Urteil des AG Neuruppin vom 02.04.2017

AG Neuruppin: treu und glauben, schlüsselgewalt, rückgabe, mietwohnung, ehepartner, vollstreckung, vermieter, auszug, getrenntleben, bezahlung

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Gericht:
AG Neuruppin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
42 C 192/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 151 S 1 BGB, § 157 BGB
Kündigung des Gasversorgungsvertrages: Zahlungsanspruch
des Versorgungsunternehmens bei tatsächlichem Weiterbezug
von Gas bis zur endgültigen Rückgabe der Wohnung
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 148,33 € nebst Zinsen i. H. v. 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.Juli 2006 sowie 7,50 €
vorgerichtliche Kosten zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 3/10 und die Beklagte 7/10 zu
tragen mit Ausnahme der durch die Streitverkündung entstandenen Mehrkosten, von
denen die Streithelferin 3/10 und die Beklagte 7/10 trägt.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von
100,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von
200,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
4. Die Zulassungsberufung wird zugelassen.
5. Der Kostenstreitwert wird auf 210,11 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beklagte und ihr Ehemann waren gemeinschaftliche Mieter der in ..., Straße ...
gelegenen Wohnung. Die Streitverkündete ist Eigentümer und war Vermieter der
Wohnung. Die Klägerin ist der örtliche Gasversorger. Am 11. Juli 2003 meldete die
Beklagte, allein unter ihrem Namen, die Wohnung bei der Klägerin schriftlich zum
Gasverbrauch an Am 17. August 2005 sprach der Ehemann der Beklagten, dieser dabei
durch den ihm bestellten Betreuer vertreten, die Kündigung des
Gasversorgungsvertrages zum 31. August 2005 aus (Bl.39 GA). Mit Schreiben vom 14.
September 2005 teilte der Betreuer des Ehemannes der Beklagten den Zählerstand mit
„2.897,970„ mit. Mit Datum vom 26. September 2005 übersandte die Klägerin dem
Betreuer des Ehemannes der Beklagten eine „Schlussrechnung„ für die Zeit bis zum 31.
August 2005 über 86,51 € (Bl.37 GA). Diese Rechnung wurde bezahlt.
Am 03. November 2005 besichtigte der Nachmieter die Wohnung. Dabei notierte er für
den Zähler einen Stand von 3.296. Die Heizungsanlage der Wohnung wurde bei dieser
Gelegenheit abgestellt. Am 27.November 2005 übergab die Streitverkündete dem
Nachmieter die Wohnung zum Besitz.
Die Klägerin stellte dem Ehemann der Beklagten für die Zeit vom 01. September bis 14.
Oktober 2005 weiteren Gasverbrauch (Anfangszählerstand 2.897; Endzählerstand 3.245)
mit 210,11 € in Rechnung (K3 – Bl.14 GA). Sie nimmt nunmehr die Beklagte auf
Bezahlung dieser Rechnung in Anspruch. Sie hatte die Beklagte zweimal schriftlich
vergeblich gemahnt und eine Meldeamtsanfrage nach der Anschrift der Beklagten
gehalten (Kosten 5,00 €).
Die Klägerin behauptet, ein für den 1.Oktober 2005 vorgesehener Termin für die
Rückgabe der Mietwohnung an die Streitverkündete sei wegen Mängeln im
Wohnungszustand nicht vollzogen worden. Erst am 14. Oktober 2005 hätten die
Beklagte und ihr Ehemann die Schlüssel zur Mietwohnung zurückgegeben. Bei der
Wohnungsbesichtigung mit dem Nachmieter am 3. November 2005 sei die Heizung auf
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Wohnungsbesichtigung mit dem Nachmieter am 3. November 2005 sei die Heizung auf
volle Leistung eingestellt gewesen und habe demgemäß weiter Gas verbraucht. Bei
Schlüsselübergabe an den Nachmieter sei der Zählerstand auf dem Protokoll vermerkt
worden. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hafte im Wege der Schlüsselgewalt für
den Gasverbrauch der ehelichen Wohnung. Die für den Ehemann der Beklagten
ausgesprochene Kündigung habe nur für diesen, nicht aber auch für die Beklagte
gewirkt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 210,11 € zzgl. Zinsen hierauf i. H. v. 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 28.04.2006 zzgl. 5,00 €
Mahnkosten und 5,00 € Auskunftskosten zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, bereits am 1. Juni 2005 aus der Ehewohnung ausgezogen zu
sein und seitdem von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Die Mietwohnung sei bereits
am 15. September 2005 nahezu rügelos unter Abgabe aller Schlüssel an die
Streitverkündete zurückgegeben worden. Alle Heizkörper seien dabei auf Null gestellt
gewesen. Noch am selben Tag seien die Nachmieter, darunter die Tochter der
Streitverkündeten, in die Wohnung eingezogen.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen Betreuer.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf dessen schriftliche Aussagen vom
