Urteil des AG Mannheim vom 09.07.2010

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AG Mannheim Urteil vom 9.7.2010, 3 C 587/09
Anfechtung von Zahlungen in der Zwangsvollstreckung
Leitsätze
1. Leistungen/Zahlungen, die innerhalb der Zeiträume des § 131 insO auf hoheitlichen Zwang - z.B.
Zwangsvollstreckung - erbracht werden, sind stets inkongruent.
2. Die angezeigte Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) steht der Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen, denn die
Befriedigung der Massegläubiger stellt nur eine Vorstufe zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger dar, überdies
muss der Grundsatz der Gläubigerglei9chbehandlung auch dann verwirklicht werden, wenn das
Schuldnervermögen zur Bedeutungslosigkeit vermindert wurde.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 02.06.2006 zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht nach einer erfolgten Insolvenzanfechtung Rückzahlungsansprüche in Höhe von EUR
1.000,00 gegenüber der Beklagten geltend.
2
Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der ... (im Folgenden: Schuldnerin).
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Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde auf Antrag der ...vom 28.02.2006, der am
02.03.2006 bei Gericht einging, mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. Höhe am 01.06.2006
eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.
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Die Beklagte ist eine ehemalige Auftragnehmerin der Schuldnerin. Nachdem die Schuldnerin bestehende
Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten nicht beglichen hatte, beauftragte diese die Gerichtvollzieherin ...
mit der Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Am 02.02.2006 zahlte die Schuldnerin daraufhin
an die Gerichtsvollzieherin EUR 1.000,00 in bar. Mit Schreiben vom 11.11.2009 forderte die Klägerin die
Beklagte unter Fristsetzung auf den 30.11.2009 zur Erstattung des erlangten Betrages an die Insolvenzmasse
auf. Die Beklagte zahlte daraufhin nicht.
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Die Klageschrift ging am 23.12.2009 beim Amtsgericht Mannheim ein. Die Zustellung an die Beklagte erfolgte
am 15.02.2010.
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Die Klägerin ist der Auffassung, die Zahlung an die Beklagte bewirke eine inkongruente Deckung, auf die die
Beklagte keinen Anspruch habe. Die Zahlung sei auch gläubigerbenachteiligend, da sie die der Gesamtheit der
Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehenden Insolvenzmasse vermindert habe.
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Die Verjährung sei gehemmt gewesen, da die Zustellung der Klageschrift alsbald erfolgt sei und somit auf den
Zeitpunkt der Einreichung zurückwirke. Insbesondere dürfe die Klägerin die Aufforderung des Gerichts zur
Zahlung des Gerichtskostenvorschusses abwarten.
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Die Klägerin beantragt zu erkennen:
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.06.2006 zu bezahlen.
10 Die Beklagte beantragt
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die Klage abzuweisen.
12 Die Beklagte ist der Auffassung, die Zahlung habe nicht zu einer inkongruenten Deckung geführt, da die
Vollstreckung auf Grund eines rechtskräftigen Titels gegen die Schuldnerin eingeleitet worden sei. Zum
Zeitpunkt der Überweisung der Gerichtsvollzieherin sei nicht erkennbar gewesen, dass die Schuldnerin
zahlungsunfähig gewesen sei. Die Beklagte ist außerdem der Auffassung, die Zahlung habe die Gläubiger nicht
benachteiligt, da das Insolvenzverfahren massearm sei. Eine Benachteiligung könne jedoch nur bejaht werden,
wenn tatsächlich Masse vorhanden gewesen wäre und diese durch Zahlung an den Gerichtsvollzieher so
verringert worden wäre, dass tatsächlich keine Auszahlung an die Gläubiger erfolgen könne. Sei von
vorneherein keine Masse vorhanden, könnten die Gläubiger auch nicht benachteiligt werden.
13 Des weiteren ist die Beklagte der Ansicht, die Forderung sei verjährt. Der 2006 entstandene Anspruch hätte
spätestens 2009 geltend gemacht werden müssen. Die Einreichung der Klageschrift am 23.12.2009 hemme die
Verjährung nicht, da die Klageschrift der Beklagten erst im Februar 2010, also nicht alsbald, zugestellt worden
sei. Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe es zu vertreten, dass die Zustellung der Klageschrift
nicht rechtzeitig erfolgt sei, da die Gerichtskosten nicht sofort mit Einreichung der Klageschrift entrichtet
worden seien.
14 Eine mündliche Verhandlung fand im Termin vom 17.06.2010 statt. Auf das Sitzungsprotokoll wird
hingewiesen. Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
15 Die Klage ist zulässig und in voller Höhe begründet.
16 Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus § 143 I InsO i.V.m. § 131 I Nr.1 InsO zu.
