Urteil des AG Marburg vom 07.09.2010
AG Marburg: weisung, internet, grundrecht, gesetzesvorbehalt, unterlassen, webseite, bewährung, computer, besitz, anhörung
1
2
3
4
5
Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 839/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 56c Abs 1 StGB, § 56c Abs 2
StGB, § 56f Abs 1 S 1 Nr 2
StGB
Orientierungssatz
Die Rechtfertigung von Eingriffen in Grundrechte unter Gesetzesvorbehalt durch
Bewährungsanweisungen kann auch allein aus § 56c I StGB hergeleitet werden.
Tenor
Die Beschwerde des Verurteilten wird auf seine Kosten verworfen.
Gründe
Der Verurteilte wurde vom Amtsgericht Marburg mit Urteil vom 20.12.2007 wegen
sexuellen Missbrauchs von Kindern unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil
des Amtsgerichts Frankenberg vom 15.01.2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
8 Monaten und wegen Verschaffens kinderpornographischer Schriften an Dritte zu
einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die Strafe von 9 Monaten hat der
Verurteilte in der Folge vollverbüßt. Nach Verbüßung von 2/3 der
Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten hat die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Gießen mit Beschluss vom 03.04.2009 den Rest der Strafe zur
Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf 4 Jahre festgesetzt und
dem Verurteilten wurde unter anderem aufgegeben, jede Nutzung des Internets
zu unterlassen und keine Internet-Cafes zu betreten. Der Verurteilte hat sich an
diese Weisung nicht gehalten. Er nutzt das soziale Netzwerk „XY“. Zudem betrieb
der Verurteilte im Juni 2010 als Webmaster die Webseite …. Nach Anhörung des
Verurteilten widerrief das Landgericht die Strafaussetzung zur Bewährung, da
dieser gegen die ihm erteilte Weisung gröblich und beharrlich verstoßen habe und
dadurch Anlass zu der Besorgnis gebe, dass er erneut Straftaten begehen werde.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Verurteilten mit der er
sich im Kern gegen die ihm erteilte Weisung wendet. Er betrachte das Internet als
wertvolle Informationsquelle auf die in anderen Medien auch häufig verwiesen
werde. Strafrechtlich relevante Seiten habe er nicht genutzt.
Die Beschwerde ist zulässig aber nicht begründet.
Zunächst räumt der Verurteilte zumindest mit der Beschwerde ein, dass er trotz
der Weisung das Internet nicht zu nutzen, dieses Medium rege nutzt und sogar
eine eigne Webseite betreibt oder zumindest betrieben hat. Vor diesem
Hintergrund besteht aber kein Zweifel daran, dass der Verurteilte gröblich und
beharrlich gegen die Weisung, jede Nutzung des Internets zu unterlassen, zuwider
handelt.
Die genannte Weisung ist auch rechtmäßig, weshalb an ihren Verstoß Sanktionen
geknüpft werden können. Zunächst greift die Weisung aber in das Grundrecht des
Verurteilten nach Art. 5 Abs. 1 GG, nachdem jeder das Recht hat, sich aus
allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, ein.
Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG findet allerdings nach Art. 5 Abs. 2 seine
Schranken unter anderem in der Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Bei § 56 c
StGB handelt es sich um ein solches allgemeines Gesetz, wobei hier § 56 c Abs. 1
6
7
8
9
10
11
12
StGB handelt es sich um ein solches allgemeines Gesetz, wobei hier § 56 c Abs. 1
StGB den Eingriff in das Grundrecht der Informationsfreiheit rechtfertigt. Es wird
allerdings im strafrechtlichen Schrifttum zum Teil die Auffassung vertreten, eine
Weisung mit der in ein Grundrecht eingegriffen werden solle, welches unter
Gesetzesvorbehalt stehe, sei nur dann zulässig, wenn es sich um eine Weisung
handele, die im Katalog des § 56 c Abs. 2 StGB ausdrücklich genannt sei (vgl.
