Urteil des AG Neuss vom 04.09.1998

AG Neuss (kläger, gegen die guten sitten, geschäftsführung ohne auftrag, schlüssiges verhalten, verhalten, formular, werbung, zeitpunkt, abschluss, zustandekommen)

Amtsgericht Neuss, 34 C 453/97
Datum:
04.09.1998
Gericht:
Amtsgericht Neuss
Spruchkörper:
durch den Richter am Amtsgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
34 C 453/97
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Der Beklagte erlitt am 08.06.1997 einen Autounfall. Seinen hierbei beschädigten PKW
übergab er am 09.06.1997 dem Autohaus in zur Reparatur. Bei der Einlieferung des
PKW's in die Werkstatt legte ihm ein Mitarbeiter des Autohauses, der Zeuge, unter
anderem einen Fragebogen sowie das Formular einer Blankovollmacht für einen
Rechtsanwalt vor. Der Fragebogen diente dazu, die für die Abwicklung des
Unfallschadens bedeutsamen Daten festzuhalten. Die hierzu gestellten Fragen waren
mit ja oder nein zu beantworten, wobei die jeweilige Antwort durch ankreuzen auf einem
Ja- bzw. Neinfeld zu erfolgen hatte. Die gestellten Fragen waren in die Form eines
Aussagesatzes gekleidet. Zu diesem Fragen gehörten auch die Fragen "Unterlagen an
Rechtsanwalt" und "Kunde erbittet Einschaltung des Rechtsanwalts".
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Bei der für die Verwendung durch einen Rechtsanwalt vorgesehenen Blankovollmacht
handelt es sich um ein Formular, dass das Autohaus selbst hatte herstellen lassen zur
regelmäßigen Verwendung bei der Abwicklung von Unfallschäden seiner Kunden. Auf
dem Formular heißt es unter anderem:
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"Herrn/Herren Rechtsanwalt/Rechtsanwälte wird hier Vollmacht erteilt,
mich/uns wegen des Verkehrsunfalls vom 08.06.1997 gegen und
etwaiger weiterer Beteiligter wie z. B. den/die Fahrzeughalter und deren
Versicherer zu vertreten".
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Der Fragebogen wurde von dem Beklagten und einem als Kundendienstberater
bezeichneten Mitarbeiter des Autohauses, dem Zeugen, unterzeichnet. Der Beklagte
unterzeichnete auch das Blankovollmachtsformular.
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Der Kläger behauptet, dass zum Zeitpunkt der Unterzeichnung durch den Beklagten die
Ja- und Neinfelder auf dem Fragebogen bereits angekreuzt waren und dass die
Blankovollmacht bereits die handschriftliche Eintragung des Unfallgegners und des
Datums des Unfalls enthielt. Der Beklagte behauptet, dass die Formulare zum Zeitpunkt
seiner Unterschriftsleistung keine solchen Eintragungen enthielt.
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Das Autohaus leitete den Fragebogen zusammen mit der Blankovollmacht und den
Rechnungen für die Reparatur und den Mietwagen an die Kläger weiter. Die Kläger
versahen die Blankovollmacht mit dem Stempelaufdruck ihrer Kanzlei und machten den
Unfallschaden gegen die gegnerische Versicherung geltend, wobei sie sich als
Vertreter des Beklagten bezeichneten.
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Die Erteilung von Kundenmandaten an die Kläger durch das Autohaus in der
praktizierten Form der Weiterleitung der jeweils vom Kunden unterzeichneten
Blankovollmacht sowie des Fragebogens beruht auf einer langjährigen Übung. Die
Kläger vertreten die Interessen des Autohauses bereits seit Jahrzehnten.
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Die gegnerische Haftpflichtversicherung regulierte den Schaden, verweigerte jedoch die
Erstattung der Anwaltskosten mit der Begründung, der Anwaltsvertrag zwischen der
Klägerin und dem Beklagten sei nichtig. Mit Schreiben vom 23.10.1997 verlangten die
Kläger ihre Kosten von dem Beklagten. Dieser verweigerte die Zahlung, unter anderem
mit der Begründung, die Art der Mandatserlangung sei sittenwidrig.
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Die Kläger sind der Ansicht, der Anwaltsvertrag sei wirksam zustande gekommen.
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Die Kläger beantragen,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie DM 317,40 nebst 4 % Zinsen
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seit dem 27.11.1997 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte behauptet, zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Blankovollmacht durch
ihn habe diese keinerlei weitere handschriftliche Eintragungen aufgewiesen.
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Er ist der Meinung, es sei kein rechtswirksamer Rechtsversorgungsvertrag zustande
gekommen. Die Art der Mandatserlangung ohne persönliche Kontaktaufnahme verstoße
gegen die guten Sitten. Das Autohaus habe eine unerlaubte Rechtsberatung
vorgenommen und es fehle an einem Vertrauensverhältnis zwischen Kläger und
Beklagten.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg, denn den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch
nicht zu.
