Urteil des AG Neuss vom 01.07.1988

AG Neuss (wohnung, miete, minderung, höhe, zpo, monat, mieter, zahlung, lärm, verhalten)

Amtsgericht Neuss, 36 C 232/88
Datum:
01.07.1988
Gericht:
Amtsgericht Neuss
Spruchkörper:
36. Abteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
36 C 232/88
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 174,-- DM nebst 4 %
Zinsen von 12,-- DM seit dem 01.01.88, von weiteren je 31,-- DM
seit dem 01.02. und 01.03.88 und von weiteren 100,-- DM seit
dem 01.04.88 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 11/18, der
Beklagte zu 7/18.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung der Klägerin unter der im Rubrum genannten
Anschrift. Die monatliche Nettomiete beträgt 690,-- DM. Etwa seit Februar 1987 wird die
Wohnung über den Beklagten von der Mieterin … und ihrem fünfjährigen Sohn bewohnt.
Wegen behaupteter Lärmbelästigungen aus dieser Wohnung kürzte der Beklagte die
vertraglich vereinbarte Miete im September 1987 um 150,-- DM, sowie in den Monaten
Januar bis März 1988 um jeweils 100,-- DM.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Zahlung der rückständigen Miete
von 450,-- DM.
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Die Klägerin beanatragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 450,-- DM nebst 4 % Zinsen seit
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dem 01.02.88 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, er sei wegen der von der Wohnung der Mieterin … ausgehenden
Geräuschbelästigungen zu einer Mietminderung berechtigt gewesen. Hinsichtlich des
Umfangs der Geräuschbelästigungen wird auf die Aufstellungen des Beklagten für die
Monate November 87 bis Februar 88 (Bl. 23 f. d. A.) verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist in Höhe von 174,-- DM begründet, in Höhe von 274,-- DM war der Beklagte
in den Monaten November 87 bis Februar 88 zu einer Mietminderung berechtigt.
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Der Klägerin steht gegen den Beklagten gemäß § 535 Satz 2 BGB für die Monate
Dezember bis März 1988 ein rückständiger Mietzinsanspruch in Höhe von 174,-- DM zu.
Der Beklagte war in den Monaten November 1987 bis Februar 1988 gemäß § 537 I BGB
nur zur Zahlung einer um 10 %, d. h. um 69,-- DM, geminderten (Netto-) Miete
verpflichtet. Bezgülich der November-Miete stand dem Beklagten insoweit gegen die
Klägerin gemäß § 812 BGB ein Bereicherungsanspruch zu, mit dem er zusätzlich zu der
im Dezember vorgenommenen Minderung gegen den Mietzinsanspruch der Klägerin für
diesen Monat aufgerechnet hat, §§ 387, 389 BGB. Die Minderung der Miete ergibt sich
aus den Gräuscherscheinungen, die von der über der Wohnung des Beklagten
liegenden Wohnung der Mieterin … ausgingen und die in den von dem Beklagten mit
Schriftsatz vom 10.05.88 überreichten Auflistungen, auf die im einzelnen verwiesen wird
(Bl. 23 f. d. A.), enthalten sind. Insoweit ist das Vorbringen des Beklagten gemäß § 138
III ZPO als zugestanden und unstreitig anzusehen, denn da der Beklagte die ihn
störenden Geräusche minuziös dokumentiert hat, durfte die Klägerin sich nicht auf ein
pauschales Bestreiten beschränken, sondern sie hätte zu jedem einzelnen Punkt –
gegebenenfalls nach vorheriger Rücksprache mit der Mieterin … - Stellung nehmen
oder aber zumindest substantiiert darlegen müssen, aus welchen Gründen ihr eine
substantiierte Stellungnahme nicht möglich war. Allerdings kann der Beklagte nicht für
sämtliche Geräusche aus der Wohnung über ihm ein Minderungsrecht beanspruchen.