Schall in SK-StGB, § 56c Rn. 4; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., §
56 c Rn. 8; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 56 c Rn. 2a). Der Senat folgt dieser
Auffassung nicht. Vielmehr beinhaltet § 56 c StGB auch für solche Eingriffe in
Grundrechte eine ausreichende Grundlage, die in § 56 c Abs. 2 und 3 StGB nicht
explizit genannt werden (OLG Stuttgart, Die Justiz 1987, 234 [235]; OLG
Zweibrücken, Beschluss vom 22.08.1989, Sz. 1 Ws 371/89, zit. nach Juris; Groß in
MünchKomm/StGB, § 56 c Rn. 10; LK/Hubrach, 12. Aufl., § 56 c Rn. 27 f). Die
Aufzählung der nach § 56 c Abs. 2 und 3 StGB möglichen Weisungen ist keine
abschließende, sondern – wie die Formulierung „namentlich“ zeigt – nur eine
beispielhafte. Vor diesem Hintergrund können Eingriffe in Grundrechte, die unter
dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt stehen, jedenfalls dann über § 56 c Abs. 1
StGB gerechtfertigt sein, wenn die Generalklausel des § 56 Abs. 1 S. 2 StGB
beachtet wird und sie in ihrer Intensität nicht über die durch § 56 Abs. 2 und 3
StGB gerechtfertigten Eingriffe hinausgehen (vgl. OLG Stuttgart, Die Justiz 1987,
234 [235]; Groß in MünchKomm/StGB, § 56 c Rn. 10).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Zwar wird dem Verurteilten der
Zugang zu einem wichtigen Informationsmedium untersagt, auf der anderen Seite
bleiben ihm die klassischen Informationsmedien (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen
usw.) erhalten, so dass nicht von einer unzumutbaren Einschränkung gesprochen
werden kann oder aber der Kernbereich des Art. 5 Abs. 1 GG tangiert wäre. Auch
geht die Eingriffsintensität nicht über solche Eingriffe hinaus, die über § 56 c StGB
gerechtfertigt wären, so erlaubt etwa § 56 Abs. 2 Nr. 4 StGB den Verurteilten
anzuweisen, bestimmte Gegenstände, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu
weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen. Da der Verurteilte, der in den
letzten Jahren vornehmlich durch Besitz kinderpornographischer Schriften
aufgefallen ist, einen Computer für die Begehung seiner Straftaten verwendet hat,
könnte ihm etwa auch aufgegeben werden, keinen Computer zu besitzen.
Vor dem Hintergrund der erheblichen Straftaten des Verurteilten und die bei ihm
vorliegende sexuelle Devianz mit pädophiler Hauptströmung, die sich in einem
primären Interesse an weiblichen Kindern äußert, sind hier aber auch
weitreichende Bewährungsweisungen erforderlich und verhältnismäßig, um den
Verurteilten anzuhalten, keine weiteren Straftaten mehr zu begehen.
Mithin sind die dem Verurteilten erteilten Weisungen nicht zu beanstanden.
Aufgrund des beharrlichen und gröblichen Verstoßes gegen die Weisung besteht
auch die Besorgnis, dass der Verurteilte erneut straffällig werden könnte.
Ausgehend von der erheblichen Nutzung des Internets durch den Verurteilten, der
sich selbst als eine Art „Mentor“ für Kinder und Jugendliche auffasst (vgl.
Bewährungshilfebericht vom 16.11.2009), besteht die naheliegende Gefahr, dass
der Verurteilte das Internet nutzen könnte, um Kontakt zu Kindern und
Jugendlichen herzustellen oder aber um wieder (zumindest) in den Besitz
kinderpornographische Schriften zu kommen.
Soweit der Verurteilte vorbringt, er habe die Weisung anders verstanden, so
handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung. Der Bewährungshelfer des
Verurteilten hat bereits in seinem Bericht vom 21.04.2009 vermerkt, dass der
Verurteilte hinsichtlich des Internet-Verbots „nur bedingt einsichtig“ sei, woraus zu
folgern ist, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Reichweite des Verbots erörtert
worden ist.
Mithin liegen aber die Voraussetzungen für einen Bewährungswiderruf nach § 56 f
Abs. 1 Nr. 2 StGB vor.
Vor dem Hintergrund des Verhaltens des Verurteilten, bei dem im Übrigen keine
oder kaum Unrechtseinsicht besteht und der nach Ansicht seines
Bewährungshelfers zu einer Reflektion der Opferseite nicht in der Lage sei,
kommen mildere Maßnahmen im Rahmen des § 56 f Abs. 2 StGB als der
Bewährungswiderruf nicht in Betracht.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1
StPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.