Urteil des AG Lörrach vom 08.10.2002

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AG Lörrach Urteil vom 8.10.2002, 3 C 1056/02
Anfechtung eines Vergleiches
Leitsätze
Durch den Abschluss eines vergleiches im Sinne des § 779 BGB verzichten die Parteien konkludent auf die Anfechtbarkeit wegen Irrtums
hinsichtlich solcher verkehrswesentlicher Eigenschaften, bezüglich derer der durch den Vergleich ausgeräumte Streit zwischen den Parteien
bestand.
Tenor
1.Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 387,00 nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 06.05.2002 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 79%, die Beklagten 21%.
3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil
vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Klägerin kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagten einen Restwerklohnanspruch geltend.
2
Die Klägerin führte für die Beklagten entsprechend dem Werkvertrag vom 12.11.2001, dem das Leistungsverze4ichnis vom 01.10.2001 (AS 47ff.)
zugrunde lag, Estricharbeiten durch, über die sie unter dem 05.12.2001 (AS 55ff.) abrechnete. Von dem Rechnungsbetrag von DM 18.275,73
zahlten die Beklagten EUR 7.361,22. Nicht bezahlt wurden u.a. ein Sicherungseinbehalt in Höhe von EUR 387,00; eine Zahlungsverpflichtung
der Beklagten sollte hier abhängig sein von der Vorlage einer Gewährleistungsbürgschaft, die erst am 06.05.2002 erfolgte. Daneben wurden
Kürzung bei den geltendgemachten Mehrestrichstärken vorgenommen.
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Die Klägerin trägt vor,
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die Beklagten seien verpflichtet, die in der Rechnung vom 05.12.2001 unter Pos.6 für 35mm Mehrstärke Anhydritestrich geltendgemachten DM
1.168,24 (brutto), die unter der Pos.8 für 35 Mehrstärke Estrich geltendgemachten DM 1.174,24 (brutto) sowie die unter Pos.12 für Mehrstärke
Estrich 35mm geltendgemachten DM 595,46 (brutto), mithin insgesamt DM 2.937,94 (entsprechend EUR 1.502,14) abzüglich 5% Skonto zu
zahlen. Diese Mehrstärken seien angefallen, sie seien entsprechend den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses zu vergüten. Eine Einigung
über die pauschale Abgeltung aller etwaig anfallender Mehrstärken sei nicht getroffen worden; jedenfalls seien entsprechende Erklärungen
wirksam wegen Irrtums angefochten. Darüber hinaus seien die Beklagten auch zur Zahlung des Sicherungseinbehalts von EUR 387,00
verpflichtet.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.814,03 nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz aus EUR
1.449,87 seit dem 06.01.2002 sowie weitere 5% Zinsen über dem Basiszinssatz aus EUR 364,16 ab dem 16.09.2002 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten tragen vor,
10 die Parteien hätten vereinbart, dass die Klägerin berechtigt sein soll, die Mehrstärken im Erdgeschoss mit 15mm anzusetzen, wobei im
Gegenzug auf die Geltendmachung etwaiger Estrichmehrstärken an anderer Stelle verzichtet worden sei. Im übrigen werde das Vorhandensein
der geltendgemachten Mehrstärken bestritten; zudem sei allenfalls eine Preisvereinbarung über eine Mehrstärke von genau 10mm zustande
gekommen.
11 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
12 Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen; wegen des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 16.09.2002 (AS 153ff.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
I.
14 Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß der §§ 631, 632, 291 BGB ein Anspruch auf Zahlung des als Sicherheit
einbehaltenen Betrages in Höhe von EUR 387,00 nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.05.2002 zu (1);
weitergehende Ansprüche wegen etwaig bestehender Mehrstärken bestehen dagegen nicht (2).
15 1.Die Beklagten haben anerkannt, nach Vorlage der Gewährleistungsbürgschaft der Klägerin gegenüber zur Zahlung des Sicherungseinbehalts
in Höhe von EUR 387,00 verpflichtet zu sein; nachdem unstreitig eine Zahlung hier noch nicht erfolgt ist, waren die Beklagten insoweit zu
verurteilen. Die Zahlungsverpflichtung war mit Zugang der Bürgschaftserklärung - mithin am 06.05.2002 - fällig; zu diesem Zeitpunkt war der
Mahnbescheid, in dem diese Forderung mit geltend gemacht wurde, schon zugestellt,; die Beklagten sind deshalb nach § 291 BGB zur Zahlung
von Prozesszinsen ab Fälligkeit verpflichtet.
16 2.Unbegründet ist die Klage dagegen, soweit die Klägerin von den Beklagten eine weitergehende Vergütung von Estrichehrstärken verlangt.
