Urteil des AG Mönchengladbach vom 10.08.2004

AG Mönchengladbach (treu und glauben, index, miete, mietvertrag, ernährung, mehrwertsteuer, zahlung, gruppe, akten, lebenshaltung)

Amtsgericht Mönchengladbach, 5 C 287/04
Datum:
10.08.2004
Gericht:
Amtsgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 C 287/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung erhöhten Mietzinses im Rahmen einer
Indexmiete.
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Die Beklagte und die ... GmbH, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, schlossen am
14.11.1990 einen Mietvertrag über das Ladenlokal im Gebäude ... in 41066
Mönchengladbach ab. Die Beklagte betreibt dort einen Supermarkt. Die Miete wurde
aufgrund einer Staffelmietvereinbarung erhöht und betrug zuletzt 8.819,78 € zuzüglich
einer Nebenkostenvorauszahlung und Mehrwertsteuer. In § 4 Abs. 7 des Mietvertrages
heißt es:
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"Die in Punkt 3 Abs. 1 vereinbarte Miete wird auf der Basis des Preisindexes
Lebenshaltung eines 4-Personen-Arbeitnehmerhaus-haltes mit mittlerem
Einkommen des alleinverdienenden Haushaltsvorstandes, Gruppe Ernährung in der
BRD wertgesichert. Wenn sich der vorstehende Index um mehr als 10 % nach oben
oder unten verändert, so erhöht oder ermäßigt sich die vorgenannte Miete um 50 %
der festgestellten Indexveränderung."
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Wertsicherungsklausel wird auf die zu den Akten
gereichte Kopie des Mietvertrages vom 14.11.1990 Bezug genommen (Bl. 9 der Akten).
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Der im Mietvertrag der Wertsicherungsklausel zugrunde gelegte Preisindex wurde wie
sämtliche bisherigen Preisindizes zum 01.01.2003 eingestellt. Seit diesem Zeitpunkt gilt
nur noch der Verbraucherpreisindex für Deutschland (im folgenden: VPI) mit der Basis
100 in 2000. Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 13.02.2004 eine um 467,45 €
netto erhöhte Miete ab dem 01.03.2004, was einer Erhöhung von 5,3 % entspricht. Die
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Beklagte zahlte die erhöhte Miete nicht. Mit der Klage begehrt die Klägerin Zahlung der
erhöhten Miete für die Monate März bis April 2004 zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt
1.626,26 €.
Die Klägerin meint, aufgrund des Wegfalls des im Vertrag in Bezug genommenen
Preisindexes sei für die Beurteilung etwaiger Mietzinsanpassungen nach ergänzender
Vertragsauslegung nunmehr für die gesamte Vertragslaufzeit der VPI mit seinen
Veränderungen zugrunde zu legen. Da dieser sich im maßgeblichen Zeitraum von April
1996 bis Dezember 2003 um 10,5 % verändert habe, könne sie die begehrte
Mieterhöhung verlangen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.626,26 € nebst 8 % Zinsen über dem
jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag von jeweils 467,45 € seit dem
08.03.2004, 08.04.2004 und 10.05.2004 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, eine Anpassung des Mietzinses sei nicht gerechtfertigt.
Bis zum 31.12.1998 sei der im Mietvertrag vereinbarte Index zugrunde zu legen. Ab dem
01.01.1999 sei die Unterabteilung "Ernährung" dieses Indexes weggefallen, so dass ein
vergleichbarer Index, wie es der Index 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt ohne
Untergruppierung oder der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte,
Verwendungszweck: Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke, darstelle, anzusetzen
sei. Der VPI könne erst ab dem 01.01.2003 berücksichtigt werden. Bei einer Addition
der Veränderungen dieser Indizes sei die nach dem Vertrag erforderliche Steigerung
von 10 % nicht erreicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 1.626,26 € aus §
535 Abs. 2 BGB.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte für die Monate März bis Mai 2004 nur ein
Mietzins in Höhe von 8.819,78 € netto zuzüglich Mehrwertsteuer und
Nebenkostenvorauszahlung zu, welcher durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB
erloschen ist.
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Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Zahlung von 467,45 € monatlich zuzüglich
Mehrwertsteuer steht der Klägerin nicht zu. Ihr Schreiben vom 13.02.2004 hat nicht zu
einer entsprechenden Mietanpassung nach § 4 Abs. 7 des Mietvertrages i.V.m. § 10a
MHG geführt, wobei dahinstehen kann, ob die erforderliche Genehmigung nach § 3 des
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Währungsgesetzes vorgelegen hat. In dem Mietanpassungsschreiben hat die Klägerin
auf den VPI abgestellt, und zwar über den gesamten maßgeblichen
Beurteilungszeitraum von April 1996 bis Dezember 2003. In § 4 Abs. 7 des
Mietvertrages ist aber vereinbart, dass maßgeblich für etwaige Mietanpassungen der
Preisindex "Lebenshaltung eines 4-Personen-Arbeitnehmerhaushaltes mit mittlerem
Einkommen des alleinverdienenden Haushaltsvorstandes, Gruppe Ernährung in der
BRD" sein soll.
