Urteil des AG Mannheim vom 14.07.2004

AG Mannheim: internet, voreingenommenheit, befangenheit, initiative, verwaltungsrecht, mangel, verdacht, aufklärungspflicht, wiedereröffnung, abrede

AG Mannheim Beschluß vom 14.7.2004, 11 C 599/03
Besorgnis der Befangenheit bei einer Internetrecherche seitens des Richters, Anfrage an eine Partei wegen des Berufens auf
Sachverständigenbeweis
Tenor
Der Antrag, Richter am Amtsgericht K. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.
Gründe
1 I. Die Parteien streiten im vorliegenden Rechtsstreit über die Wirksamkeit eines wegen behaupteter Mängel der Kaufsache erklärten Rücktritts. U.
a. besteht Streit zwischen den Parteien, wann die Kaufsache, ein aus den USA importiertes Fahrzeug erstmals zugelassen wurde. Zur
Vorbereitung des Termins am 3.3.2004 recherchierte der abgelehnte Richter unter der Adresse http://www.cars-stripes.com im Internet; hierüber
verhält sich das download Bl. 32 - 35. Es war Gegenstand der Erörterungen des Termins vom 3.3.2004, an dessen Ende die Anträge verlesen
wurden (Bl. 37). Mit Schriftsatz vom 25.3.2004 erklärte die Beklagte, mit der Verwertung der erhobenen Internetrecherche nicht einverstanden zu
sein. Der abgelehnte Richter K. eröffnete mit Beschluss vom 28.5.2004 erneut die mündliche Verhandlung, gab einen rechtlichen Hinweis und
fragte beim Kläger an, ob dieser sich zur Feststellung der behaupteten Erstzulassung auf ein Sachverständigengutachten berufe, was dieser
zwischenzeitlich bejahte (Bl. 58).
2 Mit Schriftsatz vom 9.6.20904 lehnte die Beklagte Richter am Amtsgericht K. wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung beruft sie
sich darauf, dass Richter K. „eigenständige“ Nachforschungen im Internet angestellt habe und damit gegen das Gebot des fairen Verfahrens
verstoße. Durch Anfrage, ob sich die Gegenseite auf Sachverständigenbeweis berufe, unterstütze er einseitig das Rechtsverfolgungsinteresse des
Klägers. Zumal mit dieser Anfrage suggeriert werde, dem Beweisangebot werde nachgegangen. Das Erstzulassungsdatum sei einem
Sachverständigenbeweis nicht zugänglich, weshalb das Gericht einen Ausforschungsbeweisantrag fördere.
3 Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den gesamten Inhalt der Verfahrensakte verwiesen.
4 II. Die Beklagte ist mit dem Ablehnungsgrund, RiAG K. stelle „eigenständige“ Nachforschungen im Internet an, nicht zu hören. Die Beklagte hat in
Kenntnis des mutmaßlichen Ablehnungsgrundes am Ende der mündlichen Verhandlung ihren Antrag gestellt, sie ist deswegen mit diesem Grund
ausgeschlossen (§ 43 ZPO).
5 Ungeachtet dessen rechtfertigt die Recherche im Internet durch den erkennenden Richter nicht die Besorgnis der Befangenheit. Im Rahmen der
gesetzlich gebotenen Aufklärung sind dem Richter ohne weiteres Initiativen gestattet (Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 42 Rdnr. 26); hiervon ist die
Nachschau im Medium Internet ohne weiteres erfasst. Dieses war bereits zum alten Recht außer Streit und kann nachdem der Gesetzgeber mit
dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses dem Gericht die Mitverantwortung für eine umfassende tatsächliche Klärung des Streitstoffes zuwies
(BT-Drucksache 14/4722, S. 77), nicht ernstlich in Abrede gestellt werden.
6 Soweit die Beklagte aus der Initiative des Richters eine Voreingenommenheit abzuleiten versucht, legt sie ein Richterbild zu Grunde, das zu
bewerten, hier offen bleiben kann. Die Tatsache der Internetrecherche spricht aus der Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei nicht für
die Annahme der Voreingenommenheit. „Von Gerichten erwarten wir Wissen und nicht Unwissen“ (Dr. R. Gutmann, FA für Verwaltungsrecht, NJW-
Editorial, Heft 28/2004), weil mit zunehmender Sachverhaltskenntnis die Entscheidungsgenauigkeit zunimmt. Voreingenommenheit, also letztlich
ein Vorurteil entsteht dadurch, dass subjektive Gründe fälschlich für objektive gehalten werden, mithin einen Mangel an Überlegung offenbaren
(Kant, Logik, 1800, A 116). Das Bemühen des Internets von RiAG K. bewirkt zusätzliche Sachverhaltsaufklärung und wirkt Missverständnissen im
tatsächlichen Bereich entgegen; der Verdacht der Voreingenommenheit kommt erst gar nicht auf. Aus der Sicht des Ablehnenden liegen
Besorgnisgründe nicht vor.
7 Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, verbunden mit der konkreten Nachfrage beim Kläger, ob er sich auf Sachverständigenbeweis
berufe, rechtfertigt gleichfalls nicht die Ablehnung. Die Anfrage ist in §§ 139, 156 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO ausdrücklich vorgesehen und zugelassen; sie
war bereits unter der Geltung des alten Rechts nicht zu beanstanden (OLG Frankfurt NJW 1976, 2025). Ungeachtet dessen ist das Gericht auch
von Amts wegen berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen, einer konkreten Antragstellung bedarf es nicht (Zöller, § 403 Rdnr. 1). Der
Vorwurf der Suggestion liegt neben der Sache. Ob das Erstzulassungsdatum des veräußerten Kraftwagen letztlich einer sachverständigen
Begutachtung zugänglich ist, hat der beauftragte Helfer des Gerichts festzustellen; das Gericht wäre damit überfordert. Eine Ausforschung betreibt
das Gericht erst dann, wenn es auf der Grundlage unzureichender Sachverhaltsbehauptungen Beweise erhebt. Keine Ausforschung liegt vor,
wenn sich die Beweiserhebung als ungeeignet erweist, weil das vielfach erst am Ende der Beweisaufnahme feststeht.
8 Entsprechendes gilt für den im Beschluss vom 28.5.,2004 enthaltenen richterlichen Hinweis. Auch hier handelt der Richter im Rahmen seiner ihm
obliegenden Aufklärungspflicht, indem er auf eine bestimmte Rechtsmeinung hinweist (OLG Karlsruhe, OLGZ 1978, 224).
9 Nach alledem war der Antrag zurückzuweisen.