Richter jede
inhaltliche Stellungnahme.