Urteil des AG Köpenick vom 22.07.1992

AG Köpenick: grundstück, nutzungsrecht, deutsche demokratische republik, zgb, numerus clausus, moratorium, veränderte verhältnisse, echte rückwirkung, eigentümer, magistrat

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Gericht:
AG Köpenick
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 C 541/01
Dokumenttyp:
Vorlagebeschluss
Quelle:
Normen:
Art 14 Abs 1 GG, Art 233 § 2a
Abs 1 S 4 BGBEG
Vorlagebeschluss zur Frage der Verfassungswidrigkeit einer
Anwendung des Sachenrechtsmoratoriums auf verliehene
unentgeltliche Nutzungsrechte
Tenor
1. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.
2. Der Rechtsstreit wird dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung mit dem
Antrag vorgelegt zu beschließen, daß Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB – mit der Folge,
daß der Gebäudeeigentümer an den Grundstückseigentümer für die Zeit vom 22. Juli
1992 bis zum 31. März 2005 ein Nutzungsentgelt zu zahlen habe – mit dem Recht des
Gebäudeeigentümers aus dem verliehenen, unentgeltlichen Nutzungsrecht an
»Eigentum des Volkes« mit der Begründung von »Gebäudeeigentum« aus seinem
Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar sei.
Gründe
I.
Den alsdann auf dem Grundstück H (damals K Weg ...) in B wohnenden Beklagten hatte
der Magistrat von B, Abteilung Finanzen, als Rechtsträger an dem als »Eigentum des
Volkes«, 745 qm großen und als Erholungsfläche geführten Grundstück zum Zweck der
Bebauung mit einem dann von den Beklagten errichteten »Eigenheim«, Typ »EW 65 B«,
am 1. Juli 1988 ein unentgeltliches Nutzungsrecht verliehen, ein besonderes
Gebäudegrundbuchblatt im Liegenschaftsregister anlegen und das entstandene
Gebäudeeigentum im für das Grundstück geführten Grundbuch vermerken lassen.
Mit Bescheid vom 29. April 1999 ordnete der Oberfinanzpräsident der
Oberfinanzdirektion Berlin das Grundstück dem Land Berlin bestandskräftig zu.
Ansprüche Dritter wurden an dem Grundstück bis heute weder geltend gemacht noch
festgestellt.
Unter Bezugnahme auf die Urkunde UR-Nr. 129/2000 vom 9. November 2000 und den
»Grundstücksübertragungs- und Treuhandvertrag«, UR-Nr. 14/2002, einschließlich
dessen Anlage 1 vom 1. März 2002 des Notars Graf zu Castell-Castell, in dem es –
unstreitig – in § 6 Abs. Abs. 3 unter anderem heißt, »Die Rechte aus (...) sonstigen die
Liegenschaften betreffenden Rechtsverhältnissen, insbesondere solchen aus
gesetzlichen Schuldverhältnissen, tritt Berlin hiermit an die Gesellschaft ab«, legt die
Klägerin dar, damit Inhaber einer vordem dem Land Berlin aus dem Eigentum an dem
Grundstück gegen die Beklagten zustehenden Forderung auf »Nutzungsentgelt«
geworden zu sein. Dem Land habe gegen die Beklagten ein – nun an die Klägerin
abgetretener – Anspruch auf Nutzungsentgelt nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB
für die Zeit vom 22. Juli 1992 bis einschließlich 31. März 1995 in Höhe von 1.690,76 EUR
zugestanden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als Gesamtschuldner 1.690,76 EUR
nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz im Sinne des § 247 BGB seit
Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie tragen vor, die Regelungen des Moratoriums seien nicht anwendbar, eine
Anwendung greife unzulässig in ihre Rechts aus dem Gebäudeeigentum ein. Das Land
Berlin und nun die Klägerin handelten angesichts des – unstreitigen – Antrags der
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Berlin und nun die Klägerin handelten angesichts des – unstreitigen – Antrags der
Beklagten vom 21. März 1990, das Grundstück zu kaufen, mit ihrem Verlangen eines
Nutzungsentgelts treuwidrig, § 242 BGB, weil allein das Land, im Wege der
Selbstverpflichtung (Senatsbeschluß Nr. 5281/94) an die Veräußerung an die Beklagten
gebunden und dazu im Grundsatz bereit, die verzögerlich erteilte Genehmigung nach
der GVO zu vertreten habe. Hilfsweise rechneten sie, die Beklagten, mit einem Anspruch
auf Verwendungsersatz aus der vorgetragenen Reparatur des Zauns des Grundstücks
zu Kosten von mindestens 2.200,– EUR auf, der – entgegen der von der Klägerin
vorsorglich erhobenen Einrede – nicht verjährt sei.
II.
Der Rechtsstreit ist auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur
Entscheidung vorzulegen, Art. 100 Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative GG, § 80 Abs. 1, § 13
Nr. 11 BVerfGG.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, daß die Anwendung des Art. 233 § 2a Abs. 1
Satz 4 EGBGB auf das verliehene, unentgeltliche Nutzungsrecht an »Eigentum des
Volkes« mit der Begründung von »Gebäudeeigentum«, mit der Folge, daß der
Gebäudeeigentümer an den Grundstückseigentümer für die Zeit vom 22. Juli 1992 bis
zum 31. März 2005 ein Nutzungsentgelt zu zahlen habe, verfassungswidrig ist, und die
Rechte der berechtigten Gebäudeeigentümer, hier der Beklagen, aus ihrem Eigentum
nach Art. 14 Abs. 1 GG verletzt.