14. August 2007 und vom 21. Dezember 2007 sowie die Sitzungsniederschrift vom 6.
Juni 2008 verwiesen.
Die Streitverkündete ist dem Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 21. Januar 2008 auf Seiten
der Klägerin beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet:
1. Die Beklagte hat den Vertrag über die Versorgung der ehelichen Mietwohnung im
eigenen Namen abgeschlossen. Dadurch ist jedenfalls sie selbst Vertragspartner
geworden, so dass es nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, inwieweit dadurch
auch ihr Ehemann in diese vertragliche Verpflichtung eingebunden worden ist (§ 1357 I
BGB; Berger, FamRZ 2005, 1132).
2. Der von der Beklagten behauptete Auszug aus der Mietwohnung und ihr
Getrenntleben vom Ehepartner führen nicht dazu, dass sie für die Kosten des weiteren
Gasverbrauchs in der vormaligen Ehewohnung nicht mehr haftet. In der Rechtspraxis ist
zwar weiterhin ungeklärt, unter welchen Voraussetzungen sich ein aus der Ehewohnung
ausziehender Ehepartner von den Verpflichtungen des für die Wohnung
abgeschlossenen Energieversorgungsvertrages lösen kann. Teilweise wird die Kündigung
eines von mehreren Vertragspartnern ausnahmsweise für zulässig gehalten, teilweise
wird als ausreichend angesehen, dass der ausziehende Ehegatte dem Versorger von
seinem Auszug Kenntnis gibt (LG Oldenburg FamRZ 2006, 703; AG Beckum FamRZ
1988, 501; Grüne RdE 1986, 45; Wacke in Münchener Kommentar zum BGB, 4.Aufl. §
1357 Rz.45; Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung § 32 AVBEltV
Rz.70; a.A. – Getrenntleben reicht - LG Tübingen FamRZ 1984, 50). Unstreitig hat aber
die Beklagte weder der Klägerin von ihrem angeblichen Auszug Mitteilung gemacht, noch
hat die Klägerin auf anderem Weg von dem angeblichen Getrenntleben erfahren (vgl. §
1357 Abs.3 BGB). Die Beklagte muss sich daher an der von ihr eingegangenen
vertraglichen Verpflichtung festhalten lassen. Die Klägerin hatte keine Chance, von der
gewollten Enthaftung ihrer Vertragspartnerin Kenntnis zu nehmen.
3. Der Ehemann der Beklagten sprach die Kündigung des Versorgungsvertrages zum 31.
August 2005 aus. Das Gericht folgt der (nicht einhellig vertretenen) Rechtsansicht, dass
der im Wege der Schlüsselgewalt mitverpflichtete Ehemann der Beklagten berechtigt
war, dieses Vertragsverhältnis, auch mit Wirkung für die Beklagte, zu kündigen (so
Palandt/Brudermüller, BGB, 68. Auflage § 1357 RZ 21/22; Hempel/Franke a.a.O. Rz.114;
weitere Nachweise bei Berger FamRZ 2005, 1129). Das Gericht folgt nicht der a. a. O.
