Urteil des AG Mannheim vom 19.12.2002

AG Mannheim: duldungspflicht, verfügung, vermieter, treppenhaus, garage, umbau, heizung, unterlassen, erneuerung, mietwohnung

AG Mannheim Urteil vom 19.12.2002, 10 C 209/02
Tenor
1. Dem Verfügungsbeklagten wird - unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR - aufgegeben, nachfolgend näher spezifizierte
Maßnahmen zu unterlassen, solange er dem Verfügungskläger nicht entweder eine alternative, gleichwertige Wohnung überlässt oder diesem die
hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt und der Verfügungskläger eine Alternative gefunden hat:
Fortsetzung von Abrissarbeiten in allen Wohnungen im Haus insbesondere durch
- das Herausschlagen von Wänden
- das Abschlagen des Putzes und der Fließen von den Wänden
- die Entfernung des Bodenbelages
die Entfernung oder Unterbrechung von Versorgungsleitungen (Wasser, Strom, Heizung, Telefon, TV-Kabel u.s.w.)
das Abdecken des Daches und das Abreißen des Dachgeschosses.
2. Dem Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, dass Treppenhaus unverzüglich grundlegend zu säubern und den ungestörten Zugang zur
Wohnung, zum Kellerraum und zur Garage des Verfügungsklägers zu gewährleisten.
3. Die Kosten des Rechtstreits hat der Verfügungsbeklagten zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Einstellung von Baumaßnahmen im Anwesen. Der Verfügungskläger ist seit 16 Jahren Mieter in dem Anwesen und
zwar im 1. OG, bestehend aus 6 Zimmern, Küche, Bad, Keller, Bodenraum und Garage. Der Verfügungsbeklagte erwarb das Anwesen im Juni
2002 zu Eigentum.
2
Seit 20.09.02 finden in dem Anwesen Bauarbeiten statt.
3
Durch Schreiben vom 08.07.2002 wies der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger darauf hin, dass ab 15.09.2002
Kernsanierungsmaßnahmen“ durchgeführt würden mit folgendem Umfang:
4
- Erneuerung des Daches
5
- Entkernung des Nottreppenhauses
6
- Entkernung der beiden Einheiten im Souterrain
7
- Erneuerung sämtlicher Steigstränge
8
- Entkernung Wohnung Dr. I
9
- Weitere Innenausbaumaßnahmen in Absprache mit den neuen Erwerbern.
10 Weiter wurde aufgeführt, welchem Zweck die Arbeiten dienen sollen. Wegen des genauen Inhalts des Schreibens wird auf die Kopie As. 13 -14
verwiesen.
11 Der Verfügungskläger meint, der Inhalt des Schreibens vom 08.07.2002 habe nicht den Anforderungen des § 554 Abs. 3 BGB entsprochen, da es
keinerlei Zeitangaben über die Dauer der Maßnahme beinhalte, zudem den Umfang der Arbeiten ungenau bezeichne. So sei in dem Schreiben
nicht erwähnt worden, dass auch die Wohnung über der des Verfügungsklägers entkernt werden soll. Weiterhin sei nicht mitgeteilt worden, dass
beabsichtigt sei das gesamte Dachgeschoss abzuheben und zu erneuern.
12 Die Baumaßnahmen stellten zudem für den Verfügungskläger und seine Ehefrau eine unzumutbare Härte dar. Die Baumaßnahmen hätten zur
Folge, dass teilweise über Stunden mit Presslufthämmern auch in der Wohnung über der des Verfügungsklägers gearbeitet werde, wodurch eine
unerträgliche Lärmbelästigung entstehe; dies teilweise an bis zu sechs Tagen die Woche. In der Wohnung sei eine normale Unterhaltung nicht
mehr möglich, ebenso wenig ein Arbeiten oder ungestörtes Lesen. Aufgrund der Lärmbelästigung seien bereits gesundheitliche Nachteile
(Kopfschmerzen) eingetreten, weitere Beeinträchtigungen seien zu erwarten. Dazu komme eine erhebliche Staubbelastung, wobei sich der
Staub durch die Fensterritzen und die Eingangstür auch in die Wohnung des Verfügungsklägers eindringe. Dies sei insbesondere deswegen
unzumutbar, weil die Ehefrau des Verfügungsklägers an Asthma leide.
