Urteil des AG Lichtenberg vom 14.03.2017

AG Lichtenberg: fortsetzung des mietverhältnisses, drittwirkung der grundrechte, eigentümer, geschäftsführung ohne auftrag, verwaltung, mietvertrag, grundstück, rechtsnachfolger, härte, mietrecht

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Gericht:
AG Lichtenberg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 C 141/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 164 Abs 2 BGB, § 185 BGB, §
566 BGB, § 985 BGB
Wohnraummiete im Beitrittsgebiet: Eintritt des Erwerbers eines
Hausgrundstücks in von einer Nachfolgegesellschaft der
staatlichen Wohnungsverwaltung geschlossene Mietverträge
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die von ihnen innegehaltene
Wohnung im Vorderhaus Erdgeschoss links des Hauses …, bestehend aus 4 Zimmern
mit Nebengelass zu räumen und an die Kläger herauszugeben.
2. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist unter der Bedingung, dass Sie weiterhin
monatlich 429,00 € zuzüglich Nebenkostenvorauszahlungen wie bisher als
Nutzungsentschädigung zahlen, bis zum 31. Dezember 2007 bewilligt.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
5000,00 € abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit gleicher
Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger begehren von den Beklagten die Räumung der von ihnen bewohnten
Wohnung im Erdgeschoss des Hauses ….
Die Kläger bewohnen diese Wohnung aufgrund eines Mietvertrages mit der … vom 16.
Mai 1995. Die … war bis zum 31. Dezember 1992 staatliche Verwalterin des Hauses …
und führte diese Verwaltung danach noch bis zum 30. Juni 2002 weiter. Eigentümer des
Hauses war im Mai 1995 eine Erbengemeinschaft.
Unter dem 26. Juni 1995 schlossen die Beklagten und die … eine Mustervereinbarung
über die Durchführung von Mietermaßnahmen, wonach sich die Beklagten verpflichteten,
bis zum 15. November 1995 diverse Modernisierungsmaßnahmen in der Wohnung
durchzuführen.
§ 2 (3) dieser Vereinbarung lautet wie folgt:
„Der Vermieter verzichtet dem Mieter gegenüber für die Dauer von __ / __ Jahren
(mindestens 5 Jahre) auf die Ausübung des Kündigungsrechts nach § 564 b Abs. 2 Nr. 2
und 3 BGB. Das Recht des Mieters auf Kündigung bleibt unberührt“.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Vereinbarungen wird auf die Vertragsurkunde
(Fotokopie Bl. 33/34 d. A.) Bezug genommen.
Im November 2004 erwarben die Kläger das Grundstück … und sind seit dem 16. Juni
2005 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.
Wegen der Entwicklung der Eigentumsverhältnisse am Grundstück seit Mai 1995 wird auf
den eingereichten Grundbuchauszug für das Grundstück … vom 7. Juli 2006 (Fotokopie
Bl. 67 bis 79 d. A.) Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 29. Juli 2005 erklärten die Kläger den Beklagten die Kündigung des
Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs zum 30. April 2006. Wegen der Begründung
dieser Kündigung wird auf das Schreiben vom 29. Juli 2005 (Fotokopie Bl. 8/9 d. A.)
Bezug genommen.
Die Beklagten widersprachen der Kündigung mit Schreiben vom 25. Februar 2006 und
begehrten Fortsetzung des Mietverhältnisses.
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
Die Kläger beantragen,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die von ihnen innegehaltenen
Wohnung im Hause …, Vorderhaus, EG links, bestehend aus 4 Zimmern mit
Nebengelass zum 30.04.2006 zu räumen und geräumt an die Kläger herauszugeben.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie sind der Ansicht, den Klägern stehe ein Kündigungsrecht wegen Eigenbedarfs nicht
zu, nachdem die … im Rahmen der Vereinbarung über die Durchführung von
Mietermaßnahmen für die Dauer des Mietverhältnisses auf ein entsprechendes
Kündigungsrecht verzichtet habe. Insoweit sind sie weiter der Ansicht, die Kläger als
Rechtsnachfolger müssten sich diesen Verzicht zurechnen lassen.
