Urteil des AG Mönchengladbach vom 27.04.2004

AG Mönchengladbach: eröffnung des verfahrens, rechtliches gehör, beweis des gegenteils, internationale zuständigkeit, örtliche zuständigkeit, geschäftstätigkeit, geschäftsführer, fax, anhörung

Amtsgericht Mönchengladbach, 19 IN 54/04
Datum:
27.04.2004
Gericht:
Amtsgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 IN 54/04
Tenor:
wird wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung heute, am
27.04.2004, um 16:30 Uhr das Insolvenzverfahren eröffnet.
Gründe:
1
I.
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Der Geschäftsführer der Schuldnerin, einer in Mönchengladbach eingetragenen GmbH,
stellte am 14.04.2004 Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über
das Vermögen der Schuldnerin sowie auf Anordnung der Eigenverwaltung. Für den
Fall, dass das Gericht die Eröffnung eines Sekundärverfahrens ablehne, solange in
Großbritannien noch kein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet sei, beantragte er, die
Entscheidung des britischen Gerichts abzuwarten.
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Er begründete dies damit, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der
Schuldnerin in Großbritannien liege. Alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin, die bis
zur Einstellung ihrer werbenden Geschäftstätigkeit am 06.04.2004
Versicherungspolicen für gebrauchte Kraftfahrzeuge in Deutschland vertrieb, ist die XXX
über deren Vermögen am 24.03.2004 in Großbritannien das Insolvenzverfahren eröffnet
wurde. Die XXX sei Hauptgläubigerin der Schuldnerin, neben einem weiteren
englischen Unternehmen, dem Versicherer XXX, sowie dem deutschen Fiskus.
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Am 19.04.2004 wurde durch das erkennende Gericht gemäß § 5 InsO Herr XXX, zum
Sachverständigen bestellt und beauftragt, ein Gutachten zu der Frage zu erstellen, ob
Sicherungsmaßnahmen zu treffen sind und ob eine kostendeckende Masse vorhanden
ist.
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Am 08.04.2004 hatte der Geschäftsführer der Schuldnerin in Großbritannien bereits vor
dem English Company Court Antrag auf Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens
gestellt. Die gerichtliche Anhörung zur Vorbereitung der Entscheidung über die
Eröffnung wurde zunächst auf den 26.05.2004 angesetzt, jedoch auf Antrag der
Schuldnerin auf den 28.04.2004 vorverlegt.
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In seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 23.04.2004 vor dem britischen High Court
hat der Geschäftsführer der Schuldnerin weitere Ausführungen zu den Voraussetzungen
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der internationalen Zuständigkeit des dortigen Gerichts gemacht; diese wurden dem
erkennenden Gericht am 27.04.2004 per Fax übermittelt. Wegen der Einzelheiten wird
auf den Inhalt der Akte verwiesen.
Ebenfalls am 27.04.2004 fand eine Telefonkonferenz statt, an der neben dem
erkennenden Richter der Sachverständige XXX sowie der Verfahrensbevollmächtigte
der Schuldnerin teilnahmen. In dieser Konferenz wurde die Frage erörtert, dass das
erkennende Gericht prüfe, ob entgegen dem Antrag vom 14.04.2004 das Verfahren in
Deutschland als Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen ist.
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Der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin übermittelte daraufhin dem
erkennenden Gericht den Schriftsatz vom 27.04.2004 per Fax. Der Bevollmächtigte der
Schuldnerin hielt darin seine Rechtsauffassung aufrecht, dass das Verfahren in
Deutschland als Sekundärverfahren zu eröffnen sei. Deswegen verbleibe es für den
Fall, dass "heute nicht über den vorliegenden Insolvenzantrag" entschieden werde, "bei
den dort gestellten Anträgen". Der Bevollmächtigte regte für den Fall der Eröffnung
eines Hauptinsolvenzverfahrens erneut die Anordnung der Eigenverwaltung an.
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Der Antrag auf Eigenverwaltung wurde damit begründet, dass Haupt- und
Sekundärverfahren in einer Hand liegen sollten.
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Der Sachverständige regte am 27.04.2004 die Eröffnung des Verfahrens als
Hauptinsolvenzverfahren an, da die Schuldnerin überschuldet und zahlungsunfähig sei
und der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin während der Zeit
ihrer aktiven Geschäftstätigkeit in Deutschland gelegen habe.
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II.
12
1.)
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Der Antrag der Schuldnerin ist primär auf die Eröffnung eines Sekundärverfahrens
gerichtet. Jedoch war er so auszulegen, dass für den Fall, dass das Gericht die
Voraussetzungen für die Eröffnung als Hauptinsolvenzverfahren bejahen sollte, auch
die Eröffnung in dieser Form beantragt wurde.
