Urteil des AG Köln vom 13.12.2006

AG Köln: flugschein, unteilbare leistung, agb, gesamtpreis, tarif, internet, verbraucher, absicht, reisebüro, vollstreckung

Amtsgericht Köln, 119 C 353/06
Datum:
13.12.2006
Gericht:
Amtsgericht Köln
Spruchkörper:
Abteilung 119
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
119 C 353/06
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 1.226,58 nebst Zinsen
in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
16.05.2006 sowie 102,37 Euro vorgerichtliche Anwaltsgebühren zu
zahlen.
Wegen der darüber hinaus geltend gemachten vorgerichtlichen
Anwaltsgebühren wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
T A T B E S T A N D :
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Die Klägerin buchte für sich und ihren Lebensgefährten I. T. am 21.03.2006 über den
Vermittler c.-g.de (X. Reise- und Verkehrsbüro GmbH) in Nördlingen Flugtickets für die
Strecke von Frankfurt nach Wien und zurück zum Gesamtpreis von 432,00 Euro. Die
Beförderung sollte auf der Strecke von Frankfurt nach Wien am 15.04.2006 mit dem Flug
der Beklagten Flugnummer 0000 erfolgen. Der Rückflug mit der Flugnummer LH 1111
von Wien nach Frankfurt war gebucht und bestätigt für den 22.04.2006.
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Nach Bezahlung erhielt die Klägerin den sogenannten ETIX-Code, der dem Ticket in
Papierform entspricht.
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Die Klägerin und ihr Lebensgefährte nahmen den Hinflug von Frankfurt nach Wien am
15.04.2006 mit der Flugnummer LH 0000 nicht in Anspruch. Als sie den Rückflug am
22.04.2006 von Wien nach Frankfurt antreten wollten, wurde ihnen die Beförderung von
der Beklagten verweigert mit der Begründung, da sie den Hinflug von Frankfurt nach
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Wien nicht in Anspruch genommen hätten, hätten sie gegen die Allgemeinen
Beförderungsbedingungen der Beklagten verstoßen. Der Flugschein für den Rückflug
von Wien nach Frankfurt habe danach seine Gültigkeit verloren. Eine Beförderung der
Klägerin und ihres Lebensgefährten sei nur möglich, wenn diese ein weiteres One Way
Ticket von Wien nach Frankfurt erwerben, allerdings zum Preis von 613,29 Euro je
Ticket.
Die Klägerin und ihr Lebensgefährte buchten daraufhin bei der Beklagten die
angebotenen Flugtickets zum Gesamtpreis von 1.226,58 Euro.
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Mit Schreiben vom 25.04.2006 (Blatt 7 der Akten) begehrten die Klägerin und ihr
Lebensgefährte von der Beklagten die Rückerstattung der zusätzlichen Ticketkosten bis
zum 15.05.2006. Dies wurde von der Beklagten verweigert.
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Die Rückerstattung dieser Kosten macht die Klägerin nunmehr mit der Klage geltend.
Der Lebensgefährte I. T. hat seine Ansprüche gegen die Beklagte am 25.06.2006 an die
Klägerin abgetreten, die die Abtretung angenommen hat.
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Die Klägerin behauptet, sie und ihr Lebensgefährte hätten sich am Tage des geplanten
Fluges von Frankfurt nach Wien, dem 15.04.2006, in Paris aufgehalten. Sie hätten ein
Flugticket der Fluggesellschaft Air France gehabt, die sie rechtzeitig zum Abflug nach
Wien zum Frankfurter Flughafen hätte befördern sollen. Air France hätte jedoch den
Flug von Paris nach Frankfurt nicht so rechtzeitig durchführen können, dass sie den
Anschlussflug von Frankfurt nach Wien noch erreichen konnten. Air France habe ihnen
daraufhin alternativ einen späteren Flug oder die unmittelbare Beförderung von Paris
nach Wien angeboten. Entsprechend diesem Angebot hätten sie sich unmittelbar von
Air France von Paris nach Wien befördern lassen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, bei der Buchung der Flugtickets über den Vermittler c.-g.de
per Internet seien die Beförderungsbedingungen der Beklagten als AGB nicht wirksam
in das Vertragsverhältnis einbezogen worden. Im Übrigen sei die Klausel der
Beförderungsbedingungen, auf die sich die Beklagte berufe, gemäß § 307 Abs. 1 BGB
wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Darüber hinaus verstoße die
Klausel, weil ungewöhnlich und überraschend, gegen § 305 c BGB.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 1.226,58 nebst
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Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basis-
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Zinssatz der EZB seit dem 16.05.2006 sowie weiterhin
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von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe von Euro
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135,02 zu zahlen.
