Urteil des AG Kerpen vom 24.05.2006

AG Kerpen: unerlaubte handlung, venire contra factum proprium, de lege ferenda, eltern, ungerechtfertigte bereicherung, positive vertragsverletzung, verminderte zurechnungsfähigkeit, einwilligung

Amtsgericht Kerpen, 20 C 579/05
Datum:
24.05.2006
Gericht:
Amtsgericht Kerpen
Spruchkörper:
Abt. 20
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 C 579/05
Tenor:
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Beklagten
tragen die beiden Klägerinnen jeweils in dem auf die einzelnen
Prozessrechtsverhältnisse und deren Gebührenrahmen entfallenden
Umfang in vollem Umfang. Sofern die Beklagte hingegen einheitliche
Kostenfestsetzung aus dem addierten Wert der Einzelstreitwerte
verlangt, tragen die Klägerin zu 1) die entsprechenden
außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 53 % und die Klägerin zu 2)
zu 47 %. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die
Vollstreckung (wegen der Kosten) abwenden gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerinnen machen gegen die Beklagte – die am August 1987 geboren wurde und
im streitgegenständlichen Zeitraum 17 Jahre alt war – Ansprüche auf Zahlung von
Beförderungsentgelt wegen Luftbeförderung aus Vertrag, dem Gesichtspunkt der
unerlaubten Handlung und des Bereicherungsrechts geltend. Die Klägerin zu 2) geht
dabei aus von der Klägerin zu 1) abgetretenem Recht vor. Dem liegt folgender
Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte buchte bei der Klägerin zu 1) zumindest in den
folgenden vier Fällen Flugtickets, wobei dann zum einen zwischen den Parteien streitig
ist, ob es noch weitere Buchungen gegeben hat und zum anderen ob die Leistungen
später auch tatsächlich von der Beklagten in Anspruch genommen wurden. Jedenfalls
buchte die Beklagte am 19. September 2004 am Flugscheinschalter Köln unter der
Ticketnummer 2202102181955 einen Flug am selben Tag von Köln/Bonn nach
Hamburg im Wert von 291,38 €. Darüber hinaus buchte sie am 19. September 2004 am
Flugscheinschalter Hamburg unter Nr 2202162131784 einen Flug nach Frankfurt a.M.
im Wert von 320,38 €. Am 20. September 2004 buchte sie am Flugscheinschalter
München unter der Ticketnummer 2202166216404 einen Flug nach Köln/Bonn im Wert
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von 312,08 €. Am 29. September 2004 orderte sie schließlich über das Callcenter
Kassel unter der Ticketnummer 2202188107379 einen Flug von Köln/Bonn nach
Berlin/Tegel und zurück im Wert von 514,74 €. Den Rückflug nahm die Beklagte
unstreitig nicht in Anspruch, so dass deswegen eine Erstattung i.H.v. 235,36 €
gutgeschrieben wurde, so dass ein Restbetrag von 279,38 € verblieb.
Die Beklagte legte zur Zahlung der Tickets in allen Fällen ihre Sparkassenkarte (Anlage
B 1, Bl. 46 d.A. = 102 d.A.) vor bzw. teilte ihre Kontenverbindung mit. Im Rahmen des so
eingeleiteten Lastschriftverfahrens erfolgten hinsichtlich der ersten drei Tickets am 27.
September 2004 und hinsichtlich des letzten Tickets am 5. Oktober 2004
Rücklastschriften mangels Kontodeckung. Dabei entstanden der Klägerin zu 1)
Rücklastschriftkosten i.H.v. 34,64 €. Sie beauftragte ein Inkassounternehmen, wodurch
weitere Kosten i.H.v. 121,80 € entstanden. Die Inkassofirma mahnte zudem die Beklagte
pro Vorgang dreimal fruchtlos an, wofür Mahnkosten i.H.v. 36 € (4 x 3 x 3 €) geltend
gemacht werden.