Die Beklagten sind zudem der Ansicht, dass eine Kündigung wegen Eigenbedarfs
ohnehin nicht wirksam geworden sei, da die Kläger ihren Eigenbedarf nicht schlüssig
dargelegt hätten; letztlich stelle die Kündigung im Hinblick auf die familiäre Situation der
Beklagten für diese jedenfalls eine unzumutbare Härte dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine
Erklärungsfrist auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 24. August 2006
beantragt.
Entscheidungsgründe
Die zulässig Klage ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Die Kläger haben gegen die Beklagten einen Anspruch aus § 985 BGB auf Räumung und
Herausgabe der von den Beklagten bewohnten 4-Zimmer-Wohnung im Vorderhaus
Parterre links des Hauses …, wegen der Drittwirkung der Grundrechte -hier Artikel 3 des
Grundgesetzes- war den Beklagten jedoch gem. § 721 ZPO eine Räumungsfrist bis zum
31. Dezember 2007 bewilligen.
I.
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 985 BGB liegen vor.
Die Kläger sind seit ihrer Eintragung ins Grundbuch am 10. Juni 2005 Eigentümer des
Grundstücks … und damit auch Eigentümer des Gebäudes, in der die von den Beklagten
bewohnte Wohnung belegen ist.
Die Beklagten sind seit 1995 unmittelbare Besitzer dieser Wohnung.
II.
Den Beklagten steht ein Recht zum Besitz im Sinn des § 986 BGB nicht zu. Ein solches
können sie insbesondere nicht aus dem Mietvertrag vom 16. Mai 1995 herleiten, ohne
dass es an dieser Stelle entscheidungserheblich darauf ankommt, ob die Kläger ein
Mietverhältnis wirksam wegen Eigenbedarfs gekündigt hätten.
Der Mietvertrag bindet die Kläger nicht; er ist weder direkt mit den Klägern
abgeschlossen worden noch bindet er diese als Rechtsnachfolger des Vermieters, der ….
a) Insbesondere sind die Kläger nicht gemäß § 566 BGB in dieses Mietverhältnis mit der
WBG auf Seiten der Vermieter eingetreten.
Ein solcher Eintritt der Kläger mit Umschreibung des Grundbuches im Juni 2005 auf sie
wäre nur erfolgt, wenn die Kläger das Grundstück vom vermietenden Eigentümer
erworben hätten (vgl. Wortlaut der Vorschrift). Ohne dass entsprechender konkreter
Vortrag der Kläger vorliegt, ist nach dem eingereichten Grundbuchauszug betreffend das
Grundstück … davon auszugehen, dass die Kläger das Grundstück käuflich von den
voreingetragenen Eigentümern erworben haben. Somit kommt es für die Frage, ob die
Kläger in das von der … begründete Mietverhältnis eingetreten sind, maßgeblich darauf
an, ob zuvor die Voreigentümer gemäß § 566 BGB (bzw. § 571 BGB a.F.) in dieses
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
an, ob zuvor die Voreigentümer gemäß § 566 BGB (bzw. § 571 BGB a.F.) in dieses
Mietverhältnis eingetreten waren.
Dies ist im Hinblick darauf, dass die … niemals Eigentümerin des Grundstücks … war, zu
verneinen. § 566 BGB ordnet nach seinem Wortlaut - wie zuvor bis zum 1. September
2001 § 571 BGB a.F. - einen Mietvertragsübergang Kraft Gesetzes nur für den Fall an,
dass der Erwerber vom vermietenden Veräußerer erwirbt. Insoweit kam ein gesetzlicher
Übergang des Mietverhältnisses zwischen der … und den Beklagten auf die Eigentümer
des Grundstücks bzw. deren Rechtsnachfolger nach 1995 mangels Vorliegen dieser
Voraussetzung nicht in Betracht.
