Urteil des AG Köln vom 10.03.2010

AG Köln (verspätung, eugh, höhe, umstand, wartung, flug, zahlung, falle, mahnung, zpo)

Amtsgericht Köln, 132 C 304/07
Datum:
10.03.2010
Gericht:
Amtsgericht Köln
Spruchkörper:
Abr. 132
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
132 C 304/07
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 Euro nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.11.2007 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 18 % und die
Beklagte zu 82 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird
nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 %
des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn
nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Parteien sind über einen Flugbeförderungsvertrag miteinander verbunden. Die
Klägerin buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Hin- und Rückflug von
Frankfurt/Main nach Boston (USA) zum Preis von 885,34 Euro. Der Rückflug, der am
12.09.2007 um 16:20 Uhr Ortszeit mit der Flugnummer MI 423 erfolgen sollte, wurde am
14.09.2007 um 01:00 Uhr Ortszeit mit 33 Stunden Verspätung durchgeführt. Die
Klägerin wurde auf den Flug MI 421 umgebucht, der am 13.09.2007 um 21:45 Uhr
Ortszeit durchgeführt wurde. Mit der Klage macht die Klägerin einen
Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen
Parlaments und der Rates vom 11.02.2004 (im Folgenden: VO) sowie einen
vertraglichen Anspruch wegen Minderung geltend. Zudem verlangt sie den Ersatz
vorgerichtlicher Anwaltskosten. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom
20.10.2007 hat die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 31.10.2007 zur
Zahlung des Klageanspruchs aufgefordert.
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Die Klägerin behauptet, ihr sei auf dem Flughafen von Mitarbeitern der Beklagten
mitgeteilt worden, dass der Flug MI 423 gänzlich gestrichen worden sei. Daher geht sie
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mitgeteilt worden, dass der Flug MI 423 gänzlich gestrichen worden sei. Daher geht sie
von einer "Annullierung" im Sinne von Art. 5 der VO aus. Jedenfalls sei ihrer Ansicht
nach eine 33-stündige Verspätung hinsichtlich der Rechtsfolgen wie eine "Annullierung"
nach Art. 5 VO zu behandeln.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten zu verurteilen, an sie 732,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2007 sowie
außergerichtliche Nebenkosten in Höhe von 120,66 Euro zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin im Falle einer Verspätung kein
Ausgleichsanspruch zustehe, da Art. 6 der VO nicht auf Art. 7 der VO verweise.
Jedenfalls aber sei ein Anspruch der Klägerin nach Art. 5 Abs. 3 der VO
ausgeschlossen, da die Verspätung auf einen nicht zu vermeidenden,
außergewöhnlichen Umstand zurückgehe. Hierzu behauptet sie, dass Grund für die
Verspätung ein unerwartet eingetretener Strömungsabriss (sog. Stall) am Triebwerk 2
der Maschine gewesen sei. Dieser Defekt ließe sich auch nicht durch die lückenlos und
in den jeweils vorgesehenen Intervallen von der Beklagten durchgeführten
Wartungsarbeiten ausschließen. Auch habe das Triebwerk vorab keinerlei
Auffälligkeiten gezeigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten
Unterlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die von der Beklagten angeregte Aussetzung des Rechtsstreits analog § 148 ZPO kam
jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil das Gericht die Bedenken der Beklagten an
der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009, Rs. C-402/07, C-432/07) nicht teilt.
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Die zulässige Klage hat in der Sache nur in der tenorierten Höhe Erfolg.
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I.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung
in Höhe von 600,00 € gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) der VO zu.
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Die Anwendbarkeit der VO ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 der VO.
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Die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) VO liegen vor.