3
Die Klägerin zu 1) behauptet, die Beklagte habe die genannten Flüge tatsächlich
angetreten – was die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet. Die Klägerin zu 2) behauptet
ferner – was die Beklagte insgesamt mit Nichtwissen bestreitet - , die Beklagte habe bei
der Klägerin zu 1) in fünf weiteren Fällen Tickets geordert und die Leistungen in
Anspruch genommen. So habe sie am Flugscheinschalter München zur Ticketnummer
2202166211696, einen Flug am 13. September 2004 von München nach Köln/Bonn und
am 19. September zurück im Wert von 159,46 € gebucht. Weitere Buchungen seien
unter den Ticketnummern 2202163634528 und 2202163633729 von/nach Berlin-Tegel
im Wert von 154,74 € bzw. 168,54 € erfolgt. Zusätzlich habe die Beklagte unter der
Ticketnummer 2202110242847 einen Flug von/nach Frankfurt a.M. im Wert von 274,60
€ und schließlich zur Ticketnummer 2202102182142 einen Flug im Wert von 291,38 €
gebucht. Auch hier sei jeweils im Lasteinzug gezahlt worden und es habe am 20. und
27. September 2004 Rücklastschriften mangels Kontodeckung gegeben. Dadurch seien
weitere Rücklastschriftkosten von zweimal 43,30 € sowie Kosten für einen sog.
Hoffnungslauf von 38,75 €, also insgesamt 124,95 € angefallen sowie Mahnkosten von
45 € und Inkassokosten von 98,60 € wie auf S. 3 f. des Schriftsatzes vom 17. Januar
2006 (Bl. 89 f. d.A.) dargelegt. Zur Verfolgung dieser Ansprüche sei die Klägerin zu 2)
infolge der Abtretung berechtigt.
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In rechtlicher Hinsicht sind die Klägerinnen der Ansicht, es bestünden vertragliche
Ansprüche. Buchungsgrundlage sei die jeweilige Lastschriftermächtigung. Da das
Konto unstreitig mit Einwilligung der Erziehungsberechtigten eröffnet wurde, liege darin
eine (stillschweigende) Zustimmung in die üblicherweise mit einer solchen Karte
möglichen Geschäfte. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte für das Gros der
Flüge Tarife im unteren Preissegment ausgesucht habe, so dass § 110 BGB eingreife.
Zumindest sei eine spätere Verweigerung der Genehmigung durch die Eltern nach dem
Grundsatz des venire contra factum proprium treuwidrig (§ 242 BGB). Jedenfalls
Nebenkosten und Zinsen seien als Schadenersatz wegen Pflichtverletzung zu ersetzen,
wobei die Pflichtverletzung in der Verzögerung der Leistung bestehe. Verzug sei bereits
durch die Nichtdeckung des Kontos am Buchungstag (auch ohne Mahnung) eingetreten.
Hilfsweise sei ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung gegeben, weil im Rahmen
des Lastschriftverfahrens der Betroffene zur Vorhaltung einer ausreichenden Deckung
verpflichtet sei.
5
Selbst bei Unwirksamkeit des Vertrages bestehe zumindest ein
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bereicherungsrechtlicher Anspruch. Die Beklagte habe eigene Aufwendungen erspart;
es handele sich bei den vorgenommenen innerdeutschen Flügen keineswegs um sog.
Luxusaufwendungen, sondern alltägliche Beförderungsleistungen. Zudem könne sich
die Beklagte auf einen Wegfall der Bereicherung nicht berufen. Sie sei selbst
einsichtsfähig und bösgläubig i.S.d. § 819 Abs. 1 BGB gewesen. Sie habe – auch
wegen der Vielzahl der Vorfälle in kürzester Zeit und der daraus zu schließenden
Zielstrebigkeit - genau gewusst, dass sie die Luftbeförderungsleistungen vergüten
müsse und der von ihr eingegangene Beförderungsvertrag unwirksam sei. Ein normal
entwickelter Teenager habe gemäß § 828 BGB die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit
erforderliche Einsicht. Verminderte Zurechnungsfähigkeit o.ä. habe nicht vorgelegen,
wobei wegen der weiteren Einzelheiten auf den Schriftsatz vom 12. April 2006 (Bl. 124 f.
d.A.) verwiesen wird. Keinesfalls komme es auf die Kenntnis der
Erziehungsberechtigten an; der Minderjährigenschutz finde seine Grenze im Recht der
unerlaubten Handlung. Zudem sei aufgrund der Häufigkeit der Buchungen der
Beklagten nicht nachvollziehbar, dass die Erziehungsberechtigten von den Flugreisen
keine Kenntnis gehabt haben wollen. Jedenfalls läge eine schwere Verletzung der
Aufsichtspflichten gemäß § 832 BGB vor.