Der Mietvertrag zwischen der … und den Beklagten ist auch nicht als ein solcher
zwischen den im Mai 1995 eingetragenen Eigentümern des Grundstücks und den
Beklagten zustande gekommen, in den wiederum die Rechtsnachfolger Gem. §§ 571/566
BGB eintreten konnten.
Die … hat bei Abschluss des Mietvertrages die damaligen Eigentümer des Grundstückes
nicht wirksam vertreten. Dies folgt bereits aus § 164 Abs. 2 BGB, wonach ein
Vertretergeschäft grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn der Vertreter offenkundig,
zumindest aus den Umständen erkennbar, in fremdem Namen auftritt.
Die … hat den Mietvertrag ausweislich der Vertragsurkunde jedoch im eigenen Namen
geschlossen, der Urkunde ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass die … sich mit
diesem Vertrag nicht selbst binden wollte; insbesondere kommt die
Verwaltereigenschaft der … an keiner Stelle zum Ausdruck. Der Vertrag ist auch nicht
über eine nachträgliche Genehmigung seitens der Eigentümer für diese bindend
geworden. Eine Genehmigung des durch die … im eigenen Namen abgeschlossenen
Mietvertrages gemäß § 185 BGB kam schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Norm
lediglich auf Verfügungsgeschäfte Anwendung findet und es sich bei dem Abschluss
eines Mietvertrages um ein Verpflichtungsgeschäft handelt. Der Abschluss eines
Verpflichtungsgeschäftes, dessen verpflichtende Wirkung nicht den im eigenen Namen
Handelnden sondern einen anderen treffen soll, ist im BGB allein in § 164 BGB geregelt
(vgl. zur Möglichkeit der Genehmigung von Mietverträgen Kammergericht, RE, GE 1997,
110).
Selbst wenn die … als verdeckte Stellvertreterin gehandelt hätte und die Eigentümer
diesem Handeln zugestimmt hätten, wäre das Mietverhältnis nicht mit den Eigentümern
sondern mit der … zustande gekommen, die Eigentümer wären dann lediglich gebunden
gewesen, den Mietern den Besitz zu überlassen (vgl. Kammergericht a.a.O.).
Auch eine analoge Anwendung des § 571 BGB a.F./§ 566 BGB n.F. zu Gunsten der
Rechtsnachfolger der Erbengemeinschaft scheidet vorliegend aus. Bei diesen Normen
handelt es sich im Hinblick auf den sonst geltenden Grundsatz im Vertragsrecht, dass
die Vertragspartner nicht einseitig ausgetauscht werden können, um eng auszulegende
Ausnahmeregelungen, die nur in den §§ 571, 566 BGB vergleichbaren Fällen
entsprechend angewendet werden kann. Eine solche ist in der Rechtsprechung z.B.
ausnahmsweise anerkannt worden, wenn der von den Eigentümern ausdrücklich dazu
autorisierte Verwalter des Grundstücks Mietverträge im eigenen Namen abgeschlossen
hatte (so OLG Celle ZMR 2000, 284, 285).
Die vorliegende Fallkonstellation ist mit der, die der Entscheidung des OLG Celle
zugrunde lag, jedoch nicht zu vergleichen. Die … hatte die Verwaltung des Grundstücks
ab Aufhebung der staatlichen Verwaltung ab dem 31. Dezember 1992 lediglich als
Geschäftsführerin ohne Auftrag weiter geführt, nicht aber als autorisierte Verwalterin.
Allein die Tatsache, dass die … aus ihrer Sicht die Verwaltung im Sinn der jeweiligen
Eigentümer geführt hat, rechtfertigt noch nicht die Vergleichbarkeit mit den Fällen, in
denen die Verwaltung von den Eigentümern mit der Vermietung beauftragt worden war.