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Dabei kann zunächst offen bleiben, ob der Rückflug Nr. MI 423 im Sinne von Art. 5 der
VO annulliert oder im Sinne von Art. 6 der VO verspätet durchgeführt wurde. Denn nach
der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009, Rs. C-402/07, C-432/07), der sich das
Gericht anschließt, können auch Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 der VO
vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen, wenn sie – wie hier die Klägerin –
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wegen eines solchen Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden
(EuGH, a.a.O Tz. 61). Hierfür spricht insbesondere, dass die Situation von Fluggästen
verspäteter Flüge mit der von Fluggästen annullierter Flüge vergleichbar ist: Beide
erleiden einen Schaden in Form von Zeitverlust, der mit Ärgernissen und
Unannehmlichkeiten einhergeht.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen Anspruchsausschluss gemäß Art.
5 Abs. 3 der VO berufen.
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Zwar ist Art. 5 Abs. 3 VO nicht nur im Falle einer Annullierung sondern auch dann
anwendbar, wenn ein Ausgleichsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Verspätung
geltend gemacht wird (EuGH, a.a.O, Tz. 71), weshalb auch insoweit die Frage offen
bleiben kann, ob der Flug der Klägerin annulliert oder verspätet durchgeführt wurde.
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Jedoch sind die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 VO nicht gegeben. Nach dieser
Vorschrift ist ein Luftfahrtunternehmen nur dann nicht zur Leistung von
Ausgleichszahlungen verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung
(bzw. Verspätung) auf "außergewöhnliche Umstände" zurückgeht, die sich auch dann
nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden
wären. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-549/07, Tz. 20)
sowie des BGH (Urt. v. 12.11.2009, Xa ZR 76/07, Tz. 13), ist der Ausnahmetatbestand
des Art. 5 Abs. 3 VO eng auszulegen. Sind Grund der Annullierung – wie hier –
technische Mängel des Flugzeugs, so können diese nur dann (als "unerwarteter
Flugsicherheitsmangel" im Sinne von Erwägungsgrund 14 der VO) als
"außergewöhnlicher Umstand" qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen,
das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen
Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich
nicht zu beherrschen ist (EuGH Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-549/07, Tz. 23; BGH a.a.O., Tz.
13). Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn das technische Problem auf einem
in Erwägungsgrund 14 genannten Umstand, z.B. versteckten Fabrikationsfehlern,
Sabotageakten oder terroristischen Angriffen, beruht (EuGH, a.a.O., Tz. 26). Hingegen
gehört zur normalen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sowohl die Behebung eines
technischen Problems, das auf die fehlerhafte Wartung einer Maschine zurückzuführen
ist als auch das Auftreten technischer Probleme, die sich bei der Wartung von
Flugzeugen zeigen. Demnach ändert die Einhaltung der Wartungsintervalle nichts
daran, dass ein technischer Defekt zu den Ereignissen gehört, die beim Betrieb eines
Luftfahrtunternehmens typischerweise auftreten können und deshalb Teil des
betrieblichen Alltags sind (BGH, a.a.O., Tz. 14).
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Das Gericht schließt sich dieser Rechtsprechung an. Es verkennt dabei nicht, dass die
vorgenannten Entscheidungen jeweils den Fall einer Annullierung zum Gegenstand
hatten. Mit Blick auf die Entscheidung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009, Rs. C-402/07, C-
432/07) sind die gleichen Maßstäbe aber auch im Falle von verspäteten Flügen
anzulegen.
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Hieran gemessen stellen die von der Beklagten angeführten technischen Probleme des
Flugzeugs keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO dar: Für
das Vorliegen eines versteckten Fabrikationsfehlers oder eines Sabotageaktes gibt der
Vortrag der Beklagten keinen Anhaltspunkt. Ob die Wartungsarbeiten – wie von der
Beklagten behauptet – lückenlos und in den jeweils vorgesehenen Intervallen
durchgeführt wurden, kann nach dem oben gesagten offen bleiben.
