Urteil des AG Mannheim vom 27.10.2008

AG Mannheim (baden, gewohnheitsrecht, aug, gvg, württemberg, ausführung, form, farbe, 1995, braunschweig)

AG Mannheim Beschluß vom 27.10.2008, 29 Ds 408 Js 15343 - AK 1005/2007; 29 Ds
408 Js 15343 - AK 1005/07
Nichtzulassung eines Rechtsanwalts zur Verhandlung wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Tragung
der Amtstracht in Baden-Württemberg
Leitsätze
1. Nach § 21 baden-württemerbgisches EGGVG ist der Rechtsanwalt verpflichtet, beim Auftreten vor der
ordentlichen Gerichtsbarkeit des Landes Baden-Württemberg Hemd und Krawatte zu tragen.
2. Die Amtstracht der Rechtsanwälte entspricht der der Richter und Staatsanwälte. Letztere ist zwar nur durch
Rechtsverordnung gegenüber den Justizbediensteten verbindlich, sie konkretisiert aber zugleich auch
bundeseinheitliches Gewohnheitsrecht und hat damit Kraft Gesamtzusammenhang bindende Wirkung gegenüber
Rechtsanwälten.
3. Die Pflicht zum Tragen der Amtstracht besteht, um die Verhandlungsordnung zu sichern, überdies um
gegenüber dem Bürger deutlich zu machen, dass dem Anliegen des Rechtsanwalts mit Ernsthaftigkeit und
Respekt begegnet wird.
4. Entspricht das Auftreten des Rechtsanwalts nicht der Amtstracht, stellt dies einen schwerwiegenden Verstoß
dar, der gemäß § 176 GVG dessen Nichtzulassung bis zur Behebung des Mangels rechtfertigt.
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.]
Gründe
1
Rechtsanwalt … wird für die Hauptverhandlung vom … als Nebenklägervertreter gemäß § 176 GVG
zurückgewiesen und solange nicht zugelassen, als er entgegen § 21 (1) des baden-württembergischen
Gesetzes zur Ausführung des GVG und von Verfahrensgesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit die übliche
Amtstracht nicht trägt.
2
Rechtsanwalt …trägt keinen Langbinder.
3
Nach § 2 (1) der Verordnung des Justizministeriums über die Amtstracht bei den ordentlichen Gerichten
entspricht die Amtstracht der Rechtsanwälte jedoch (im wesentlichen) der der Richter und Staatsanwälte, die
aus einer schwarzen Robe mit Besatz besteht, zu der ein weißes Hemd mit weißem Langbinder zu tragen ist (
§ 1 der VO).
4
Rechtsanwälte sollen dies tun, können aber statt der weißen eine andere unauffällige Farbe wählen. Dies
bedeutet, dass unter der Robe jedenfalls Hemd und Krawatte zu tragen ist.
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Dies ergibt sich auch aus bundeseinheitlichem Gewohnheitsrecht (für Bayern: OLG München, 2. Strafsenat,
14.07.2006, 2 Ws 679/06, 2 Ws 684/06). Das bundeseinheitliche Gewohnheitsrecht findet in den bestehenden
untergesetzlichen landesrechtlichen Regelungen seine inhaltliche Konkretisierung. Sie entfaltet aufgrund ihrer
Rechtsnatur als Verwaltungsvorschrift zwar keine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber den
Rechtsanwälten, zeitigt aber über das Gewohnheitsrecht mittelbare Rechtswirkungen. Sie besagt, dass die
Amtstracht der Rechtsanwälte (wie auch der übrigen Rechtspflegeorgane) aus einer Robe in schwarzer Farbe
besteht, zu der eine weiße Halsbinde zu tragen ist. Dass dazu ein (weißes) Hemd gehört, ergibt sich zwar nicht
ausdrücklich aus dem Wortlaut, aber zweifelsfrei aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung.
