Urteil des AG Mönchengladbach vom 25.02.2003

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Amtsgericht Mönchengladbach, 5 C 587/02
Datum:
25.02.2003
Gericht:
Amtsgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 C 587/02
Leitsätze:
Die Kraftfahrzeugkaskoversicherung muss dem Versicherungsnehmer,
der das beschädigte Fahrzeug nicht reparieren lässt, fiktive Reparatur-
kosten nur bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des
Restwertes ersetzen, sofern keine abweichende Vereinbarung besteht.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 500 Euro
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Der Kläger schloss unter Vermittlung des Generalagenten XXXX,
Mönchengladbach mit der XXXX Sachversicherungs-AG einen
Kraftfahrzeugkaskoversicherungsvertrag mit einer Selbstbeteiligung von 650
DM. Die Beklagte ist in den Vertrag an Stelle der XXXX Sachver-sicherungs-AG
eingetreten.
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§ 13 Abs. 5, Sätze 3 und 4 der Allgemeinen Bedingungen für die
Kraftfahrtversicherung (AKB) in der bei Vertragsschluss geltenden Fassung
lauten:
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« Wird das Fahrzeug nicht oder nicht vollständig repariert, so ersetzt der
Versicherer die geschätzten Kosten bis zur Höhe der
Wiederbeschaffungskosten. Leistungsgrenze ist dann der um den Restwert des
Fahrzeugs verminderte Wiederbeschaffungswert. »
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Am 27.05.2002 fuhr die Ehefrau des Klägers mit seinem Wagen gegen einen
Betonpfeiler. Zur Instandsetzung des Fahrzeugs ist ein Betrag von 9.482,81
Euro aufzuwenden. Der Wiederbeschaffungswert betrug zum Zeitpunkt des
Unfalls 23.900 Euro, der Restwert nach dem Unfall 16.600 Euro. Die Beklagte
zahlte an den Kläger 6.975 Euro. Der Kläger veräußerte sein Fahrzeug
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unrepariert.
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte müsse ihm die voraussichtlichen
Reparaturkosten ersetzen. Es komme nicht darauf an, ob er das Fahrzeug
tatsächlich reparieren ließ. Zum einen seien die AKB nicht Bestandteil des
Vertrages geworden, weil sie dem Kläger nicht ausgehändigt worden seien.
Zum anderen sei § 13 Abs. 5 S. 3, 4 AKB wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1
AGBG unwirksam.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
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2.507,81 Euro nebst Zinsen in Höhe von
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5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
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seit 07.09.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, die AKB seien dem Kläger mit dem Ver-
sicherungsschein übergeben worden. Überdies komme es wegen § 5 a Abs. 1
VVG nicht darauf an, ob die Versicherungsbedingungen dem
Versicherungsschein beilagen.
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Für den übrigen Parteivortrag wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen und auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I.
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht Mönchengladbach ist nach § 48 Abs. 1
VVG örtlich zuständig, da sich der Sitz der Versicherungsagentur, die den
Vertrag vermittelte, im Bezirk des Amtsgerichts Mönchengladbach befindet.
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Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat aufgrund des Schadensfalls vom
27.05.2002 keinen weiteren Anspruch gegen die Beklagte aus dem
Versicherungsvertrag gemäß §§ 1 Abs. 1 S. 1, 49 VVG. Die Beklagte regulierte
den am Fahrzeug des Klägers entstandenen Sachschaden vollständig, indem
sie ihm die Differenz des Restwertes von 16.600 Euro zum
Wiederbeschaffungswert von 23.900 Euro abzüglich 325 Euro für die
Selbstbeteiligung, also 6.975 Euro zahlte. Der Kläger hat keinen Anspruch
darauf, dass die Beklagte ihm den zur Reparatur des Fahrzeugs erforderlichen
Betrag über die Differenz zwischen Restwert und Wiederbeschaffungswert
hinaus ersetzt. Der Kläger ließ den Wagen nicht reparieren. Der ihm
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entstandene Schaden besteht daher nur in der eingetretenen Wertminderung.