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Offen bleiben kann aber auch, ob es sich bei dem gezeigten technischen Problem – wie
die Beklagte weiter behauptet – um einen solchen Schaden gehandelt hat, der (auch)
durch die regelmäßig zu erfolgenden Wartungsarbeiten nicht ausgeschlossen werden
kann. Zwar verhalten sich die genannten Entscheidungen des EuGH (Urt. v. 22.12.2008,
Rs. C-549/07, Tz. 25) sowie des BGH (a.a.O., Tz. 14) auf den ersten Blick nicht zu
technischen Mängeln, die sich auch bei ordnungsgemäßer Wartung nicht zeigen. Denn
sie stellen auf technische Probleme ab, "die sich bei der Wartung von Flugzeugen
zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten". Jedoch kann den
Entscheidungen gleichwohl entnommen werden, dass auch solche technischen Mängel
nicht zu den "außergewöhnlichen Umständen" gehören sollen: Denn sie haben ihre
Ursache nicht in einem in Erwägungsgrund 14 der VO aufgeführten Umstand. Zwar ist
die Aufzählung in Erwägungsgrund 14 der VO – wie sich aus dem Wort "insbesondere"
ergibt – nicht abschließend. Jedoch haben die in Erwägungsgrund 14 angeführten
Umstände zur Gemeinsamkeit, dass sie "von außen" auf die Durchführung des Fluges
einwirken. Es werden Konstellationen erfasst, die nicht in der Verantwortungs- und
Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens angesiedelt sind (vgl. LG Düsseldorf, Urt. v.
07.05.2009, 22 S. 215/09, Tz. 35). Technische Probleme eines Flugzeuges sind aber
untrennbar mit dessen Betrieb verbunden und fallen daher – unabhängig von der
Erkennbarkeit oder Vermeidbarkeit – in den Verantwortungs- und Risikobereich des
Luftfahrtunternehmens.
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II.
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Der weiter geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 132,80 € unter dem
Gesichtspunkt der Minderung, §§ 634 Nr. 3, 638 BGB, steht der Klägerin nicht zu.
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Dabei kann dahinstehen, ob die Regelungen des BGB-Werkvertragsrechts neben der
VO überhaupt zur Anwendung gelangen können oder ob die VO die Rechtsfolgen einer
Verspätung – vorbehaltlich Art. 12 VO – abschließend regelt. Denn die Verspätung des
Fluges stellt jedenfalls keinen Mangel der Beförderungsleistung im Sinne von § 633
BGB dar (BGH NJW 2009, 2743, 2744).
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III.
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Den Ersatz außergerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,66
Euro kann die Klägerin von der Beklagten ebenfalls nicht verlangen.
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Ihr steht kein materieller Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.
Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB
unter dem Gesichtspunkt des Verzugs. Denn zum Zeitpunkt des Tätigwerdens der
Prozessbevollmächtigten der Klägerin befand sich die Beklagte nicht bereits in Verzug.
Der klägerische Vortrag, wonach sich die Klägerin vertreten durch ihren Ehemann,
"nach Ankunft in Deutschland an die Beklagte gewandt und Ansprüche angemeldet
habe", reicht nicht zur substantiierten Darlegung der Voraussetzungen einer Mahnung.
Mit dem weiteren Vortrag, dass daraufhin "eine befriedigende Reaktion der Beklagten"
nicht erfolgt sei, ist eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der
Beklagten nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht schlüssig dargetan.
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Der nachfolgende Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20.10.2007
enthält zwar die verzugsbegründende Mahnung, da die Beklagte in diesem Schreiben
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unter Fristsetzung zur Leistung aufgefordert wurde. Die Kosten dieser
verzugsbegründenden Mahnung sind jedoch kein kausaler Verzugsschaden und aus
diesem Grunde von der Beklagten nicht zu ersetzen.
IV. Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB. Durch das
oben angeführte Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin befand sich die
Beklagte seit dem 01.11.2007 in Verzug.
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V.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
33
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Streitwert: 732,80 Euro.
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