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Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltsgebühren nimmt
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die Klägerin Bezug auf die Rechnung ihres Prozessbevoll-
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mächtigten vom 01.06.2006 (Blatt 9 der Akte).
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt Bezug auf Artikel 3.3.1 ihrer Allgemeinen Beförderungsbedingungen, der da
lautet:
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Reihenfolge der Benutzung der Flugcoupons
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3.3
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3.3.1. Die vereinbarte Beförderungsleistung erstreckt sich auf die Inanspruchnahme der
gesamten Beförderungsstrecke, die im Flugschein eingetragen ist, beginnend mit dem
Abflugort, über vereinbarte Zwischenlandeorte bis zum Zielort. Der Anspruch auf die
Beförderung der im Flugschein eingetragenen Beförderungsstrecke entfällt, sofern Sie
die Beförderung teilweise oder nicht in der im Flugschein vorgesehenen Reihenfolge in
Anspruch nehmen. Da der Kalkulation des Flugpreises die tatsächlich in Anspruch
genommene Beförderung zu Grunde liegt, ist die Inanspruchnahme der gesamten
Beförderungsleistung wesentlicher Bestandteil des mit uns abgeschlossenen
Beförderungsvertrages. Der Flugschein wird daher nicht akzeptiert und verliert seine
Gültigkeit, wenn nicht alle in ihm enthaltenen Coupons vollständig und in der im
Flugschein vorgesehenen Reihenfolge in Anspruch genommen werden.
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Die Beklagte ist der Ansicht, hiernach die Beförderung der Klägerin und ihres
Lebensgefährten auf dem Rückflug von Wien nach Frankfurt zu Recht verweigert zu
haben. Dadurch, dass die Klägerin Hin- und Rückflug zu einem günstigeren Sondertarif
gebucht habe als getrennte One-Way-Flüge, die nach dem Tarifsystem der Beklagten
teurer seien, sei die Klägerin auch verpflichtet gewesen, den Flugschein in der
vorgesehenen Reihenfolge auszunutzen, also auch den Hinflug von Frankfurt nach
Wien. Da die Klägerin den Hinflug nicht in Anspruch genommen habe, habe das
Rückflugticket seine Gültigkeit verloren. Die Beförderungspflicht der Beklagten bei dem
von der Klägerin gewählten Tarif für Hin- und Rückflug stelle eine unteilbare Leistung
dar. Durch den Nichtantritt des Hinfluges sei für die Beklagte auch die
Beförderungsverpflichtung für den Rückflug entfallen.
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Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen seien auch wirksam in den
Beförderungsvertrag einbezogen worden. Dem Flugschein vermittelnden Internet-
Reisebüro sei bekannt, dass die Beklagte auf der Basis ihrer Allgemeinen
Beförderungsbedingungen und Tarifbestimmungen kontrahiere. Das Reisebüro sei
verpflichtet, auch gegenüber seinen Auftraggebern die Einbeziehung dieser
Beförderungsbedingungen als Teil des verkauften Produktes sicherzustellen. Die
Kenntnis des Reisebüros von den Beförderungsbedingungen sei auch den von ihm
vertretenen Fluggästen zuzurechnen.
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Ein Anspruch der Klägerin und ihres Lebensgefährten könne sich allenfalls auf die
Erstattung der nicht-genutzten Rückflugscheine zum Preis von je 216,00 Euro ergeben,
wenn die Klägerin diese zur Erstattung einreiche.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Klage ist bis auf einen Teil der Nebenansprüche begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz, zum Teil aus
abgetretenem Recht, in Höhe von insgesamt 1.226,58 Euro gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs.