Ob die AKB dem Beklagten mit dem Versicherungsschein übersandt wurden,
kann offen bleiben. Das ergibt sich zwar nicht daraus, dass sie nach § 5 a VVG
Bestandteil des Versicherungsvertrages wurden. Diese Vorschrift ermöglicht für
den Fall, dass die Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bei
der Antragstellung nicht übergeben wurden, eine Heilung dadurch, dass sie ihm
mit dem Versicherungsschein übersandt werden. Die Übersendung der
Versicherungs-bedingungen mit dem Versicherungsschein ist also die
Tatbestandsvoraussetzung des § 5 a Abs. 1 S. 1 VVG, nicht etwa ihre
Entbehrlichkeit seine Rechtsfolge.
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Vielmehr muss die Frage, ob der Beklagte die AKB erhielt, deshalb nicht
aufgeklärt werden, weil es auf die Einbeziehung der AKB in den
Versicherungsvertrag nicht ankommt. Dass der Kläger die Reparaturkosten nur
bis zur Differenz zwischen Restwert und Wiederbeschaffungswert verlangen
kann, ergibt sich nicht erst aus § 13 Abs. 5 S. 4 AKB. Es ist bereits der
gesetzliche Normalfall nach § 55 VVG. Diese Vorschrift begrenzt die Leistung
des Versicherers bei der Sachver-sicherung auf den tatsächlich entstandenen
Schaden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.05.1999, AZ: 20 U 1/99). Der Schaden
des Versicherungsnehmers besteht, wenn das versicherte Fahrzeug nicht
repariert wird, in der eingetretenen Wertminderung, begrenzt durch die Höhe der
fiktiven Reparaturkosten.
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Das ergibt sich, erstens, aus der Formulierung des § 55 VVG, wonach der
Versicherungsnehmer nicht mehr als den Betrag des Schadens ersetzt
verlangen kann. In Verbindung mit § 52 VVG kommt als Betrag des Schadens
nur der Wertverlust im Vermögen des Versicherungsnehmers in Betracht (vgl.
Kollhosser, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl. 1998, RNr.
1 zu § 55 VVG). Daran ändert die Veräußerung des Fahrzeugs nichts. Es kommt
nicht darauf an, ob der Veräußerungserlös den Restwert unter- oder übersteigt.
Die Vereinnahmung des Erlöses beruht auf dem Rechtsgeschäft (vgl. BGH,
Urteil vom 08.11.1995, AZ: IV ZR 365/94). Die rechtliche Möglichkeit, die
versicherte Sache gewinnbringend zu veräußern, wird dem Eigentümer durch
den Schadensfall ebenso wenig genommen wie das Risiko eines
Verlustgeschäfts.
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Zweitens, wird die Begrenzung der Versicherungsleistung auf die
Wertminderung dem Zweck der Sachversicherung gerecht. Der Ver-
sicherungsnehmer schließt eine Sachversicherungsvertrag ab, um sich vor
Vermögenseinbußen zu schützten, und nicht, um durch den Eintritt des
Versicherungsfalls einen Vermögenszuwachs zu erlangen (vgl. Kollhosser, in:
Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, RNr. 46 zu § 55 VVG). Es
widerspricht der Funktion einer Schadensversicherung, wenn ihre Konditionen
so gestaltet sind, dass der Versicherungs-nehmer dazu veranlasst wird, auf den
Eintritt des Schadens zu hoffen, weil er dadurch einen Gewinn erzielen könnte.
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Für diese Auslegung spricht, drittens, ein Vergleich zur Behandlung des
Totalschadens. Die Reparaturkosten werden bei vollständiger Zerstörung der
versicherten Sache jedenfalls dann nicht über den Betrag des
Wiederbeschaffungswertes hinaus ersetzt, wenn die Reparatur nicht
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durchgeführt wird. Denn es ist wirtschaftlich sinnlos, für die Wieder-herstellung
einer Sache mehr aufzuwenden, als die wiederhergestellte Sache wert wäre.