13 Wiederholt sei es zu Unterbrechungen der Versorgungsleitungen gekommen. So sei in der Zeit vom 22.09. bis 01.10.02 bei extrem kalter
Witterung die Heizung ausgefallen. Immer wieder falle der Strom aus. Insgesamt gesehen sei die Wohnung während der Arbeitszeiten von 7.30
bis ca. 16.00 Uhr unbewohnbar.
14 Das tatsächliche Ausmaß der Baumaßnahmen habe sich zunehmend steigernd entwickelt, so dass der Verfügungskläger zunächst noch
geglaubt habe zusehen zu können aber dann zunehmend feststellen musste, dass die Maßnahmen immer unzumutbarer geworden seien.
Wegen der vorgetragenen Chronologie der Ereignisse wird auf das Schreiben des Verfügungsklägers an RA vom 06.12.2002 ( As. 65 - 68)
verwiesen.
15 Mit den übrigen Mieter habe der Verfügungsbeklagte Abfindungsverträge zur Auflösung der Mietverträge geschlossen. Nur gegenüber dem
Verfügungskläger verweigere er sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen jeglichen Verhandlungen.
16 Der
Verfügungskläger
17 1. Dem Verfügungsbeklagten wird - unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR - aufgegeben, nachfolgend näher
spezifizierte Maßnahmen zu unterlassen, solange er dem Verfügungskläger nicht entweder eine alternative, gleichwertige Wohnung überlässt
oder diesem die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt und der Verfügungskläger eine Alternative gefunden hat:
18 Fortsetzung von Abrissarbeiten in allen Wohnungen im Haus , insbesondere durch
19 - das Herausschlagen von Wänden
20 - das Abschlagen des Putzes und der Fließen von den Wänden
21 - die Entfernung des Bodenbelages
22 - die Entfernung oder Unterbrechung von Versorgungsleitungen (Wasser, Strom, Heizung, Telefon, TV-Kabel u.s.w.)
23 - das Abdecken des Daches, Abreißen des Dachgeschosses.
24 2. Dem Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, dass Treppenhaus unverzüglich grundlegend zu säubern und den ungestörten Zugang zur
Wohnung, zum Kellerraum und zur Garage des Verfügungsklägers zu gewährleisten.
25 Der
Verfügungsbeklagte
26 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
27 Er führte aus, die Voreigentümerin, die Rheinische Hypothekenbank, habe über viele Jahre die erforderlichen Renovierungs- bzw.
Instandhaltungsarbeiten in erheblichem Maße vernachlässigt, worauf insbesondere der Verfügungskläger in mehreren Schreiben an die
Voreigentümerin hingewiesen und die Durchführung von Renovierungsarbeiten gefordert habe.
28 Der Verfügungsbeklagte beabsichtige das Gebäude von Grunde auf zu sanieren bzw. zu renovieren. Sämtlichen Mietern sei angeboten worden,
die einzelnen Wohnungen nach Beendigung der Arbeiten entweder selbst zu erwerben oder aber gegen einen angemessen angehobenen
Mietzins weiter zu mieten. Auch mit dem Verfügungskläger seien entsprechende Gespräche geführt worden, die Parteien hätten sich jedoch über
keinen Kaufpreis verständigen können.
29 Der Verfügungskläger habe den Renovierungs- und Sanierungsarbeiten bis heute nicht ausdrücklich widersprochen. Der Umfang der
Maßnahmen überschreite auch nicht die Grenze des Zumutbaren. Der Verfügungsbeklagte bzw. die Handwerker hielten sich strikt an die
gesetzlichen Ruhezeiten. Weder zur Mittagszeit, noch während der Abend- oder Nachtzeiten würden mit Arbeiten die mit Lärmbelästigungen
verbunden sind durchgeführt. Die Wohnung des Verfügungsklägers sei bisher autark; die Versorgungsleitungen seien, abgesehen von
geringfügigen kurzfristigen Unterbrechungen, stets verfügbar gewesen. Nach jedem Arbeitsgang werde das Treppenhaus besenrein
hergerichtet.