3, 281 Abs. 1, Abs. 2, 631, 398 BGB wegen Nichterfüllung der vertraglich geschuldeten
Beförderung der Klägerin und ihres Lebensgefährten von Wien nach Frankfurt am
22.04.2006.
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Ein vertragliches Leistungsverweigerungsrecht stand der Beklagten nicht zu. Dieses
ergibt sich insbesondere nicht aus der Klausel 3.3.1 ihrer Beförderungsbedingungen.
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Es ist bereits nicht hinreichend ersichtlich, dass die Beförderungsbedingungen der
Beklagten als AGB i. S. des § 305 Abs. 2 BGB wirksam in das Vertragsverhältnis
einbezogen wurden. Die Buchungsbestätigung des Flugvermittlers c.-g.de vom
21.03.2006 sowie auch die Rechnung an die Klägerin vom 22.03.2006 enthielten
keinerlei Hinweis auf diese Allgemeinen Beförderungsbedingungen.
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Im Übrigen hat die erkennende Abteilung bereits in ihrem Urteil vom 05.04.2006 (119 C
24/06) entschieden, dass die Klausel 3.3.1 der Beförderungsbedingungen der
Beklagten nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden (§ 305 c BGB), zumindest aber
unwirksam gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB ist. Bei dem Vertrag zwischen den Parteien
handelt es sich um einen auf Beförderung gerichteten Werkvertrag. Die
Beförderungsbedingungen der Beklagten unterliegen allein der Kontrolle durch das
Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff BGB), auch wenn diese
behördlich genehmigt worden sind (vgl. Landgericht Köln, Urteil vom 25.07.1990, NJW-
RR 1990, 1530 ff; Giemulla/Schmied, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, §
21 Luftverkehrsgesetz, Randziffer 23). Die Klausel in Ziffer 3.3.1 der
Beförderungsbedingungen der Beklagten ist zum einen bereits unklar formuliert, Zweifel
bei der Auslegung gehen zu Lasten des Verwenders, § 305 c Abs. 2 BGB. Aus der
Formulierung der Klausel ergibt sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit, dass bei
Buchung eines direkten Hin- und Rückflugs der sogenannte "Zielort" mit dem
"Abflugsort" identisch sein kann. Unter Zugrundelegung eines natürlichen
Sprachgebrauchs ist das "Ziel" bei der Buchung einer Flugreise zwischen zwei Städten
nicht der Ort der Abreise, sondern der Ankunftsort des Hinflugs.
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Zum anderen ist die Klausel nicht durch die Belange der Beklagten sachlich
gerechtfertigt, ungewöhnlich und überraschend i. S. des § 305 c Abs. 1 BGB. Mangels
Differenzierung erfasst der Wortlaut der Klausel auch Fälle, in denen die Vertragspartner
der Beklagten für die Buchung eines direkten Hin- und Rückfluges einen gegenüber
einem einfachen Direktflug höheren Preis zahlen. In einem solchen Fall sind keinerlei
schutzwürdige Interessen der Beklagten erkennbar, die Beförderung zu verweigern.
Eine "Gefahr", dass einer der beiden Flüge nur zum Schein gebucht wird, bestünde
dabei nicht. Dennoch würde der gesamte Flugschein nach dem Wortlaut der Klausel
seine Gültigkeit verlieren, wenn der Vertragspartner der Beklagten – aus welchen
Gründen auch immer – den Hinflug nicht wahrnimmt. Überraschend ist hierbei für den
Verbraucher, dass er zwei technisch teilbare Leistungen (Hin- und Rückflug) erwirbt,
diese jedoch durch die Verwendung von AGB vertraglich zu einer unteilbaren Leistung
zusammengefasst werden, obwohl hierfür kein nachvollziehbarer, erlaubter sachlicher
Grund seitens der Verwenderin der Klausel erkennbar ist. Der Verbraucher braucht mit
einer solchen vertraglichen Gestaltung nicht zu rechnen.