Eine erweiterte analoge Anwendung des § 571 BGB auch auf Fälle der Verwaltung, die im
Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag geführt worden ist, verbietet sich im
Hinblick auf den dargestellten Ausnahmecharakter dieser Norm.
Das zwischen der … und den Beklagten begründete Mietverhältnis ist auch nicht über
eine analoge Anwendung des § 549 a BGB a.F./§ 565 BGB n.F. auf einen der
Rechtsvorgänger der Kläger übergegangen.
Eine direkte Anwendung der vorzitierten Normen kommt nicht in Betracht, da die …
nicht als gewerbliche Zwischenvermieterin tätig geworden ist.
Eine analoge Anwendung auf vergleichbare Fälle, in denen derjenige, der den Mietvertrag
38
39
40
41
42
43
44
45
Eine analoge Anwendung auf vergleichbare Fälle, in denen derjenige, der den Mietvertrag
auf Vermieterseite abgeschlossen hat, nicht gewerblicher zwischen Vermieter ist, wird
von der überwiegenden Rechtsprechung abgelehnt, obwohl eine vergleichbare
Schutzbedürftigkeit des Dritten, also der in der Wohnung wohnenden Mieters, durchaus
gegeben sein könnte (vgl. Stangel in Schmidt, Kompaktkommentar Mietrecht, 2006, §
565 Rn. 5 m.w.N.), denn durch die Einführung des § 549 a BGB sollte nicht der
Kündigungsschutz im Verhältnis zwischen Eigentümer/Hauptvermieter und Untermieter
neu begründet werden, sondern es sollten ausschließlich die mietrechtlichen
Konsequenzen der zum Bauherrenmodel ergangenen Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (abgedruckt in NJW 1991, 2272, 2273) klargestellt werden,
nach welcher gemäß Artikel 3 Grundgesetz auch einem Mieter, der Wohnraum von
einem gewerblichen Zwischenvermieter vermietet hat, der Kündigungsschutz des
sozialen Mietrechts zusteht (so BGH Z 133, 142, 149 unter Hinweis auf die
maßgeblichen BT-Drucksachen). Letztlich zeigt auch die seit dem 1. September 2001
geltende (Nachfolge-)Regelung des § 565 BGB, dass es an einer planwidrigen
Regelungslücke fehlt, da der Gesetzgeber trotz der bekannten Rechtsprechung des BGH
an dem engen Wortlaut in des § 549 a BGB bei Fassung des § 565 BGB im Rahmen der
Mietrechtsreform festgehalten hat (so auch Stangel, a.a.O.).
Im Hinblick darauf, dass jedenfalls das Mietverhältnis, wie die Beklagten es mit der …
abgeschlossen haben, nicht auf die Rechtsvorgänger der Kläger und damit auf die Kläger
übergegangen ist, kommt es auf die Frage, ob und in welchem Umfang ein
Kündigungsverzicht im Rahmen der Mietermodernisierungsvereinbarung Inhalt dieses
Mietverhältnisses geworden ist, nicht an.
b) Die Beklagten können ein Recht zum Besitz auch nicht aus einem schlüssig mit einem
der Rechtsvorgänger der Kläger zustande gekommenen Mietverhältnis herleiten, das
dann gemäß § 566 BGB auf die Kläger übergegangen wäre.
Der Abschluss eines solchen konkludenten Mietverhältnisses zwischen den Eigentümern
und den Beklagten wäre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (GE
1996, 184 a.E.) allerdings rechtlich denkbar, auch wenn das zwischen der … und den
Beklagten geschlossene Mietverhältnis durch die Aufgabe der Verwaltung seitens der
WBG Ende Juni 2002 wirksam blieb und ein rechtsgeschäftlicher Übergang auf die
Eigentümer grundsätzlich nur durch einen dreiseitigen Vertrag vollzogen werden kann
(vgl. dazu OLG Düsseldorf WM 2002, 1233, 1234 m.w.N.).