Eine Berechnung auf der Grundlage des VPI ergibt sich auch nicht aus einer
ergänzenden Vertragsauslegung des zwischen den Parteien bestehenden
Mietvertrages. Es besteht im Mietvertrag eine Regelungslücke, die jedoch anders als
von der Klägerin vorgenommen im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu
schließen ist. Es kann dahinstehen, ob die Untergruppe Ernährung dieses Indexes wie
von der Beklagten behauptet schon Ende 1998 eingestellt wurde. Unabhängig davon
kann der VPI nicht rückwirkend für den gesamten Beurteilungszeitraum angesetzt
werden. Im Mietvertrag ist der Fall, dass der der Währungssicherung der Miete zugrunde
liegende Index eingestellt und nicht weiter ermittelt wird, nicht geregelt. Bei der
ergänzenden Vertragsauslegung wird die im Vertrag getroffene Regelung auf der
Grundlage der von beiden Parteien angenommenen Bewertungsmaßstäbe, unter
Berücksichtigung des Vertragszwecks und der gesamten Interessenlage folgerichtig
weitergedacht, die unvollständige Regelung also aus ihren eigenen Voraussetzungen
und ihrem Sinnzusammenhang heraus ergänzt (Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des
Bürgerlichen Rechts, § 33 Rn. 11). Dabei ist der hypothetische Parteiwille Grundlage für
die Ergänzung des Vertragsinhalts. Es ist darauf abzustellen, was die Parteien bei
angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche
Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten
(BGH 21.09.1994, XII ZR 77/93 = NJW 1994, 3287). Bei Anwendung dieser Grundsätze
ergibt sich die ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass die Parteien bei
Kenntnis von dem späteren Wegfall trotzdem die Anwendung des vereinbarten
Preisindexes bis zum Zeitpunkt dessen Wegfalls gewollt hätten. Dies folgt zum einen
daraus, dass die Parteien einen ganz bestimmten Preisindex gewählt haben, diesen
sogar mit einer Untergruppe ("Ernährung"). Damit haben sie zum Ausdruck gebracht,
dass sie diesen speziellen Index als für ihr individuelles Vertragsverhältnis über das
streitgegenständliche Mietobjekt als angemessen ansahen, was sich auch bei einem
Vergleich der gewählten Gruppe mit der überwiegenden Produktpalette der Beklagten
ergibt. Der Index war den vertragsschließenden Parteien auch bekannt und sie konnten
seine bisherige Entwicklung als Grundlage für ihre Vereinbarung und das damit
verbundene Risiko bzw. die damit verbundene Chance in ihre Vertragsverhandlungen
mit einbeziehen. Wenn nun nachträglich dieser Index für die Beurteilung nicht mehr
anwendbar wäre, würde dies die Ausgangslage auch für die Beurteilung des
angemessenen Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung aus dem
Mietvertrag betreffen. Diese Auslegung führt auch nicht wie von der Klägerin
vorgetragen zu einer "Verfälschung" des Ergebnisses. Die Entwicklung verschiedener
Indizes in aufeinander folgenden Zeiträumen hindert nicht die Ermittlung einer
Gesamtveränderung. Die bezüglich des einzelnen Indexes ermittelte Veränderung in
Prozentpunkten kann zur anschließenden Veränderung des anderen Indexes addiert
werden. Dies wird auch für den Wegfall der Einzelindizes zum 01.01.2003 in der
Literatur anerkannt (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, § 557b Rn. 30; Lützenkirchen,
NZM 2001, 835, 836; DNot-Report 2/2003, Januar 2003, S. 10, 12). Eine rückwirkende
Änderung der Beurteilungsbasis würde sogar zu einer Verfälschung des ursprünglich
vereinbarten und gewollten führen. Denn dann würde die Entwicklung des ausdrücklich
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von den Vertragsparteien vereinbarten Indexes außer Betracht bleiben und ein anderer
Preisindex maßgeblich sein. Die Entwicklung des gewählten Indexes, welche – wie der
vorliegende Fall zeigt – durchaus von anderen Indizes und auch vom VPI abweicht,
würde unberücksichtigt sein und so würde das Ergebnis verfälscht. Der vorliegenden
Auslegung steht auch die von den Parteien für den Fall der Umstellung des Indexes auf
eine neue Basis getroffene Vereinbarung nicht entgegen. Für diesen Fall wollten die
Vertragspartner bei Veröffentlichung eines Umrechnungsfaktors den weiteren Index auf
alter Basis errechnen. Bei einer Umstellung ohne Veröffentlichung von
Umrechnungsfaktoren sollte der neue Ausgangindex festgesetzt werden. Dies betrifft
aber nur die Umstellung der Basis und nicht den Inhalt des ausgewählten Indexes.
Insofern sind die Fälle nicht vergleichbar. Beim Wegfall des gewählten Indexes würden
bei einer rückwirkenden Anwendung eines weiter bestehenden Indexes auch für einen
Zeitraum, in welchem der vereinbarte Index noch bestanden hat, andere Waren und
Dienstleistungen zur Beurteilungsgrundlage werden. Die Umstellung der Basis ist
hingegen eine rein rechnerische Operation ohne inhaltliche Auswirkungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO; die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.
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Streitwert:
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1.626,26 € (§§ 12 Abs. 1 GKG, 3 ZPO)
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