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weitere Nachweise bei Berger FamRZ 2005, 1129). Das Gericht folgt nicht der a. a. O.
von Bergner vertretenen Ansicht, dass das Institut der Schlüsselgewalt lediglich dem
Gläubigerschutz dient. Es erleichtert auch die Handlungsfähigkeit der ehelichen
Gemeinschaft, deshalb kann auch der eine Ehepartner den von dem anderen im
Rahmen der Schlüsselgewalt abgeschlossenen Vertrag kündigen.
4. Die für den Ehemann der Beklagten ausgesprochene Kündigung des
Versorgungsverhältnisses ließ nicht nur ihn aus einem ansonsten mit der Beklagten
fortbestehenden Versorgungsvertrag ausscheiden: Abgesehen davon, dass die
Zulässigkeit der Herauskündigung nur eines von mehreren Vertragspartnern rechtlich
zweifelhaft ist, ließ das Kündigungsschreiben vom 17. August 2005 auch erkennen, dass
das Vertragsverhältnis in seiner Gesamtheit beendet werden sollte. Das
Kündigungsschreiben nennt im Betreff „Abmeldung des Vertragskonto...„. Es ist weder
erkennbar noch zu erwarten, dass die Klägerin der Beklagten einerseits und ihrem
Ehegatten andererseits verschiedene Vertragskonto-Nummern zugeordnet hätte. Das
an die Klägerin gerichtete Kündigungsschreiben teilt des Weiteren mit, dass der
Ehemann der Beklagten die Wohnung mit der Verbrauchsstelle gekündigt habe. Auch
dies spricht für eine vollständige Aufgabe der Verbrauchsstelle, nicht nur für ein
gewolltes Ausscheiden des Ehemannes der Beklagten aus dem Versorgungsverhältnis.
Erkennbar ist eine Beendigungskündigung des gesamten Versorgungsverhältnisses
gewollt.
Ersichtlich hat auch die Klägerin das Vertragsverhältnis einheitlich behandelt. Die
Rechnungen vom 26. September 2005 und vom 20. Oktober 2005 sind zwar an den
Betreuer des Ehemannes der Beklagten adressiert, nennen in der Betreffzeile aber als
Verbrauchsstelle die vormalige Ehewohnung als auch den Namen der Beklagten.
5. Der Ehemann der Beklagten hat das Versorgungsverhältnis zwar zum 31. August
2005, dem Datum der gleichzeitig ausgesprochenen Wohnungskündigung, gekündigt.
Die tatsächliche Rückgabe der Wohnung an den Vermieter erfolgte aber unstreitig erst
nach diesem Kündigungstermin.
Die Kündigung des Versorgungsvertrages wirkte grundsätzlich zum Ende des Monats
August 2005 (§ 32 Abs.3 AVBGas). Unstreitig haben die Beklagte und ihr Ehemann auch
noch nach dem Kündigungstermin bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Rückgabe der
Wohnung Heizgas verbraucht. Dieser Weiterbezug wird aus der Sicht des
Versorgungsunternehmens unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und nach Treu und
Glauben (§ 157 BGB) als Angebot zum Abschluss eines neuen Gasversorgungsvertrages
in Form einer sogenannten Realofferte zu verstehen gewesen sein, das entsprechend §
151 S. 1 BGB durch die unveränderte Weiterbelieferung von der Klägerin abgenommen
wird (in Hempel/Franke, a.a.O.Rz.148). Dieser neue Versorgungsvertrag ist aber, nach
dem mutmaßlichen Willen der Parteien, nicht als erneut mit den üblichen Fristen
kündigungsbedürftig anzusehen. Vielmehr ist dieser schlüssig zustande gekommene
Vertrag als durch die Rückgabe der Wohnung an den Vermieter auflösend bedingt
anzunehmen (ähnlich LG Kiel NJW-RR 2001, 1629 unten).