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Dies ergibt sich schon aus dem ursprünglichen Antrag der Schuldnerin vom 14.04.2004
in Ansehung der Interessenlage des Geschäftsführers der Schuldnerin, der seiner
strafbewehrten Pflicht zu unverzüglicher Insolvenzanmeldung nach § 64 GmbHG
nachkommen musste.
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Spätestens die nach dem Telefonat mit dem erkennenden Richter am 27.04.2004, in
dem erörtert worden war, dass am selben Tage noch über die Frage der Eröffnung eines
Hauptinsolvenzverfahrens entschieden werde, abgegebene schriftliche Erklärung des
Bevollmächtigten der Schuldnerin, für diesen Fall rege er die Anordnung der
Eigenverwaltung an, beinhaltet die implizite Stellung eines Hilfsantrages auf Eröffnung
des Verfahrens als Hauptinsolvenzverfahren.
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Gleiches gilt für die Aussage: "Falls das Gericht heute nicht über den vorliegenden
Insolvenzantrag entscheidet, bleibt es bei den dort gestellten Anträgen." Denn wenn es
bei den bisher (am 14.04.2004) gestellten Anträgen nur dann bleiben sollte, wenn am
27.04.2004 nicht über den (nicht näher bezeichneten) Eröffnungsantrag entschieden
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würde, so kann das nur bedeuten, dass dieser Eröffnungsantrag durch das weitere
Vorbringen im Schriftsatz vom 27.04.2004 modifiziert worden war, nämlich als (Hilfs-
)Antrag auf Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens.
2.)
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Der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens steht nicht die Tatsache entgegen, dass
bereits am 08.04.2003 in Großbritannien der Antrag auf die Eröffnung des dortigen
Verfahrens als Hauptverfahren gestellt worden ist. Das Verfahren in Großbritannien ist
noch nicht eröffnet. Zwar wirkt nach englischem Recht die Eröffnung auf den Zeitpunkt
der Antragstellung zurück, Art. 129 II Insolvency Act 1986. Jedoch kann zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nur gemutmaßt werden, ob die Eröffnung in Großbritannien
erfolgen wird oder nicht.
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Bei der Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen, ob über den Eröffnungsantrag
der Schuldnerin bereits vor der für den 28.04.2004 angesetzten Anhörung in
Großbritannien zu befinden war oder nicht, muss daher den Ausschlag geben, ob die
Voraussetzungen für die Verfahrenseröffnung in Deutschland vorliegen. Das Gericht ist
nicht befugt, nach Prüfung der Voraussetzungen der Eröffnung und deren Bejahung die
Verfahrenseröffnung zu verzögern (vgl. zuletzt BGH, Beschluss v. 17.02.2004 - IX ZR
135/03). Dies gilt umso mehr, da zu besorgen ist, dass die von der Schuldnerin
intendierte Entscheidung in Großbritannien nach Art. 3 III EuInsVO insofern
Sperrwirkung für das Verfahren in Deutschland entfalten würde, als hier nur noch ein
Sekundärverfahren durchgeführt werden könnte, mit möglicherweise nachteiligen
Folgen für weitere Insolvenzgläubiger neben der XXX
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Dieser Erwägung steht nicht entgegen, dass es im Falle einer Eröffnung in
Großbritannien am 28.04.2004 zu einander widersprechenden Entscheidungen
kommen und dies durch ein Zuwarten des erkennenden Gerichts vermieden werden
könnte. Der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin wurde telefonisch vorab über
den anstehenden Eröffnungsbeschluss informiert, der ihm noch am 27.04.2004 per Fax
übermittelt wird. Damit hat er die Gelegenheit, diesen Beschluss dem englischen High
Court im Rahmen der morgigen Anhörung bekannt zu machen. Es ist dann an diesem
Gericht, dafür Sorge zu tragen, dass es nicht zu einander widersprechenden
Entscheidungen kommt.
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3.)
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Dem Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin wurde im Rahmen der
Telefonkonferenz vom 27.04.2004 ausreichendes rechtliches Gehör gegeben. Diese
Konferenz hatte er selbst gegenüber dem Sachverständigen im hiesigen Verfahren
angeregt. Seine Einlassungen in den weiteren Schriftsätzen vom 27.04.2004 wurden
bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt.
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Nach deutschem Recht ist es nicht erforderlich, vor der Entscheidung über die Eröffnung
eines Insolvenzverfahrens sämtlichen Gläubigern des Schuldners rechtliches Gehör zu
gewähren. Dies wäre praktisch weitgehend undurchführbar und würde die
Eröffnungsentscheidung in vielen Fällen über Gebühr - mit den entsprechenden Folgen
nicht zuletzt für die Sicherungsinteressen der Gläubiger - verzögern.