Zuletzt bestünden deliktische Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 265 a
StGB gegen die – einsichtsfähige – Beklagte wie im Details auf S. 3 f. der Schriftsätze
vom 14. und 15. März 2006 (Bl. 55 f., 112 f. d.A.) dargelegt. Der Schaden belaufe sich
auf das übliche Beförderungsentgelt. Über die Hauptansprüche hinaus bestehe
schließlich ein Anspruch auf Ersatz der vollen Inkassokosten wie auf S. 4 ff. des
Schriftsatzes vom 29. Dezember 2005 (Bl. 15 ff. d.A.) und S. 5 ff. des Schriftsatzes vom
17. Januar 2006 (Bl. 91 ff. d.A.) ausgeführt.
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Die Klägerin zu 1) beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.203,22 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. auf den Betrag von 923,84 € seit dem 27.
September 2004 und den Betrag von 279,38 € seit dem 05.Oktober 2004,
Rücklastschriftkosten in Höhe von 34,64 €, vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von
36,00 € sowie Inkassokosten in Höhe von 121,80 € zu zahlen.
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Die Klägerin zu 2) beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.048,72 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. auf den Betrag von 154,74 € seit dem 20.
September 2004, den Betrag von 328,00 € seit dem 21. September 2004 und den
Betrag von 565,98 € seit dem 27. September 2004, Rücklastschriftkosten in Höhe von €
124,95, vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 45,00 € sowie Inkassokosten in Höhe
von 98,60 € zu zahlen,
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Die Beklagte beantragt,
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die beiden Klagen abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, In tatsächlicher Hinsicht könne sie die Vorgänge nur mit
Nichtwissen bestreiten, da ihr wegen der Vielzahl der Reisen im Jahr 2004 die konkrete
Erinnerung an Einzelheiten fehle. In rechtlicher Hinsicht bestünden wegen ihrer
Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärungen keine Ansprüche aus
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Vertrag. Eine Genehmigung durch sie selbst und/oder ihre Eltern gemäß § 108 Abs. 1, 3
BGB liege unstreitig nicht vor; die Zustimmung ihrer Eltern zur Eröffnung des Kontos
umfasse aber nicht solche Beförderungsverträge, zumal das Konto unstreitig nur ein
Guthaben in der Größenordnung eines für einen Minderjährigen üblichen
Taschengeldes aufgewiesen hat. Dann könnten aber (auch im Rahmen des § 110 BGB)
Geschäfte allenfalls - wenn überhaupt - im Rahmen einer solchen Größenordnung
vorgenommen werden und auch dies nur, wenn es ihrer Art nach um übliche Geschäfte
gehandelt habe. Das treffe auf die Buchung von Flugtickets keinesfalls zu.
Für die von der Klägerin zu 1) bewusst gewährten Leistungen bestünden keine
Ansprüche wegen ungerechtfertigter Leistung gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Fall BGB. Die
Beklagte behauptet, sie sei entreichert, da es sich um sog. Luxusaufwendungen
gehandelt habe, die sie sonst mit ihren Mitteln nicht hätte wahrnehmen können, wie auf
S. 2 f. der Schriftsätze vom 27. und 28. März 2006 (Bl. 61 f. d.A., 118 f. d.A.) ausgeführt.
Einem Berufen auf § 818 Abs. 3 BGB stehe hier nicht § 819 BGB entgegen. Denn dabei
komme es – jedenfalls bei der Leistungskondiktion aufgrund der gesetzlichen Wertung
der §§ 104 ff. BGB – allein auf die positive Kenntnis der Erziehungsberechtigten von
dem Mangel des Rechtsgrundes an. Eine Kenntnis der Eltern von den Buchungen und
den spontan Flügen etc. habe es jedoch regelmäßig erst viel später gegeben.
Aufsichtspflichtverletzungen lägen ebenfalls nicht vor wie auf S. 5 der Schriftsätze vom
27. und 28. März 2006 (Bl. 64 und 121 d.A.) ausgeführt.
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Aber auch selbst wenn man auf die Beklagte selbst abstellen wolle, sei diese nicht
bösgläubig gewesen. Sie habe weder gewusst, dass die vereinbarten
Beförderungsverträge auf Grund ihrer Minderjährigkeit unwirksam seien, noch, dass ihre
Sparkasse die Begleichung der von ihr mittels ihrer Sparkassenkarte eingegangenen
Zahlungsverpflichtungen wegen der unzureichenden Kontendeckung zu dieser Zeit
verweigern würde, sondern sich darüber keinerlei Gedanken gemacht. Sie sei auch
nicht analog § 828 BGB in der Lage gewesen, die rechtlichen Zusammenhänge darüber
hinausgehend zu erkennen, zumal es sich um irrationale und - ärztlich
behandlungsbedürftige – Spontanaktionen bzw. Kurzschlussreaktionen gehandelt habe,
wie auf S. 3 f. der Schriftsätze vom 27. und 28. März 2006 (Bl. 63 f. d.A., 119 f. d.A.)
dargelegt.
