Urteil des AG Mannheim vom 26.05.2008

AG Mannheim (schuldner, treuhänder, antrag, tätigkeit, gleichstellung, obliegenheit, zahnarzt, beendigung, frist, gläubiger)

AG Mannheim Beschluß vom 26.5.2008, IN 291/01
Restschuldbefreiung: Versagungsantrag wegen nicht regelmäßiger Zahlungen eines selbständigen
Zahnarztes an die Insolvenzmasse
Leitsätze
Über den Antrag, dem selbständigen Schuldner die Restschuldbefreiung wegen Nichabführens der Beträge gemäß
§ 295 Abs. 2 InsO zu versagen, kann mangels Feststellbarkeit einer Obliegenheitsverletzung erst mit Beendigung
der ganz oder vollständig nicht genügt hat. Zwar wird damit das Ziel der Vorschrift, den selbständigen Schuldner,
dem abhängig geschäftigten Schuldner gleichzustellen, verfehlt, ddas ist jedoch Folge davon, dass es der
Gesetzgeber unterlassen hat, konkrete Zahlungstermine in § 295 Abs. 2 InsO anzuordnen.
Tenor
1. Der Antrag der Gläubigerin … dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wird zurückgewiesen.
2. Die Gläubigerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf EUR 59.337,86 festgesetzt.
Gründe
I.
1
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners wurde am 19.7.2001 eröffnet und am 14.6.2004
mit Ankündigung der Restschuldbefreiung aufgehoben. Seitdem befindet sich der Schuldner in der bis zum
13.6.2011 laufenden Treuhandperiode.
2
Der Schuldner ist Zahnarzt und betrieb bis zum 31.12.2001 eine Zahnarztpraxis, die auf Dauer wirtschaftlich
nicht erfolgreich fortgeführt werden konnte und deswegen aufgegeben wurde. Der Schuldner war in der
Folgezeit Gesellschafter einer zahnärztlichen Partnerschaftsgesellschaft, von der er monatliche
Abschlagszahlungen auf den Gewinnanteil von EUR 1.000,- erhielt. Der Insolvenzverwalter hat ihm Unterhalt
aus der Masse gewährt.
3
Während der Wohlverhaltensperiode war der Schuldner zeitweise selbständig tätig, die er zum 31.12.2004
beendete. Übergangsweise erhielt er monatliche EUR 3.300,- (Bl. 253). Diese Beträge wurden indessen nicht
zur Masse gezogen (Bl. 291). Der Schuldner war in der Folgezeit als Praxisvertreter tätig und hatte bis 2007
keine nennenswerte Zahlungen an die Masse vorgenommen; der Barbestand beträgt etwa EUR 8.000,-.
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Mit Schriftsatz vom 15.11.2007 beantragte die Gläubigerin … dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu
versagen. Sie trägt vor,
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der Schuldner sei verpflichtet, monatlich mindestens EUR 801,40 an den Treuhänder abzuführen, denn dies sei
der Betrag, den er im Falle einer unselbständigen Tätigkeit als Zahnarzt aufbringen könnte und müsste. Sie
hätte gegenüber dem Treuhänder darauf gedrungen, dass die offenen Beträge bis zum dritten Jahr der
Wohlverhaltensperiode ausgeglichen würden, was nach dem Bericht des Treuhänders vom 16.8.2007 nicht
geschehen sei. Der Schuldner habe solchermaßen seine Obliegenheiten verletzt.
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Der Schuldner ist dem Antrag entgegengetreten, u. a. mit der Behauptung, während der Treuhandphase keine
Einkünfte zum Abführen verdient zu haben. Der Versagungsantrag sei unzulässig, da die Frist der
Antragstellung versäumt worden sei. Die Jahresfrist des § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO sei bereits zum 19.9.2006
abgelaufen gewesen. Auch fehle es an der Glaubhaftmachung insbesondere des Verschuldens. Eine
Beeinträchtigung der Gläubiger finde nicht statt, da dem Schuldner das Eingehen eines angemessenen
Dienstverhältnisses nicht offen gestanden habe.
7
Der Treuhänder hat ausgeführt,
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der Schuldner könne selbst bestimmen ob und wann er Beträge an ihn abführe, dies könne er bis zum Ende
der Wohlverhaltensperiode nachholen. Mangels bestehender Pflicht liege eine Obliegenheitsverletzung derzeit
nicht vor.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze samt
Anlagen verwiesen.
