Urteil des AG Nürtingen vom 05.05.2010

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AG Nürtingen Urteil vom 5.5.2010, 42 C 2304/09
Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Schadensersatzansprüche
Leitsätze
Wird Mietsicherheit durch Verpfändung eines Sparguthabens geleistet, hat der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses gegen den
Anspruch auf Herausgabe des Sparbuchs kein Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Schadensersatzansprüche. Er kann statt dessen aus dem
Pfandrecht unmittelbar vorgehen. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts vier Jahre nach Beendigung des Mietverhältnisses, ohne das bislang
über die Kaution abgerechnet wurde, ist jedenfalls treuwidrig.
Tenor
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Kläger das Sparbuch betreffend das Sparkonto Nr. (...) bei der Kreissparkasse E
herauszugeben.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagten gesamtschuldnerisch.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 1.800,00 Euro vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: bis 2.000,00 Euro.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus Mietverhältnis. Die Kläger waren Mieter der Wohnung in A der am 12.10.2009 verstorbenen Frau
EB. Die Beklagten sind Erben der Frau EB.
2
Das Mietverhältnis zwischen den Klägern und der Frau EB über die Wohnung endete am 30.04.2006. Als Mietsicherheit verpfändeten die Kläger
der Vermieterin das Sparguthaben auf dem Sparkonto Nr. (...) bei der Kreissparkasse E. Das Sparbuch wurde von der Vermieterin verwahrt und
befindet sich jetzt im Besitz der Beklagten. Am 30.11.2009 wies das Sparkonto ein Guthaben i.H.v. 1.557,80 Euro aus.
3
Das Objekt in A wurde von der Vermieterin im Jahr 2007 veräußert.
4
Nach § 20 des Mietvertrages war die Vermieterin verpflichtet, innerhalb von drei Monaten nach Rückgabe der Mietsache unter Abrechnung von
Vermieterforderungen die Kaution an die Mieter zurückzuzahlen.
5
Eine Abrechnung über die Mietsicherheit erfolgte bis jetzt nicht. Lediglich wurden Schäden an der Wohnung „vorläufig mit ca. 1.500,00 Euro“
beziffert und die Aufrechnung mit der Kautionsforderung erklärt, ohne jedoch die Schadensersatzansprüche nachvollziehbar darzustellen.
Insoweit wird auf den von der Klägerseite vorgelegten Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 27.10.2006 verwiesen (Bl. 60 der Gerichtsakten).
6
Die Kläger beantragten,
7
die Beklagten zu verurteilen, an die Kläger folgenden Gegenstand herauszugeben: Sparbuch (aus Pfändung einer Mietkaution)
bei der Kreissparkasse
8
Die Beklagten beantragten,
9
die Klage abzuweisen.
10 Die Beklagten rechnen mit angeblichen Gegenforderungen auf.
11 Mit Schreiben vom 15.08.2005 rechnete die Vermieterin über die M-Abrechnung für Heizkosten für 2001/2002, 2002/2003 und 2003/2004 sowie
über die sonstigen Nebenkosten für die Jahre 2002 bis 2004 ab. In Höhe des errechneten Nachzahlungsbetrags von insgesamt 2.345,95 EUR
wird die Aufrechnung erklärt. Wegen der Nebenkostenabrechnungen im Einzelnen wird auf das Anlagenkonvolut B 1 (Bl. 114 ff.) verwiesen.
12 Des Weiteren tragen die Beklagten vor, im Rahmen der Wohnungsabnahme seien ganz erhebliche Mängel festgestellt worden, die bis zum
heutigen Zeitpunkt von der Klägerseite nicht beseitigt worden seien. Wegen der einzelnen Mängel wird auf die Beklagtenschriftsätze vom
22.02.2010 (Bl. 87 bis 91) und vom 12.03.2010 (Bl. 109 bis 113) verwiesen.
13 Der Beseitigungsaufwand für die Schäden belaufe sich auf 1.400,00 Euro. Diese Schäden führten zu einer Wertminderung des Objekts in
entsprechender Höhe. Mit der Wertminderung des Objekts wird die Aufrechnung gegenüber der Kautionsrückforderung erklärt.
14 Wegen der Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2004/2005 und 2005/2006, die mit Schriftsatz vom 16.03.2010 vorgelegt wurden
(Beklagtenschriftsatz vom 16.03.2010 nebst Anlagen, (Bl. 143 bis 160) wird nicht aufgerechnet, sondern lediglich Widerklage vorbehalten (vgl.
