Urteil des AG Mannheim vom 05.12.2008

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AG Mannheim Urteil vom 5.12.2008, 4 C 1102/08
Zwangsvollstreckung: Anspruch auf Zustimmung zur Überlassung eines Einheitswertbescheids durch
das Finanzamt
Leitsätze
1. Die Treuepflicht verpflichtet den säumigen Wohnungseigentümer nicht, das Finanzamt von der Wahrung eines
Steuergeheimnisses hinsichtlich des Einheitswertbescheides seiner Eigentumswohnung gegenüber der
Wohnungseigentümergemeinschaft zu befreien. Wie jeder Schuldner muss er nicht an der Verbesserung der
Vollstreckungsaussichten des Gläubigers mitwirken.
2. Bei der Abwägung der konkurrierenden Grundrechte von vollstreckendem Gläubiger und dessen Schuldner ist
die Wahrung des Teuergeheimnisses zumindest gleichwertig mit dem Schutz der GLäubigerforderung.
3. Die vollstreckende Wohnungseigentümergemeinschaft kanns sich auf zumutbare Weise Kenntnis vom
Einheitswert des säumigen Wohnungseigentümers verschaffen, weshalb es dessen Mitwirkung nicht bedarf.
Tenor
1. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 10%, die Beklagte 90%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird bis zum 25.8.2008 auf EUR 3.731,64 und für die Zeit danach auf EUR 372,16 festgesetzt.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1 Nachdem die Beklagte die Hauptsache anerkannte, war noch die mit der Klage verfolgte Befreiung des
Finanzamtes von der Wahrung des Steuergeheimnisses hinsichtlich der Überlassung der Einheitswertbescheide
des Wohnungseigentums der Beklagten an die Klägerin im Streit.
2 Die Klägerin behauptet,
3 durch die Änderung des § 10 ZVG ist das Erreichen des Verzugsbetrages der Einheitswert der zu
versteigernden Wohnung durch Vorlage des Einheitswertbescheides nachzuweisen. Andernfalls könne die
Klägerin von ihrer bevorzugten Rangklasse keinen Gebrauch machen und sei zur eigenen kostenträchtigen
Antragstellung gezwungen.
4 Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, der Überlassung der Einheitswertbescheide ihrer Eigentumswohnung in ...
durch das zuständige Finanzamt an die Klägerin zuzustimmen.
6 Die Beklagte anerkannte den Klageantrag zu Ziffer 1 und behauptet,
7 die Klägerin müsse nicht gegen sie klagen, da sie ja bezahlen wolle.
8 Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze samt Anlagen
verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, sie ist nicht begründet.
10 Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
11 Soweit die Klägerin von der Beklagten eine Mitwirkung dergestalt verlangt, das zuständige Finanzamt von der
Wahrung ihres Steuergeheimnisses zu befreien, damit die Klägerin Abschriften ihrer Einheitswertbescheide
erhält, handelt es sich im Kern um eine Auskunftspflicht iSd §§ 259ff. BGB. Diese Auskunft versetzt die
Klägerin in die Lage, von ihrem Rangvorteil iSd § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG Gebrauch zu machen ( Palandt-
Heinrichs , BGB, 67. Aufl., § 242 Rdnr. 37).
12 Das BGB kennt keine allgemeine Auskunftspflicht, der Auskunftsanspruch setzt vielmehr eine besondere
Rechtsgrundlage voraus ( Palandt-Heinrichs , a.a.O. §§ 260, 261 Rdnr. 3 + 4). Eine solche bietet das WEG
nicht.
13 § 14 WEG kann hierfür nicht herangezogen werden, da die Vorschrift keine Anspruchsnorm darstellt (
Bärmann/Pick/Merle , WEG, 10. Aufl., § 14 Rdnr. 2). Auch das zwischen den Wohnungseigentümern
bestehende gesetzliche Schuldverhältnis bietet keine Grundlage für das klägerische Begehren. Zwar können
daraus Aufklärungs- und Informationspflichten abgeleitet werden, nicht eine solche, wie sie Gegenstand des
Streitfalles ist.
