Urteil des AG Mannheim vom 17.12.2007

AG Mannheim (wohnung, kläger, fortsetzung des mietverhältnisses, zimmer, mutter, kündigung, familie, eigenbedarf, aug, umzug)

AG Mannheim Urteil vom 17.12.2007, 9 C 560/07
Eigenbedarfskündigung: Pflicht des Vermieters, eine Ersatzwohnung anzubieten
Leitsätze
1. Ist nur die Erdgeschosswohnng zur Deckung des Eigenbedarfs geeignet, kann dem Mieter im 1. OG nicht aus
diesem Grund gekündigt werden.
2. Die Anbietpflicht beginnt bereits vor dem Ausspruch der Kündigung, wenn dem Vermieter der Eigenbedarf
bekannt war.
3. Der Mieter lehnt eine angebotene Wohnung nicht ab, wenn er darauf besteht, dass die Ersatzwohnung zu
desmselben Qm-Preis vermietet wird; die Anbietplficht ist keine Option zur Mieterhöhung.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1 Die Kläger begehren Räumung einer Wohnung wegen Eigenbedarfs.
2 Der Beklagte mietete mit Vertrag vom 1.08.1989 von den Rechtsvorgängern der Kläger, die das Anwesen im
Jahr 2005 erwarben, zu einem monatlichen Nettomietzins von EUR 180 eine im 1.OG, links gelegene und 54m²
große 2-Zimmer-Wohnung. Mit Schreiben vom 24.09.2005 und 29.05.2006 kündigten die Kläger dem Beklagten
wegen Eigenbedarfs zugunsten der Eltern des Klägers Ziffer 1, verfolgten diese Kündigungen jedoch nicht
weiter. Am 18.09.2006 kündigten sie erneut wegen Eigenbedarfs zum 30.09.2007. Der Vater des Klägers
verstarb am 20.08.2007. Im Jahr 2006 war die im Erdgeschoss gelegene 1-Zimmer-Wohnung frei, im Mai 2007
zog aus der im 2.OG links befindlichen und ebenfalls 54m² großen 2-Zimmer-Wohnung die Familie X aus, im
Juli 2007 zog dort die zuvor im 2.OG rechts (2-Zimmer-Wohnung, 54m²) wohnende Familie Y zu einem
Nettomietpreis von monatlich EUR 380 ein.
3 Die Kläger behaupten, die am 4.01.1942 geborene Mutter des Klägers Ziffer 1, die derzeit zusammen mit den
Klägern und deren Tochter in der im 1.OG rechts gelegenen und 65m² großen Wohnung lebt, möchte in die
Wohnung des Beklagten einziehen. Sie sei hilfebedürftig und solle dort auf einer Etage mit den Klägern wohnen,
um so die Pflege sicherzustellen. Die Wohnung im 2.OG links komme für die Mutter des Klägers Ziffer 1 nicht in
Betracht, da diese unter Wirbelsäulen- und Kniebeschwerden leide, die im Erdgeschoss scheide aus, da sie sich
dort fürchte. Der Beklagte sei zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen, eine andere Wohnung im Haus anzumieten,
was sich u.a. aus dem Schreiben vom 31.07.2007 ergebe, in welchem der Beklagte den Umzug in die Wohnung
2.OG links davon abhängig gemacht habe, die gleiche m²-Miete wie in der derzeit von ihm bewohnten Wohnung
zu zahlen.
4 Die Kläger beantragen:
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Der Beklagte wird verurteilt, die in ... M., O. Str.29 gelegene Wohnung, 1.Obergeschoss, bestehend aus
2 Zimmern, Küche, Bad und Zubehör zur räumen und an die Kläger herauszugeben.
6 Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
8 Er behauptet, der Kläger habe ihm verwehrt, in die frei gewordene 1-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss zu
ziehen, was der Beklagte eigentlich habe tun wollen. Zudem sei ihm keine der Wohnungen im 2.OG (links oder
rechts) angeboten worden.
9 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze samt Anlagen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
10 Die zulässige Klage ist unbegründet.
11 Die Kläger haben weder aus §§ 985, 546 GBG noch aus einem anderen Rechtsgrund Anspruch auf Herausgabe
und Räumung der streitgegenständlichen Wohnung durch den Beklagten, da die Kündigung vom 18.09.2006
unwirksam ist.
12 1. Es bestehen schon durchgreifende Bedenken hinsichtlich des Nutzungsinteresses seitens der Mutter des
Klägers Ziffer 1.