Beklagtenschriftsatz vom 22.02.2010 am Ende (Bl. 91)).
15 Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom
14.04.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
16 Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
17 1. Die Kläger haben aus Mietvertrag Anspruch auf Herausgabe des Sparbuchs.
18 Der Anspruch ergibt sich als Nebenpflicht aus dem Mietvertrag. Das Mietverhältnis ist beendet. Die Kläger haben deshalb Anspruch auf
Rückzahlung einer geleisteten Kaution (§ 20 des Mietvertrags) bzw. vorliegend auf Freigabe des Pfandrechts. Es bleibt den Klägern
unbenommen, statt Freigabe lediglich die Herausgabe des dem Vermieter zur Verwahrung überlassenen Sparbuchs zu verlangen. Offenbar
haben die Kläger von der Kreissparkasse E die Auskunft erhalten, zur Auflösung des Sparkontos lediglich das Sparbuch zu benötigen.
19 Der Anspruch ist auch fällig. Laut § 20 des Mietvertrags ist der Vermieter verpflichtet, binnen drei Monaten nach Rückgabe der Mietsache über
die Kaution abzurechnen und die Kaution zurückzuzahlen. Entsprechendes muss für eine verpfändete Forderung bezüglich Freistellung bzw.
Herausgabe des Sparbuchs gelten.
20 2. Die von Beklagtenseite erklärte Aufrechnung geht ins Leere. Aufrechnung ist nur mit gleichartigen Forderungen möglich (§ 387 BGB). Die
Aufrechnung mit einer Geldforderung gegen eine Forderung auf Herausgabe einer Sache ist nicht möglich.
21 3. Die Beklagten haben auch kein Zurückbehaltungsrecht. Jedenfalls wäre die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts treuwidrig.
22 Auf den Hinweis des Gerichts, dass eine Aufrechnung nicht möglich ist, haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 29.04.2010 (Bl. 115/116)
jedenfalls konkludent ein Zurückbehaltungsrecht in entsprechender Höhe geltend gemacht, indem sie dazu ausführen, dass die
Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach wie vor möglich sei.
23 a) Die Beklagten haben keine Gegenansprüche.
24 aa) Die Beklagten haben keine Ansprüche auf Nebenkostennachzahlung. Die vorgelegten Nebenkostennachzahlungen sind formell fehlerhaft.
25 In der Rechtssprechung ist anerkannt, dass eine Abrechnung über Nebenkosten nur dann formal ordnungsgemäß ist, wenn sie eine
Zusammenstellung der Kosten, die Angabe und Erläuterung der zugrunde gelegten Verteilungsschlüssel, die Berechnung des Anteils des
Mieters sowie den Abzug seiner Vorauszahlungen enthält. Die Abrechnung muss des Weiteren gedanklich und rechnerisch nachvollziehbar sein
(vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 9. Auflage, § 556 Rn. 464).
26 Die vorgelegten Nebenkostenabrechnungen für die Zeiträume 2001/2002 bis 2003/2004 bzw. die Jahre 2002 bis 2004 entsprechen diesen
Vorgaben nicht. Es fehlt jeweils die nachvollziehbare Angabe von Verteilungsschlüsseln. Bezüglich der M-Abrechnungen fehlt ein solcher
Verteilungsschlüssel ganz. Bezüglich der sonstigen Nebenkosten fehlt der Verteilungsschlüssel entweder ebenfalls oder ist nicht
nachvollziehbar. Den Nebenkostenabrechnungen sind außerdem nicht die tatsächlich geleisteten Vorauszahlungen und ein sich aus dem
Gesamtbetrag der Nebenkosten abzüglich der geleisteten Vorauszahlungen ergebender Zahlungsbetrag bzw. ein entsprechendes Guthaben zu
entnehmen.
27 Die vorgelegten Nebenkostenabrechnungen begründen deshalb keinen Anspruch auf Nebenkostennachzahlungen. Es kann dahin stehen, ob
die Vermieterin ohne Verschulden verhindert war, die Jahresfrist des § 556 Abs. 2 Satz 2 BGB einzuhalten.