Die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten haben aber zu einem
schlüssigen Mietvertragsabschluss mit einem der Rechtsvorgänger der Kläger, etwa
nach Aufgabe der Verwaltung seitens der … im Juni 2002 nichts vorgetragen. Da auch
ein konkludenter Mietvertrag nur durch zwei sich deckende Willenserklärungen (§§ 145 ff.
BGB) zustande kommt, setzt dieser auch auf der Seite der vermeintlichen Vermieter ein
Verhalten voraus, aus dem eine stillschweigende Willenserklärung zum
Vertragsabschluss mit den Beklagten betreffend die von den Beklagten bewohnte
Wohnung hergeleitet werden kann. Entsprechender Sachverhalt - etwa durch erklärte
Mieterhöhungen etc. seitens der Rechtsvorgänger der Kläger - ist der Akte nicht zu
entnehmen.
c) Ein schlüssig zustande gekommenes Mietverhältnis zwischen den Beklagten und den
Klägern selbst scheidet aus, da die Kläger erst am 16. Juni 2005 als Eigentümer in das
Grundbuch eingetragen worden sind und bereits mit Schreiben vom 29. Juli 2005 die
Kündigung des Mietverhältnisses erklärt haben. Insbesondere kann in der
Kündigungserklärung selbst, obwohl sich die Kläger damit als Vermieter gerierten, kein
schlüssiges Angebot auf Abschluss eines Mietvertrages gesehen werden, da die Kläger
mit diesem Schreiben inhaltlich ein Mietverhältnis nicht begründen sondern beenden
wollten.
III.
Den Beklagten steht jedoch über Artikel 3 Grundgesetz - Drittwirkung der Grundrechte
im Zivilrecht - ein temporär weiterbestehendes Recht zum Besitz im Sinn des § 986 BGB
(vgl. die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht in NJW 1991, 2272, 2273), was zu
der Bewilligung einer Räumungsfrist führte.
Die Anwendung der Vorschriften des sozialen Mietrechts, insbesondere des § 574 BGB
über Artikel 3 Grundgesetz ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der
Gesetzgeber ab 1993 die Vorschrift des § 549 a BGB (heute § 565 BGB) eingeführt hat
und eine analoge Anwendung dieser Vorschriften vorliegend nicht in Betracht kommt
(vgl. oben 2a).
46
47
48
49
50
51
52
53
54
Der Gesetzgeber hat bei Einführung des § 549 a BGB im Jahr 1993, die allein als
Reaktion auf die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erfolgte,
den Anwendungs-bereich der Vorschrift seinem Wortlaut nach ausdrücklich
eingeschränkt auf den Fall der gewerblichen Zwischenvermietung und nicht auf die
generelle Schutzbedürftigkeit von soge-nannten Drittmietern, die nicht vom Eigentümer
angemietet haben. Dieser enge Anwendungs-bereich ist spätestens durch die
Neufassung der Vorschrift im Rahmen der Mietrechtsreform 2001 ausdrücklich bestätigt
worden.
Dennoch lässt sich aus dieser engen Fassung der Vorschrift, die einen Übergang des
Vertrages auf einen Dritten ähnlich § 566 BGB anordnet, nicht auf eine gewollte
gänzliche Schutzlosigkeit aller anderen Mieter, die ihr Besitzrecht nicht vom Eigentümer
sondern von einem vermietenden Dritten ableiten, schließen. Im Hinblick auf die
Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht würde die Verurteilung zur Räumung von
Wohnraum gemäß § 985 BGB ohne Beachtung möglicher Rechte aus dem sozialen
Mietrecht zumindest bei vertragstreuen Mietern, die in Unkenntnis der tatsächlichen
Eigentumslage vom Nicht-Eigentümer gemietet haben, gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Artikel 3 des Grundgesetzes verstoßen. Die
dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss damit außerhalb des
Anwendungsbereichs des § 565 BGB weiter Gültigkeit haben.
