Urteil des AG Leverkusen vom 16.05.2002

AG Leverkusen: internationale zuständigkeit, gerichtliche zuständigkeit, örtliche zuständigkeit, spanien, eltern, verwandter, jugendamt, rechtsvereinheitlichung, gebühr, verordnung

Amtsgericht Leverkusen, 34 F 150/01
Datum:
16.05.2002
Gericht:
Amtsgericht Leverkusen
Spruchkörper:
Abteilung 34
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
34 F 150/01
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist für die Beklagte vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
eine Vollstreckung von Seiten der Beklagten gegen Sicherheitsleistung
von 800,00 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
TATBESTAND
1
Der am 00.00.1994 geborene Kläger ist der Enkel der Beklagten. Der Junge lebt im
Haushalt seiner Mutter und wird dort betreut. Einkünfte und Vermögen besitzt er nicht.
Die Mutter erhielt für den Kläger einen monatlichen Unterhaltsvorschuß von 96,00 DM.
Der Vater des Klägers und Sohn der Beklagten lebt ständig auf G, wo er eine
Tauchschule betreibt. Mit Schreiben vom 24.1.2001 forderte der Kläger von seinem
Vater einen monatlichen Unterhalt von 431,00 DM, später von 444,00 DM. Dieser
erwiderte mit Schreiben vom 5.2.2001, dass er 200,00 DM zahle, zu mehr sei er nicht in
der Lage. Seine Einkommensverhältnisse habe er dem Jugendamt in Leverkusen
offengelegt. Das Geld gebe er seiner Mutter bei Besuchen mit. Diese zahle das Geld in
Deutschland ein, um die in Spanien hohen Überweisungskosten zu sparen. Unstreitig
ist in dieser Weise verfahren worden. Mit Schreiben vom 15.2.2001 forderte der Kläger
die Beklagte auf, die Differenz zwischen dem gezahlten und dem geforderten Betrag
selbst zu übernehmen. Dieser Aufforderung des Klägers ist die Beklagte nicht
nachgekommen.
2
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte hafte nach § 1607 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 BGB. Er
beantragt,
3
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger beginnend mit dem 1.11.2001 einen
monatlichen Kindesunterhalt von 444,00 DM fällig bis zum dritten Werktag eines
jeden Monats im voraus sowie einen Unterhaltsrückstand in Höhe von 1.267,00
DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
4
Die Beklagte beantragt,
5
die Klage abzuweisen.
6
Die Beklagte meint, ihr Sohn zahle im Rahmen seiner begrenzten Leistungsfähigkeit
gleichwohl den gesetzlichen Unterhalt. Unter diesen Umständen sei für eine Mithaft
nachrangig haftender Verwandter kein Raum. Im übrigen hafte die Beklagte, wenn
überhaupt, nur anteilig mit den Großeltern mütterlicherseits. Sie sei auch nicht
leistungsfähig.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen hier
nicht gesondert hervorgehobenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze Bezug
genommen.
8
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
9
Die Klage ist nicht begründet. Eine Unterhaltspflicht der Beklagten ergibt sich nicht aus
§ 1607 Abs. 1 BGB. Tatbestandsvorausetzung dieser unmittelbaren eigenen
Unterhaltsverpflichtung anderer Verwandter ist die Leistungsunfähigkeit des
Hauptunterhaltsverpflichteten. Dass es dem Sohn der Beklagten nicht möglich gewesen
wäre, den geforderten Mindestunterhalt ganz oder teilweise zu bezahlen ist weder
ersichtlich noch vorgetragen. Die Klage sagt dazu nur, daß der Sohn der Beklagte nicht
mehr als 200,00 DM monatlich zahlt. Daraus kann noch nicht geschlossen werden, daß
er zu den angestrebten .höheren Zahlungen nicht in der Lage wäre. Für eine
entsprechende Vermutung fehlt jede Grundlage. Diese mit Fakten zu untermauern, wäre
für den Kläger schon deshalb durchführbar gewesen, weil er für einen substantiierten
Vortrag zur Leistungsunfähigkeit seines Vaters auf dessen Einkommensangaben beim
Jugendamt Leverkusen hätte zurückgreifen können. Dass dies nicht geschehen ist, geht
zu seinen Lasten. Hinzu kommt ein weiteres. Der Kläger geht selbstverständlich davon
aus, dass nur die Beklagte als mithaftende Verwandte zur Verfügung steht, und dass
sich die Frage nach deren Mithaft schon dann stellt, wenn ihr Sohn leistungsunfähig ist.
Diese Vorgabe ist nicht tragfähig. In welcher Rangfolge unterhaltspflichtige Verwandte
herangezogen werden, ergibt sich aus § 1606 Abs, 1 und Abs. 2 BGB. Von der hier
relevanten Gruppe der Verwandten aufsteigender Linie haften danach zunächst die
näheren, also die Eltern und danach auf die entfernteren, die Großeltern. Die
Konsequenz daraus ist, daß die Beklagte erst dann herangezogen werden darf, wenn
beide Eltern, also Vater und Mutter nicht leistungsfähig sind und ihnen zum eigenen
Unterhalt weniger als der Selbstbehalt bleibt. Das ist wiederum der Klage nicht zu
entnehmen. Der Kläger übersieht, daß sich die Mutter bei Leistungunfähigkeit des
Vaters nicht darauf zurückziehen kann, sie leiste schon Betreuungsunterhalt. Ihr
entsprechendes Privileg aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB besteht nicht, soweit es gilt die
Leistungsunfähigkeit des vorrangig Unterhaltsverpflichteten festzustellen. Unbeschadet
dessen geht der Kläger mit seiner Ansicht fehl, dass die Großeltern mütterlicherseits
nicht zu beteiligen wären. Für eine solche Einschränkung fehlt jede gesetzliche
Grundlage.