13 Nachdem der Vater des Klägers Ziffer 1, dessen körperliche Gebrechen maßgeblich als Grund für den in der
Kündigung vom 18.09.2006 (AS 9) geltend gemachten Eigenbedarf herangezogen worden waren, am
20.08.2007 und damit innerhalb der ordentlichen Kündigungsfrist verstorben war, war diese Veränderung der
tatsächlichen Verhältnisse insoweit zu berücksichtigen, dass nunmehr nur noch auf die Mutter des Klägers
Ziffer 1 abzustellen war (vgl. Schmidt-Futterer/ Blank , Mietrecht, 9.Aufl. 2007, § 573 BGB Rn. 70 m.w.N.).
14 Unterstellt man deren alleinigen Nutzungswillen hinsichtlich der vom Beklagten innegehaltenen Wohnung, so
erscheint dieser vor dem Hintergrund des Vortrags der Kläger als nicht nachvollziehbar. Zwar sind an das
Nutzungsinteresse keine überzogenen Anforderungen zu stellen, ausreichend ist, dass es‚ vernünftige,
nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraums’ gibt (a.a.O., § 573 BGB Rn. 88), solche
liegen hier aber nicht vor.
15 Wie sich aus dem Attest von Dr. med. Z ergibt, ist es für die Mutter des Klägers Ziffer 1 aus medizinischen
Gründen erforderlich, dass die Patientin in eine Erdgeschosswohnung umzieht, weshalb sie auch - wie die
Kläger vortragen lassen - infolge ihrer Wirbelsäulen- und Kniebeschwerden nicht in die Wohnung im 2.OG links
ziehen könne. Wenn aber aus medizinischer Sicht der Umzug in eine im Parterre gelegene Wohnung angezeigt
ist, erschließt sich nicht, warum der Beklagte aus seiner Wohnung im 1.OG ausziehen soll.
16 2. Des weiteren scheitert die Wirksamkeit der Kündigung vom 18.09.2006 an der Nichterfüllung der sog.
Anbietpflicht durch die Kläger.
17 Selbst wenn man - wie die Kläger vortragen - unterstellt, dass weder die im Erdgeschoss liegende 1-Zimmer-
Wohnung, noch die im 2.OG links und rechts gelegenen, jeweils 54m² großen 2-Zimmer-Wohnungen für die
Befriedigung des Eigenbedarfs für die Mutter des Klägers Ziffer 1 in Frage kommen, so hätten diese
Wohnungen vor der jeweiligen Weitervermietung dem Beklagten angeboten werden müssen. Diese Pflicht folgt
aus dem aus dem Mietvertrag entspringenden Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und gibt dem
Beklagten nach § 249 Abs. 1 BGB bei Nichtbefolgung einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses
(a.a.O., § 573 Rn. 116).
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a. Zwar wird die Anbietpflicht grundsätzlich nur durch nach Ausspruch der Kündigung freiwerdende und
nicht zur Stillung des Eigenbedarfs geeignete Alternativwohnungen ausgelöst, allerdings muss etwas
anderes dann gelten, wenn der Eigenbedarf dem Vermieter bereits vor Ausspruch der Kündigung
bekannt war und er dennoch auf ein Angebot verzichtet. So liegt der Fall hier: Die Kläger haben bereits
am 24.09.2005 und 29.05.2006 Eigenbedarfskündigungen zugunsten der Eltern des Klägers Ziffer 1
ausgesprochen, nach Hinweis des Beklagten zu deren formeller Unwirksamkeit jedoch deren
Weiterverfolgung eingestellt und am 18.09.2006 mit anwaltschaftlicher Hilfe neu kündigen lassen.
Unstreitig war im Jahr 2006 die im Erdgeschoss liegende 1-Zimmer-Wohnung frei. Dem Beklagten, der
sie nach eigenem Bekunden gerne angemietet hätte, wurde sie aber nicht angeboten. Zwar hat der
Kläger Ziffer 1 in der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2007 behauptet, er habe dem Beklagten die
Wohnung für EUR 215/Monat zzgl. EUR 40 für den Stellplatz angeboten und dieser habe abgelehnt,
der Beklagte hat diese Version - wie schon im Schriftsatz vom 29.11.2007 - auch in der mündlichen
Verhandlung bestritten, weshalb die für die Erfüllung der Anbietpflicht darlegungspflichtigen Kläger
(a.a.O., § 573 Rn. 132) mangels Beweisangebotes für ihre Behauptung beweisfällig blieben.
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b. Gleiches gilt für die im Mai 2007 - und damit nach Ausspruch der Kündigung - nach dem Auszug
des Familie Lösch frei gewordene, ebenfalls 54m² große Wohnung im 2.OG links. Diese wurde
unstreitig von den Klägern an die ursprünglich in der Nachbarwohnung (2.OG rechts) lebende Familie Z
im Juli 2007 weitervermietet.