28 Bezüglich der Nebenkostenabrechnungen 2004/2005 und 2005/2006 bzw. 2005 und 2006 wurde lediglich Widerklage vorbehalten, nicht jedoch
Aufrechnung erklärt. Deshalb kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass nunmehr insoweit ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht
wird. Mit Schriftsatz vom 16.03.2010 wurden die Nebenkostenabrechnungen lediglich „übersandt“ (Bl. 143). Im Übrigen wären diese
Nebenkostenabrechnungen, die ausweislich der vorgelegten Anlagen jeweils vom 02.08.2007 stammen, verspätet (§ 556 Abs. 2 Satz 3 BGB).
Das Mietverhältnis endete unstreitig am 30.04.2006. Über die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2006 hätte deshalb spätestens bis
30.04.2007 abgerechnet werden müssen, bezüglich des Abrechnungszeitraums 2005 spätestens bis 31.12.2006.
29 bb) Die Beklagten haben zur Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche nicht ausreichend substantiiert vorgetragen.
30 Dem Vermieter etwaig zustehende Schadensersatzansprüche müssen hinsichtlich der aufzuwendenden Kosten nachvollziehbar und prüfbar
dargelegt werden. Die behaupteten Instandsetzungsmaßnahmen müssen der Höhe nach aufgeschlüsselt werden in Materialeinsatz und
Arbeitslohn (vgl. AG Bonn vom 22.02.1991, Az. 6 C 587/90, WuM 1992, 123). Dieser Darlegungslast hätte etwa durch Vorlage entsprechender
Kostenvoranschläge von Fachunternehmen entsprochen werden können (vgl. AG Bonn, a.a.O. und LG Traunstein vom 28.05.1991, Az. 6 S
1140/91, WuM 1991, 587).
31 Die von Beklagtenseite jeweils angegebenen erforderlichen Aufwendungen zur Beseitigung der vorgetragenen Schäden sind dagegen
offensichtlich ins Blaue hinein geschätzt und entbehren jeglicher Grundlage. Ein Kostenvoranschlag oder eine Sachverständigenbegutachtung
der Schäden liegt nicht vor. Im Übrigen haben die Beklagten daran auch gar kein Interesse mehr, da das Objekt veräußert wurde.
32 Soweit die Beklagten vortragen, in Höhe des geschätzten Beseitigungsaufwand sei eine Wertminderung des Objekts eingetragen – nur insoweit
wurde die Aufrechnung erklärt (und wird nunmehr konkludent das Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht), ist der Vortrag ebenfalls
unsubstantiiert.
33 Insoweit hätte zum Alter, Ausstattung und Zustand des Gebäudes sowie zur Größe von Gebäude und Grundstück vorgetragen werden müssen.
Vor diesem Hintergrund könnte dann die Wertminderung des Gebäudes aufgrund der Beschädigung unselbständiger Gebäudeteile bemessen
werden. Die Wertminderung steht in Relation zum Gebäude insgesamt, sie entspricht nicht notwendig der Höhe des zur Beseitigung des
Schadens erforderlichen Aufwands. Es ist insoweit wieder vielmehr nur ins Blaue hinein behauptet, dass das Gebäude entsprechend im Wert
gemindert worden sei.
34 Letzteres kann vom Gericht vorliegend aufgrund eigener Sachkenntnis als ausgeschlossen betrachtet werden, weil sämtliche angeblich
notwendigen Arbeiten (Neuanstrich der Fenster, Abschleifen und Neuversiegelung von Fenstersimsen und Parkett) ohnehin nach einer
nunmehrigen Nutzungsdauer von 35 Jahren notwendig waren und sich ohnehin im Wert des Objekts niederschlagen.
35 Soweit die Beklagten vortragen, die Wertminderung habe sich in einer Kaufpreisminderung niedergeschlagen, ist der Vortrag ebenfalls
unsubstantiiert.
36 Es ist nicht vorgetragen, welcher Kaufpreis tatsächlich erzielt worden ist und welcher hätte erzielt werden können ohne die angeblichen Mängel.
37 cc) Die Mieter wurden im Mietvertrag nicht wirksam zur Vornahme von Schönheitsreparaturen bzw. zur Abgeltung etwaiger
Schönheitsreparaturen verpflichtet.
38 Das Mietvertragsformular sieht einen starren Fristenplan vor. Im Übrigen gilt bezüglich der Substantiierung des Aufwands das oben Ausgeführte.