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I.
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Der Anspruch ist nicht gerechtfertigt aus § 675 BGB.
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1. Für das Zustandekommen eines Anwaltsvertrages zwischen den Parteien kommt
es mangels einer ausdrücklichen Beauftragung darauf an, ob der Beklagte
persönlich oder aber vertreten durch das Autohaus den Klägern schlüssig ein
Vertragsangebot unterbreitete, als der Fragebogen und die Blankovollmacht,
jeweils von ihm unterzeichnet, zusammen mit den Rechnungen an die Kläger
weitergeleitet wurden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind für das
Zustandekommen eines Anwaltsvertrages durch schlüssiges Verhalten des
Mandanten im Interesse der Rechtssicherheit erhöhte Anforderungen zu stellen.
Es ist zu verlangen, dass das Verhalten des Mandanten zweifelsfrei als eine auf
den Abschluss eines Anwaltsvertrages gerichtete Willenserklärung aufzufassen
ist. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der Anwalt (ist vgl. BGHZ 91, 324;
BGH in NJW 1991, 2085 f). Der bei den Klägern eingegangene Fragebogen mit
dem Vermerk "Einschaltung eines Anwalts erwünscht" und die Blankovollmacht
ohne die Benennung eines bestimmten Anwalts ließ nicht den eindeutigen und
zweifelsfreien Schluss zu, dass der Beklagte persönlich – oder durch das
Autohaus vertreten – hiermit bereits ein bindendes Angebot für den Abschluss
eines Anwaltsvertrages unterbreiten wollte. Als weitere Auslegungsmöglichkeit
kam in Betracht, dass der Beklagte zunächst lediglich eine Kontaktaufnahme mit
einem von dem Autohaus vorgeschlagenen Anwalt anstrebte, um dann selbst zu
entscheiden, ob die Erteilung eines Auftrags sinnvoll sei.
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Keinesfalls zwingend ist weiterhin der Rückschluss, dass nach dem für die Kläger
deutlich gewordenen Geschehen das Autohaus als Vertreter des Beklagten den
Auftrag erteilte. Eine Auslegungsmöglichkeit wäre nämlich auch, dass das
Autohaus die Formulare lediglich als Bote des Beklagten weiterreichte.
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Es wäre Sache der Kläger gewesen, die tatsächlichen Voraussetzungen dafür
vorzutragen, dass aus dem Verhalten des Beklagten bzw. des Autohauses der
eindeutige und zweifelsfrei Rückschluss auf Abgabe eines Angebotes zum
Abschluss eines Anwaltsvertrages gezogen werden konnte. Hierzu haben die
Kläger nichts vorgetragen.
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2. Vorliegend braucht das Zustandekommen eines Anwaltsvertrages jedoch nicht
entschieden zu werden, weil – das Zustandekommen unterstellt – der Vertrag
nach 134 BGB i. V. m. § 43 b BRAO unwirksam ist. Der hiernach erforderliche
Verstoß gegen das Verbot einer Werbung, die auf die Erteilung eines Auftrags im
Einzelfall gerichtet ist (Direktwerbung) ist gegeben. Werbung bedeutet zunächst
einmal Mandantenbeeinflussung. Eine unzulässige Direktwerbung liegt immer
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dann vor, wenn der Anwalt an den Mandanten zur Erlangung eines Auftrags dann
herantritt, wenn sich dieser in einer Situation befindet, in der anzunehmen ist, dass
er einen Anwalt benötigen könnte (vgl. Henssler/Prütting-Eylmann § 43 b Rdn. 45
ff). Erfolgt eine solche unzulässige Direktwerbung durch einen Dritten, ist dessen
Verhalten dem Anwalt zuzurechnen, wenn es sich um ein mit dem Anwalt
abgestimmtes planmäßiges Vorgehen handelt (vgl. Henssler/Prütting-Eylmann §
43 b Rdn. 51).
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Das Autohaus ist mit dem Fragebogen und der Blankovollmacht an den Beklagten
herangetreten, als dieser den Unfallschaden an seinem PKW beheben lassen
wollte und für eine Rechtsberatung empfänglich war. Die Vorlage der Formulare
erfolgte auch mit dem Ziel, den Beklagten zu beeinflussen und ihn zur
Einschaltung eines Anwalts zu bewegen. Dies ist unstreitig.
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Gegen den Werbecharakter dieses Verhalten des Autohauses spricht nicht der
Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt dem Beklagten der Name der Kläger noch
nicht ersichtlich war. Das Autohaus ließ sich nämlich ausweislich des
Fragebogens die Befugnis einräumen, die Unterlagen an einen Anwalt seiner Wahl
weiterzuleiten. Die Werbung des Autohauses erfolgte deshalb zugunsten eines
Anwalts, der von dem Autohaus zukünftig bestimmt werden sollte. Zum Begriff der
Werbung erhört nicht, dass der Begünstigte bei der Werbeaktion genannt wird.
