Urteil des AG Mannheim vom 08.02.2010

AG Mannheim (gerichtsbarkeit, zpo, vergleich, rechtsmittel, verfügung, sache, abänderung, rechtskraft, gvg, zweck)

AG Mannheim Beschluß vom 8.2.2010, 4 UR II 11/05 WEG
Abänderungsverfahren und neues WEG-Recht
Leitsätze
1. Das Abänderungsverfahren gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F. ist nach altem Recht fortzuführen, wenn die
abzuändernde Entscheidung oder abzuändernder Vergleich unter dem Regime des alten Rechts im Rahmen der
freiwilligen Gerichtsbarkeit erging bzw. abgeschlossen wurde.
2. Das gilt auch dann, wenn der das Verfahren einleitende Änderungsantrag nach dem 1.7.2007 bei Gericht
einkommt. § 62 WEG steht dem nicht entgegen, weil Verfügungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit
Dauerwirkung "latend" anhängig bleiben und die Anwendung des neuen Rechts entgegen der Absicht des
Gesetzgebers die flexible Änderungsmöglichkeit preisgibt und nachhaltig erschwert.
Tenor
Das angerufene Amtsgericht Mannheim ist als Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß § 43 Abs. 1 WEG
a.F. für das Abänderungsverfahren gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F. zuständig.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten schlossen am 12.5.2005 vor dem erkennenden Gericht einen Vergleich, mit dem die
bestehende Teilungserklärung geändert wurde, zugleich beantragten sie, die Änderungen im Grundbuch
einzutragen (Bl. 249ff.). Mit Schriftsatz vom 5.1.2010 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte der
Antragsgegner, das sind die übrigen Mitglieder der Wohnanlage..., ausgenommen die Antragsteller das
Verfahren zum Zwecke der Abänderung des Vergleichs fortzuführen. Zur Begründung wurde angeführt, dass
verschiedene Eigentümerwechsel stattgefunden hätten und deswegen die an den Vergleich angesiegelte
Eigentümerliste nicht mehr die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse wiedergebe. Daher weigere sich das
zuständige Grundbuchamt, den am 12.5.2010 geschlossenen Vergleich grundbuchlich zu vollziehen.
2
Das Gericht hat mit Verfügung vom 13.1.2010 rechtliche Hinweise an die Beteiligten erteilt, worauf sich die
Beteiligten in der Sache einig waren, das Verfahren gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F. fortzuführen.
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Ergänzend wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Der Antrag ist zulässig, das Verfahren gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F. ist vor dem angerufenen Gericht eröffnet.
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Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß § 43f. WEG a.F. ist eine Zwischenentscheidung in
entsprechender Anwendung des § 280 ZPO zulässig (KG, NJW-RR 1989, 143). Wird ein Verfahren zur
Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung oder eines Vergleichs gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F. betrieben,
die unter dem Regime des alten Rechts ergingen bzw. geschlossen wurden, handelt es sich unabhängig vom
Zeitpunkt des Antragseingangs um ein am 1.7.2007 bereits „anhängiges“ Verfahren, es ist nach altem Recht zu
führen.
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„Anhängig“ i.S.d. § 62 Abs. 1 WEG wird ein Verfahren durch Klageeinreichung gemäß § 261 Abs. 1 ZPO.
Maßgeblich ist der Eingang, nicht ihre Zustellung. Diese Anhängigkeit dauert zumindest bis zum
rechtskräftigen Abschluss der Instanzen fort, denn sog. „Altverfahren“ waren auch nach dem 1.7.2007 von dem
gemäß § 45 Abs. 1 WEG a.F. zuständigen Beschwerdegericht bzw. Oberlandesgericht die nach den
landesrechtlichen Vorschriften dem entscheidenden Amtsgericht vorgeordnet sind, „anhängig“; die
Rechtsmittelkonzentration des § 72 Abs. 2 GVG findet erst auf Verfahren Anwendung, die nach dem 1.7.2007
„anhängig“ werden, mithin wenn der Verfahrenseinleitende Antrag nach diesem Datum bei Gericht einkommt
(OLG München , NZM 2008, 168; OLG Frankfurt , NZM 2008, 168, 169).