Für den Ausfall der auflösenden Bedingung trägt die Beklagte die Darlegungs- und
Beweislast (Palandt/Heinrichs a. a. O. Einführung vor § 158 Rz.7). Der als Zeuge gehörte
Betreuer des Ehemannes der Beklagten ..., berichtete und bestätigte auf Nachfrage
dem Gericht gegenüber einen Übergabetermin am 15. September 2005. Er vermochte
auf Befragen aber nicht zu erläutern, weshalb er in einem Schreiben an die
Streitverkündete einen Übergabetermin am 14. September 2005 erwähnt hatte und auf
Grund welcher Umstände die Zählerstandsmeldung an die Klägerin ebenfalls unter dem
14. September 2005 erfolgte. Den von ihr behaupteten Rückgabetermin vom 15.
September 2005 hat die Beklagte daher nicht zur Überzeugung des Gerichts
nachzuweisen vermocht. Das Gericht hat daher das Vorbringen der Klägerin als
zutreffend anzunehmen, nach dem der Ehemann der Beklagten den letzten Schlüssel
zur Wohnung erst am 14. Oktober 2005 an die Streitverkündete zurückgegeben habe.
6. Die Klägerin hat danach einen vertraglichen Anspruch an die Beklagte zur Bezahlung
des bis zum 14. Oktober 2005 in der Wohnung verbrauchten Gases. Eine Zählerablesung
zu diesem Stichtag erfolgte nicht. Die Beklagte behauptet zwar, am angeblichen
Rückgabetermin am 15. September 2005 seien sämtliche Heizkörper abgestellt
gewesen. Während die Klägerin behauptet, bei der Nachmieterbesichtigung am 3.
November sei die Wohnung stark beheizt gewesen. Nach dem Vorbringen der Parteien
ist aber anzunehmen, dass in der Zwischenzeit die Gastherme der Wohnung gewartet
wurde, so dass jedenfalls insoweit die Gaszufuhr angestellt gewesen sein muss und dass
auch jemand die Wohnung in der Zwischenzeit betreten hatte. Ein Gasverbrauch nach
dem 15. September 2005 ist jedenfalls nicht ausgeschlossen.
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Das Gericht unterstellt den von dem Betreuer unter dem 14. September 2005
mitgeteilten Zählerstand von 2.897,970 für den genannten Tag als zutreffend. Das
Gericht nimmt weiter an, dass der Zählerstand am 3. November 2005 den Stand von
3.296 aufwies. Die Differenz errechnet sich mit ca. 398 m³ für die Zeit vom 14.
September bis 3. November 2005. Auf die Zeit vom 14. September bis 14. Oktober
2005 entfallen danach, zeitanteilig berechnet (30 Tage von 50), 238,8 m³. Ausgehend
von dem am 14. September 2005 abgerechneten Zählerstand von 2.897,97 ergibt sich
ein für die Zahlung der Beklagten anzunehmender Endzählerstand von 3.137. Die
Beklagte schuldet der Klägerin daher aus der Rechnung vom 11. April 2006 den
12,86 €
Arbeitspreis aber nicht für die berechneten 348 m³ (197,25 € brutto), sondern nur 239
135,47 €
Die Forderung ist erst ab dem 12. Juli 2006 in gesetzlicher Höhe zu verzinsen. Erst durch
die Mahnung der Klägerin vom Vortag ist die Beklagte in Verzug geraten (§§ 286 I S. 1;
288 I BGB). Für die Zweitmahnung vom 3. August 2006 kann die Klägerin pauschalierte
Kosten von 2,50 € erstattet verlangen (§ 27 Abs.2 AVBGasV). Die verauslagten Kosten
einer Meldeamtsauskunft schuldet die Beklagte, weil sie der Klägerin trotz noch nicht
abgewickelten Vertragsverhältnisses ihre neue Anschrift nicht mitgeteilt hatte (§ 280 I
BGB).
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen den §§ 92 I; 101 Abs.1; 708 Nr. 11; 711
S. 1; 511 IV ZPO. Die Berufung ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da weiterhin
ungeklärt ist, ob ein Ehepartner zur Kündigung des von dem anderen Ehegatten im
eigenen Namen im Rahmen der Schlüsselgewalt eingegangenen Rechtsgeschäfts
berechtigt ist (zum Streitstand Berger, FamRZ 2005, 1129) und wie der fortgesetzte
Energieverbrauch über den Zeitpunkt einer ausgesprochenen Kündigung hinaus
rechtlich zu behandeln ist.
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