39 b) Ein Zurückbehaltungsrecht kommt auch wegen der Besonderheit des Rechtsverhältnisses nicht in Betracht. Aus dem Schuldverhältnis „ergibt
sich ein anderes“ (§ 273 Abs. 1 BGB).
40 Das Zurückbehaltungsrecht ist Sicherungs- und Druckmittel zur Sicherung von Gegenansprüchen (vgl. Palandt, BGB, 69. Aufl., § 273 Rn. 1). Die
Beklagten benötigen kein zusätzliches Sicherungs- und Druckmittel.
41 Etwaige Ansprüche können die Beklagten aus dem Pfandrecht – durch Auszahlung bei der Bank (vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 2010, 171) –
befriedigen. Zu diesem Zweck wurde die Mietsicherheit von den Klägern an die Vermieterin geleistet.
42 Es bedarf keiner Sicherung der Mietsicherheit! Die Beklagten allein haben es in der Hand, aus dem Pfandrecht vorzugehen. Die Kläger können
sie hieran nicht hindern. Es ist deshalb nicht ersichtlich, wozu das Sparbuch in der Hand der Beklagten dienen soll, wenn diese das Pfandrecht
nicht in Anspruch nehmen.
43 c) Jedenfalls ist die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts treuwidrig.
44 Vorliegend sind seit Beendigung des Mietverhältnisses mehr als vier Jahre vergangen, ohne dass die Vermieterin bzw. die Beklagten über die
Mietsicherheit abgerechnet hätten.
45 Selbst ohne eine entsprechende mietvertragliche Vereinbarung wird die Frist zur Kautionsabrechnung auf ca. 6 Monate bemessen. Spätestens 9
Monate nach Beendigung des Mietverhältnisses schuldet der Vermieter eine Abrechnung der Kaution (vgl. AG Bonn, a.a.O.). Die Beklagten
haben auch auf entsprechenden Hinweis des Gerichts nicht über die Mietsicherheit abgerechnet. Es ist auch nicht absehbar, dass dies
demnächst erfolgen soll. Insbesondere hat die Beklagtenseite bis jetzt keinen Kostenvoranschlag wegen angeblicher Mängel eingeholt und auch
sonst wegen des Zustands der Wohnung bis heute nichts unternommen (vgl. LG Traunstein a.a.O.). Das ist auch nicht mehr zu erwarten,
nachdem das Gebäude veräußert wurde.
46 Der Vermieterin wurde das Guthaben bei der Kreissparkasse E verpfändet, damit sich diese wegen eventueller Forderung daraus befriedigt. Die
Vermieterin hätte deshalb zeitnah über eventuelle Gegenforderungen abrechnen müssen und – nach vorheriger Ankündigung (vgl.
Verpfändungserklärung, Bl.5 GA.) – das Pfandrecht in Anspruch nehmen können. Die Beklagtenseite beschränkt sich nunmehr darauf, ein
Zurückbehaltungsrecht in Anspruch zu nehmen, ohne in Aussicht zu stellen, endgültig über etwaige Ansprüche abzurechnen, das Pfandrecht in
Anspruch zu nehmen und anschließend das Sparbuch herauszugeben und gegebenenfalls einen Restbetrag freizugeben. Das aber ist Sinn und
Zweck der entsprechenden mietvertraglichen Vereinbarung über die Mietsicherheit und der Vereinbarung über die Verpfändung des
Sparguthabens. Die Beklagten können sich deshalb nicht darauf zurückziehen, lediglich ein Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen, ohne
konkret abzurechnen und das Pfandrecht in Anspruch zu nehmen. Das gilt jedenfalls nun nach mehr als vier Jahren nach Beendigung des
Mietverhältnisses. Es ist den Klägern nicht zuzumuten, weiter auf die Herausgabe des Sparbuchs zu warten.
47 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts keinesfalls zur Klagabweisung, sondern allenfalls
zur Verurteilung Zug um Zug gegen Empfang der Gegenforderung führt (§ 274 Abs. 1 BGB). Eine bestimmte Gegenforderung wird aber nicht
geltend gemacht. Es werden lediglich Mindestbeträge vorgetragen. Soll es aber zu einer Verurteilung der Beklagten Zug um Zug gegen Zahlung
von Schadensersatz kommen, muss der Schadensersatzanspruch konkret beziffert werden.
II.
48 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 ZPO.