14 Beabsichtigt ein Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung und sucht deswegen bei den übrigen
Mitgliedern der Gemeinschaft um Zustimmung nach, ist er gehalten, diese über die voraussichtlichen
Beeinträchtigung zu informieren, weil dies im überragenden Interesse der Befragten liegt ( BayObLG , NJW
2002, 71, 72). Im Entscheidungsfall liegen die Dinge anders. Die Klägerin geht zwar gegen einen mit
Hausgeldforderungen säumigen Wohnungseigentümer vor, weshalb ihr Befriedigungsinteresse ohne Zweifel
dasselbe Gewicht hat, wie ein um die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung angegangenen
Wohnungseigentümer, aber die Rechtsordnung auferlegt grundsätzlich dem vollstreckenden Gläubiger das
Vollstreckungsrisiko, das zu verbessern der Schuldner nicht mitzuwirken verpflichtet ist. Bereits von diesem
Ausgangspunkt war der Anspruch nicht begründet (a.A. Derleder , ZWE 2008, 13, 15).
15 Dies bestätigt eine wertende Heranziehung der betroffenen Grundrechte im Fall. Die Ansprüche der Klägerin
unterfallen dem Schutz des Art. 14 GG, während das Steuergeheimnis der Beklagten durch die Art. 2 Abs. 1
iVm 1 Abs. 1 GG, sowie nach Art. 14 GG geschützt ist. Als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes
erlaubt das Steuergeheimnis nur Eingriffe, wenn es durch Gesetz eingeschränkt und dann nur soweit, wie es
zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist ( BVerfGE 65, 1, 43f., 67, 100, 143). Wegen dieses
zweifachen Einschränkungsvorbehaltes hat die Verfassung grundsätzlich dem Steuergeheimnis den Vorrang
gegenüber dem durch Art. 14 GG geschützten Gebot der effektiven Zwangsvollstreckung eingeräumt, anders
ausgedrückt, die Wahrung des Persönlichkeitsrechts wiegt mehr als der Schutz des Eigentums an einer
Forderung. Diese Abwägung der kollidierenden Grundrechte verbietet die Zuerkennung, des von der Klägerin
verfolgten Eingriffs in das Steuergeheimnis der Beklagten.
16 Aber selbst dann, wenn die beiderseitigen Interessen als gleichwertig angesehen würden, wäre der mit der
Klage verbundene Eingriff in die Interessenssphäre der Beklagten am Maßstab der Erforderlichkeit zu messen
( Bärmann/Pick/Merle , a.a.O. § 14 Rdnr. 15). Diese ist hier zu verneinen, weil sich die Klägerin die
erforderliche Information auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann.
17 Im Grundsatz ist zutreffend, dass die Klägerin vom Rang nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG nur dann profitiert, wenn
sie einen Einheitswertbescheid über in das zu vollstreckende Wohnungseigentum beim Versteigerungsgericht
vorlegen kann; denn sie hat das Überschreiten der Wertgrenze des § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG in der Form des §
16 Abs. 2 ZVG nachzuweisen ( BGH , NZM 2008, 450, 451, Rdnr. 10f.). Die notwendige Information erhält sie
einerseits durch das Verkehrswertgutachten gemäß § 74a Abs. 5 ZVG ( Schneider , ZMR 2008, 727, 728 mit
Fußn. 19), oder, falls ein solches nicht erhoben wird, durch den vom Vollstreckungsgericht gemäß § 54 Abs. 1
Satz 4 GKG vom Finanzamt eingeforderten Einheitswertbescheid (so BGH , a.a.O. S. 452, Rdnr. 16; kritisch
AG Potsdam, ZMR 2008, 750, 751). Zwar verweigern einige Vollstreckungsgerichte im Rahmen einer
beantragten Akteneinsicht, die Offenlegung des Einheitswertbescheides im Hinblick auf das bestehende
Steuergeheimnis (dazu Schneider , a.a.O. S. 730 mit Fußn. 36), doch muss die Einsicht auf die
Gerichtskostenrechnung erstreckt werden, mit deren Hilfe der Einheitswert nachweisbar iSd § 16 Abs. 2 ZVG
wird.