17 a)Nach der Beweisaufnahme geht das Gericht davon aus, dass die Parteien sich tatsächlich darüber geeinigt haben, dass etwaige Mehrstärken
im gesamten Hausanwesen in der Weise vergütet werden sollten, dass im Erdgeschoss eine durchgängige Mehrstärke von 15mm abgerechnet
wird. Dies ergibt sich aus den insoweit glaubhaften und überzeugenden Aussagen der Zeugen B. und L., die beide anlässlich ihrer Vernehmung
im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16.09.2002 (AS 159ff.) ausgesagt haben, man habe sich, nachdem der Zeuge B. Mehrhöhen von
15-20mm in allen drei Geschossen des Hauses mitgeteilt habe, die von der Bauherrschaft bestritten worden seien, darauf geeinigt, dass eine
Mehrhöhe von 15mm in einem Geschoss - nämlich im Erdgeschoss - und damit eine Mehrvergütung von DM 3,90/m² akzeptiert würde.
Entsprechend hat die Klägerin auch unter Position 10 der Rechnung vom 05.12.2001 abgerechnet.
18 b)Rechtlich stellt diese Vereinbarung einen Vergleich im Sinne des § 779 BGB dar: Die Parteien haben sich vertraglich geeinigt, den Streit über
die tatsächliche Frage, welche Estrichmehrhöhen in dem gesamten Anwesen angefallen sind, dadurch zu beenden, dass die Klägerin auf die
Geltendmachung einer zusätzlichen Vergütung von Mehrhöhen im Obergeschoss und Keller verzichtet, während die Beklagten nicht mehr auf
eine Nachprüfung der behaupteten Mehrhöhe von 15mm im Erdgeschoss bestehen.
19 c)Dieser Vergleich ist nicht nach § 779 Abs.1 BGB unwirksam: Soweit die Klägerin vorträgt, ihr Mitarbeiter sei bei Abschluss des Vergleichs von
einer Gesamtestrichhöhe von jedenfalls 100mm ausgegangen, ergibt sich daraus gerade nicht, dass beide Parteien dies als feststehenden
Sachverhalt zugrundegelegt haben.
20 d)Der Vergleich ist auch nicht wirksam nach § 119 Abs.2 BGB wegen Erklärungsirrtums angefochten worden. Dabei kann offen bleiben, ob das
Schreiben der Klägerin vom 14.12.2001 (AS 147) eine wirksame Anfechtungserklärung darstellt: Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn sich
aus der Erklärung unmissverständlich ergeben würde, den Vergleich gerade wegen des Irrtums nicht mehr gelten zu lassen, was dann nicht der
Fall wäre, wenn sich die eine Vertragspartei nur gegen die Fassung des Vergleichs wendet und gleichzeitig seine Erfüllung in dem Sinne fordert,
wie er den Vergleich seinem Inhalt nach verstanden haben will (vgl. dazu BGH in BB 1965, 305 ). Jedenfalls haben die Parteien durch den
Abschluss des Vergleiches konkludent auf ein Anfechtungsrechts wegen Irrtums insoweit verzichtet, als sich dieser Irrtum auf den durch den
Vergleich geregelten streitigen Sachverhalt "Estrichmehrhöhe" bezieht (ähnlich Palandt, BGB, § 779 RN15, 16 [unter Verweis auf RG in RGZ 162,
201]; LAG Bremen in BB 1959, 83: "Die Anfechtung eines Vergleichs wegen Irrtums ist grundsätzlich zulässig, jedoch im Falle eines solchen
Irrtums ausgeschlossen, der sich auf einen durch den Vergleich erledigten, umstrittenen oder ungewissen Punkt bezieht "). Grundsätzlich kann §
119 BGB durch Individualvereinbarung abbedungen werden (vgl. dazu Palandt, BGB, § 119 RN 3 ). Eine solche Vereinbarung über den
Ausschluss eines Anfechtungsrechts liegt in dem Abschluss eines Vergleiches: Sind die tatsächlichen Grundlagen einer rechtlichen
Vergütungsverpflichtung - hier das Vorhandensein von Estrichmehrstärken - zwischen den Parteien streitig und einigen sich die Parteien dann in
einem Vergleich über eine bestimmte zu zahlende Vergütung, so wollen sie damit gleichzeitig die Vergütungsverpflichtung unabhängig von dem
tatsächlich Grundlagen gestalten; diese - und die Wahrscheinlichkeit ihres Vorhandenseins bzw. die entsprechende Möglichkeit des Nachweises
- reduzieren sich zu Kalkulationsgrößen, auf deren Grundlage jede Partei zu prüfen und zu entscheiden hat, ob ein Vergleich für sie wirtschaftlich
vertretbar ist. Durch den Abschluss eines Vergleiches geben die Parteien dann letztlich zu erkennen, dass sie selbst nicht weiter auf der
Richtigkeit ihrer Behauptungen beharren, sondern dass - aus was für Gründen auch immer - die Richtigkeit ihrer Behauptung dahingestellt
bleiben soll. Dem von den Parteien insoweit beabsichtigten Vergleichszweck der Streitbeilegung würde es widersprechen, wenn weiterhin eine
Anfechtung nach § 119 Abs.2 BGB wegen Irrtums über die - den Vergleich zugrundegelegten - verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Sache
möglich wäre.
II.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.