Urteil des AG Lemgo vom 17.09.2008

AG Lemgo: ermittlungsverfahren, begriff, strafverfahren, gebühr, trennung, vorrang, strafbefehl, rücknahme, ordnungswidrigkeit, zivilrichter

Amtsgericht Lemgo, 20 C 283/08
Datum:
17.09.2008
Gericht:
Amtsgericht Lemgo
Spruchkörper:
Zivilrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 C 283/08
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von einer Forderung in Höhe
von 166,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.04.2008 durch Zahlung an die
Kanzlei ..., gemäß Rechnung vom 25.03.2008 (Nr....) freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung gegen das Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 166,60 Euro festgesetzt.
Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Der Kläger kann von der Beklagten die Freistellung von einer Verbindlichkeit in Form
von Rechtsanwaltskosten in geltend gemachter Höhe beanspruchen. Ein Anspruch folgt
aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Rechtschutzversicherungsvertrag.
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Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Freistellung der – der Höhe nach unstreitigen –
Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG zu. Nach Gebührenziffer Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG
entsteht eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr, wenn durch
die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird und das Verfahren
nicht nur vorläufig eingestellt wird.
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Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde infolge der anwaltlichen
Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Bescheid der Staatsanwaltschaft
E vom 08.11.2007 endgültig eingestellt; wegen einer ggfs. in Betracht kommenden
Ordnungswidrigkeit wurde das Verfahren an die Verwaltungsbehörde abgegeben. Das
sodann verhängte Bußgeld hat der Kläger akzeptiert.
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Die Parteien streiten nunmehr darüber, ob das "Verfahren" nicht nur vorläufig eingestellt
worden ist. Wie der Begriff des "Verfahrens" im Sinne von Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG
auszulegen ist, ist in der Rechtsprechung umstritten.
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Während ein Teil der Rechtsprechung den Begriff "Verfahren" dahin auslegt, dass damit
das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit, bestehend aus Strafverfahren und
Ordnungswidrigkeitsverfahren, gemeint ist, geht ein anderer Teil der Rechtsprechung
von einer Trennung zwischen dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, das
vorliegend endgültig eingestellt worden ist, und dem sich daran anschließenden
Bußgeldverfahren aus.
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Der letzteren Auffassung gebührt der Vorrang: Dass der Begriff "Verfahren" nur das
staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren meint, ergibt sich bereits aus der Stellung
des Begriffs im gesamten Zusammenhang. Die Gebührenziffer Nr. 4141 VV RVG steht
in Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses, der als "Strafsachen" tituliert ist. In der
Überschrift zur Nr. 4141 VV RVG wird ein Bezug zur Hauptverhandlung im Sinne von §
230 StPO hergestellt; es folgt in Abs. 1 Nr.1 die Bezugnahme auf ein "Verfahren", das
nicht nur "vorläufig eingestellt" werden darf, sowie in Nr. 2 auf ein "Hauptverfahren", das
das Gericht nicht eröffnet. In Nr. 3 geht es um die Rücknahme von Rechtsmitteln, des
Einspruchs gegen Strafbefehl, der Berufung und Revision. Die in Nr. 4141 VV RVG mit
einer Zusatzgebühr bedachten Situationen stehen begriffsnotwendig im
Zusammenhang mit dem Strafverfahren; in Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG kann daher
nur das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gemeint sein.
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Auch nach Sinn und Zweck ist diese Auslegung geboten, weil der Gesetzgeber einen
Anreiz dafür schaffen wollte, die Hauptverhandlung entbehrlich zu machen.
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Schließlich hat der Gesetzgeber durch die Regelung in § 17 Nr. 2 RVG klargestellt, dass
das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nach dessen Einstellung sich
anschließendes Bußgeldverfahren zwei verschiedene gebührenrechtliche
Angelegenheiten darstellen.
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Weil die Prozessbevollmächtigten des Klägers durch ihr Verhalten im strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren eine Hauptverhandlung entbehrlich gemacht haben und das
Strafverfahren endgültig eingestellt worden ist, haben sie eine Zusatzgebühr nach Nr.
4141 VV RVG verdient.
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Die zugesprochenen Zinsen sind nach §§ 286, 288 BGB gerechtfertigt.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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