Insbesondere die Zeit von 8.00 bis 20.00 Uhr (die Ruhezeit von 13.00 bis 15.00 Uhr
ausgenommen) unterliegt einer erweiteren Toleranzgrenze. Ein Mehrfamilienhaus ist
kein "Kloster", so dass der Beklagte in dieser Zeit die üblichen Wohn- und
Umweltgeräusche, zu denen auch das aufgelistete "Möbelrücken" zählt, hinnehmen
muss. Die vorstehenden Ausführungen bedeuten nun allerdings nicht, dass die Mieter
eines Hauses in den ruhefreien Zeiten ohne Rücksicht auf die Mitbewohner unbegrenzt
lärmen dürften, vielmehr ist jeder unnötige und nicht erforderliche Lärm zu vermeiden.
Den Darlegungen des Beklagten ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die
beschriebenen Lärmerscheinungen in ihrer Intensität das übliche Maß überschritten
haben.
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Unter Beachtung dieser Grunsätze sind die von dem Beklagten in den Ruhenzeiten
(13.00 bis 15.00 Uhr, ab 20.00 Uhr) dokumentierten Geräusche als so gravierend
anzusehen, dass gemäß § 537 I BGB von einer geminderten Tauglichkeit der Wohnung
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auszugehen ist.
Diese schätzt das Gericht unter Einbeziehung der Dokumentation des Beklagten, aus
der die Häufigkeit der Beanstandungen hervorgeht, auf 10 % (§ 287 ZPO). Eine
weitergehende Minderung ist nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht gerechtfertigt. Die
Aufstellungen des Beklagten zeigen, dass die Geräuscherscheinungen von der
Wohnung der Mieterin … nicht ständig, sondern nur mit Unterbrechungen ausgingen
und sich, soweit es das beanstandete "Rennen, Trampeln und Springen" des Sohnes
der Mieterin betrifft, ohne jeweils längere Dauer auf die ruhezeitfreie Tageszeit
verteilten. Es mag zwar sein, dass die durch ein Kleinkind verursachten Geräusche den
Beklagten stören, dass nicht schulpflichtigte Kinder sich in ihrem natürlichen
Bewegungsdrang – vor allem in den Wintermonaten, in denen sie witterungsbedingt nur
begrenzt ins Freie und sich austoben können – nicht immer ruhig verhalten und auch
schon mal durch die Wohnung toben, ist sozialadäquat. Derartiges muss auch in einem
Mehrfamilienhaus hingenommen werden (LG Düsseldorf – 24 S 181/86 -, Urteil vom
28.10.86). Kinder können nicht wie junge Hunde an die Kette gelegt werden. Wer
Kinderlärm als lästig empfindet, hat selbst eine falsche Einstellung zu Kindern, die als
selbstgesetzte Ursache rechtlich nicht relevant ist (OVG Münster, 11 A 1288/85, Urteil
vom 08.07.86: "Bolzplatzentscheidung"), so dass besondere Empfindlichkeiten, wie sie
hier offensichtlich bei dem Beklagten vorliegen, bei der Prüfung, ob eine Lärmstörung
vorliegt, nicht zu berücksichtigen sind. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass nicht auch
Kinder in den Grenzen des ihnen Möglichen auf Ruhebedürfnisse anderer Mitbewohner
Rücksicht nehmen und ihren natürlichen Bewegungsdrang vor allem in den Ruhezeiten,
für deren Einhaltung insbesondere die Eltern und auch der Vermieter zu sorgen haben,
beschränken müssen. Unter Beachtung dieser Grundsätze sind Geräuscherscheingen,
wie Rennen, Trampeln und Springen nach 20.00 Uhr bis in die späten Abendstunden
von dem Beklagten nicht mehr hinzunehmen. Entsprechendes gilt für das in diesen
Zeitraum fallende Möbelrücken und den dargelegten Lärm durch die die
Zimmerlautstärke überschreitenden Fernsehgeräusche und das überlaute Musikhören.
Eine Minderung für den Monat März 1988 kommt nicht in Betracht, da es insoweit an
einer nachvollziehbaren Darlegung des Beklagten fehlt.
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Abschließend sei darauf hingewiesen, dass das Gericht nicht zu entscheiden hatte, ob
die beschriebenen Lärmstörungen durch eine fehlerhafte Schalldämmung (mit-)
verursacht worden sind.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 I, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Richter am Amtsgericht
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