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Zuvor hätte sie jedoch dem Beklagten angeboten werden müssen. Dieser Pflicht konnte man nicht
durch den Hinweis entgehen, der Beklagte habe die Anmietung dieser Wohnung ja ohnehin im
Schreiben vom 31.07.2007 abgelehnt. Denn dort wurde ausdrücklich erklärt, dass der Beklagte mit der
Anmietung dieser Wohnung einverstanden sei, wenn der Nettomietpreis pro m² mit dem bisher von ihm
bezahlten übereinstimmt. Entgegen der Ansicht der Kläger ist darin nicht die Ablehnung der Anmietung
zu sehen. Denn die Kläger haben keinen Anspruch darauf, die frei gewordene Alternativwohnung an
den Beklagten zum ortsüblichen Mietpreis weiterzuvermieten. Dies ergibt sich aus folgenden
Überlegungen:
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Anders als bei außerordentlichen Kündigungen, bei denen der Mieter regelmäßig für den
Kündigungsgrund verantwortlich ist, ist der Beklagte am Entstehen des für die Eigenbedarfskündigung
herangezogenen Kündigungsgrundes völlig unbeteiligt. Diese in der Vermietersphäre fußenden
Umstände dürfen ihm demnach nicht zum Nachteil gereichen.
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Dieses Ergebnis wird durch nachfolgende Kontrollüberlegung gestützt: Hätte sich der Eigenbedarf
durch Umzug der Angehörigen in eine frei gewordene Alternativwohnung realisieren lassen, hätten die
Kläger sich auch an dem niedrigen und in einem Altvertrag zwischen dem Beklagten und dem
Vorbesitzer des durch die Kläger erworbenen Hauses vereinbarten Mietzins festhalten lassen müssen
und hätten diesen ebenfalls nur in den Grenzen der §§ 558ff. BGB erhöhen können. Die Tatsache,
dass der Beklagte nun auch noch das Pech hatte, dass die frei gewordenen Alternativwohnungen für
die Mutter des Klägers Ziffer 1 nicht geeignet waren, kann nicht dazu führen, dass er neben den
Umzugskosten nun auch noch höhere Mieten zu entrichten hat. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB bezweckt
allein die Anerkennung des Herausgabeinteresses des Vermieters als ultima ratio, nachdem alle
anderen Möglichkeiten (Alternativwohnungen etc.) der Konfliktbewältigung ausgeschöpft wurden, stellt
aber keine neben den §§ 558ff. BGB stehende Mieterhöhungsoption dar.
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Dem kann nicht - wie vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung getan - entgegengesetzt
werden, dass der Kläger auch nicht gehindert war, von den neuen Mietern der im 2.OG befindlichen
Wohnungen eine höhere Miete (EUR 380 netto) zu verlangen. Denn diesen gegenüber bestand eben
keine aus § 241 Abs. 2 BGB folgende Anbietpflicht, sondern diese hatten die freie Entscheidung, beim
Ersteinzug eine höhere Miete zu akzeptieren oder von der Anmietung aus diesem Grunde Abstand zu
nehmen.
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Die Kläger waren durch den Erwerb des Hauses und dem damit nach § 566 Abs. 1 BGB verbundenen
Eintreten in die bestehenden Mietverträge an die von dem Vorbesitzer ausgehandelten Bedingungen
gebunden und können nicht alleine wegen des Eigenbedarfs zu einer ansonsten im Rahmen der
Mieterhöhungsvorschriften des BGB nicht möglichen Mieterhöhung (um mehr als 100%) greifen.
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Da der Beklagte damit zu Recht angemessene , d.h. in seinem Fall seinen alten Bedingungen
entsprechende Mietbedingungen (a.a.O., § 573 Rn. 115) forderte, war die klägerseitige Ablehnung der
Vermietung der im 2.OG links frei gewordenen Alternativwohnung mit der Nichterfüllung der
Anbietpflicht gleichzusetzen.
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c. Da auch hinsichtlich der nach dem Umzug der Familie Z aus der Wohnung im 2.OG rechts in die
Wohnung 2.OG links im Juli 2007 frei gewordenen 2-Zimmer-Wohnung von 54m² jeglicher Vortrag dazu
fehlt, warum diese dem Beklagten nicht angeboten wurde, scheitert der Herausgabeanspruch auch an
der diesbezüglichen Nichterfüllung der Anbietpflicht. Die Ausführungen unter b. zur Miethöhe gelten
entsprechend.
II.
27 Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 108 ZPO.