1. Auf die Frage der Anwendbarkeit des Art 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB kommt es für
die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblich an.
Das beschließende Gericht ist der Ansicht, die Klage sei allein aus dem Grund
abzuweisen, weil Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB auf das verliehene, unentgeltliche
Nutzungsrecht an »Eigentum des Volkes« mit der Begründung von »Gebäudeeigentum«
nicht anzuwenden ist.
a) Der Klage kann nicht entgegen gehalten werden, das Entstehen eines Anspruchs
nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB zugunsten des seinerzeitigen
Grundstückseigentümers gegen die Beklagten als »Gebäudeeigentümer« unterstellt, die
Klägerin sei hier nicht aktiv legitimiert. Die Klägerin kann sich auf Grund des
»Grundstücksübertragungs- und Treuhandvertrag«, UR-Nr. 14/2002, einschließlich
dessen Anlage 1 vom 1. März 2002 dann auf einen aus abgetretenem Recht, § 398 BGB,
vom Eigentümer des Grundstücks hergeleiteten Anspruch auf Zahlung eines
Nutzungsentgelts für die Zeit vom 22. Juli 1992 bis zum 31. März 1995 berufen.
b) Darauf, daß ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Nutzungsentgelts verjährt sei,
läßt sich die Abweisung der Klage – wie in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien
erörtert – nicht stützen. Die Klägerin hat zwar nicht rechtzeitig die für einen solchen
Anspruch mit dem Ablauf des 8. November 2002 eintretende Verjährung, Art. 233 Abs. 1
Satz 7 EGBGB, gehemmt, § 209 BGB. Die Beklagten haben aber vorgerichtlich aus hier
nicht weiter interessierenden Gründen auf die Einrede der Verjährung zumindest
zeitweise verzichtet – und sie folgerichtig nicht geltend gemacht.
c) Dem Erfolg der Klage kann ferner nicht (anders als in jener der Entscheidung des
BVerfG vom 15. Juni 2004 – 1 BvR 954/04 – zugrunde liegenden Sache) entgegen
gehalten werden, daß nicht mindestens die Voraussetzungen eines der Buchstaben a)
bis d) des Art. 233 Abs. 1 Satz 1 EGBGB vorliegen.
Richtig ist, daß nach dem Wortlaut der Vorschrift für die Beklagten die Voraussetzungen
des Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 lit. a) EGBGB vorlagen. Aus den von den Parteien
eingereichten Unterlagen ergibt sich ohne weiteres, daß ein Besitzrecht der Beklagten
jedenfalls nicht aus einer Nutzung als Genossenschaft, Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 lit. b)
EGBGB, oder aus einer auf einem unter staatlicher Verwaltung (der DDR) stehenden
Grundstück, Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 lit. c) EGBGB, herleitbar ist. Die Beklagten haben
ferner ihr »Eigenheim« nicht im Zuge der Verleihung des Nutzungsrechts gekauft, Art.
233 Abs. 1 Satz lit. d) EGBGB. Die Beklagten haben das Grundstück vielmehr nach der
Verleihung des Nutzungsrechts mit behördlicher Genehmigung mit einem Eigenheim
bebaut, Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 lit. a) EGBGB.
d) Die Klage ist weiter nicht schon unbegründet, weil die Klägerin den Betrag der
Klageforderung dem Grunde nach falsch berechnete – oder die Beklagten gegen die
Klageforderung wirksam mit ihnen zustehenden Ansprüchen auf Ersatz von
Verwendungen auf das Grundstück die Aufrechnung erklärten, §§ 387, 388, 389 BGB,
und so die Klageforderung erfüllten, § 362 BGB.
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aa) Die Klägerin hat sich zur Berechnung der Klageforderung im Grundsatz zutreffend
auf Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB in Verbindung mit §§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 43 Abs. 2,
45 SachenRBerG berufen. Daß hier das Grundstück im Bestandsverzeichnis (noch) als
Erholungsfläche geführt wird, schadet nicht. Mit der Verleihung des Nutzungsrechts und
der behördlich genehmigten Bebauung mit dem »Eigenheim« hatte sich außerhalb des
Liegenschaftsregisters und damit nun des Grundbuchs die Nutzungsart geändert.
bb) Unabhängig von der Einrede der Verjährung, auf die sich die Klägerin in Rücksicht auf
die von den Beklagten hilfsweise geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz von
Verwendungen auf das Grundstück beruft, scheitert die Aufrechnung bereits daran, daß
den Beklagten ein aufrechenbarer Anspruch hier gar nicht zustand.