Dieser Grundsatz gilt auch bei einem Teilschaden. Wenn die Reparaturkosten
die Differenz von Restwert und Wiederbeschaffungswert übersteigen, ist die
Reparatur wirtschaftlich sinnlos (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl.
1992, S. 1316). Zur Wiederherstellung müsste mehr aufgewendet werden als
dadurch geschaffen würde. Das mag in einer Abwägung der Interessen von
Versicherer und Versicherungsnehmer akzeptabel erscheinen, wenn die Sache
repariert wird. Denn in das Interesse des Versicherungsnehmers kann über die
Erhaltung des wirtschaftlichen Wertes hinaus auch eine persönliche
Komponente einfließen. Durch die Reparatur wird das Vermögen des
Versicherungsnehmers dann in den Zustand ohne Eintritt des Schadens
versetzt. Wird die Reparatur demgegenüber nicht durchgeführt, ist das
Vermögen des Versicherungsnehmers nur um den Wertverlust der versicherten
Sache vermindert. Erhielte er fiktive Reparaturkosten über diesen Wertverlust
hinaus, würde sein Vermögen gegenüber dem Zustand ohne Schadenseintritt
vermehrt. Dem steht nicht nur die Orientierung des Versicherungswertes an der
versicherten Sache nach § 52 VVG entgegen. Es besteht auch kein Anlass, ein
Affektionsinteresse zu ersetzen, das dem Versicherten so wenig wichtig war,
dass er die Reparaturkosten nicht aufwenden wollte.
Viertens, sind auch nach § 249 S. 2 BGB a. F. fiktive Reparaturkosten nur bis
zur Differenz zwischen Restwert und Wiederbeschaffungswert ersatzfähig (vgl.
BGH, Urteil vom 21.01.1992, AZ VI ZR 142/91; OLG Frankfurt/Main, Urteil vom
12.11.1998, AZ: 15 U 269/97; OLG Hamm, Urteil vom 18.09.1997, AZ: 6 U
85/97). Das muss erst recht für die Sachversicherung gelten. Die
Ersetzungsbefugnis nach § 249 S. 2 BGB a. F. wird dem Geschädigten
eingeräumt, weil ihm nicht zugemutet werden soll, das verletzte Rechtsgut dem
Schädiger zur Reparatur anzuvertrauen (vgl. Heinrichs, in: Palandt,
Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl. 2001, RNr. 3 zu § 249 BGB). Wenn schon
der Schädiger in Abwägung der beiderseitigen Interessen keinen Ersatz fiktiver
Reparaturkosten über die Differenz von Restwert und Wiederbeschaffungswert
hinaus leisten muss, kann der Sachversicherer hierzu nicht verpflichtet sein.
Während der Schädiger die schädigende Handlung zu vertreten hat, beruht das
Rechtsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer auf
vertraglicher Grundlage. Es bleibt den Vertragspartnern unbenommen,
Leistungen über den Ersatz des tatsächlichen Schadens hinaus -
gegebenenfalls gegen eine entsprechend höhere Prämie - zu vereinbaren. Die
Entscheidungen, wonach die Reparaturkosten bis zum Wiederbeschaffungswert
ersatzfähig sind, ohne dass der Restwert abzuziehen ist (vgl. BGH, Urteile vom
03.06.1970, AZ: IV ZR 1046/68, und 08.11.1995, AZ: IV ZR 365/94; OLG
Koblenz, Urteil vom 20.11.1998, AZ: 10 U 1428/97), betreffen eine solche von §
55 VVG abweichende vertragliche Regelung, nämlich § 13 Abs. 5 AKB a. F.
Ohne eine besondere vertragliche Vereinbarung geht der Schaden nach § 55
VVG nicht über den nach § 249 S. 2 BGB a. F. hinaus.
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II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708
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Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Streitwert: 2.507,81 Euro.
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