Urteil des AG Lemgo vom 08.07.2010

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Amtsgericht Lemgo, 16 C 12/10
Datum:
08.07.2010
Gericht:
Amtsgericht Lemgo
Spruchkörper:
Zivilrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 C 12/10
Nachinstanz:
Landgericht Detmold, 10 S 121/10
Schlagworte:
Haftung für Dachlawinen
Normen:
BGB § 823 Abs. 1
Leitsätze:
Pflicht des Hauseigentümers bei bekannter Eis- und Schneelage
Maßnahmen zum Schutz gegen Dachlawinen zu treffen. Mittverschulden
des Fahrzeugeigentümers bei erkennbarer Gefahrenlage
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.291,28 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
18.02.2010 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe
von 169,99 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand:
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Ansprüche aus der streitigen Verletzung
einer Verkehrssicherungspflicht. Die Beklagte ist eine
Wohnungseigentümergemeinschaft für das Haus auf dem Grundstück E T2 in ####
C. Der Kläger ist Mieter einer im Dachgeschoss dieses Hauses gelegenen
Wohnung, die ihm durch den Eigentümer dieser Wohnung, Herrn T, vermietet wird.
Mitvermietet ist dem Kläger ein Einstellplatz für ein Kfz unmittelbar vor dem Haus
links neben dem Eingangsbereich unterhalb des Traufbereiches des Daches
liegend.
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In der Nacht vom 05. auf den 06.02.2010 löste sich vom Dach des Hauses oberhalb
des Einstellplatzes des Klägers eine nicht näher bekannte Menge von Schnee und
Eis, die auf die darunter stehenden, geparkten Fahrzeuge, insbesondere auf das
klägerische Fahrzeug fiel. Das klägerische Fahrzeug wurde hierdurch beschädigt
(vgl. Lichtbildaufnahme auf Seite 4, Schriftsatz des Klägers vom 01.04.2010).
Unstreitig ist, dass keinerlei Maßnahmen zur Entfernung der auf dem Dach
liegenden Schnee- und Eismengen seitens der Beklagten ergriffen wurden.
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Der Kläger ließ den Schaden durch einen Sachverständigen, den Sachverständigen
T3, am 10.03.2010 begutachten. Herr T3 bezifferte den Schaden für
Reparaturkosten in Höhe von 2.097,55 € netto. Das klägerische Fahrzeug wurde
durch den Schnee und durch das Eis im vorderen Bereich in Höhe der Motorhaube
und der Kotflügel beschädigt. Der Sachverständige rechnete gegenüber dem Kläger
für seine Tätigkeit 485,00 € brutto ab. Der Kläger ist nicht
vorsteuerabzugsberechtigt.
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Die Gebäudehaftpflichtversicherung der Beklagten lehnte auf eine
Zahlungsinanspruchnahme seitens des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine
Einstandspflicht ab.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 2.582,55 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
18.02.2010 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von
169,99 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt.
An dem fraglichen Tage habe sich nur wenig Schnee auf dem Dach des fraglichen
Hauses, allenfalls in Höhe von wenigen Zentimetern befunden. Selbst wenn die
Schneedecke anscheinend angetaut und dann wieder gefroren sei und sich
hierdurch einige Schnee- und Eisplatten gebildet hätten, so sei diese
Gefahrenquelle für die Beklagten nicht zu erkennen gewesen. Deshalb habe auch
keine Verpflichtung bestanden, insbesondere Schneefanggitter zu installieren.
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Auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen, insbesondere auf das
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2010 wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der klägerischen Partei steht der titulierte Zahlungsanspruch in Höhe von 1.291,28
€ sowie die titulierten Zinsen als auch angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe
der geltend gemachten Summe zu. Im Übrigen war die Klage als unbegründet
abzuweisen.
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I.
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Der klägerische Anspruch auf Zahlung von 1.291,28 € ergibt sich aus § 823 BGB.
Der Beklagten ist vorzuhalten, dass sie eine Verkehrssicherungspflicht, die sie zu
wahren hatte, pflichtwidrig verletzt hat.
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1.
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Als Hauseigentümerin besteht für die Beklagte hier die Verkehrssicherungspflicht,
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dass von dem Hausdach des Hauses keine Schnee- oder Eismassen auf unter dem
Haus stehende Fahrzeuge herunterfallen, insbesondere wenn für diese
Kraftfahrzeuge ein entsprechender Einstellplatz vorgesehen ist.
a)
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Selbst wenn hier ein Schneefanggitter für das Dach des Hauses baupolizeilich nicht
vorgeschrieben sein sollte und im Hinblick auf eine etwaige Schneearmut in der
Region auch nicht ortsüblich sein könnte (vgl. hierzu z. B. OLG Zweibrücken, Urteil
vom 09.07.1999, Aktenzeichen 1· U 181/98), so eröffnete die hiesige Wettersituation
in dem fraglichen Zeitraum jedoch eine Verkehrssicherungspflicht zu Lasten der
Beklagten. Denn es ist gerichtsbekannt, dass zum damaligen Zeitpunkt derartige
Schneeverhältnisse geherrscht haben, die - einhergehend mit einem Wetterwechsel
- zur Folge hatten, dass die Hauseigentümer auf eine Befreiung der Hausdächer von
Schnee- und Eismassen zur Vermeidung von abtaubedingten Abstürzen auf den
etwaigen Gehweg oder - wie hier auf Parkplätze - derselbigen zu achten hatten. Die
durchaus außergewöhnliche Wettersituation zum Jahreswechsel bzw. bis in das
Frühjahr 2010 hinein hat es hier erforderlich gemacht, eine erhöhte Sorgfalt walten
zu lassen, um das Herabstürzen von abtauenden Eismassen zu verhindern.