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Auf Grund des Gebots der objektiven Auslegung von AGB-Klauseln im Rahmen ihrer
Wirksamkeitskontrolle (Palandt/Heinrichs, 63. Auflage, § 305 c, Randnummer 15) ist
insoweit ohne Belang, ob der von der Klägerin bei ihrer Buchung zu zahlende
Gesamtpreis für Hin- und Rückflug über oder unter dem Preis für die Buchung eines
einfachen Fluges lag. Ebenso ohne Bedeutung ist, ob sie schon bei ihrer Buchung nicht
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die Absicht hatte, den Hinflug anzutreten. Die Klägerin hat bei ihrer Buchung über den
Flugvermittler das Buchungssystem der Beklagten weder manipuliert noch missbraucht.
Das Buchungssystem wurde durch zulässige Eingaben in zulässiger Weise benutzt.
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Der Beklagten steht auch nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften kein Recht
zur Kündigung des Beförderungsvertrages oder zur Verweigerung der vertraglich
geschuldeten Beförderungsleistung zu. Die Nichtinanspruchnahme des Hinflugs stellt
insbesondere keine Pflichtverletzung des Beförderungsvertrages durch die Klägerin dar.
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Insoweit ist auch das Vorbringen der Beklagten zu ihren Kalkulationsgrundlagen zu
vage und unsubstantiiert. Selbst durch eine Buchung eines Hin- und Rückflugs in der
Absicht, den Hinflug nicht in Anspruch zu nehmen, wird nicht in die Mischkalkulation der
Beklagten eingegriffen. Denn Buchung und Tarif folgen den Parametern, die bei der
Programmierung des Buchungssystems festgelegt wurden, welche wiederum auf einer
vorangegangenen Mischkalkulation beruhen. Ob die gebuchten Flüge tatsächlich
angetreten werden, führt zu keinen tatsächlich erkennbaren Beeinträchtigungen,
vielmehr sind die von der Beklagten angeführten Verluste und Schäden rein
hypothetischer Art. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, dass der Beklagten durch
entsprechende Buchungen ein Schaden entsteht; denn im Vergleich zu der Situation, in
der die gebuchten Flüge auch tatsächlich in Anspruch genommen werden, steht sie sich
nicht schlechter.
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Im Übrigen ist auf § 649 BGB in entsprechender Anwendung abzustellen. Wenn auch
diese Rechtsvorschrift auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar ist, so
muss doch nach dem Sinngehalt der Vorschrift auf das Recht des Fluggastes abgestellt
werden, nur einen Teil der bezahlten Beförderungsleistung in Anspruch zu nehmen (hier
Rückflug), auf den anderen Teil der bereits bezahlten Leistung (hier Hinflug) aber zu
verzichten.
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Der ersatzfähige Schaden der Klägerin besteht in den Kosten für den Erwerb der
weiteren Tickets für den Flug von Wien nach Frankfurt in Höhe von 2 x 613,29 Euro.
Dass die Beklagte zur Erstattung des Teilbetrages von 2 x 216,00 Euro = 432,00 Euro
für die von der Klägerin und ihrem Lebensgefährten nicht genutzten
Ursprungsflugscheine verpflichtet ist, hat sie bereits anerkannt.
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Der im Übrigen zuerkannte Zins- und Nebenanspruch folgt aus Verzug, §§ 280 Abs. 2,
286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Hierzu gehörte auch die hälftige Geschäftsgebühr des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin für das Mahnschreiben vom 01.06.2006. Gemäss
Bemerkung zu Nr. 2403 VVRVG wird die Hälfte der Geschäftsgebühr, die wegen
desselben Gegenstands nach Nr. 2400 entstanden ist, nach dem Wert des
Gegenstands, der in das Verfahren übergegangen ist, jedoch höchstens mit einem
Gebührensatz von 0,75 angerechnet. Gemäss Bemerkung zu Nr. 2400 kann eine
Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder
schwierig war. Daraus ergibt sich vorliegend folgende Berechnung:
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1,3-fache Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert
42
von 1.226,58 Euro = 136,50 Euro
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hiervon die Hälfte = 68,25 Euro
44
+ Auslagenpauschale = 20,00 Euro
45
+ 16 % Mehrwertsteuer = 14,12 Euro
46
insgesamt = 102,37 Euro.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Ziffer
11, 711 ZPO.
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Streitwert: 1.226,58 Euro.
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