II.
10 Der Antrag der Gläubigerin, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen ist zulässig, aber gegenwärtig
nicht begründet.
11 Die Gläubigerin hat den Antrag durch Vorlage der Wirtschaftsjahresberichte des Treuhänders vom 5.7.2005,
21.7.2006 und 16.8.2007 hinreichend glaubhaft gemacht, weshalb das erkennende Gericht in die Sachprüfung
eintreten konnte. Weitergehende Anforderungen über die Nichtleistung und das fiktive Einkommen, wie
insbesondere der Schuldnervertreter in seinem Schriftsatz vom 14.5.2008 forderte, sind von Gesetzes wegen
nicht zu fordern ( AG Darmstadt , JurBüro 2006, 100).
12 In der Sache hat der Versagungsantrag mangels Verletzung einer Obliegenheit gegenwärtig keinen Erfolg.
Unstreitig befindet sich der Schuldner gegenwärtig in der Treuhandphase und die Frage, ob er seine
Obliegenheit i.S. § 295 Abs. 2 InsO erfüllt, lässt sich erst mit dem Ende der Treuhandperiode verbindlich
beantworten.
13 § 295 Abs. 2 InsO verpflichtet den Schuldner nicht, zu bestimmten Terminen Zahlungen an den Treuhänder zu
erbringen. Diese Entscheidung verbleibt beim Schuldner, der selbständig darüber zu befinden hat, ob und wann
er seinen Zahlungsverpflichtungen genügt. Insoweit hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, in die
selbständige Struktur des unternehmerischen Handelns des Schuldners einzugreifen ( Ehricke in: Münchener-
Kommentar-InsO, 1. Aufl., § 295 Rdnr. 112).
14 Dem steht nicht entgegen, dass § 295 Abs. 2 InsO die Gleichstellung mit dem unselbständig Tätigkeit durch
die Orientierung an den Einkommensverhältnissen eines angemessenen Dienstverhältnisses herbeiführt. Diese
Gleichstellung beschränkt sich ausschließlich auf die Höhe des Mindestbetrages, der der Masse am Ende der
Wohlverhaltensperiode zu Gute kommen muss. Die selbständige Entschließung des Schuldners über den
Zeitpunkt der Zahlungen bleibt erhalten.
15 Gegenteiliges ist auch nicht daraus abzuleiten, dass der Schuldner die Beträge gemäß § 295 Abs. 2 InsO zu
„garantieren“ hat. Das auf diese Weise eingeführte normative Haftungsmodell ( Ahrens in: FK, 4. Aufl., § 295
Rdnr. 64) lässt die freie Entscheidung des Schuldners, etwa in der unwirtschaftlichen selbständigen Tätigkeit
zu verharren, unangetastet und sanktioniert sie nur durch die Möglichkeit der Versagung.
16 Dabei wird nicht verkannt, dass auch der Standpunkt vertreten wird, der Schuldner müsse rückständige
Beträge binnen eines Jahres ausgleichen ( Grote, ZInsO 2004, 1105, 1107; AG Darmstadt , JurBüro 2006,
100), allein dafür gibt der Gesetzeswortlaut nichts her. Wie etwa der Blick auf § 298 Abs. 1 Satz 1 InsO zeigt,
ist dem Gesetzgeber sehr wohl die Möglichkeit, dem Schuldner bei der Obliegenheitserfüllung bestimmte
Fristen zu setzen bewusst. Diese Entscheidung des Gesetzgebers bindet das erkennende Gericht, sie kann
nicht über die Einführung von Zahlungsterminen revidiert werden, denn sie macht ohne dogmatische
Rechtfertigung Mögliches zu Notwendigen ( Ehrike a.a.O. Rdnr. 108 a.E.).
17 Zwar hat das erkennende Gericht in seinem Hinweisbeschluss vom 12.2.2008 die Auffassung vertreten, es
komme entscheidend für eine vorzeitige Entscheidung über die Versagung darauf an, ob der Schuldner in der
Lage sein wird, bis zur Beendigung der Wohlverhaltensperiode die aufgelaufenen Rückstände abzutragen, doch
wird daran nicht mehr festgehalten.