30 Wegen der Einzelheiten des gegenseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das
Parteivorbringen im Termin zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Verwertung der
angeboten eidesstattlichen Versicherungen (As.23, 43), der Inaugenscheinnahme der in den Akten befindlichen Lichtbilder (As. 24-31) und des
Videofilmes (As. 32) sowie das vom Beklagten übergeben Exposé, As. 93) . Auf die genannten Beweismittel wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
31 Dem Verfügungskläger steht ein
Verfügungsanspruch
32 Unstreitig finden in dem Anwesen, in dem sich die Mietwohnung des Verfügungsklägers befindet umfangreiche Baumaßnahmen mit erheblicher
Lärm- und Staubentwicklung statt. Das Ausmaß der Beeinträchtigungen ergibt sich insbesondere aus den in Augenschein genommenen
Lichtbildern und dem Videofilm. Danach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Verfügungskläger und seine Ehefrau über einen
langen Zeitraum einer erheblichen Lärm- und Staubbelästigung ausgesetzt ist, die ein Ausmaß erreicht, welches zu
Gesundheitsbeeinträchtigung führen kann und eine normale Nutzung der Mietwohnung zu Wohnzwecken nur noch sehr eingeschränkt zulässt.
Diese Belästigung stellt sowohl ein erheblicher Mangel im Sinne der §§ 535, 536 BGB (vgl. Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 7. Auf.,
§§ 535.536 Rnr. 310) als auch eine Besitzstörung i.S.v. § 858 BGB dar (Palandt, BGB, 62. Aufl., § 862 Rnr.4).
33 Der Verfügungskläger braucht diese Belästigungen auch nicht zu dulden. Die Voraussetzungen des § 554 BGB liegen nicht vor.
34 Unstreitig führt der Verfügungsbeklagte Maßnahmen durch, die weit über das zur Erhaltung der Mietsache erforderliche (§ 554 Abs. 1 BGB)
hinausgehen.
35 Die Verfügungsbeklagten haben die Baumaßnahmen auch nicht gem. §§ 554 Abs. 2 und 3 BGB zu dulden.
36 Schon die Ankündigung vom 08.07.2002 erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 554 Abs. 3 BGB, weil die Maßnahmen nicht spätestens drei
Monate vor Beginn mitgeteilt wurden. Schon aus dem Schreibens selbst ergibt sich der Baubeginn seit 15.09.2002, so dass die dreimonatige
Frist nicht beachtet wurde. Ob der Inhalt den (nunmehr abgesenkten) Anforderungen des § 554 BGB entspricht, mag dahingestellt bleiben. Die
Mitteilungspflicht besteht auch bei Arbeiten die außerhalb der Mieträume durchgeführt werden (Eisenschmid, a.a.o. Rnr. 158). Bei
Unterschreitung dieser Frist braucht der Mieter die Maßnahme nicht zu dulden (Blank/Böstinghaus, Miete,2000, §§ 541a, 541b, Rnr. 43).
37 Entscheidend ist für das Gericht jedoch, dass der Umfang der Baumaßnahmen nicht mehr als eine unter § 554 Abs. 2 S. 1 BGB fallende
Maßnahme angesehen werden kann. Die Duldungspflicht nach § 554 Abs. 2 BGB besteht nicht für weitergehende Änderungen der Mietsache,
wie z.B. für einen Umbau, der zum Wegfall ganzer Wohnungen führt oder etwas völlig Neues entstehen lässt (Eisenschmid, a.a.O., § 541 Rnr. 20,
Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., Rnr. 312). Vorliegend beabsichtigt der Verfügungsbeklagte den Umbau zur Herstellung von Luxuswohnungen“ die
den bisherigen Charakter der Wohnungen völlig verändern. Zudem ist im Erdgeschoss der Ausbau zum Zwecke der gewerblichen Nutzung
beabsichtigt, während die Räume zuvor als Wohnraum dienten und der Umbau der bisherigen Dachwohnung in ein Luxusappartement (vgl.