Werbung ist auch in der Form möglich, dass zunächst eine Kundenbeeinflussung
stattfindet und erst nachträglich die Vorteile dieser Beeinflussung einem
Begünstigten zugeordnet werden kann.
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Die somit vom Autohaus vorgenommene Direktwerbung ist den Klägern
zuzurechnen, weil sie das Verhalten des Autohauses kannten, billigten und mit
dem Autohaus zusammenwirkten. Die billigende Kenntnis der Kläger ist unstreitig.
Das Zusammenwirken ergibt sich daraus, dass die Kläger das von dem Autohaus
selbst verfertigte Formular einer Blankoanwaltsvollmacht als eigenes Formular
übernommen haben, indem sie den Stempelaufdruck ihrer Kanzlei aufbrachten. Mit
der Ausfüllung des Blankoanwaltsformulars des Autohauses bestimmten sie selbst
den Begünstigten aus den vorhergehenden Werbemaßnahmen des Autohauses.
Das Vorgehen der Kläger und des Autohauses erfolgte planmäßig, weil es
unstreitig auf einer lang praktizierten Übung beruhte.
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Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dass die Werbemaßnahmen im
Zusammenwirken mit dem Autohaus deshalb zulässig sei, weil das Autohaus
Kundenmandate auch an andere Rechtsanwälte weiterleite. Die Unzulässigkeit der
Beeinflussung von Mandanten im Sinne der Direktwerbung nach § 43 b BRAO
hängt nicht davon ab, ob hiervon nur ein bestimmter oder mehrere Anwälte
profitieren. Normzweck ist die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen
Rechtspflege im Interesse des rechtsuchenden Bürgers sowie des Schutzes des
hierfür unabdingbaren Vertrauensverhältnisses zwischen Mandanten und Anwalt
(vgl. Henssler/Prütting-Eylmann § 43 b Rdn 7). Die Anzahl der begünstigten
Anwälte hat hiermit nichts zu tun. Dieser Normzweck erfordert das Verbot von
Mandantenbeeinflussungen zur Mandatserlangung im Einzelfall auch dann, wenn
die hierdurch zustandekommenden Mandate an verschiedene Anwälte
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weitergeleitet werden.
II.
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Den Klägern steht auch kein Anspruch gemäß §§ 670 BGB zu. Hierbei kann
offenbleiben, ob die sonstigen Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung
ohne Auftrag vorlagen. Den Klägern steht schon deshalb ein Anspruch auf Ersatz ihrer
Aufwendungen nicht zu, weil es am hierfür erforderlichen Merkmal der Erforderlichkeit
der Aufwendungen fehlt. Erforderlich sind Aufwendungen nur dann, wenn der
Geschäftsführer ohne Auftrag nach seinem verständigen Ermessen unter
Berücksichtigung aller Umstände und der Interessen des Auftraggebers dieser
vernünftigerweise tätigt, um das Geschäft zum angestrebten Erfolg zu bringen (vgl.
Palandt-Friesecke § 670 Rdn. 4). Dementgegen sind die Kläger tätig geworden, um
einen Rechtsbesorgungsvertrag abzuwickeln, dessen Abschluss die Rechtsordnung
nach § 43 b BRAO missbilligt. Wer ein solches Geschäft ausführt, kann den Aufwand
hierfür nicht für erforderlich halten (vgl. BGH in NJW 1997, 47 (49)).
34
III.
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Auch ein Anspruch der Kläger aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 I 1 Alt.
1 BGB auf Herausgabe der von dem Beklagten durch die Tätigkeit der Kläger erlangten
Vorteile scheidet aus. Fraglich ist bereits, ob dieser Anspruch nicht bereits gemäß § 817
S. 2 BGB ausscheidet, weil die Kläger § 43 b BRAO missachteten. Ob die Kläger die
gemäß § 817 S. 2 BGB erforderlich Kenntnis von dem Gesetzesverstoß hatten und
hierdurch den Tatbestand des § 817 S. 2 BGB erfüllten, kann jedoch dahinstehen.
Jedenfalls kann sich der Beklagte auf den Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3
BGB berufen. Der Beklagte hat durch die anwaltliche Tätigkeit der Kläger keine
Aufwendungen erspart, da er ohne die Beeinflussung durch das Autohaus keinen
Anwaltsvertrag abgeschlossen hätte. Hiervon geht das Gericht aus, weil die Abwicklung
des Unfallschadens durch die gegnerische Versicherung unstreitig unproblematisch
verlief, so dass für die Beauftragung eines Anwalts durch den Beklagten keine
Veranlassung bestand.
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IV.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
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Richter am Amtsgericht
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