Urteil des AG Mannheim vom 14.07.2006

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AG Mannheim Urteil vom 14.7.2006, 12 C 75/05
Krankenhaustagegeldversicherung: Abgrenzung von Krankenhaus und gemischter Anstalt
Leitsätze
1. Bei der Abgenzung von Krankenhaus und gemischter Anstalt kommt es entscheidend darauf an, ob das
Behandlungskonzept der Klinik Kuren vorsieht. Beim Beweis kommt der Billigung der dortigen Bahandlungen durch
gesetzliche Krankenversicherer Indizwirkung zu.
2. Werden keine Kuren angeboten, steht der Annahme eines Akutkrankenhauses nicht entgegen, wenn das in
Abkehr von herkömmlichen Behandlungen vertretene Behandlungskonzept der Anstalt auch die Behandlung
psychosomatischer Vorgänge einbezieht; wie etwa bei einem Schub einer chronischen Dermatose autogenes
Training und Stressabau. Entscheidend bleibt das Ziel, den Gesundheitszustand des Patienten zu verbessern.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 670,22 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit 03.03.2005 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin aus diesem Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit
leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen aufgrund einer Krankenhaustagegeldversicherung.
2
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.02.1985 mit einer Krankenhaustagegeldversicherung zu einem
versicherten Tagessatz von 29,14 EUR versichert.
3
Vom 26.09. bis 18.10.2004 war die Klägerin in stationärer Behandlung im Fachkrankenhaus für Dermatologie,
….
4
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe ein Anspruch auf das vertraglich vereinbarte Krankengeld gegen die
Beklagte zu. Bei der Fachklinik … handele es sich um ein Akutkrankenhaus, in dem keine Kur oder
Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt würden. Auch bei der Klägerin sei eine Akutbehandlung durchgeführt
worden. Sie macht daher das Krankengeld von 29,14 EUR x 23 Tage, insgesamt mithin 670,22 EUR geltend.
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Sie beantragt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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Klagabweisung.
9
Sie beruft sich auf § 4 Teil I MB/KK, Abs. 1b AVB sowie auf § 5 Teil I MB/KK, Abs. 1d AVB.
10 Sie trägt vor, bei der Fachklinik … handelte es sich um eine gemischte Einrichtung, die sowohl
Akutbehandlungen als auch Kur- und Rehabilitationsbehandlungen durchführe. Zudem habe die bei der Klägerin
durchgeführte Behandlung einer Kur- bzw. Sanatoriumsbehandlung, nicht jedoch einer Akutbehandlung
entsprochen. Mangels vorheriger Leistungszusage (dies ist zwischen den Parteien unstreitig) sei daher ein
Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Krankengeld nicht gegeben.
11 Hinsichtlich des weitergehenden Parteivortrages wird auf die bei den Akten befindlichen Schriftsätze nebst
vorgelegten Anlagen Bezug genommen.
12 Das Gericht hat über die zugrundeliegenden Streitfragen Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …
sowie Einholung eines schriftlichen und mündlichen Sachverständigengutachten des Sachverständigen ….
Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 10.10.2005 (AS
82 ff.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 14.07.2006 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist zulässig und begründet.
14 Das Gericht ist aufgrund der Beweisaufnahme hinlänglich davon überzeugt, dass es sich bei der Fachklinik …
um ein reines Akutkrankenhaus und nicht um eine gemischte Anstalt im Sinne von § 4 Teil I MB/KK AVB
handelt und dass die durchgeführte Behandlung als medizinische notwendige Akutbehandlung und nicht als
Kurmaßnahme zu bewerten ist.
