Urteil des AG Mannheim vom 05.11.2008

AG Mannheim (schuldner, internationale zuständigkeit, wohnsitz im ausland, berufliche tätigkeit, zeitpunkt, wohnsitz, aug, frankreich, anschrift, eröffnung)

AG Mannheim Beschluß vom 5.11.2008, 1 IN 244/08
Insolvenzeröffnungsverfahren: Internationale Zuständigkeit im Inland bei Scheinwohnsitz im Ausland
Leitsätze
1. Die internationale Zuständigkeit des deutschen Insolvenzgerichts ist, auch wenn sich der Schuldner auf einen
Wohnsitz im Ausland beruft, begründet, wenn sich dieser als Scheinwohnsitz erweist. Das ist beim Vorhandensein
bestimmter Indizien der Fall.
2. Für einen Scheinwohnsitz sprechen - wenn der Schuldner an der ausländischen Anschrift nicht anzutreffen ist -
wenn der Schuldner an seiner ausländischen Anschrift weder Klingelschild noch einen Briefkasten unterhält - wenn
die polizeiliche Abmeldung in Deutschland mit "steuerlichen Gründen" begründet wird - wenn die deutschen
Nachbarn von einem Wegzug des Schuldners nichts wahrnehmen, sie ihn vielmehr im Urlaub vermuten - wenn
eine Durchsuchung der Wohnung in Deutschland Rechnungen zu Tage fördert, die Leistungen im Inland für einen
Zeitpunkt abrechnen, zu dem der Schuldner nach eigenen Angaben bereits ins Ausland verzogen war - wenn in der
inländischen Wohnung des Schuldners dessen persönlichen Kleidungsstücke aufbewahrt werden - wenn der
Schuldner weiterhin im Inland seiner beruflichen Tätigkeit nachgeht.
3. Sind Indizien in einer Dichte wie zu Ziffer 2 vorhanden, genügt es für die Begründung einer ausländischen
Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nicht, dass der Schuldner Mietvertrag, Gas- und Wasserrechnungen über die
ausländische Anschrift vorlegt.
Tenor
I. Über das Vermögen des … wird wegen Zahlungsunfähigkeit heute, am …, um … Uhr das
Hauptinsolvenzverfahren eröffnet.
Zum Insolvenzverwalter wird ernannt:
Herr Rechtsanwalt …
Gründe
1 Der Schuldner ist zahlungsunfähig. Auf das Gutachten des Sachverständigen vom 30.09.2008 wird Bezug
genommen.
2 Das Amtsgericht Mannheim ist für das Hauptinsolvenzverfahren international zuständig. Zur Überzeugung des
Gerichts steht fest, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Gebiet des Landgerichtsbezirks
Mannheim hatte. Gem. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsV0 sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die
Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen
Interessen hat. Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen kommt der Ort in Betracht, an dem der
Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht (vgl. BGH, EuGH Vorlage - IX ZB 418/02,
zitiert nach Juris Rdnr. 8).
3 Bei einer natürlichen Person kommt als Anknüpfungspunkt sowohl der Wohnsitz als auch der Ort in Betracht, an
dem sie ihrer selbstständigen oder unselbstständigen Tätigkeit nachgeht (vgl. BGH aa0).
4 Das Gericht ist überzeugt, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Antragstellung am 01.07.2008 seinen
Lebensmittelpunkt in ... hatte. Zwar hat der Schuldner angabengemäß bereits am 01.04.2008 seinen Wohnsitz
nach Frankreich verlegt. Auch war er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an der Adresse in ... polizeilich gemeldet.
Das Gericht geht jedoch aufgrund zahlreicher Anhaltspunkte davon aus, dass der Schuldner in Frankreich -
jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung - lediglich einen Scheinwohnsitz begründet hat.
5 Hierfür sprechen die im Gutachten des Sachverständigen vom 30.09.2008 aufgeführten Anhaltspunkte. Noch
nach Antragstellung am 01.07.2008 konnte der Sachverständige bei einem Besuch unter der angegebenen
Wohnsitzadresse in Frankreich weder am Klingelschild noch am Briefkasten Namensschilder feststellen, die auf
den Schuldner hinwiesen. Auch war es ihm nicht möglich, den Schuldner anzutreffen. Der Vater der Vermieterin
des Wohngebäudes in ... hatte anlässlich einer wenige Tage vor Antragstellung am 11.06.2008 erfolgten
Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume an der Adresse in ... erklärt, dass die Ummeldung nach eigener
Aussage des Schuldners lediglich aus steuerlichen Gründen erfolgt sei. Dabei habe der Schuldner nicht von
einem Umzug, sondern von einer Ummeldung gesprochen. Auch die weiter befragten unmittelbaren Nachbarn
hatten von einem angeblichen Umzug nichts mitbekommen und gingen davon aus, dass der Schuldner lediglich
in den Urlaub gefahren sei. Dies bestätigte auch die offensichtlich gut befreundete Nachbarin .... Hinzu kommt,
dass anlässlich der Durchsuchung aktueller Post wie Telefonrechnungen, privatärztliche Rechnungen sowie ein
ärztliches Attest vom 08.05.2008 und eine ärztliche Bescheinigung vom 28.05.2008 aufgefunden wurden,
obwohl der Schuldner behauptete, bereits zum 01.04.2008 seinen Wohnsitz verlegt zu haben. Darüber hinaus
wurden im Schlafzimmer Kleidung des Schuldners sowie seiner Ehefrau aufgefunden. In einem Telefonat am
11.06.2008 mit dem zuständigen Vollziehungsbeamten hatte der Schuldner sich selbst dahingehend geäußert,
dass er sich zur Zeit in Frankreich im Urlaub befinde und dieses erst im weiteren Verlauf des Gespräches
korrigiert.
6 Die demgegenüber vom Schuldner vorgelegten Unterlagen wie Mietvertrag, Gas- und Wasserrechnungen
vermögen die Annahme des Gerichtes, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Antragstellung nach wie vor in ...
seinen Daseinsmittelpunkt hatte, nicht zu entkräften. Darüber hinaus übt der Schuldner nach wie vor in
Deutschland seine berufliche Tätigkeit aus. So hielt er in der Zeit vom 11. - 15.08.2008 Vorträge bei der
Bundesakademie für ... sowie vom 18. - 21.08.2008 Vorträge für das Bundesministerium für .... . Auch insoweit
wird auf das Gutachten vom 30.09.2009 Bezug genommen.
7 Der Umstand, dass der Schuldner gegen die Entscheidung des Landgerichts Mannheim vom 21.08.2008 (4 T
165/08) Rechtsbeschwerde eingelegt hat, hindert die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht (vgl. §§ 575 Abs.
5, 570 Abs. 1 ZPO; FK-Schmerbach, Ins0, 4. Aufl., § 21 Rdnr. 26 d; § 7 Rdnr. 16).