Urteil des AG Müllheim vom 31.05.2007

AG Mülheim: wiederbeschaffungswert, geschädigter, sicherheitsleistung, vollstreckbarkeit, erforschung, mithaftung, ersatzfahrzeug, verfügung, händler, gebrauchtwagen

Amtsgericht Mülheim an der Ruhr, 10 C 2786/04
Datum:
31.05.2007
Gericht:
Amtsgericht Mülheim an der Ruhr
Spruchkörper:
Zivilgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 C 2786/04
Schlagworte:
Restwert
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.700,00 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
7.5.2004 zu zahlen.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 5/9 und der
Beklagte 4/9.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages. Die Klägerin kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden,wenn nicht der Beklagte zuvor in
gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Am 18.9.2003 kam es aufgrund des alleinigen Verschuldens des
Versicherungsnehmers der Klägerin zu einem Verkehrsunfall, bei dem der PKW der
Firma X erheblich beschädigt wurde.
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Im Auftrag der Geschädigten erstellte der Beklagte, der als freiberuflicher
Kraftfahrzeugsachverständiger tätig ist, ein Gutachten. Er ermittelte den
Wiederbeschaffungswert von 10.800,00 € und den Restwert mit 500,00 €.
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Die Klägerin bemühte sich aus der Online-Börse um Aufkaufangebote und erhielt solche
bis zu 5.080,00 €.
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Im Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens des Beklagten hat die Geschädigte
jedoch das Fahrzeug zum Preis von 500,00 € bereits veräußert.
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Die Klägerin rechnete daraufhin gegenüber der Geschädigten den
Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert mit einem Sachschaden von 9.800,00 €
ab.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin Schadensersatz von dem Beklagten im
Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Sachverständiger.
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Die Klägerin meint, der Beklagte habe einen zu geringen Restwert angegeben. Für das
beschädigte Fahrzeug, einem PKW Audi A 4 Avant TDI bestehe eine große Nachfrage,
was die Höhe des Preises bestimme.
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Die Klägerin meint, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, sich nicht nur auf dem
regionalen Markt zwecks Ermittlung des Restwertes umzuhören, vielmehr hätte er den
gesamten Markt einschließlich der über das Internet zu recherchierenden Angebote
erforschen müssen. Bei Berücksichtigung von Angeboten aus Online-Börsen wäre er zu
einem höheren Restwert gekommen.
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Die Klägerin trägt weiter vor:
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Tatsächlich sei ein Preis von 4.379,00 € netto erzielbar gewesen. In diesem Fall hätte
sie lediglich 5.921,00 € an die Geschädigte leisten müssen. Ihr Schaden bestehe in der
Differenz von 3.879,00 €.
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Die Klägerin meint ergänzend, die Pflichtverletzung des Beklagten liege darin, dass er
keine Plausibilitätsprüfung vorgenommen habe.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.879,00 €
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nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
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dem Basiszinssatz seit dem 7.5.2004 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, er habe den Restwert zutreffend ermittelt, indem er den regionalen Markt
erforscht habe. Da der Geschädigte selbst sich nicht auf einen ihm nicht ohne Weiteres
zugänglichen
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Sondermarkt verweisen lassen müsse, sei auch für ihn keine Recherche in
elektronischen Restwertbörsen durchzuführen gewesen. Er habe den Restwert
zutreffend auf der Grundlage von Angeboten seriöser regionaler
Gebrauchtwagenhändler ermittelt.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholen eines Sachverständigengutachtens
sowie dessen mündlicher Erläuterung. Hinsichtlich des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen X vom
23.1.2006 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 19.4.2007 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist teilweise begründet.
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Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen
Pflichtverletzung bei der Ermittlung des Restwertes in seinem Gutachten vom 22.9.2003
in Höhe des aus dem Tenor ersichtlichen Betrages.
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Das von einem Sachverständigen angefertigte Gutachten über ein verunfalltes
Fahrzeug stellt in der Regel eine bindende Grundlage für die Abwicklung der durch den
Unfall verursachten Schäden dar. Deshalb wird die hinter dem Schädiger stehende
Haftpflichtversicherung in den Schutzbereich des Vertrages zwischen dem
Geschädigten und dem Sachverständigen einbezogen. Der Beklagte ist bei der ihm
übertragenen Ermittlung des Restwertes seinen Pflichten nicht ausreichend
nachgekommen. Er hat nämlich den Restwert fehlerhaft mit 500,00 € deutlich zu gering
angesetzt.
