Urteil des AG Neukölln vom 05.07.2006

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Gericht:
AG Neukölln
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 C 255/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 543 Abs 1 BGB
Wohnraummietvertrag: Fristlose Kündigung einer nach der
Geburt eines Kindes zu kleinen Wohnung durch die Mieterin
Tenor
1. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 809,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten aus 269,90 Euro seit dem 5. Juli 2006 und aus 539,80 Euro seit dem
24. September 2006 zu zahlen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn
nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung von Miete für die Monate Juli, August
und September 2006 in Höhe von insgesamt 809,70 Euro.
Mit Vertrag vom 31. Mai 2005 mietete die Beklagte zu 1) vom Kläger die Wohnung ...
Berlin, ... In dem Mietvertrag heißt es in § 2 Nr. 1. a. unter der Überschrift "Unbefristetes
Mietverhältnis": "Das Mietverhältnis beginnt am 31. Mai 2005. Der Mietvertrag läuft auf
unbestimmte Zeit und kann unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 573
c BGB gekündigt werden, auf ausdrücklichen Wunsch des Mieters von diesem jedoch
erstmals zum 30.06.2007." In einem Zusatz zum Mietvertrag, ebenfalls unterschrieben
am 31. Mai 2005, ist eine Staffelmiete bis Ende 2009 vereinbart, die vom 31. Mai 2005
bis zum 31.12.2006 269,90 Euro nettokalt beträgt. Der Beklagte zu 2) hat gemäß
Erklärungen vom 23. und 26. Mai 2005 die Bürgschaft für die aus dem Mietverhältnis
folgenden Zahlungsansprüche der Klägerin übernommen.
Mit Schreiben vom 23. März 2006 erklärte die Beklagte zu 1) gegenüber dem Kläger die
außerordentliche Kündigung des Mietvertrags. Als Grund gab sie an, dass Ende April ihr
erstes Kind geboren werde und sie mit ihrem Lebensgefährten in eine größere Wohnung
zusammenziehe. Im folgenden benannte die Beklagte zu 1) dem Kläger einen
Nachmieter. Die Bonitätsprüfung des Klägers ergab für diesen jedoch eine negative
Schufa-Auskunft. Ein Bürge wurde zunächst nicht genannt. Ein später benannter Bürge
reagierte auf ein Schreiben des Klägers nicht.
Mit der Klage hat der Kläger zunächst auch die Mieten für April, Mai und Juni 2006
geltend gemacht. Nachdem die Beklagten die Klageforderung bezüglich dieser Mieten
anerkannt haben, erging am 14. August 2006 Anerkenntnisurteil über diese
Forderungen.
Bezüglich der hinsichtlich der Mietforderungen für April bis Juni geltend gemachten
Zinsen hat der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen.
Der Kläger beantragt nunmehr im Wege der Klageerweiterung,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 809,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 269,90 Euro seit dem 5. Juli 2006 und aus
539,80 Euro ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie meinen, bei der in § 2 Nr. 1. a. des Mietvertrags getroffenen Vereinbarung handele
es sich um eine gemäß § 575 BGB unzulässige Befristung des Mietvertrags. Im übrigen
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es sich um eine gemäß § 575 BGB unzulässige Befristung des Mietvertrags. Im übrigen
stelle die Vereinbarung eine überraschende Klausel im Sinne von § 305 BGB dar. Die
Beklagte zu 1) sei berechtigt gewesen, das Mietverhältnis aus den angegebenen
Gründen außerordentlich zu kündigen. Die Geschäftsgrundlage für den Mietvertrag sei
gewesen, dass die Beklagte zu 1) die Wohnung allein bezieht. Aufgrund der Geburt ihrer
Tochter und des darauf folgenden Umzugs in eine größere Wohnung sei diese
weggefallen.
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 28.09.2006 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von 809,70 Euro aus § 535
Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem mit der Beklagten zu 1) geschlossenen Mietvertrag,
gegen den Beklagten zu 2) zusätzlich in Verbindung mit § 765 BGB.
Die Pflicht der Beklagten, die Miete für die Monate Juli bis September 2006 zu bezahlen,
ergibt sich aus dem zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Mietvertrag
vom 31. Mai 2005. Dieser Mietvertrag besteht weiterhin; er ist nicht durch die
Kündigungserklärung der Beklagten zu 1) vom 23. März 2005 beendet worden.
Das ordentliche Kündigungsrecht der Beklagten zu 1) ist gem. § 2 Nr. 1. a. des
Mietvertrags wirksam bis zum 30. Juni 2007 ausgeschlossen worden. Diese Vereinbarung
ist nicht gem. § 575 Abs. 4 BGB unzulässig. Denn die Vereinbarung eines befristeten
Kündigungsausschlusses ist einem unzulässigen Zeitmietvertrag im Sinne des § 575
Abs. 1, Abs. 4 BGB nicht gleichzusetzen. Denn nach Ablauf der
Kündigungsausschlussfrist wird das Mietverhältnis nicht beendet. Es läuft dann vielmehr
mit den gesetzlichen Kündigungsfristen weiter. § 575 Abs. 4 BGB soll den Mieter vor dem
Verlust der Wohnung durch Fristablauf, nicht aber vor einer längerfristigen Bindung an
die Wohnung durch einen befristeten Kündigungsausschluss schützen (vgl. BGH VIII ZR
81/03, GE 2004, 348).
Der formularmäßige einseitige Kündigungsausschluss zu Lasten der Beklagten zu 1)
verstößt auch nicht gegen § 307 BGB. Die Beklagte zu 1) und der Kläger haben mit
Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag vom 31. Mai 2006 eine nach § 557 a BGB
zulässige Staffelmiete für die Wohnung vereinbart. § 557 a Abs. 3 BGB gilt auch für den
auf unbestimmte Dauer abgeschlossenen Staffelmietvertrag (vgl. BGH VIII ZR 154/04,
GE 2006, 250). Nach dieser Vorschrift ist die Vereinbarung eines einseitigen
Kündigungsausschlusses des Mieters für bis zu vier Jahre zulässig. Die Klausel in § 2 Nr.
1. a. des Mietvertrags verstößt damit nicht im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB gegen
geltendes Recht.
Auch der Tatbestand des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist nicht erfüllt. Denn da der
Gesetzgeber den zeitlich begrenzten Kündigungsausschluss zu Lasten des Mieters bei
einer Staffelmietvereinbarung ausdrücklich vorsieht, wird der Vertragszweck eines
Staffelmietvertrags durch eine entsprechende Vereinbarung nicht gefährdet.
Die Klausel verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift sind
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den
Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. Ein – auch zeitlich begrenzter – einseitiger Kündigungsausschluss
schränkt die Mobilität des Mieters ein. Diese Einschränkung bestünde auch dann, wenn
der Vermieter ebenfalls auf sein Kündigungsrecht verzichten würde. Durch einen
gegenseitigen Verzicht würde dem Mieter zwar ein Ausgleich für seine Einschränkung
gewährt. Ein solcher Ausgleich muss jedoch nicht zwingend dadurch erfolgen, dass der
Vermieter ebenfalls auf sein Kündigungsrecht verzichtet. Vielmehr stellt bereits die
Vereinbarung einer Staffelmiete einen entsprechenden Ausgleich dar. Denn durch die
Vereinbarung einer Staffelmiete wird dem Mieter Kalkulationssicherheit hinsichtlich der
Mietsteigerungen gegeben. Der Gesetzgeber selbst ist, wie an der entsprechenden
Regelung des § 557 a BGB zu erkennen ist, davon ausgegangen, dass der Ausschluss
des Kündigungsrechts des Mieters durch die Vorteile der vereinbarten Staffelmiete
ausgeglichen werden. Die formularvertragliche Vereinbarung eines solchen
Kündigungsausschlusses stellt daher keine unangemessene Benachteiligung des
Mieters dar (vgl. LG Berlin 67 S 163/05, GE 2005, 1251; BGH VIII ZR 154/04, GE 2006,
250; BGH VIII ZA 14/05, WuM 2006, 220).
Die Beklagte zu 1) konnte das Mietverhältnis auch nicht außerordentlich gem. § 543 Abs.
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Die Beklagte zu 1) konnte das Mietverhältnis auch nicht außerordentlich gem. § 543 Abs.
1 BGB kündigen. Zwar ist davon auszugehen, dass sich der Kündigungsausschluss in § 2
Nr. 1. a. des Mietvertrags nur auf den Ausschluss der ordentlichen Kündigung bezog, das
außerordentliche Kündigungsrecht der Beklagten zu 1) also weiterhin besteht. Ein
außerordentlicher Kündigungsgrund liegt jedoch nicht vor. Die Tatsache, dass die
Beklagte ein Kind bekommen hat weshalb die Wohnung nun möglicherweise zu klein
geworden ist, stellt keinen wichtigen Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB dar. Ein
solcher wichtiger Grund muss nämlich aus dem Bereich des Risikoempfängers
herrühren; der Kündigungsempfänger muss konkrete Pflichtverletzungen begangen
haben (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 64. Aufl., § 543 Rn. 5; Schmidt/Futterer,
Kommentar zum Mietrecht, Aufl. § 543 Rn. 150). Dies ist hier nicht der Fall. Die von der
Beklagten zu 1) angegebenen Gründe für die außerordentliche Kündigung stammen aus
ihrer Risikosphäre.
Auch aus einem Wegfall der Geschäftsgrundlage in Verbindung mit den Grundsätzen von
Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergibt sich kein Anspruch der Beklagten zu 1), aus dem
Mietvertrag vorzeitig entlassen zu werden. Der Vermieter ist nur dann verpflichtet, den
Mieter vorzeitig aus dem Wohnungsmietvertrag zu entlassen, wenn das berechtigte
Interesse des Mieters an der Aufhebung dasjenige des Vermieters am Bestand des
Vertrages ganz erheblich übersteigt und wenn der Mieter dem Vermieter einen
geeigneten Nachmieter benennt, der bereit ist, in den Mietvertrag einzutreten
(Emmerich/Sonnenschein, Miete Handkommentar, 8. Aufl., § 537 Rn. 11 ff). Letzteres
war vorliegend nicht der Fall. Denn im Rahmen der vom Kläger durchgeführten
Bonitätsprüfung des Nachmieters hatte sich ergeben, dass der von der Beklagten zu 1)
benannte Nachmieter einen Schufa-Eintrag hatte; ein Bürge stand zunächst nicht zur
Verfügung, ein später benannter Bürge reagierte nicht auf Schreiben des Klägers. Da
der Vermieter das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Nachmieters trägt, ist er
berechtigt, den Nachmieter abzulehnen, wenn wie hier dessen Zahlungsfähigkeit nicht
sichergestellt ist.
Der Kläger hat hinsichtlich der Julimiete Anspruch auf den Ersatz von Verzugszinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Juli 2006, da laut
Mietvertrag die Miete jeweils am dritten Werktag zu zahlen ist und die Beklagte zu 1)
somit am 4. Juli 2006 mit der Mietzahlung in Verzug geriet. Bezüglich der Mieten für
August und September besteht ein Anspruch auf Ersatz von Verzugszinsen ab dem 24.
September 2006, da der klageerweiternde Schriftsatz vom 18. September 2006 am 23.
September 2006 zugestellt wurde.
Der Beklagte zu 2) hat mit Erklärungen vom 23. und 26. Mai 2005 erklärt, die Bürgschaft
für die der Beklagten zu 1) aus dem Mietverhältnis mit dem Kläger entstehenden
Forderungen zu übernehmen. Er haftet damit gem. § 765 BGB für die geltend
gemachten Forderungen aus dem Mietverhältnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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