Die Verpflichtung, auf dem Grundstück, auf dem ihr »Eigenheim« errichtet worden war,
den Zaun zu erneuern und die Kosten hierfür zu tragen, traf allein die Beklagten. Mit der
Verleihung des Nutzungsrechts, der Begründung von »Gebäudeeigentum«, übernahmen
die Berechtigten, so hier auch die Beklagten, die Verpflichtung, auf eigene Kosten das
Grundstück, auf dem ihr Gebäudeeigentum belegen ist, instand zu halten und
gegebenenfalls instand zu setzen. Dazu zählt auch das Erneuern des Zauns. Nach dem
Gesetz über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken vom
14. Dezember 1970 (GesBl. I Nr. 24, Seite 3) § 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ist der Nutzer
verpflichtet, die Erhaltungs- und Instandsetzungspflichten sowie die öffentlichen Lasten
auf eigene Kosten zu tragen. Diese Regelungen bestanden auch noch mit dem
Inkrafttreten des hier maßgeblichen § 287 Abs. 1 ZGB fort. Dies war möglich, weil das
Gesetz über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken bei
Einführung des ZGB nicht aufgehoben worden war, sondern bestehen blieb, soweit es
dem ZGB nicht widersprach, § 13 Abs. 2 EGZGB.
e) Dem Erfolg der Klage stünde weiter nicht ein der Klägerin zuzurechnendes
treuwidriges Verhalten, § 242 BGB des Rechtsvorgängers der Klägerin entgegen. Die
Beklagten hatten nach dem Vortrag der Parteien aus dem Senatsbeschluß schon keinen
durchsetzbaren Anspruch gegen das Land auf Veräußerung des Grundstücks an sie.
f) Der geltend gemachte Zinsanspruch der Klägerin bedarf für die Begründung der
Vorlage an des Bundesverfassungsgericht keiner Erörterung.
2. Das vorlegende Gericht sieht sich an der Abweisung der Klage mit der Begründung
gehindert, Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB finde keine Anwendung auf den
»Gebäudeeigentümer«, der sein Recht von der Verleihung eines dinglichen
Nutzungsrechts an »Eigentum des Volkes« herleitet.
a) Entgegen Art. 14 Abs. 1 GG ist die Vorschrift des Art. 233 Abs. 1 Satz 4 EGBGB mit
der Rechtsprechung der in den Instanzen übergeordneten Gerichte, hier maßgeblich des
Landgerichts, so auszulegen, daß von ihr auch der dinglich Nutzungsberechtigte, dem
das Nutzungsrecht nach § 287 ZGB vom Rechtsträger an »Eigentum des Volkes«
verliehen ist, erfaßt wird.
b) Das vorlegende Gericht verkennt nicht, daß nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts die in Art. 100 Abs. 1 GG und § 80 BVerfGG geregelte
Vorlagepflicht nur dann besteht, wenn das im Einzelfall zuständige Gericht eine
entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig hält.
Sinn des Art. 100 Abs. 1 GG ist es, die Überprüfung des Gesetzgebers beim
Bundesverfassungsgericht zu konzentrieren (vgl. BVerfGE 17, 208 <210>). Dagegen
dient die Regelung nicht dazu, Meinungsverschiedenheiten zwischen Gerichten
desselben Rechtszugs zu klären (vgl. BVerfGE 78, 20 <24 f.>; 80, 54 <59>; BVerfG, 2.
Kammer des Ersten Senats, NJW-RR 2000, S. 1309).
Wie eine Norm des einfachen Rechts auszulegen ist, ist grundsätzlich Sache des dafür
allgemein zuständigen Gerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Ist es der Auffassung, die
Auslegung einer Vorschrift, die das im Instanzenzug übergeordnete Gericht
vorgenommen und selbst für verfassungsgemäß gehalten hat, sei mit dem Grundgesetz
nicht vereinbar, darf es nicht das Bundesverfassungsgericht anrufen. Denn die
verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der im Instanzenzug
übergeordneten Gerichte muss dem dafür vorgesehenen Verfahren der
Verfassungsbeschwerde vorbehalten bleiben (vgl. BVerfGE 22, 373 <379>; 70, 134
<137>; 80, 54 <58 f.>; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.). Diese
Auffassung teilt das vorlegende Gericht.
c) Die Antwort auf die Frage, ob die Überprüfung einer vom Gesetzgeber geschaffenen
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c) Die Antwort auf die Frage, ob die Überprüfung einer vom Gesetzgeber geschaffenen
gesetzlichen Regelung gegeben ist – oder ob ein Gericht des Rechtszugs die Auslegung
eines übergeordneten Gerichts für nicht verfassungsgemäß hält, verschiebt sich von der
zweiten auf die erste Alternative, wenn die Auslegung, die das im Instanzenzug
übergeordnete Gericht vorgenommen hat, so »sicher« und »unangreifbar«,
»versteinert«, ist, als hätte der Gesetzgeber selbst diese Auslegung unzweideutig, über
alle Zweifel erhaben vorgegeben.
So liegt der Fall hier.
aa) Der Bundesgerichtshof, Geschäftszeichen: V ZR 2/03, hat in der Entscheidung vom
25. Juli 2003 den Anspruch des Eigentümers am Grundstück gegen den Nutzer, dem ein
Nutzungsrecht nach § 291 ZGB von einer LPG zugewiesen worden war, auf Zahlung
eines Nutzungsentgelts nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB bejaht.
Das Gericht hat sich maßgeblich in der hier zu entscheidenden Frage darauf gestützt,
daß zwar Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 1 EGBGB dem Nutzer erlaube, sich auf bestehende
Nutzungsrechte und »günstigere Vereinbarungen und Regelungen« zu berufen, die das
gesetzliche Moratorium nicht aushebelten. Doch seien darunter nur Vereinbarungen mit
dem Eigentümer zu verstehen. Nur an eigene Vereinbarungen müsse dieser sich
festhalten lassen, nicht aber an »Vereinbarungen« mit der Behörde, von der der Nutzer
sein durch Abs. 1 Satz 1 geschütztes Recht ableitete (Staudinger/Rauscher, aaO Rdn.
71; vgl. auch MünchKomm-BGB/Wendtland, aaO Rdn. 30).
bb) Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 30. Januar 2004,
Geschäftszeichen: V ZR 262/03, (www.bundesgerichtshof.de), in dem den Beklagten des
Ausgangsverfahrens ein dingliches Nutzungsrecht an »Eigentum des Volkes« verliehen
worden war, eher beiläufig die Anwendbarkeit des Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB
verneint, weil ein Anspruch insoweit (jedenfalls?) verjährt war.
Das – dann an sich naheliegende – Fehlen einer Begründung, ob Art. 233 § 2a Abs. 1
Satz 4 EGBGB im dort entschiedenen Fall überhaupt gegeben war, wird durchgängig von
der hier abgelehnten Auffassung, die Regelung finde auf alle Nutzungsverhältnisse nach
dem Recht der DDR Anwendung, als weiteres Element der Begründung herangezogen.
Der Bundesgerichtshof habe mit der Entscheidung die selbstverständliche
Anwendbarkeit der Norm angenommen.
cc) Das Landgericht Berlin hat in den ihm (in einigen Dutzend) zur Entscheidung
anstehenden – der vorliegenden Fallgestaltung gleich gelagerten – Fällen eines
dinglichen, verliehenen Nutzungsrechts an »Eigentum des Volkes« ausnahmslos die
Regelung des Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB zu Lasten der am Grundstück dinglich
berechtigten Gebäudeeigentümer für gegeben angesehen.
Entscheidend aber ist, daß vom Bundesverfassungsgericht selbst diese
Entscheidungspraxis des Landgerichts Berlin gebilligt worden ist.
In seinem Beschluß vom 15. Juni 2004, Geschäftszeichen: 1 BvR 954/04, hat das Gericht
die Verfassungsbeschwerde der Beklagten des Ausgangsrechtsstreits nicht
angenommen und unter anderem ausgeführt, die Annahme sei nicht zur Durchsetzung
der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt. Die
Verfassungsbeschwerde habe keine Aussicht auf Erfolg. Anhaltspunkte dafür, daß das
angegriffene Urteil auf einem Verstoß gegen Grundrechte oder grundrechtsgleiche
Rechte des Beschwerdeführers beruhte, seien nicht ersichtlich.
Die Beschwerdeführer jenes Verfahrens hatten die Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG,
subsidiär des Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidung des
Landgerichts Berlin vom 9. März 2004, Geschäftszeichen: 64 S 424/03 gerügt.
In dem vom Landgericht Berlin am 9. März 2004 entschiedenen Fall hatte es der Klägerin
jenes (und des hiesigen) Rechtsstreits ein von den Beklagten und Beschwerdeführern zu
zahlendes Nutzungsentgelt nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB aus vom Land
Berlin an die Klägerin abgetretenem Recht zuerkannt. Den Beklagten jener Entscheidung
war ein dingliches, unentgeltliches Nutzungsrecht nach § 287 ZGB an »Eigentum des
Volkes« verliehen worden. Sie hatten auf dem Grundstück weder ein Gebäude errichtet,
noch eines gekauft. Sie hatten vielmehr ein vorhandenes Gebäude unentgeltlich mit der
Verleihung zu Eigentum erworben. Die Voraussetzungen des Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1
lit. a) bis d) EGBGB lagen nicht vor; sie waren von dem Landgericht auch nicht geprüft
worden.
3. Die Anwendung des Art 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB auf das dingliche
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3. Die Anwendung des Art 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB auf das dingliche
Nutzungsrecht an »Eigentum des Volks« verstößt gegen den Schutz des Eigentums der
Gebäudeeigentümers und ist damit verfassungswidrig.
a) Die Regelungen des Art. 233 § 2a EGBGB – das Moratorium – sind auf sogenannte
»hängende« Fälle des Besitzes eines Nutzers von ihm fremden Grund und Boden
beschränkt, die einer eigenständigen, neben den vorhandenen Vorschriften
hinzutretenden Regelung bedurften. Sie sollen die Konstellationen erfassen, bei denen
fremder Grund und Boden auch auf der Grundlage von schuldrechtlichen Verträgen oder
gar ohne jede Rechtsgrundlage genutzt worden ist.
Die Regelungen des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II S. 885) zu dem Vertrag
vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands
Einigungsvertrag (im folgenden: EV) erwiesen sich alsbald als nicht ausreichend, um die
vorgefundenen Nutzungsverhältnisse an Grundstücken bis zu deren Überführung in
bundesdeutsches Recht wirksam zu sichern. Bisher auf rechtlicher Grundlage oder auch
nur tatsächlich, aber unangefochten in Anspruch genommene Besitzrechte wurden von
den Grundstückseigentümern vielfach – auch gerichtlich – in Frage gestellt (vgl.
BTDrucks 12/2480, S. 32 und 77). Um zu verhindern, daß insoweit vollendete Tatsachen
geschaffen werden, führte der Gesetzgeber zur Aufrechterhaltung des status quo bis zur
Bereinigung des Sachenrechts durch Art. 8 des Zweiten
Vermögensrechtsänderungsgesetzes (2. VermRÄndG) vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257)
mit Wirkung vom 22. Juli 1992 das sogenannte sachenrechtliche Moratorium in das
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch ein. Das Bundesministerium (zitiert
nach BVerfG 1 BvR 1680/93, IV 1., www.bverfg.de ) hat insofern ausgeführt: Nachdem im
Einigungsvertrag die in der Deutschen Demokratischen Republik geschaffenen dinglichen
Rechtspositionen aufrechterhalten worden seien, sei Anfang 1992 festgestellt worden,
daß die getroffene Regelung lückenhaft sei. Sie habe sich ausschließlich mit den auf der
Grundlage der Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik
entstandenen formalen Rechtspositionen befaßt, nicht aber berücksichtigt, daß fremder
Grund und Boden auch auf der Grundlage von schuldrechtlichen Verträgen oder gar
ohne jede Rechtsgrundlage genutzt worden sei. Um auch in diesen Fällen die zu
bereinigenden Rechtspositionen rechtlich zu sichern, sei das bis zum Ablauf des 31.
Dezember 1994 befristete gesetzliche Besitzrecht geschaffen worden. Diese
Begründung deckt sich – soweit für die gegenwärtige Besetzung des Gerichts als
seinerzeit tätigen Grundbuch- und Zivilprozeßrichter ersichtlich – mit der Auffassung und
daraus folgenden Verfahrensweise der betroffenen Grundbuchämter und der hierzu
ergangenen Entscheidungen.
b) Ein Anlaß, die Regelungen des Art. 233 § 2a EGBGB auf das an »Eigentum des
Volkes« verliehene Nutzungsrechte nach §§ 287, 288 ZGB zu erstrecken, bestand nicht.
Um einen »hängenden« Fall der Nutzung eines Grundstücks handelte es sich bei dem
verliehenen Nutzungsrecht an »Eigentum des Volkes« gerade nicht.
Der EV hatte auf inhaltliche Änderungen des entsprechenden Rechts der DDR zunächst
verzichtet. Er ergänzte allerdings das auch im Beitrittsgebiet in Kraft gesetzte
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch gemäß Anlage I Kapitel III Sachgebiet B
Abschnitt II Nr. 1 EV um besondere Regelungen für dieses Gebiet (im folgenden: EGBGB
1990).
Der Übergang des verliehenen Nutzungsrechts an »Eigentum des Volkes« mit der
Begründung von Gebäudeeigentum in das bundesrepublikanische Recht hatte seinen –
abschließenden – Niederschlag bis zu einer endgültigen Bereinigung der
Rechtsverhältnisse in den Art. 233 § 3 EGBGB und Art. 233 § 4 EGBGB gefunden. Denn
die in der Deutschen Demokratischen Republik begründeten Nutzungsrechte sollten bis
zur späteren Bereinigung und Anpassung der zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse
mit ihrem bisherigen Inhalt bestehen bleiben (vgl. Art. 231 § 5, Art. 233 §§ 3, 8 EGBGB
1990). Dadurch sollten Rechtssicherheit und Rechtsfrieden im Beitrittsgebiet gewahrt
werden (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 61 unter C).
c) Die Verwendung des Begriffs »unbeschadet« in Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 EGBGB
trägt dem Rechnung. »Unbeschadet« ist in dem verwendeten Zusammenhang
(zumindest auch) dahin zu verstehen, daß die Regelungen, die Normen des
»Moratoriums« bei Vorhandensein anderer, hinreichender Regelungen nicht anwendbar
sind. Die anderen Regelungen sollen – nach dem Wortsinn von »unbeschadet« – keinen
Schaden erleiden.
Die Regelungen bestehen folgerichtig in vollem Umfang, unbeeinträchtigt fort. Erst dann,
wenn die anderen Regelungen für das betroffene Recht weniger günstig sind als die des
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wenn die anderen Regelungen für das betroffene Recht weniger günstig sind als die des
»Moratoriums«, kommen, gewissermaßen hilfsweise, diese ergänzend zum Zuge.
Abzustellen ist bei diesem Verständnis des Begriffs »unbeschadet« allein auf das
Vorhandensein von Regelungen eines Sachverhalts, zunächst ungeachtet ihres Inhalts,
und die Vollständigkeit der Erfassung des Sachverhalts. Ist alles geregelt, bedarf es
keiner Regelung durch ein »Moratorium«. Und Regelungen in diesem Sinn sind
selbstverständlich auch »Vereinbarungen«, haben doch auch diese einen regelnden
Inhalt. Sind abschließende, vollständige Regelungen vorhanden, hat es dabei sein
Bewenden.
Ersichtlich hat sich der Gesetzgeber, vermutlich in der Unsicherheit, dann in jedem Fall
seinen gesetzgeberischen Zweck erreicht zu haben, damit aber nicht zufrieden
gegeben. Er hat einen zweiten Fall aus dem Regelungsgehalt des »Moratoriums«
ausscheiden wollen. Hier hat er an die inhaltliche Seite gedacht.
Ausgeschieden werden sollten auch die Sachverhalte, die dem Besitzer ein inhaltlich
»günstigeres«, ihm »angenehmeres« Besitzrecht geschaffen hatten.
Und nur für diesen Fall kann es darauf ankommen, das Entstehen und Bestehen des
außerhalb des »Moratoriums« entstandenen Nutzungsrechts mit dem vom Moratorium
bewilligten zu vergleichen.
Und nur im zweiten Fall kommt es überhaupt dazu, daß eine Prüfung der Regelungen
des »Moratoriums« stattfindet.
Stehen dann zwar die außerhalb des »Moratoriums« bestehende Regelung des
Nutzungsverhältnisses mit der durch das »Moratorium« angeordneten inhaltlich
nebeneinander, so kommt die dem Nutzer eher günstige Regelung allein zum Zuge.
Auch dann hat es bei der »günstigeren« Regelung sein Bewenden.
Wollte man das außerhalb des »Moratoriums« geschaffene Nutzungsrecht neben dem
vom Moratorium zugebilligten für anwendbar halten, kann das zu absurden Ergebnissen
führen.
Ein Gebäudeeigentümer mit einem auf »Eigentum des Volkes« verliehenen
Nutzungsrecht hätte dann, baut er auf dem Grundstück sein »Eigenheim« oder kauft er
es, weil auf dem Grundstück schon ein Gebäude errichtet war, so hätte er ein
Nutzungsentgelt nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB zu zahlen, übernimmt er
hingegen das Gebäude unentgeltlich oder baut er nicht, liegen die Voraussetzungen des
Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 EGBGB nicht vor, so daß er kein Nutzungsentgelt schuldete.
d) Das an »Eigentum des Volkes« verliehene Nutzungsrecht und das damit begründete
selbständige Gebäudeeigentum genießen nach Anlage I Kapitel III Sachgebiet B
Abschnitt II Nr. 1 EV den Schutz des Eigentums nach Art 14 GG gleich jedem anderen
dinglichen Recht an einem Grundstück.
aa) Das Gebäudeeigentum auf »Eigentum des Volkes« und das ihm zugrunde liegende
verliehene Nutzungsrecht standen in der Deutschen Demokratischen Republik den
anderen dinglichen Belastungen des Grundstücks mindestens gleich.
Gleich dem heutigen Verfahren in Grundbuchsachen wurde dieses Gebäudeeigentum in
Abteilung 2 des für »Eigentum des Volkes« geführten Grundbuchblatts wie jedes andere
dingliche Nutzungsrecht oder jede Dienstbarkeit eingetragen. (vgl. etwa Anweisung Nr.
4/87 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über Grundbuch und
Grundbuchverfahren unter Colidobedingungen – Colido Grundbuchanweisung – vom 27.
Oktober 1987, B II. Nrn. 12 Abs. 2 a), 18 Abs. 2)
Zur Gewährleistung der Verkehrsfähigkeit des Gebäudeeigentums auf »Eigentum des
Volkes« wurde ein gesondertes Grundbuchblatt angelegt. Für das Anlegen, Einrichten
und Führen dieses Grundbuchblatts galten die entsprechenden Regelungen für das
Grundbuch. (vgl. etwa Colido Grundbuchanweisung vom 27. Oktober 1987, B V. Nrn. 35
bis 40)
bb) Das Gebäudeeigentum auf »Eigentum des Volkes« und das ihm zugrunde liegende
verliehene Nutzungsrecht gründeten auf umfassenden, im Grundsatz in sich
abgeschlossenen rechtlichen Regelungen im Recht der Deutschen Demokratischen
Republik. Das Gebäudeeigentum sollte den »produktiven« Teil eines Grundstücks,
dessen Verkehrsfähigkeit an sich nicht gewünscht war, weiter verkehrsfähig halten. In
Abkehr von dem aber auch in Anlehnung an das Erbbaurecht wurde ein ihm für den
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Abkehr von dem aber auch in Anlehnung an das Erbbaurecht wurde ein ihm für den
Gebäudeeigentümer an »Eigentum des Volkes« qualitativ gleichwertiges Recht am
Grundstück geschaffen (vgl. Rhode (Hrsg.), Lehrbuch des Bodenrechts, 1976, S. 293 ff.,
295). Das zunächst unentgeltliche Recht (§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den
Verkauf volkseigener Eigenheime und Siedlungshäuser vom 15. September 1954, GBl I,
Seite 784) wurde im Nutzungsrechtsgesetz 1970 (GBl. I, Seite 372) und später in den §§
287, 288 ZGB, § 288 Abs.3 ZGB, als im Grundsatz entgeltliches Recht ausgestaltet. Von
der Entgeltlichkeit konnte nur abgesehen werden, wenn dies ausdrücklich angeordnet
war. Der »Nutzungsberechtigte« war verpflichtet, das volkseigene Grundstück
bestimmungsgemäß zu nutzen und, insofern von dem Nutzungsrechtsgesetz 1970
ergänzt, in seinem Bestand zu erhalten und zu pflegen. Das Gebäudeeigentum war
veräußerlich und vererblich, § 289 Abs. 1 ZGB. Es stand damit den dinglichen Rechten
nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in nichts nach.
cc) Eine solche hier zugunsten der Beklagten am 5. August 1988 in Abteilung II des
Liegenschaftsregisters eingetragene dingliche Belastung des Eigentums am Grundstück
H S .. ist wie jede andere dingliche Last in Abteilung II und Abteilung III am 3. Oktober
1990 mit dem Eigentum an dem Grundstück bestehen geblieben – oder auf den neuen
Eigentümer übergegangen, vgl. Anlage I Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 1 EV.
Rechte, mit denen ein Grundstück am Ende des Tages vor dem Wirksamwerden des
Beitritts belastet ist, bleiben mit dem sich aus dem bisherigen Recht ergebenden Inhalt
und Rang bestehen, Art. 233 § 3 Abs. 1 Satz 1 erste Satzhälfte EGBGB.
dd) Eigentümer des mit der dinglichen Belastung eines verliehenen, unentgeltlichen
Nutzungsrechts an »Eigentum des Volkes«, dem Gebäudeeigentum, beschränkten
Eigentums an dem Grundstück H S .. war mit dem 3. Oktober 1990 bis zur – im Wege
der Sonderrechtsnachfolge bewirkten – Eintragung des Eigentums der Klägerin das Land
Berlin.
Richtig ist zwar, daß das Land Berlin nicht Rechtsnachfolger des Magistrat von Berlin
oder »Eigentum des Volkes« ist (vgl. BGHZ 127, 285; BGH MDR 1996, 429 m. w. H.). Auf
eine Rechtsnachfolge des Landes auf den Magistrat von Berlin kommt es hier aber nicht
an.
Das Land Berlin ist in Rücksicht auf das Eigentum an dem und die Verfügungsbefugnis
über das Grundstück bis in das Jahr 1999 als Funktionsnachfolger nach dem Magistrat
von Berlin behandelt worden und zu behandeln gewesen. Funktionsnachfolge bedeutet
hier Nachfolge in der Funktion des Eigentümers. (vgl. BGH NJWE-MietR 1996, 134; BGH
MDR 1996, 429; KG, KGR Berlin 1994, 76-78; OLG Dresden, VIZ 2001, 575; dazu
Anmerkung Gruber NJ 2001, 378) Die Frage der Funktionsnachfolge bedarf hier indes
keiner Vertiefung.
Mit der bestandskräftig gewordenen Zuordnung des Grundstücks auf das Land Berlin mit
Bescheid vom 29. April 1999 stand das Land Berlin als Eigentümer seit dem 3. Oktober
1990 fest. Das Eigentum an dem Grundstück stand dem Land in dem Umfang zu, wie es
nach dem Einigungsvertrag vorgefunden worden ist. Mit der Zuordnung des Grundstücks
auf das Land sind nach §§ 1a Abs. 1, 11 Abs. 2 VZOG die aus dem fortbestehenden
dinglichen Nutzungsrecht folgenden Verpflichtungen auf das Land übergegangen (vgl.
BGH Urteil vom 30. Januar 2004, Geschäftszeichen: V ZR 262/03, Seite 6, 7,
www.bundesgerichtshof.de).
ee) Das Anordnen einer Entgeltpflicht nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB für das
verliehene, unentgeltliche Nutzungsrecht an »Eigentum des Volkes«, das
Gebäudeeigentum der Beklagten stellt einen unzulässigen Eingriff in das insoweit
geschützte Eigentumsrecht der Beklagten nach Art. 14 Abs. 1 GG dar.
Das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum, zu dem das dem einzelnen
Rechtsträger durch das bürgerliche Recht zugeordnete dingliche Recht am Grundstück
gehört (vgl. BVerfGE 70, 191 <199>), ist in seinem rechtlichen Gehalt durch
Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den
Eigentumsgegenstand gekennzeichnet (vgl. BVerfGE 52, 1 <30> m.w.N.). Die Nutzung
soll es dem Rechtsinhaber ermöglichen, sein Leben im vermögensrechtlichen Bereich
nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Demgemäß schützt die grundrechtliche
Eigentumsgewährleistung grundsätzlich auch die Entscheidung des Inhabers des
dinglichen Rechts darin, wie er das Rechtsobjekt verwenden will (vgl. BVerfGE 88, 366
<377>). Diese Rechtsstellung wird zu seinen Lasten betroffen, wenn ihm die Möglichkeit,
unter Ausschluß Rechte Dritter sein Recht zu nutzen, durch gesetzliche Regelungen
genommen oder beschnitten wird (vgl. BVerfGE 52, 1 <30 f.>) – oder wenn solche
Regelungen ein Entgelt für die Überlassung einer Grundstücksnutzung ohne Rücksicht
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Regelungen ein Entgelt für die Überlassung einer Grundstücksnutzung ohne Rücksicht
darauf anordnen, daß der Rechtsinhaber die bei der Bestellung des Rechts vereinbarten
oder sonst geregelten öffentlichen Lasten, etwa Erschließungsbeiträge oder
Straßenreinigungskosten, zu tragen hat (vgl. BVerfGE 87, 114 <148 f.>). Das gleiche
gilt, wenn gerichtliche Entscheidungen zu solchen Beschränkungen führen.
ff) Richtig ist zwar, daß eine spätere Bereinigung und Anpassung der aus der
Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik überkommenen
Rechtsverhältnisse, die keine direkte Entsprechung in den dinglichen Rechten an
Grundstücken im Recht der Bundesrepublik Deutschland hatten, an das Bürgerliche
Gesetzbuch und seine Nebengesetze oder an veränderte Verhältnisse im
Einigungsvertrag vorbehalten waren (vgl. Anlage I Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt II Nr.
1 EV).
Der Gesetzgeber hat aber mit dem Erlaß des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes (Art. 1
SachRÄndG vom 21. September 1994, BGBl. I Seite 2457) von dem Vorbehalt
hinreichend und abschließend Gebrauch gemacht. Das SachenRBerG stellt eine
hinreichende Regelung für insbesondere die klaren Fälle einer dinglichen Belastung eines
Grundstücks mit einem Nutzungsrecht an »Eigentum des Volkes« dar. Das Ziel einer
Überführung der dem »numerus clausus« der Sachenrechte des Bürgerlichen
Gesetzbuchs nicht entsprechenden Rechtsverhältnisse an Grundstücken in Institute des
Bürgerlichen Gesetzbuchs und seiner Nebengesetze war mit dem Gesetz gewährleistet.
Eines weitergehenden Ausgleichs der Rechte des Eigentümers am Grundstück und des
Inhabers der Belastung an diesem Grundstück bedurfte und bedarf es daneben oder
auch nur für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des SachenRBerG nicht.
Folgerichtig hat der Gesetzgeber mit Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB nicht nur keine
endgültige Regelung im Sinne des Art. 233 § 3 Abs. 2 EGBGB getroffen – sondern die
Entgeltpflicht auf die Zeit vom Inkrafttreten des »Moratoriums« bis zum Inkrafttreten des
SachenRBerG beschränkt.
Der Staat und damit das Land Berlin bedürfen in Rücksicht auf ein verliehenes,
unentgeltliches Nutzungsrecht, das Gebäudeeigentum, keines über die Regelungen des
Einigungsvertrags hinausgehenden Schutzes ihres Eigentums an Grundstücken. Das
Gebäudeeigentum steht anderen dinglichen Belastungen gleich. Die öffentliche Hand
erwarb diese Belastungen bereits mit dem Erwerb ihres Eigentum am Grundstück.
Insbesondere waren sowohl der eine wie der andere Erwerb unabhängig von und zeitlich
längst vor dem Inkrafttreten der Regelungen zum »Moratorium« entstanden. Die
Regelungen des Einigungsvertrags hatten eine die Belange beider Seiten hinreichend
berücksichtigende Grundlage geschaffen. Der Nutzer des Gebäudeeigentums auf
»Eigentum des Volkes« konnte auf seine Investitionen auf das Grundstück mit der
Errichtung oder des Kaufs seines Eigenheims und der Übernahme der Kosten der
Bewirtschaftung vertrauen. Die öffentliche Hand hatte ihrer Verpflichtung zur Versorgung
der Bevölkerung mit Wohnraum Sorge getragen.
Und daß die Deutsche Demokratische Republik dieser gegenüber ihren Bürgern
bestehenden Verpflichtung durch das Einführen eines neuen Sachenrechts genüge
getan hat, statt sich der nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch schon bestehenden zu
bedienen, ist aus der Sicht des Nutzers zufällig und ihm nicht in der Weise anzulasten,
daß er nun noch über die ihn treffenden Pflichten hinaus ein besonderes Entgelt
schulden soll.
Die öffentliche Hand genießt im übrigen hier keinen Schutz des ihr zukommenden
Eigentums. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG schützt nicht das Privateigentum als
solches sondern das Eigentum Privater.
gg) Darüber hinaus verstößt für den Gebäudeeigentümer auf »Eigentum des Volkes« auf
Grund eines verliehenen, unentgeltlichen Nutzungsrechts die Regelung des Art. 233 § 2a
Abs. 1 Satz 4 EGBGB gegen das Eigentumsrecht des Art. 14 Abs. 1 GG, weil der
Regelung echte Rückwirkung zukommt (vgl BVerfG 1 BvR 1680/93, II 3. b) bb),
www.bverfg.de), ohne daß dies hier verfassungsrechtlich geboten oder auch nur zulässig
wäre. Tritt auch das Rückwirkungsverbot, das im Vertrauensschutz gründet, zurück,
wenn sich ausnahmsweise kein Vertrauen auf den Bestand des bisherigen Rechts bilden
konnte (BVerfG a. a. O.), so liegt hier gerade keine Ausnahme vor. In Rücksicht auf das
verliehene, unentgeltliche Nutzungsrecht an »Eigentum des Volkes« war mit dem
Einigungsvertrag (und dem SachenRBerG) alles geklärt. Eines Moratoriums oder der
speziellen Regelung des Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB bedurfte es nicht mehr.
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