Rechtsdogmatisch kann aber § 574 BGB nicht dergestalt angewendet werden, dass über
§ 574 a BGB in Verbindung mit § 308 a ZPO eine Fortsetzung des „Mietverhältnisses“
angeordnet wird. Diese rechtstechnischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Fehlen
einer unmittelbaren vertraglichen Beziehung zwischen dem Eigentümer und dem die
Wohnung nutzenden Mieter ergeben, können jedoch eine Verkürzung des
Mieterschutzes nicht rechtfertigen (vgl. zu diesen Schwierigkeiten der
rechtsdogmatischen Durchführung der Gleichbehandlung Bundesver-fassungsgericht
NJW 1991, 2272, 2273, das diese Entscheidung allein den Instanzgerichten zuschreibt).
Dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung der Beklagten war deshalb
materiellrechtlich über ein temporäres Besitzrecht im Sinn des § 986 BGB Rechnung zu
tragen, das prozessrechtlich zu einer Räumungsfrist gem. § 721 ZPO führen musste.
Der Umfang dieses temporären weiteren Rechts zum Besitz hatte sich an der Stellung
der Beklagten, wären sie tatsächlich durch einen gültigen Mietvertrag mit den Klägern
verbunden, zu orientieren.
Wären die Beklagten die Mieter der Klägerin gewesen, so hätte die Kündigungserklärung
der Kläger vom 29. Juli 2005 das Mietverhältnis zunächst zum angegebenen Termin
beendet, § 573 c Abs. 1 BGB. Die Kündigung wegen Eigenbedarfs wäre gemäß § 573
Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB wirksam gewesen. Die Kläger haben nachvollziehbare Gründe
dargelegt, warum sie den Wunsch haben, im eigenen Haus zu wohnen (dies ist
ausreichend, vgl. die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht in NJW 1989, 970 und
in NZM 1999, 659 sowie die des BGH in NJW 1988, 904).
Als nachvollziehbare Gründe im Sinn des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB werden all die Gründe
anerkannt, die nicht objektiv unsinnig oder willkürlich erscheinen (vgl. Gahn in Schmidt,
Kompaktkommentar Mietrecht, 2006, § 573 Rn. 30). Schon der Wunsch der Kläger, in
eine eigene und größere 4-Zimmer-Wohnung mit Gartennutzung umzuziehen, reicht
insoweit aus (so BVerfG a.a.O.).
Entgegen der Ansicht der Beklagten machen die Kläger auch keinen überholten
Wohnbedarf geltend. Es ist zwar richtig, dass § 573 Abs. 1 BGB eine sogenannte
Vorratskündigung -im Hinblick auf ein gewünschtes 2. Kind- nicht zulässig ist (aber:
Bundesverfassungsgericht, NJW 1995, 1480), das Gericht erachtet jedoch eine 4-
Zimmer-Wohnung auch für einen Dreipersonenhaushalt - insbesondere unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger zu 1.) selbstständig ist - nicht als
überhöhten Wohnanspruch.
Unabhängig davon ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass allein der Wunsch, die
eigene Wohnsituation zu verbessern, ein berechtigtes Interesse im Sinn des § 573 BGB
darstellen kann; die unstreitige Situation in der jetzigen Wohnung der Beklagten -
Schienenverkehr und Feuerwache in unmittelbarer Nähe - kann damit ebenfalls das
berechtigtes Interesse begründen.
Darauf, dass die Kläger das Gebäude gekauft haben mit dem Wunsch, es selbst zu
bewohnen -sogenannter gekaufter Eigenbedarf- kommt es entscheidungserheblich nicht
an (vgl. Häublein, Münchener Kommentar, BGB 4. Aufl. § 573 Rn. 70) .