10
Eine Unterhaltsverpflichtung der Beklagten kann auch nicht aus § 1607 Abs. 2 Satz 1
BGB hergeleitet werden. Diese Norm findet nur dann Anwendung, wenn die
Rechtsverfolgung einschließlich der anschließenden Zwangsvollstreckung gegen den
vorrangig Unterhaltspflichtigen im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist.
11
Das ist nicht der Fall. Der Kläger kann seinen Vater in der Bundesrepublik auf Zahlung
des Mindestunterhalts in Anspruch nehmen. Der Auslandsaufenthalt des Vaters hindert
dies nicht. Das örtlich zuständige deutsche Familiengericht ist international zuständig.
Hier gilt mindestens die allgemeine Regel, dass die internationale Zuständigkeit durch
eine mittelbare stillschweigende Verweisung auf die örtliche Zuständigkeit bestimmt
wird. Selbst wenn man auf die Vorschriften des EG-Übereinkommens über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen zurückgreift, gilt nichts anderes. Art. 5 Nr. 2 des EUGVÜ regelt für
Unterhaltssachen ausdrücklich die örtliche und internationale Zuständigkeit am
Wohnsitz des Berechtigten. Unter diesen Umständen gibt es keinen Zweifel daran, dass
der Kläger seinen Unterhaltsanspruch in Deutschland geltend machen könnte. Der
Kläger führt unbeschadet dessen auch zu Unrecht an, die Durchsetzung eines im Inland
gewonnenen Unterhaltstitels sei für ihn in Spanien unzumutbar erschwert. Im Hinblick
auf das ab 1.7.2002 in Kraft tretende neue deutsche Zustellungsrecht und in Anbetracht
der EU-Verordnung 1348/2000 ist nicht damit zu rechnen, daß erforderliche
Zustellungen von Klage und Entscheidung über Gebühr lange dauern oder
unzumutbare Kosten produzieren. Beide angesprochenen Regelwerke sind Ausdruck
der angestrebten Rechtsvereinheitlichung innerhalb der EU, indem die bisher noch stark
formalisierten Zustellungsvorschriften vereinfacht und damit die Abläufe des Verfahrens
schneller gestaltet werden. Überdies ist mit einer Anerkennung der in Deutschland
getroffenen Entscheidung für Spanien zu rechnen. Auf das einschlägige Abkommen ist
oben hingewiesen. Spanien ist Vertragsstaat des EUGVÜ. Selbst Währungsprobleme
bestehen nicht mehr, nachdem in beiden vom vorliegenden Streit befangenen Ländern
die gleiche Währung gilt. Hinzu kommt ein weiteres. Spanien und Deutschland sind
auch Vertragsstaaten des UN-Abkommens über die Geltendmachung von
Unterhaltsansprüchen im Ausland, so daß der Kläger auf die dort niedergelegten
Erleichterungen zugreifen könnte. Bei Vorliegen inländischer Titel, welche im Ausland
umgesetzt werden sollen, enthält das UN-Übereinkommen keine Eingrenzungen. Das
entsprechende Vollstreckungsgesuch kann gebührenfrei beim Amtsgericht als
Justizverwaltungssache eingebracht werden. Der erforderliche Inhalt des Gesuchs nach
Art. 3 Abs. 3 und 4 UN-Übereinkommen kann unschwierig dargestellt werden. Das gilt
auch für die weiteren Formalien in den bundeseinheitlichen Bekanntmachungen der
Landesjustizverwaltungen. Bei solchen Möglichkeiten ist der Behauptung des Klägers
der Boden entzogen, dass die Durchsetzung seiner Ansprüche in Spanien erheblich
erschwert wäre. Eine andere Sichtweise hätte zur Folge, dass bereits der Wohnsitz
eines Unterhaltsschuldners im Ausland zur Haftung anderer Verwandter führen wird.
Das ist nicht tragfähig. Zum einen wäre der Ausnahmecharakter der Vorschrift des §
1607 Abs. 2 S. 1 BGB aufgehoben, wenn alleine aus einem Auslandswohnsitz schon
auf Vollstreckungsschwierigkeiten geschlossen werden könnte. Dies dürfte allein bei
zusätzlichen Erschwernissen berechtigt sein. Zum anderen würde eine solch weite
Auslegung der zwischenzeitlichen Rechtswirklichkeit nicht mehr entsprechen. Diese ist
geprägt durch das oben geschilderte Vertragswerk und die dort niedergelegten
Erleichterungen für die Durchsetzung von Ansprüchen. Im Ergebnis kann der Kläger
mithin seinen Unterhaltsanspruch im Inland einklagen und mit zumutbarem Aufwand im
Ausland durchsetzen. Für eine Haftung der Beklagten bleibt kein Raum.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit
beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
12
Der Streitwert wird festgesetzt auf 3.371,00 EUR.
13
Die Prozesskostenhilfebewilligung für die Beklagte wird aufgehoben, nachdem sie den
Prozesskostenhilfeantrag zurückgenommen hat.
14