17 Die Zahlung der Schuldnerin erfolgte im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens,
§ 131 I Nr. 1 i.V.m. § 139 InsO. Die Zahlung wurde am 02.02.2006 vorgenommen, der Antrag auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens ging am 02.03. 2006 beim Insolvenzgericht ein.
18 Durch die Zahlung von 1.000,00 EUR an die Gerichtsvollzieherin im Rahmen der durchgeführten
Zwangsvollstreckung wurde der Beklagten eine inkongruente Deckung gewährt, da sie die Befriedigung nicht in
der Art zu beanspruchen hatte.
19 Leistungen / Zahlungen, die innerhalb der Zeiträume des § 131 InsO auf hoheitlichem Zwang beruhen, sind
stets als inkongruent anzusehen (für den Dreimonatszeitraum: BGH, Urteil v. 08.12.2005, IX ZR 182/01 m. w.
N.) . Daraus folgt, dass gerade Zahlungen, die im Rahmen der Zwangsvollstreckung geleistet wurden, zu einer
inkongruenten Deckung führen, obwohl ein rechtskräftiger Titel erlangt wurde.
20 Im Rahmen des § 131 I Nr. 1 InsO wird allein auf objektive, nicht auf subjektive Kriterien abgestellt; die
Tatsache, dass die Beklagte von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts wusste, steht der
Rückforderung daher nicht entgegen.
21 Die Masseunzulänglichkeit gem. § 208 InsO, die die Klägerin im Insolvenzverfahren angezeigt hatte, führt nicht
zum Ausschluss der Gläubigerbenachteiligung.
22 Hier führt die Rückabwicklung der angefochtenen Zahlung vordergründig zwar lediglich zu einer Besserstellung
der Massegläubiger, woraus gefolgert werden könnte, eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger scheide aus,
jedoch dient das Verfahren nach § 208 InsO mittelbar den Interessen aller Gläubiger; die vorrangige
Befriedigung der Massegläubiger ist hier nur als Vorstufe zur Befriedigung auch der Insolvenzgläubiger
gedacht; diese bleiben wegen eines völligen Ausfalls erst recht benachteiligt (Münchener-Kommentar-InsO -
Kirchhof 2. Auflage 2008 § 129 Rdn. 105a). Es widerspricht darüber hinaus auch dem Grundsatz der
insolvenzrechtlichen Gleichbehandlung und damit dem Anfechtungszweck, einige Insolvenzgläubiger allein
deshalb besser zu stellen, weil das Schuldnervermögen sogar „bis zur Bedeutungslosigkeit“ vermindert worden
ist (Uhlenbruck - Hirte 13. Auflage 2010 § 129 Rdn. 10 unter Hinweis auf BGH NJW - RR 2001, 1699, 1701).
23 Der Anspruch ist auch nicht verjährt.
24 Er entstand im Jahre 2006 und unterliegt so der regelmäßigen Verjährungspflicht des § 195 BGB. Somit wäre
er gem. §§ 199 I Nr.1, 188 II BGB am 31.12.2009 verjährt. Die Verjährung wurde jedoch durch Klageerhebung
nach § 204 I Nr.1 BGB gehemmt. Die Klageerhebung erfolgt nach § 253 ZPO durch Zustellung der Klageschrift
an den Beklagten, die hier am 15.02.2010 stattfand.
25 Vorliegend war dies Zustellung noch „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO, da sich die Verzögerung in einem
hinnehmbaren Rahmen hält.
26 Die Klägerin war nicht gehalten, bereits mit der Klageeinreichung (23.12. durch FAX, 26.12. durch
Originalschriftsatz) den Gerichtskostenvorschuss einzuzahlen, sie durfte eine Aufforderung durch das Gericht
abwarten (Zöller - Greger § 167 Rdn. 15).
27 Die Aufforderung erfolgte am 18.01.2009. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch keine Veranlassung für die
Klägerin, tätig zu werden und ggfs. von sich aus nachzufragen. Unter Berücksichtigung der zahlreichen
Feiertage (Weihnachten, Neujahr, Dreikönig) war die Grenze zur vorzuwerfenden Untätigkeit noch nicht erreicht
(ca. 3 Wochen, vgl. Zöller - Greger a.a.O.).
28 Nach der Aufforderung wurde der Vorschuss am 29.01.2009 eingezahlt, am 04.02.2009 gebucht; dies ist
ausreichend - der Vorschuss wurde so nach seiner Anforderung innerhalb eines Zeitraumes eingezahlt wird, der
sich "um zwei Wochen bewegt oder nur geringfügig darüber liegt" (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urt. v. 16.01.2009,
V ZR 74/08 , NJW 2009, 999 , 1000 m.w.N.) .
29 Der Klage war damit in vollem Umfange stattzugeben, die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 286, 288
BGB, 91, 708 Nr.11, 713, 108 ZPO.