Allerdings hätte die sofortige Beendigung des Mietverhältnisses für die Beklagten eine
54
55
56
57
58
59
60
61
Allerdings hätte die sofortige Beendigung des Mietverhältnisses für die Beklagten eine
unzumutbare Härte im Sinn des § 574 a Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet, so dass gemäß §
574 a BGB eine zeitlich befristete Fortsetzung des Mietverhältnisses anzuordnen
gewesen wäre, was vorliegend - über Artikel 3 GG - zu einem zeitlich befristeten Recht
zum Besitz im Sinn § 986 BGB führt, soweit und solange die Beklagten die zurzeit
gezahlte „Miete“ als Nutzungsentschädigung weiter zahlen (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 2
BGB).
Eine unzumutbare Härte im Sinn des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt dann vor, wenn es
dem Mieter aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen unzumutbar ist,
angemessenen und gleichwertigen Ersatzwohnraum zu finden oder wenn es ihm aus
persönlichen Gründen nicht zumutbar ist, die Strapazen eines Umzuges auf sich zu
nehmen (vgl. Fittkau, Schmidt/Futterer, Mietrecht, 8. Aufl. § 574 Rn ?).
Die unzumutbare Härte für die Beklagten ergibt sich vorliegend aus der Blutkrankheit
des Sohnes …, die die Kläger nicht bestreiten. Auch wenn nach dem Vortrag der
Beklagten die lebensbedrohliche Krise für … offensichtlich seit 2003 überwunden ist, hat
er doch unter den Folgen der Krankheit und auch unter den Folgen der langwierigen
Behandlung zu leiden. Eine abrupte Änderung der Lebensumstände wäre ihm in der
jetzigen Situation noch nicht zuzumuten. Den Klägern ist zwar Recht zu geben in ihrer
Auffassung, im Hinblick auf die momentane Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt
sei es für die Beklagten nicht unmöglich, eine vergleichbare Wohnung auch in ähnlicher
Lage zur Schule und zur jetzigen Nachbarschaft zu finden. Dies ist jedoch nicht „von
Heute auf Morgen“ möglich, sondern muss für die Beklagten ohne zeitlichen Druck
erfolgen können. Im Hinblick darauf, dass … bereits 16 Jahre alt ist, ist ihm ein
geänderter, auch leicht verlängerter Weg zur Schule durchaus zuzumuten; eine
körperliche Behinderung
Der zeitlich befristeten Verlängerung bis Ende 2007 stehen auch keine berechtigten
Interessen der Kläger entgegen. Dies ergibt sich bereits aus den im hiesigen Verfahren
gemachten Vergleichsangeboten, nach denen die Kläger bereit gewesen wären, den
Beklagten letztlich bis Ende 2008 einen Räumungsaufschub zu gewähren.
Weitere Härtegründe, die eine Verlängerung des Besitzrechtes über Dezember 2007
hinaus gerechtfertigt hätten, haben die Beklagten nicht vorgetragen. Insbesondere sind
die von ihnen getätigten Modernisierungsmaßnahmen nach mehr als 10 Jahren
abgewohnt und können dann nicht mehr als Grundlage für eine unzumutbare Härte
herangezogen werden (vgl. Landgericht Düsseldorf WM 1971, 98); dies ergibt sich bereits
aus der Regelung des § 2 Nr. 5 der Vereinbarung über die Durchführung von
Mietermaßnahmen, wonach ein finanzieller Ausgleich mit Ablauf des 10. Jahres nicht
mehr zu erfolgen hatte.
Um auch die Interessen der Kläger zu berücksichtigen, die anders als im Fall der
angeordneten Fortsetzung des Mietverhältnisses keinen Anspruch auf Miete gem. § 535
Abs. 2 BGB gegen die Beklagten haben, war die Räumungsfrist abhängig zu machen
davon, dass die Beklagten zumindest die zur Zeit monatlich gezahlte „Miete“ bis zur
Räumung weiter zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 93 b Abs. 2
und 3 ZPO (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 25 Auflage § 721 Rdnr. 15). Im Hinblick auf die
Verurteilung zur Leistung erst zum 31. Dezember 2007 konnte das Unterliegen der
Kläger mit ca. ½ bemessen werden.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum