Urteil des AG Leverkusen vom 31.01.2002
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Amtsgericht Leverkusen, 34 F 174/01
Datum:
31.01.2002
Gericht:
Amtsgericht Leverkusen
Spruchkörper:
Abteilung 34
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
34 F 174/01
Tenor:
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinschaftliche Kind X wird
im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig dem beteiligten Vater
übertragen. Der gleichlautende Eilantrag der Antragstellerin wird
zurückgewiesen.
Durch ein psychologisches Sachverständigengutachten soll Beweis
dazu erhoben werden, welche Sorgerechtsregelung dem Wohl des
betroffenen Kindes am meisten entspricht, und wie dann der
Umgangskontakt mit dem unberücksichtigt gebliebenen Elternteil
ausgestaltet werden kann. Die Eltern können binnen 10 Tagen einen
aus ihrer Sicht geeigneten Sachverständigen vorschlagen.
Sobald das Gutachten vorliegt, wird neuer Termin von Amts wegen
bestimmt, und danach in der Hauptsache abschließend entschieden.
GRÜNDE
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Die Antragstellerin ist thailändische Staatsbürgerin, der Antragsgegner ist Deutscher.
Am 31.7.1992 haben die Parteien geheiratet. Aus der Ehe der Parteien ist der X
hervorgegangen. Seit 14. Oktober 2001 leben die Eheleute getrennt. X wohnt seitdem
im Haushalt des Vaters, wie dieser behauptet mit Zustimmung der Mutter. Die
Antragstellerin möchte mit dem vorliegenden Verfahren erreichen, dass der Junge in
ihren Haushalt zurückgekehrt. Zur Begründung führt sie im einzelnen aus, dass sie den
gemeinsamen Sohn in der Vergangenheit weit überwiegend tatsächlich versorgt habe.
Es gebe keinen Grund, das nicht weiterzuführen. Der Vater möchte, dass der Sohn im
Haushalt des Vaters bleibt. Er ist der Auffassung, X werde bei ihm besser gefördert.
Seine berufliche Tätigkeit habe er inzwischen auf die Notwendigkeiten durch die
Versorgung des Sohnes eingestellt. Beide Eltern haben gebeten, die bestehende
gemeinsame elterliche Sorge teilweise aufzuheben, und ihnen das
Aufenthaltsbestimmungsrecht jeweils alleine zu übertragen. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung haben sie dies weiter im einzelnen erläutert. Ferner ist der Junge angehört
worden. Das zuständige Jugendamt hat Lösungsmöglichkeiten des bestehenden
Konfliktes dargestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom
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17.1.2002 verwiesen. Ein im Termin erarbeiteter Vergleich ist nicht zustande
gekommen.
Der Antrag des Antragsgegners, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn X
alleine zu übertragen, ist jedenfalls beim derzeitigen Sachstand begründet. Der
Gegenantrag der Antragstellerin bleibt demgemäß gegenwärtig ohne Erfolg. Die in §
1671 Abs. 1 BGB vorgesehenen Grundvoraussetzungen für die Aufhebung der
gemeinsamen elterlichen Sorge sind offenkundig gegeben Das \/erfahren betrifft ein
gemeinschaftliches minderjähriges Kind der beteiligten Eltern. Diesen steht die
elterliche Sorge für X gemeinsam zu, § 1626 BGB. Die Eltern leben nach ihren
Erklärungen im Termin auch nicht nur vorübergehend getrennt. Beide haben
dokumentiert, dass sie keine Möglichkeit sehen, bezüglich des Aufenthaltes für X die
gemeinsame Elternsorge weiter auszuüben. Erkennbar wird die Konfliktlösung in der
Alleinentscheidungsbefugnis eines von ihnen gesucht. Der nach § 1671 BGB
erforderliche Antrag, die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich des
Aufenthialtsbestimmungsrechtes aufzulösen, ist in der Antragserwiderung des
Antragsgegners vom 19.12.2001 ordnungsgemäß gestellt. Voraussetzung dafür, dem
Antrag stattzugeben, ist nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB, dass die angestrebte
Sorgerechtsregelung dem Kindeswohl am besten entspricht. Dein Kindeswohl
entspricht zur Zeit am besten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater zu
übertragen.