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Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift des § 62 WEG ist, beim Übergang vom alten auf das neue Recht
Verzögerungen und Erschwerungen zu vermeiden (vgl. BT-Dr 16/887, S. 43 = NZM 2006, 401, 406). Die auch
mit § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom
13. 4. 2007 angestrebte Harmonisierung der Gerichtsverfahren (vgl. BT-Dr 16/887, S. 12 = NZM 2006,401, 406)
soll sich nach der ausdrücklichen Regelung in der Übergangsvorschrift des § 62 Abs. 1 WEG auf die
„Altverfahren” gerade nicht beziehen. Demgemäß wird auch in den aufgeführten Gesetzesmaterialien jeweils
davon ausgegangen, dass die Änderung des Instanzenzugs (erst) einhergeht mit der Verlagerung der
Wohnungseigentumsverfahren zur ZPO (vgl. etwa BT-Dr 16/887, S. 13 = NZM 2006, 401, 407). Tragfähige
Anhaltspunkte dafür, dass es dem entgegen auch für „Altverfahren” bereits zu einer Zuständigkeitsänderung in
der Rechtsmittelinstanz kommen sollte, finden sich darin nicht (OLG Frankfurt , a.a.O.).
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Verzögerungen und Erschwerungen entgegen dem Zweck der Übergangsvorschrift, fänden statt, wenn anstelle
des nach den Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeit entscheidenden Erstgerichts, eine Zivilprozessabteilung
eines Gerichts entscheiden müsste. Damit ginge ein Wechsel der Gerichtsbarkeit „zwischen den Instanzen“
einher, der zu vermeiden ist.
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Aus der systematischen Stellung des § 45 Abs. 4 WEG a.F. im Rahmen der Rechtsmittelordnung folgt, dass
dieselben Gründe, die für die Rechtsmittel in „Altverfahren“ auch auf das Änderungsverfahren zutreffen.
Vermöge der in § 45 Abs. 4 WEG a.F. vorgenommen Gleichstellung von Rechtsmittel- und Änderungsverfahren
kommt es nicht maßgeblich auf den Eingang des Rechtsmittelantrages bzw. des Änderungsantrages an,
sondern allein darauf, ob das beschrittene „Altverfahren“ fortzuführen ist. In den Verfahren gemäß § 45 Abs. 1
und Abs. 4 WEG a.F. hängt das entscheidend davon ab, ob der anzufechtende bzw. abzuändernde Beschluss
oder Vergleich unter dem alten Recht zustande gekommen ist. Das bestätigt die weitere Überlegung: § 45
WEG a.F. behandelt, so seine gesetzliche Überschrift, „Rechtsmittel“ und „Rechtskraft“ und, da die
Änderungsmöglichkeit des § 45 Abs. 4 WEG a.F. eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft zulässt
(Niedenführ/Schulze , WEG, 6. Aufl., § 45 Rdnr. 63), kann von einer rechtskräftigen Verfahrensbeendigung im
üblichen Sinne nicht gesprochen werden. Potenziell abänderbare Entscheidungen und Vergleiche i.S.d. § 45
Abs. 4 WEG a.F. bleiben damit „anhängig“. Das haben sie mit rechtsmittelfähigen Entscheidungen in
„Altverfahren“, die nach dem 1.7.2007 ergehen gemeinsam.
10 Stellte man demgegenüber auf den Eingang der Rechtsmittel- bzw. Änderungsschrift nach dem 1.7.2007 ab,
führte das zu unerwünschten Verzögerungen und Erschwernissen. Die Beteiligten können nicht auf § 323 ZPO
verwiesen werden, denn der zur Änderung anstehende Vergleich, der im wesentlichen aus Bestimmungen der
Teilungserklärung besteht, enthält keine Verpflichtung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen
i.S.d. § 323 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. auch § 238 FamFG). Auch wenn seine Herkunft aus dem Verfahren der
freiwilligen Gerichtsbarkeit der Abänderung gemäß § 323 ZPO grundsätzlich nicht entgegensteht, ist es
unverzichtbar, dass der Schuldtitel über bürgerlich-rechtliche Ansprüche befindet (Stein-Jonas/Leipold , ZPO,
20. Aufl., § 323 Rdnr. 16). Das ist bei einer Teilungserklärung, die solche Ansprüche erst schafft, nicht der Fall.
11 Die den Beteiligten des hiesigen Verfahrens verbleibende Möglichkeit einer auf die §§ 10 Abs. 2 Satz 3 WEG,
313 Abs. 1 BGB gestützten Klage vor dem Prozessgericht müsste den gesamten Prozessstoff erneut
aufrollen, was mit erheblichen Verzögerungen einhergeht. Dabei stellt sich überdies die Frage, ob das
Prozessgericht ändernd in einen Titel der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingreifen darf; einen solchen Eingriff sieht
weder das alte noch das neue WEG-Recht vor.