Emmerich/Sonnenschein, Miete, 7.Auf., § 541a,541b, Rnr.9). Dies ist nach Vorlage des vom Verfügungsbeklagten erstellten Exposés unstreitig.
Derartige Maßnahmen hat der Mieter allenfalls unter den Voraussetzungen des § 242 BGB zu dulden, was jedoch nur in Ausnahmefällen bejaht
werden kann, etwa wenn ohne Durchführung der Maßnahmen die Wirtschaftlichkeit des Haubesitzes oder der Verlust des Gebäudes droht. Eine
derartige Situation wurde weder von dem Verfügungsbeklagten vorgetragen noch ist diese ersichtlich. Will der Vermieter das Gebäude
luxussanieren, hat er die vertraglichen Ansprüche der Mieter zu achten, die regelmäßig Vorrang haben. Vorliegend modernisiert der
Verfügungsbeklagte in erster Linie um sie nach Umwandlung in Eigentumswohnungen besser verkaufen zu können. In einem solchen Fall
modernisiert der Vermieter nicht, um sein Objekt bei fortbestehenden Mietverhältnissen zu verbessern, sonder um der Erzielung eines
höchstmöglichen Verkaufserlöses willen. Die Zielsetzung des Verfügungsbeklagten kommt vorliegend einem Herausmodernisieren“ sehr nahe,
vor dem der Mieter durch § 554 BGB aber gerade geschützt werden soll (Eisenschmid, a.a.O., Rnr. 107). Eine Duldungspflicht ergibt sich mithin
auch nicht aus § 242 BGB.
38 Jedoch selbst soweit Maßnahmen nach § 554 Abs.2 S. 1 BGB vorliegen (wie etwa die Erneuerung von Versorgungsleitungen und des Daches)
hat der Vermieter die Frage der Duldungspflicht
vor
einzuholen oder den Mieter, der den Maßnahmen widerspricht oder sich auf die Mitteilung des Vermieters nicht erklärt, auf Duldung zu
verklagen. Der Mieter kann grundsätzlich im Wege der einstweiligen Verfügung Modernisierungsmaßnahmen des Vermieters in den
Wohnräumen als auch an Gebäudeteilen außerhalb der Mieträume so lange verhindern, bis seine Duldungspflicht in einem ordentlichen
Verfahren auf Duldungsklage des Vermieters rechtskräftig festgestellt ist, soweit - wie hier - sein eigener Mietgebrauch durch derartige
Maßnahmen nicht nur unerheblich infolge verbotener Eigenmacht beeinträchtigt wird (LG Gera, Beschluss vom 10.04.1995, Az. 5 T 152/95). Da
die Frage der Duldungspflicht mit der erforderlichen umfassenden Interessenabwägung im Verfahren gem. § 935 ZPO nicht mit der gebotenen
Gründlichkeit geprüft werden kann, ist im einstweiligen Verfügungsverfahren dahingehend zu entscheiden, dass der Vermieter die Maßnahmen
bis zur Klärung der Duldungspflicht im ordentlichen Verfahren unterlassen muss (ebenso wohl Blank/Böstinghaus, Miete,2000, §§ 541a, 541b,
Rnr. 55).
39 Es besteht auch ein
Verfügungsgrund
die Verwirklichung der Rechte des Verfügungsklägers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
40 Dessen Besitzrechte sind durch die widerrechtlich begonnenen Baumaßnahmen des Verfügungsbeklagten bereits erheblich gestört. Weiterhin
sind, auch nach dem Vortrag des Verfügungsbeklagten, weitere erhebliche Besitzstörungen zu besorgen.
41 Aus diesen Gründen sind die aus dem Tenor ersichtlichen Anordnungen im Wege des Eilverfahrens zu treffen.
42 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
43 Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 20 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.