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In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.7.2005 ist
davon auszugehen, dass die Anforderungen an eine Restwertermittlung aus dem
Blickwinkel des Geschädigten zu beurteilen sind. Insoweit soll das Gutachten
vornehmlich den Restwert angeben, den der Geschädigte unter Berücksichtigung des
ihm zumutbaren Aufwandes erzielen kann und nicht den Wert, den ein professioneller
Profiaufkäufer oder Verkäufer erzielen würde. Der Umfang des zumutbaren Aufwandes
bemisst sich danach, was ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Mensch in der
Situation des Geschädigten tun würde. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass er
ein berechtigtes Interesse daran hat, den von ihm nicht verursachten Schaden möglichst
schnell ausgeglichen zu bekommen. Der Geschädigte möchte also frühzeitig ein
Ersatzfahrzeug anschaffen und zur Finanzierung des Ersatzes möglichst schnell auf den
Restwerterlös zugreifen können, ohne zuvor aufwendige und langfristige Ermittlungen
anstellen zu müssen. Andererseits muss der Geschädigte aber auch ein Interesse daran
haben, einen möglichst hohen Restwert beim Verkauf zu erzielen. Das gilt erst recht,
wenn er aufgrund einer teilweisen Mithaftung die Differenz zwischen
Wiederbeschaffungswert und Restwert nicht vollständig ersetzt bekommt.
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Unter diesen Umständen ist zu erwarten, dass ein wirtschaftlich vernünftig handelnder
Geschädigter mehrere Vergleichsangebote einholt und dabei alle ihm zur Verfügung
stehenden Mittel einsetzt. Dabei darf der Geschädigte sich auf Angebote in seiner
Region beschränken, da die Einholung von überregionalen Angeboten und die
Abwicklung eines Verkaufs mit einem nicht regionalen Händler in der Regel einen
erheblich höheren Aufwand mit sich bringt. Innerhalb der von ihm bewohnten Region
hat er jedoch alle sich bietenden, ihm offenstehenden Verkaufsmöglichkeiten in seine
Überlegungen und Bemühungen mit einzubeziehen. Dazu gehören neben den
Angeboten der Fahrzeughändler, die Neu- und Gebrauchtwagen anbieten, die
allgemeinen Gebrauchtwagenhändler und auch Restwertaufkäufer. Restwertaufkäufer
der Region gehören dem allgemeinen zugänglichen Markt nach Ansicht des Gerichts
an.
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Ein vernünftig handelnder Geschädigter, der sich der Hilfe eines Sachverständigen und
dessen Wissen bedient, muss alle Möglichkeiten der Vermarktung seiner Region
nutzen.
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Da der Geschädigte selbst, sich den auf dem allgemein zugänglichen regionalen Markt
zu ermittelnden Restwert zurechnen lassen muss, trifft auch den von ihm beschäftigten
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Sachverständigen die Verpflichtung, die Restwertermittlung auf demselben
Marktbereich durchzuführen. Dieser Verpflichtung ist der Beklagte nicht in
hinreichendem Maße nachgekommen.
Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht nämlich zur Überzeugung des
Gerichts fest, dass eine Erforschung des regionalen Marktes zu dem Ergebnis geführt
hätte, dass der Restwert für das sehr gefragte Fahrzeug PKW Audi A 4 mit 2.700,00 €
anzusetzen gewesen wäre. Das Gericht folgt insoweit den klaren und gut
nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen X. Wenn der Beklagte
tatsächlich den Markt in dem Umfange erforscht hätte, wie es der Sachverständige getan
hat, so hätte er zu der Erkenntnis gelangen müssen, dass der Restwert für das
verunfallte Fahrzeug mit 2.700,00 € anzusetzen war. Gerade weil es sich um ein sehr
gefragtes Fahrzeug handelte, hätte der Beklagte Zweifel an der Richtigkeit der von ihm
eingeholten Angebote haben und seine Nachforschungen ausweiten müssen.
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Das Gericht sieht in diesem Verhalten des Beklagten eine schadensersatzauslösende
Pflichtverletzung.
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Bei einem Restwert von 2.700,00 € hätte sich der Schaden auf 8.100,00 € verringert. Die
Differenz zu dem von der Klägerin geleisteten Schadensersatz beläuft sich somit auf
1.700,00 €.
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Der Klage war in dem zuerkannten Umfang stattzugeben, wobei sich der Zinsanspruch
aus §§ 286, 288 BGB ergibt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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