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Deliktische Ansprüche schieden mangels eines Schadens aus, da die Flüge ohnehin
durchgeführt wurden und nicht ausgebucht waren. Zudem sei sie selbst nicht
deliktsfähig i.S.d. § 828 BGB gewesen, wie auf S. 6 der Schriftsätze vom 27. und 28.
März 2006 (Bl. 65, 121 d.A.) dargelegt. Im Übrigen habe sich die Klägerin zu 1) – gerade
wegen der Verwendung einer für Minderjährige typischen Sparkassenkarte (statt einer
ec-Karte) nachlässig verhalten, wenn sie keine Nachforschungen wegen des Alters
und/oder der Bonität vorgenommen habe.
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Mangels Hauptanspruch seien die weiter geltend gemachten Nebenforderungen nicht
begründet; ein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Inkassokosten bestehe
ohnehin nicht. Verzug sei – wenn überhaupt – erst später eingetreten, wie auf S. 4 des
Schriftsatzes vom 10. Januar 2006 (Bl. 27 d.A.) und S. 5 des Schriftsatzes vom 5.
Februar 2006 (Bl. 101 d.A.) erläutert.
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Das Gericht hat – nach mündlicher Verhandlung auch über diese Frage – die beiden
Verfahren Az.: 20 C 579/05 der Klägerin zu 1) gegen die Beklagte und Az.: 20 C 1/06
der Klägerin zu 2) gegen die Beklagte im Einvernehmen mit den Parteien zur
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gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 147 ZPO verbunden. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die zu den Akten gereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
20
Die - hier aufgrund der mündlichen Verhandlung auch über die Prozessverbindung (vgl.
zu diesem Erfordernis Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 147 Rn. 7 i.V.m. § 145 Rn. 6)
gemäß § 147 ZPO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen –
beiden Klagen haben keinen Erfolg.
21
I.
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1. Ansprüche aus Vertrag (§§ 631 ff. BGB) – die die Klägerin zu 2) aus unstreitig von der
Klägerin zu 1) abgetretenem Recht (§§ 398 ff. BGB) geltend machen könnte - bestehen
nicht.
23
Dabei kann dahinstehen, ob das Bestreiten der Beklagten hinsichtlich der einzelnen
Buchungen und Vorgänge (nur) mit Nichtwissen i.S.d. § 138 Abs. 4 ZPO überhaupt für
sich genommen rechtlich ausreichend ist, weil dies bei einem "Vergessen" von selbst
wahrgenommenen Vorgängen nur in engen Grenzen möglich ist (vgl. BGH, NJW-RR
2002, 612, 613; Zöller/Greger, a.a.O., § 138 Rn. 13 f.). Doch selbst wenn man dies
ausreichen lassen würde, ist nach Auffassung des Gerichts das vage Vorbringen der
Beklagten jedenfalls zu unsubstantiiert und damit unbeachtlich angesichts der
klägerseits vorgelegten Buchungsbelege und Daten, anhand derer sich teilweise (selbst
für das Gericht) die "Reisen" der Beklagten in zeitlicher Hinsicht genau nachvollziehen
lassen. Hier wäre ein dezidierteres Bestreiten erforderlich gewesen.