Angesichts des zwischenzeitlich eingetretenen Tauwetters musste der
Hauseigentümer hier angesichts der Änderung der Witterungslage Anhaltspunkte
für eine Eröffnung einer Verfahrenslage gehabt haben (vgl. hierzu OLG
Zweibrücken, Urteil vom 09.07.1999, Aktenzeichen 1 U 181/98, zu finden unter
www.jurisweb.de).
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Auch wenn nicht verkannt werden darf, dass einen Hauseigentümer grundsätzlich
nicht die Pflicht trifft, Dritte vor Dachlawinen zu schützen (OLG Hamm, Urteil vom
23.07.2003, Aktenzeiche13 U 49/03, zu finden unter www.jurisweb.de); so darf dies
dennoch - auch unter Berücksichtigung der vorstehenden Entscheidung des
Oberlandesgerichts Hamm - nicht uneingeschränkt gelten. Denn besondere
Umstände können zur Bejahung von Verkehrssicherungspflichten führen,
insbesondere können die allgemeinen Schneeverhältnisse eine solche
Verkehrssicherungspflicht begründen. Selbst wenn Hauseigentümer grundsätzlich
nicht die Pflicht trifft, Dritte durch spezielle Maßnahmen vor Dachlawinen zu
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schützen, wenn diese - wie wohl hier - nicht vorgeschrieben sind (vgl. OLG Hamm,
a. a. O. unter Hinweis auf OLG Gelle VRSR 82, 979; OLG Hamm NJW RR 87,412),
so ist hier dennoch eine - von der Beklagten pflichtwidrig verletzte
Verkehrssicherungspflicht eröffnet. Auch wenn es zunächst Aufgabe eines jeden
selbst ist, sich vor solchen Gefahren zu schützen, so bestand nach Auffassung des
Gerichts hier eine Rechtspflicht seitens der Beklagten dahingehend,
Sicherungsmaßnahmen zum Schutze Dritter zu treffen. Die Beklagte hätte
angesichts der bekannten Wetter- insbesondere der bekannten Eis- und
Schneelage des Ortes, der Beschaffenheit und Lage des Gebäudes, Maßnahmen
treffen müssen, die einen derartigen Schadenseintritt hätten vermeiden können.
Diese Maßnahmen hätten z. B. in der Warnung von den Nutzern der Parkplätze
münden können. Der Beklagten war es ohne weiteres zuzumuten, die Nutzer des
Hauses, z. B. durch das Aufstellen eines Warnschildes, darauf hinzuweisen, dass
Eis- und Schneemassen vom Dach herunterstürzen können.
21
b)
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Indem das Auto durch herabstürzende Eis- und Schneemassen beschädigt wurde,
steht für das Gericht im Wege des Beweises des ersten Anscheins fest, dass hier
die Beklagte diese bestehende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.
23
c)
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Dem jeweiligen Schaden, der hier klägerseits geltend gemacht wird, ist die beklagte
Partei nicht weiter entgegengetreten. Der entsprechende Anspruch ist demnach der
Höhe nach an sich auch entstanden.
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2.
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Allerdings ist der geltend gemachte Schadensersatzanspruch hier durch ein greifbar
bestehendes Mitverschulden seitens des Klägers nach § 254 BGB soweit zu kürzen,
als dass hier der Zahlungsanspruch tituliert wurde. Der Kläger hätte ohne weiteres
erkennen können, dass hier Schnee- und Eismasse auf sein Auto herabfallen
können. Auch ihm wird es nicht verschlossen geblieben sein, dass die bestehende
Wetterlage, insbesondere die wechselnde Tausituation, als auch einhergehend mit
Frost und zwischenzeitlichem Schneefall, die Gefahr des Herabstürzens von
Schnee- und Eismassen vom Dach des Hauses hervorgerufen hat. Das Gericht
sieht hier einen Mitverschuldensanteil seitens des Klägers in Höhe von 50 % als
angemessen an.
27
II.
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Der Verzinsungsanspruch ergibt sich hier aus §§ 286, 288 BGB.
29
III.
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Soweit vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend gemacht werden, ist auch ein
solcher Anspruch der Höhe nach hier begründet. Mehrkosten durch die ursprünglich
höher angesetzte Klagesumme sind für das Gericht nicht geltend gemacht.
31
IV.
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Die Kostenentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 92 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.
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