15 Aufgrund der Aussage des – sichtlich für die Belange der Klägerin engagierten – Zeugen …, der die
streitumfangene Klinik als Kaufmann maßgeblich mit aufgebaut hat, ist davon auszugehen, dass es sich bei
dem streitumfangenen Krankenhaus um ein Akutkrankenhaus handelt. Der Zeuge hat glaubhaft dargelegt, dass
in den zwölf Jahren des Bestehens der Klinik noch keine Kurmaßnahme oder Sanatoriumsbehandlung
durchgeführt worden sei und das insoweit auch kein Versorgungsvertrag abgeschlossen sei, so dass dies auch
nicht zulässig sei. Der Sachverständige ... hat dies bestätigt. Er hat auch seine ursprüngliche Einschätzung im
schriftlichen Sachverständigengutachten aufgrund der Aussage des Zeugen relativiert. Der Sachverständige
war aufgrund der Angaben von Selbsthilfegruppen im Internet davon ausgegangen, dass die streitumfangene
Klinik sogenannte „Mutter-Kind-Kuren“ anböte und hat im Hinblick hierauf den Schluss gezogen, dass auch
Kuren und Sanatoriumsbehandlungen angeboten würden. Der Zeuge … hat demgegenüber erläutert, dass es
sich nicht um Kuren handele, sondern im Zusammenhang mit dem besonderen Behandlungskonzept bei
erkrankten Kindern auch Elternteile oder sogar Geschwister bei einem einheitlichen Pflegesatz aufgenommen
würden. Im Verlaufe der Beweisaufnahme ist aufgrund der Aussagen des Zeugen und der Begutachtung des
Sachverständigen deutlich geworden, dass die streitumfangene Klinik aufgrund des besonderen
Behandlungskonzepts im Rahmen einer Akutversorgung Maßnahmen für indiziert hält, die von Hautärzten,
welche einem konventionelleren Behandlungskonzept, das beispielsweise die Gabe von Cortison und
Antihistaminika vorsieht, eher als kurtypische Maßnahme angesehen würden (autogenes Training, Stressabbau
u.ä.).
16 Es wurde deutlich, dass häufig Patienten in die besagte Klinik überwiesen werden, bei welchen konventionelle
Behandlungen nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hatten. Es ist gerichtsbekannt, dass es sich bei
Neurodermitis um eine schwer zu behandelnde Erkrankung handelt. Das bei dieser Erkrankung ein
ganzheitliches Behandlungskonzept auch auf Beeinflussung psychosomatischer Vorgänge abstellt und auch
eine landschaftlich schöne Umgebung einsetzt, um eine Heilung zu begünstigen, kann angesichts dessen nicht
dazu führen, die Eigenschaft der streitumfangenen Klinik als Akutkrankenhaus hinreichend in Frage zu stellen.
17 Auch befand sich die Klägerin ausweislich der Behandlungsunterlagen in reduziertem Allgemeinzustand, als sie
eingewiesen wurde; die vorgelegten Fotos sprechen eine eindrucksvolle Sprache.
18 Aufgrund der Angaben des Sachverständigen ist davon auszugehen, dass es sich bei der durchgeführten
Behandlung auch um eine medizinisch notwendige Behandlung eines akuten Schubes einer chronischen
Dermatose gehandelt hat und nicht um eine lediglich kurmäßige Anwendung.
19 Der Sachverständige hat durchblicken lassen, dass er in der von ihm geführten Klinik ein anderes
Behandlungskonzept vorziehen würde, er hat aber sehr fair und objektiv eingeräumt, dass es sich bei dem in
der streitumfangenen Klinik durchgeführten Behandlungskonzept um ein solches handelt, welches der
Akutbehandlung und nicht der kurmäßigen Behandlung diene, wenn es naturgemäß auch Überschneidungen
gäbe.
20 Zu Recht hat der Sachverständige auch darauf verwiesen, dass die gesetzliche Krankenversicherung die
durchgeführte Behandlung als solche akzeptiere. Dies ist ein starkes Indiz dafür, das die Einschätzung des
Gerichts zu stützen geeignet ist.
21 Nach allem musste sowohl bejaht werden, dass es sich bei der streitumfangenen Klinik um ein
Akutkrankenhaus und nicht um eine gemischte Anstalt handelt, als auch verneint werden, dass bei der
Klägerin eine Kur oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt wurde. Die Voraussetzungen der
Anspruchsausschlüsse in den allgemeinen Versicherungsbedingungen, welche dem Vertrag zwischen den
Parteien zugrunde liegen, waren daher zu verneinen; ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf
Erstattung der Leistungen demgegenüber zu bejahen. Der Klage musste daher stattgegeben werden.
22 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
23 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.