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Dies mag jedoch hier letztlich dahinstehen. Denn infolge der (zuletzt unstreitigen)
Minderjährigkeit der Beklagten im Zeitpunkt der Abgabe der für die
streitgegenständlichen Beförderungsverträge (Werkverträge, §§ 631 ff. BGB)
maßgeblichen Willenserklärungen waren diese Erklärungen von einer Einwilligung der
gesetzlichen Vertreter abhängig, hier also der Eltern (§§ 1626 ff. BGB). Denn die
Erklärungen waren wegen des Gegenseitigkeitsverhältnisses nicht lediglich rechtlich
vorteilhaft i.S.d. § 107 BGB. Eine solche Einwilligung lag nicht vor. Insbesondere stellt
die Gestattung zur Einrichtung eines Girokontos - mangels weiterer Umstände –
keinesfalls eine umfassende konkludente Einwilligung in alle Geschäfte dar, die im
Lastschriftverfahren über dieses Konto geführt werden (so wohl auch Palandt/Heinrichs,
BGB, 64. Aufl., § 107 Rn. 9). Damit waren die Verträge seinerzeit aber zunächst gemäß
§ 108 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam. Mit der spätestens im Prozess erfolgten
Verweigerung der Genehmigung der Erziehungsberechtigten bzw. der –
zwischenzeitlich volljährigen und nach § 108 Abs. 3 BGB damit maßgeblichen -
Beklagten sind diese zunächst schwebend unwirksamen Verträge dann endgültig
unwirksam geworden. Die Verweigerung der Genehmigung durch die
Erziehungsberechtigten ist nicht etwa treuwidrig i.S.d. § 242 BGB, da dafür keine
besonderen Anhaltspunkte vorgetragen und ersichtlich sind. Allein eine – denkbare –
mangelhafte Überwachung der Beklagten genügt dafür nicht.
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Die streitgegenständlichen Verträge sind schließlich nicht etwa nach § 110 BGB als von
Anfang an wirksam anzusehen. Die Vorschrift dürfte zwar u.U. auch auf von den Eltern
genehmigte Girokonten analog anwendbar sein (vgl. AnwKomm-BGB/Baldus, Bd. 1, §
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110 Rn. 8). Dann jedoch wären zum einen schon wegen der erfolgten Rücklastschriften
die Leistungen wohl gar nicht "mit Mitteln bewirkt" i.S.d. § 110 BGB. Ungeachtet dessen
käme es – anders als die Klägerinnen meinen – nicht allein darauf an, dass die Flüge
(jedenfalls teilweise) preisgünstig gewesen sein mögen. Denn auch im Rahmen des §
110 BGB erfasst das Zurverfügungstellen von Mitteln regelmäßig nicht jedwede
Nutzung, sondern eben nur die übliche und vernünftige Verwendung (vgl.
Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 110, Rn. 2). Da § 110 BGB ein Sonderfall einer – durch die
Erfüllung bedingten – Einwilligung ist, ist eben auch hier auf den mutmaßlichen Willen
der Eltern abzustellen. Bei einer eigenmächtigen Buchung und Inanspruchnahme einer
Vielzahl von Flügen durch einen Minderjährigen - egal wie günstig die Flüge im
Einzelnen auch sein mögen – kann dies mangels besonderer Anhaltspunkte nicht
angenommen werden, zumal die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, dass auf
dem Konto der Beklagten nur Beträge im Umfang eines üblichen Taschengeldes
vorgehalten wurden. Soweit die Klägerinnen (vage und unklar) behauptet haben, die
Eltern hätten offenbar Kenntnis von den Flugeskapaden gehabt (und nicht nur haben
müssen), sind sie jedenfalls – was im Termin erörtert wurde – dafür beweisfällig
geblieben (vgl. dazu noch unten).
2. Damit scheiden – weil sonst der vom Gesetz gewünschte Minderjährigenschutz
unterlaufen würde – auch jedwede quasivertraglichen Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB
(frühere positive Vertragsverletzung) und/oder § 280 Abs. 1, 2, 286 BGB aus (vgl.
Medicus, Bürgerliches Recht, 19. Aufl. Rn. 177 sogar für Fälle des bewussten
Vorspiegelns von Volljährigkeit oder elterlicher Einwilligung).
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3. Auch deliktische Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 265a StGB oder §
263 StGB bestehen nicht. Dabei bedarf keiner Erörterung, ob und inwieweit hier
strafrechtlich relevante Tatbestände – etwa ein Betrug im Lastschriftverfahren (dazu
Schönke/Schröder/Cramer, 25. Aufl. 1997, § 263 Rn. 30) - verwirklicht wurden und die
Beklagte damals deliktsfähig war (was sie wohl letztlich nur zu unsubstantiiert in Zweifel
gezogen hat). Denn jedenfalls fehlt es bereits am schlüssigen Vortrag der Klägerinnen
zum eingetretenen Schaden (§§ 249 ff. BGB). Anders als die Klägerinnen – unter
Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Stromentnahme –
meinen, kann nach richtiger und überzeugender Auffassung nämlich ein Schaden
gerade nicht "objektiv" anhand des üblichen Beförderungsentgeltes bemessen werden.