12 Das bestätigt die Nähe zum gesetzlichen Vorbild des § 45 Abs. 4 WEG a.F., dem § 17 HausrVO. Hier wie dort
entfaltet die Erstentscheidung insoweit Bindungswirkung, als die Grundlage der Erstentscheidung gewahrt
bleiben muss (vgl. § 323 Abs. 4 ZPO; Zöller/Vollkommer , ZPO 28. Aufl. 46). Diese Verklammerung wahrt nur,
wenn auch Anträge gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F., die nach dem 1.7.2007 bei Gericht eingehen, nach altem
Recht bearbeitet werden. Dies wahrt das Vertrauen der Beteiligten in die rechtskräftig ergangene gerichtliche
Verfügung oder Vergleich, denn der Eingriffsbefugnis des Gerichts sind aus Gründen der Rechtskraftwirkung
Grenzen gesetzt (Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 45 Rdnr. 126).
13 Die Typizität der Verfügungen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die häufig durch die Dauerwirkung der
Verfügung gekennzeichnet sind, bestätigt dies. In dem hier abzuändernden gerichtlichen Vergleich vereinbaren
sich die Beteiligten über eine geänderte Teilungserklärung, deren Dauerwirkung auf der Hand liegt. Daran hat
sich unter der Geltung des neuen Rechts, namentlich des § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG prinzipiell nichts geändert.
Für diese Entscheidungen und Vergleiche mit Dauerwirkungen war § 45 Abs. 4 WEG a.F. konzipiert, um
elastisch auf geänderte Tatsachen reagieren zu können (Keidel/Kuntze/Winkler , FGG, 15. Aufl., § 31 Rdnr.
23). Darauf zu verzichten, stellt einmal mehr ein Erschwernis dar, das § 62 Abs. 1 WEG vermeiden will.
14 Das Verfahren gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F. bildet mit dem vorangegangenen Verfahrensabschnitt und seinen
Ergebnissen eine Einheit. Zwar sind Verfügungen nach Eintritt der formellen Rechtskraft nicht abänderbar i.S.d.
§ 18 FGG (Keidel/Kuntze/Winkler , § 18 Rdnr. 14), doch die Sondervorschrift des § 45 Abs. 4 WEG a.F. lässt
auch eine Änderung rechtskräftiger Entscheidungen zu (Keidel/Kuntze/Winkler , § 18 Rdnr. 51), dies allerdings
mit der Einschränkung, dass einer geänderten Rechtsauffassung bei unverändertem Sachverhalt ebenso wenig
Rechnung getragen werden darf, wie der Berücksichtigung verdeckt gebliebener Tatsachen.
15 Die Sondervorschrift des § 45 Abs. 4 WEG a.F. erweist sich als Ausschnitt des § 18 FGG, beschränkt auf
Änderungsverfahren von Entscheidungen und Vergleichen wegen des Entstehens neuer Tatsachen. In diesem
Fällen sind die neuen Tatsachen in demselben Verfahren zu berücksichtigen. Zwar ist ein neues Verfahren
einzuleiten, wenn die Zuständigkeit des Gerichts neu bestimmt werden muss (Keidel/Kuntze/Winkler , § 18
Rdnr. 29), das ist bei § 45 Abs. 4 WEG a.F. entbehrlich, denn stets bleibt das Amtsgericht zuständig, auch
wenn es eine Änderung einer Beschwerdeentscheidung vornimmt (OLG Frankfurt , OLGZ 1988, 61, 62). Die
Entscheidung ergeht deshalb nicht als Zweitentscheidung in einem neuen Verfahren, sondern der Sache nach
wird das bisherige Verfahren fortgeführt und rechtfertigt einmal mehr die Auffassung, das Verfahren in Bezug
auf § 45 Abs. 4 WEG a.F. als „anhängig“ zu bezeichnen.
16 Zwar ist denkbar, für die Anwendbarkeit des alten Rechts, den Antragseingang vor dem 1.7.2007 zu fordern,
doch führte das zu den bereits dargestellten Erschwerungen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind.
Tragfähige Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber den Beteiligten ab dem 2.7.2007 das flexible Instrument des
§ 45 Abs. 4 WEG a.F. nehmen wollte, sind angesichts des über das Datum hinaus bestehenden Bedürfnisses
nach Änderungen von Verfügungen und Vergleichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Dauerwirkung nicht
erkennbar.
17 Nach alledem ist das Verfahren gemäß § 45 Abs. 4 WEG a.F. zulässig und vor dem erkennenden Gericht
fortzuführen. Da es sich um eine Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 280 ZPO handelt, wird
eine Entscheidung in der Sache nicht vorweggenommen.