18 Stellt die vollstreckende Wohnungseigentümergemeinschaft einen eigenen Antrag gemäß § 10 ZVG, muss
zwar die vollstreckende Gemeinschaft zur Deckung der Gutachterkosten einen Vorschuss von etwa EUR
2.000,- einzahlen. Dieses Kostenrisiko ist vom Gesetzgeber auch im Rahmen der Zwangsverwaltung dem
vollstreckenden Gläubiger zugewiesen, der, wenn er es nicht erfüllt, zur Verfahrensaufhebung nach § 161 Abs.
3 ZVG führt. Die Durchführbarkeit des Verfahrens liegt daher allein im finanziellen Verantwortungsbereich des
Gläubigers, weshalb diese Zuweisung nicht durch die Begründung einer wie immer gearteten Mitwirkungspflicht
auf den Schuldner verschoben werden kann.
19 Die Problematik der Vorlage des Einheitswertsbescheids besteht seit langem. Bereits § 18 Abs. 2 WEG a.F.
ließ die „Abmeierungsklage“ nur zu bei Überschreiten der Hausgeldrückstände um den Mindestbetrag von 3%
des Einheitswertes. Wie zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG hat die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft in
diesem Falle das Nachweisproblem, falls der säumige Wohnungseigentümer den Einheitswert bestreitet. Allein
die Tatsache, dass das Bundesministerium der Justiz nach einer gesetzgeberischen Lösung strebt ( Schneider
, a.a.O. S. 728 mit Fußn. 13), belegt hinlänglich, dass ein auf die Treuepflicht gestützter Anspruch des
klagenden WEG-Verbandes gegen den säumigen Wohnungseigentümer nicht besteht.
20 Auch § 792 ZPO bietet keine Anspruchsgrundlage gegen den säumigen Wohnungseigentümer auf Herausgabe
des Einheitswertbescheides (a.A. Alff/Hinzen, Rpfleger 2008, 165, 168). Die Vorschrift setzt voraus, dass der
Gläubiger die heraus zu begehrende Urkunde „zum Zwecke der Zwangsvollstreckung bedarf.“ Ist, wie im
Streitfall das rückständige Hausgeld gegen den Schuldner tituliert, stehen der Zwangsvollstreckung gegen den
säumigen Wohnungseigentümer keine Hindernisse entgegen. Dass die vollstreckende Gemeinschaft darüber
hinaus das Privileg des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG nutzen will, dafür bietet § 792 ZPO nach seinem Wortlaut keine
Hilfe.
21 Entsprechendes gilt zu § 836 Abs. 3 ZPO, weil danach nur die Herausgabe der Urkunden geschuldet ist, die
dem Gläubiger im Einziehungsprozess als Beweismittel für den Bestand, die Höhe, die Fälligkeit und die
Einredefreiheit der Forderung dienen ( Schuschke/Walker , Vollstreckung und vorl. Rechtsschutz, 3. Aufl., §
836 Rdnr. 6 mit Fußn. 31).
22 Nach alledem war die Klage nicht begründet und daher mit der Kostenfolge des § 92 ZPO abzuweisen. Der
Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 713 ZPO, wobei der Streitwert mit 10% der zu
vollstreckenden Hauptforderung bewertet wurde.
23 Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Oberlandegerichtsbezirk Karlsruhe war gemäß § 511 Abs.
4 Nr. 1 ZPO die Berufung zuzulassen.