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Ausgangspunkt dieser Entscheidung ist, dass Vater und Mutter bei der
Sorgerechtsverteilung zunächst gleiche Rechte besitzen. Die im Termin anklingende
Haltung der Antragstellerin, dass die biologische Mutterschaft einen Vorrang habe, hat
keine rechtliche Grundlage (vgl. OLG FamRZ 1990, 550). Eine wichtige
Orientierungshilfe zur Entscheidung bietet das Förderungsprinzip. Danach erhält
derjenige Elternteil Alleinrechte, bei dem ein Kind für den Aufbau seiner Persönlichkeit
die meiste Unterstützung erwarten kann, und der für das Kind die stabilere und
verläßlichere Bezugsperson zu sein scheint (vgl. OLG FamRZ 1994, 920). Dabei kommt
es weniger auf Vor- oder Ausbildung an, sondern mehr auf die innere Bereitschaft zur
Förderung des Kindes verantwortlich Erziehung und Versorgung zu tragen. Das
Förderungsprinzip wird ergänzt durch den Kontinuitätsgrundsatz. Danach entspricht die
Sorgerechtsregelung dem Wohl des Kindes am besten, welche die Einheitlichkeit der
bisherigen Erziehung am wenigsten stört. Denn Erziehung erfordert den Aufbau von
Verhaltenskonstanten. Andererseits darf das Kontinuitätsinteresse nicht überbewertet
werden, wenn das Kontinuitätsinteresse mit regelmäßigen intensiven
Umgangskontakten gewahrt bleibt (vgl. OLG FamRZ 1982, 531). Besondere
Berücksichtigung verlangen ferner die gefühlsmäßigen Bindungen des betroffenen
Kindes an seine Eltern, und ein eventuell erklärter ausdrücklicher Kindeswille. Eine
Bewertung aller gegenwärtig bekannten Umstände führt nach Abwägung des Für und
Wider zu der hier ausgesprochenen vorläufigen Entscheidung zu Gunsten des Vaters.
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Ein Vorrang des Vaters kann bereits mit den gegenwärtig engeren Bindungen des
Kindes an ihn begründet werden. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung entstand
das schon im Termin dokumentierte Bild. X ist ein Junge, der beide Eltern gerne hat, zu
beiden Eltern deutlich positive Gefühle besitzt, und der durch die massiven
Streitigkeiten zwischen den Eltern verunsichert wird. Der Junge sucht Ruhe und
Stabilität, um die Trennung ertragen und akzeptieren zu können. Er vermittelt den
Eindruck, dass er die angestrebte Stabilität jetzt beim Vater erlebt und sich gegenwärtig
deshalb stärker an diesen anlehnt. Das bedeutet nicht, dass die gefühlsmäßigen
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Bindungen. an die Mutter geringeren Wert besitzen. Es scheint jedoch, dass X die
erwünschte Ruhe im Lebensumfeld der Mutter nicht gewahrt sieht. Verstärkt und
untermauert wird dieser Eindruck durch den erklärten Willen von X, beim Vater bleiben
zu wollen. Dieser Erklärung muss Gewicht beigemessen werden. X hat sich
altersgerecht artikuliert, er war zur Überzeugung des Gerichts vom Vater nicht unter
Druck gesetzt, der Inhalt der Erklärung und das darin verborgene Motiv kann mit der
vorgeschilderten Einschätzung gedeutet werden. Die offenkundige Anspannung des
Kindes lässt sich durch den Loyalitätskonflikt erklären, den X sieht, und in den er durch
die fehlende Verständigungsfähigkeit der Eltern gebracht wird. Abgesehen von allen
diesen Überlegungen spricht auch das Förderungsprinzip für eine Entscheidung zu
Gunsten des Antragsgegners. Der Vater hat für die weitere Entwicklung des Sohnes
klare Vorstellungen. Gegen die dabei gesetzten Prioritäten ist nichts einzuwenden. Die
von ihm hervorgehobene Wichtigkeit einer guten schulischen Bildung; einer
ausreichenden Nachtruhe, und einer intensiven Betreuung bedürfen keiner weiteren
Kommentierung. Dass diese Vorgaben im Interesse des Jungen liegen, ist offenkundig.