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Die gewohnheitsrechtliche Regelung ist auch nicht infolge eingetretener gesellschaftlicher Veränderungen
gegenstandslos geworden. Da das Gewohnheitsrecht nicht anwaltliches Standesrecht regelt, sondern
Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht, kommt es auf die Erwartungen und Vorstellungen aller
Verfahrensbeteiligten an, insbesondere auch der Gerichte, und nicht nur der Rechtsanwälte (vgl. OLG
Braunschweig NJW 1995, 2113, 2114 f.). Auf die möglicherweise geänderten Wertvorstellungen anderer
gesellschaftlicher Gruppen, wie beispielsweise des sogenannten "Business", kommt es insoweit nicht an.
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Die genannte Bestimmung ist auch nicht durch § 20 BO-RA überholt. Die Verpflichtung zum Tragen von
Amtstracht hat für die Rechtsanwälte eine Doppelfunktion: Sie hat einerseits den Charakter einer Berufspflicht,
dient andererseits aber auch der verfahrensrechtlichen Pflicht zur Aufrechterhaltung einer bestimmten äußeren
Verhandlungsordnung (OLG Karlsruhe NJW 1977, 309, 311). Die erste Alternative wird durch § 20 BO-RA
geregelt, die zweite durch das Gewohnheitsrecht in seiner Ausgestaltung durch die landesrechtliche
Verwaltungsvorschrift (vgl. auch OLG Braunschweig NJW 1995, 2113, 2115). Soweit bestehen beide
Regelungen unabhängig nebeneinander.
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Nach dieser Maßgabe kann es keinem Zweifel unterliegen, dass das Tragen von Hemd und Krawatte vor
Gericht weiterhin einem breiten Konsens begegnet. Eine differenzierte Entwicklung hat sich lediglich insoweit
ergeben, als bei Rechtsanwälten (im Gegensatz zu Richtern und Staatsanwälten) inzwischen auch farbige
Hemden und Krawatten in dezenter Ausführung als angemessen angesehen werden.
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Die Pflicht zum Tragen der Amtstracht besteht auch, um dem Bürger auch vor Gericht durch das Auftreten in
einer bestimmten äußeren Form deutlich zu machen, dass seinem Anliegen im Verfahren ernsthaft und mit
Respekt begegnet werde. Die Verpflichtung, vor Gericht eine Robe zu tragen ist vom
Bundesverfassungsgericht bereits als verfassungsgemäß anerkannt worden. Die Vorschriften über die
Kleidungsstücke, die zu der Robe getragen werden müssen, sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie sollen
verhindern, dass durch das Tragen unangemessener Kleidungsstücke zur Robe letztere und damit mittelbar
das Verfahren abgewertet würde.
10 Gegen diese Verpflichtung hat Rechtsanwalt … verstoßen.
11 Ein solcher Auftritt vor einem Strafgericht ist unter keinem Gesichtspunkt hinnehmbar. Der Verstoß ist auch
schwerwiegend und rechtfertigt bei andauernder Verweigerung nach § 176 GVG die Verhängung der
ausgesprochenen sitzungspolizeilichen Maßnahme. Es handelt sich nicht um einen, durch sachliche
Erwägungen begründeten Verstoß, sondern um eine generelle und in provokativer Form verweigerte Erfüllung
verfahrensrechtlicher Verhaltensnormen.
12 Zu der vorgetragenen Begründung, er besitze keine Krawatte versagt sich das Gericht eine Erörterung.
13 Die nachteiligen Folgen der Ausschließungen für den Mandanten hätte der Rechtsanwalt durch normgerechtes
Verhalten unschwer verhindern können.
14 Insoweit ist die Zurückweisung ist auch nicht unverhältnismäßig. Der Rechtsanwalt kann diese Maßnahme
ohne unzumutbare Belastung durch Tragen eines angemessenen Langbinders abwenden.
15 Es wird auf BVerfG ( 1 BvR 226/69), NJW 1970,851; BVerfG (1 BVR 280/71),BayVB1 1973,108; OLG
Karlsruhe (2 Ws143/76), NJW 1977, 309 ff. ; VG Berlin (VG 12 A 399.04) Urteil v. 26.7.06; KG Berlin (3 Ws
297/76), JR 1977,172 f. und die weitere gefestigte Rechtsprechung verwiesen.
16 Rechtsmittel: Beschwerde