18 Der Personenkreis der mit § 295 Abs. 2 InsO angesprochen wird, sind Selbständige, die anders als abhängig
Beschäftigte ausschließlich von ihrem wirtschaftlichen Erfolg abhängen. Indem die Möglichkeit des Verfehlens
des wirtschaftlichen Zieles zum Ende der Wohlverhaltensperiode mindestens die pfändbaren Beträge zu
erwirtschaften, die während des Laufs der Periode ein abhängig Beschäftigter mindestens erwirtschaftet hätte,
zur Grundlage der gerichtlichen Entscheidung über die vorzeitige Versagung der Restschuldbefreiung gemacht
wird, greift das Insolvenzgericht in den ausschließlichen Entscheidungsrahmen des Schuldners ein. Eine
solche Kompetenzanmaßung, auch wenn sie sinnvoll erscheinen mag, lässt das Gesetz nicht zu.
19 Ein Weiteres kommt hinzu: Der Vergleichsmaßstab, der Auskunft über die Höhe der Zahlungen gibt, wird
üblicher Weise in der Praxis erst im Rahmen des Versagungsverfahrens festgelegt. Zwar kann das
Insolvenzgericht diesen Betrag zu Beginn der Wohlverhaltensperiode bestimmen ( Ehrike a.a.O. Rdnr. 110),
jedoch sieht die Praxis in der Regel aus vielerlei Gründen davon ab. In diesen Fällen wird von der Möglichkeit
Verhaltens steuernder Konkretisierung der Obliegenheit keinen Gebrauch gemacht, weshalb insbesondere in
Grenzfällen wie den vorliegenden, die Annahme eines Verschuldens i.S.d. § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO erschwert
wird.
20 Nach alledem ist der Versagungsantrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt unbegründet, kann jedoch zum Ende der
Wohlverhaltensperiode wiederholt werden. Für diesen Fall weist das Gericht auf das Nachstehende:
21 Die Frist zur Antragstellung gemäß § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO beginnt mit Kenntnis vom Schlussbericht zum
Ende der Wohlverhaltensperiode. Entgegen der Auffassung des Schuldners setzt die Antragsfrist nicht mit dem
erstmaligen Nichtabführen von Zahlungen ein, denn eine solche Pflicht existiert vor Ende der
Wohlverhaltensperiode nicht und bietet deshalb keine taugliche Grundlage für verfahrensrechtliche Sanktionen.
22 Der von der Gläubigerin aufgezeigte Vergleichsmaßstab für den Schuldner ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die TVÖD/TV-L 2004 für angestellte Zahnärzte entspricht der angemessenen Dienstverhältnis i.S.d. § 295
Abs. 2 InsO. Zwar handelt es sich stets um eine Frage des Einzelfalls, die nähere Ausgestaltung des
finanziellen Rahmens, der für die Leistungen an den Treuhänder maßgebend ist, wird ausschließlich von der
erstrebten Gleichstellung von Selbständigen und Unselbständigen bestimmt. Der Erstgenannte soll keine
Vorteile aus seiner Tätigkeit zu Lasten der Gläubiger ziehen, was der Fall wäre, wenn er die Erträge seiner
Selbständigkeit durch Verluste oder sonstige Einbußen verringert könnte. Die Gleichbehandlung beider gelingt
deshalb nur, wenn sich der Mindestbetrag, der an den Treuhänder abzuführen ist, an der Untergrenze
vergleichbarer unselbständiger Beschäftigungsverhältnisse orientiert. Dazu ist die Vergütungssituation des
öffentlichen Dienstes ein für die Gleichstellung geeigneter Bezugspunkt.
23 Im Ergebnis wird sich der Schuldner darauf einzustellen haben, mit Beendigung der Wohlverhaltensperiode die
pfandfreien Beträge an den Treuhänder abzuführen zu müssen, die er hätte abführen können, hätte er während
der Wohlverhaltensperiode im öffentlichen Dienst als angestellter Zahnarzt gearbeitet.
24 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 4 InsO, 91 ZPO.
25 Die Festsetzung des Streitwerts orientierte sich an der Forderung der antragstellenden Gläubigerin (DM
1.160.547,83) und ist mit 10% ausreichend berücksichtigt.