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Vorliegend hat die Schuldnerin darüber hinaus mit ihrem Antrag kein
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Gläubigerverzeichnis verbunden, so dass gar keine Gläubiger namentlich bekannt sind,
denen Gehör hätte gewährt werden können.
4.)
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Die Voraussetzungen für die Eröffnung als Hauptinsolvenzverfahren liegen vor.
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Unproblematisch sind die Eröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit und
Überschuldung, wie aus dem Bericht des Sachverständigen vom 27.04.2004
hervorgeht.
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Auch die internationale Zuständigkeit des erkennenden Gerichts ist gegeben. Nach Art
3 I Satz 1EuInsVO sind für die Eröffnung des Verfahrens die Gerichte des
Mitgliedsstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner
hauptsächlichen Interessen hat. Nach Satz 2 wird bis zum Beweis des Gegenteils
vermutet, dass dies der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.
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Entscheidend für die Beurteilung der Frage des Interessenmittelpunktes kann nur sein,
wo die Schuldnerin ihre werbende Tätigkeit entfaltet hatte, nicht, von wo aus die
Gesellschaft abgewickelt wird. In der parallelen Problematik im nationalen deutschen
Insolvenzrecht der Wohnsitzverlagerung des Geschäftsführers oder der Sitzverlagerung
einer GmbH für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens nach Einstellung der
Geschäftstätigkeit sieht die überwiegende Rechtsprechung dies als
rechtsmissbräuchlich an und bejaht die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, an dessen
Ort die Geschäftstätigkeit entfaltet wurde (vgl. BayObLG, ZInsO 2003, 903, 1045, 1142,
OLG Brandenburg ZInsO 2003, 376, OLG Celle Beschluss v. 09.10.2003 - 2 W 108/03).
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Während der Zeit ihrer Geschäftstätigkeit lag der Mittelpunkt der hauptsächlichen
Interessen der Schuldnerin in Deutschland. Die Schuldnerin hatte Kundenbeziehungen
ausschließlich in Deutschland. Der Geschäftszweck lag in der Vermittlung von
Versicherungsleistungen für Gebrauchtwagen in Deutschland. Dieser Zweck wurde
durch einen Stab von 15 Mitarbeitern verfolgt, die etwa zur Hälfte am Sitz der
Schuldnerin in Mönchengladbach tätig und zur anderen Hälfte als Verkäfer mobil im
Einsatz waren, eben in Deutschland. Die Personalbuchhaltung wurde in
Mönchengladbach geführt. Die Schuldnerin unterhält ein Geschäftskonto bei der XXX in
XXX, das zur Zeit eine Deckung von über 400.000,00 € aufweist.
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Demgegenüber steht allein die Tatsache, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin in
seiner Zeugenaussage vor dem britischen High Court angibt, sämtliche strategischen
Geschäftsentscheidungen für die Schuldnerin seien für diese nicht vor Ort, sondern in
Großbritannien getroffen worden. Der lokale "General Manager" in Deutschland habe
nur die Befugnis gehabt, Ausgaben im Rahmen eines zuvor in Großbritannien
beschlossenen Budgets und nur bis zu einer Höhe von 750 brit. Pfund Sterling zu
tätigen.
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Diese Tatsachen und die weiteren in der genannten Zeugenaussage aufgeführten
Umstände betreffen allein das Verhältnis zwischen der Schuldnerin und ihrer
Muttergesellschaft, nicht jedoch das Außenverhältnis der Schuldnerin zu ihren
Geschäftskunden und damit zu den potentiellen Gläubigern in einem
Insolvenzverfahren. Sofern sie geeignet sind, Anhaltspunkte für den Mittelpunkt der
hauptsächlichen Interessen eines Rechtssubjekts in Großbritannien zu liefern, so
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allenfalls betreffend die Interessenlage der Muttergesellschaft XXX. Maßgeblich aber ist
der Interessenmittelpunkt der Schuldnerin, einer rechtlich selbständigen Gesellschaft
nach deutschem Recht.
Die vorgetragenen Tatsachen sind nicht geeignet, die Vermutung des Art. 3 I Satz 2
EuInsVO zu erschüttern.
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5.)
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Es entspricht ferner pflichtgemäßem Ermessen, nicht den dem Gericht unbekannten
Geschäftsführer der Schuldnerin als Verwalter einzusetzen, der zudem nach dem
Bericht des Sachverständigen vom 23.04.2004 in Deutschland nicht erreichbar ist,
sondern den bisherigen Sachverständigen, der gerichtsbekannt zuverlässig und
sachkundig arbeitet und über große Erfahrung auch in der Behandlung internationaler
Insolvenzen verfügt.
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