Sicherlich ist die Mutter zu einer Förderung des Sohnes ebenfalls in der Lage. Wie
ausgeführt kommt es auf die bestehenden sprachlichen Defizite im Gegensatz zu den
Vorstellungen des Antragsgegners nicht an. Die Hinweise der Mutter waren jedoch zu
sehr darauf gerichtet, es sei für den Sohn gut, wenn alles wieder so werde, wie es war.
Sie sei die Mutter, und habe den Jungen umfassend versorgt. Dies gewährleistet eine
optimale Förderung des Sohnes derzeit nicht. Die Vorstellungen des Vaters vermitteln
wie ausgeführt ein größeres Maß an Sicherheit. Der oben dargelegte
Kontinuitätsgrundsatz rechtfertigt keine andere Sichtweise. Es kann nicht entscheidend
sein, dass der Junge bisher überwiegend von seiner Mutter betreut worden ist. Dieser
Umstand hat durch das Gewicht der bisher erörterten Aspekte, die einen Vorrang der
väterlichen Vorstellungen begründen, keine größere Bedeutung mehr. Hinzu kommt,
dass die Kontinuität der mütterlichen Betreuung im Rahmen der anzustrebenden
umfangreichen Kontakte zur Mutter ausreichend aufrechterhalten werden kann. Im
übrigen hat sich gegenwärtig eine neue Kontinuität beim Vater aufgebaut, die zwar
ertrotzt, und damit nicht so sehr schützenswert scheint (vgl. OLG FamRZ 1991, 1343).
Allerdings darf insoweit dem betroffenen Kind wiederum ein Wechsel nicht ohne
weiteres zugemutet werden.
Nach alledem sprechen derzeit die gefühlsmäßigen Bindungen, der Kindeswille, die
Förderungsvorstellungen und auch die seit der Trennung beim Vater verbrachte Zeit
dafür, das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater zu übertragen. Ob es dabei auf
Dauer bleibt, wird sich nach dem Sachverständigengutachten zeigen. Eine
abschließende Entscheidung wird erst danach ergehen können. Bis die Begutachtung
vorliegt kann nicht abgewartet werden. Nachdem der im Termin erarbeitete
Zwischenvergleich nicht abgeschlossen werden konnte, steht fest, dass die
Verständigungsfähigkeit der Eltern derzeit fehlt, zumal auf der Partnerebene
schwerwiegende Kränkungen im Raum stehen. Unter diesen Umständen ist zu
befürchten, dass sachgerechte gemeinsame Entscheidungen für X bis zum
rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens nicht zustande kommen. Dass dies mit
einer nicht akzeptablen Gefährdung des Kindeswohls für X verbunden wäre liegt auf der
Hand. Dieser Gefahrenlage muss durch eine vorläufige Regelung Rechnung getragen
werden. Dass sich die fehlende Verständnisfähigkeit nur auf den Aufenthalt konzentriert
werden beide Eltern in der Folgezeit unter Beweis stellen können. Sie müssen sich im
Hauptverfahren daran messen lassen, ob es gelang, umfangreiche und spannungsfreie
Besuchskontakte des gemeinsamen Sohnes zur Mutter zu installieren. Sollte dies nicht
gelingen, wird zu prüfen sein, ob dies die Erziehungseignung der Eltern in Frage stellt,
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und ob darauf durch sorgerechtsbeschränkende Maßnahmen reagiert werden muss, §§
1671 Abs. 3, 1666 BGB.