Dies wird zwar – zurückgehend wohl u.a. auf Neuner, AcP 133, 277 - vereinzelt
vertreten (vgl. wohl auch Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 29 I b), ist vom
Bundesgerichtshof gerade für die Inanspruchnahme von Flugreisen aber ausdrücklich
und zutreffend verworfen worden. Der BGH hat in NJW 1971, 609 f. (= BGHZ 55, 128 ff.)
ausgeführt, dass ein Ersatzanspruch dort schon deshalb ausscheide, "weil die Klägerin
nicht darzulegen vermag, daß ihr durch den Mitflug ... überhaupt ein Schaden
entstanden ist. Die Klägerin könnte nur verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn der
Beklagte nicht zugestiegen wäre. Dann stünde sie aber nicht anders als jetzt, da die
Maschine unstreitig nicht ausgebucht war. Nur wenn sie einen zahlungswilligen
Fluggast hätte zurückweisen müssen, weil der Beklagte einen Sitz im Flugzeug
eingenommen hatte, wäre eine Schadenshaftung des Beklagten aus unerlaubter
Handlung denkbar.... Die Möglichkeit etwaiger Einsparungen hat die Klägerin nicht im
einzelnen vorgetragen.". Genau dies gilt aber auch im vorliegenden Fall, wie die
Beklagte zu Recht einwendet. Ist nach dem Vorgenannten keine Hauptforderung
entstanden, stellen auch die Nebenforderungen für Mahnung/Inkasso etc. nach
Auffassung des Gerichts keine selbständig ersatzfähigen Schadenspositionen dar.
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Daher bedarf es keines weiteren Eingehens auf die Frage, ob und wieweit die Klägerin
zu 1) nicht ein Mitverschulden (§ 254 BGB) an der Entstehung eines Schadens trifft,
wenn sie im Flugverkehr ohne jedwede Kontrolle des Alters - allein auf Basis
fragwürdiger Kundenkarten, die im Rechtsverkehr erfahrungsgemäß nur von Kindern
genutzt werden - Tickets verkauft und später die gebuchten Leistungen tatsächlich
(ohne jede weitere Kontrolle) gewährt. Hier rügt die Beklagte mit Recht erhebliche
Organisationsmängel. Mag grundsätzlich auch der für fremdes deliktisches Verhalten
selbstverschuldet "Anfällige" und "Unvorsichtige" nicht ohne weiteres den Schutz der
Rechtsordnung verlieren, könnte das Maß hier überschritten sein, da dass missachtet
wurde, was jedem hätte einleuchten müssen.
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4. Auch bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte scheiden nach
Auffassung des erkennenden Gerichts im vorliegenden Fall aus.
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a) Ein Fall des § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB (sog. condictio ob rem) liegt offensichtlich
nicht vor. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur berühmten und von den Parteien
diskutierten sog. Flugreiseentscheidung des BGH (a.a.O., vgl. auch Kellmann, NJW
1971, 862, 863 und Koppensteiner/Karmer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl.
1988, S. 11 Fn. 4 zu deren rechtlicher Einordnung), in der ein Minderjähriger sich
unerkannt an Bord eines Anschlussfluges geschlichen hatte, für den er gerade nicht
zuvor ein Ticket gekauft hatte. Vorliegend hat die Klägerin zu 1) ihre Leistungen aber
aufgrund vermeintlicher Vertragsbeziehungen ganz offen - bewusst und gewollt – an die
Beklagte erbracht und mithin "geleistet". Die somit allein einschlägige sog.
Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Fall BGB ist dann vorrangig.
31
b) Aber auch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Fall, 818 ff. BGB ergibt sich kein Anspruch der
Klägerinnen gegen die Beklagte.
32
aa) Zwar hat die Beklagte zunächst ein "Etwas" – nämlich die Flugleistungen als solche
– "ohne Rechtsgrund" und "durch Leistung" der Klägerinnen erlangt. Soweit die
Beklagte die Inanspruchnahme der Flüge dabei mit Nichtwissen bestritten hat, ist dies
nach dem anfangs zu 1. Gesagten nicht ausreichend. Der gerade gemachten
Einordnung der Flugleistungen (als solches) als "erlangtes Etwas" steht nicht entgegen,
dass die Beklagte durch diese unkörperliche Leistung zwangsläufig und kraft Natur der
Sache nicht dauerhaft bereichert sein konnte und hier Empfang der Leistung mit deren
(unmittelbarem) "Verbrauch" einhergehen. Es ist zwar so, dass.a. der Bundesgerichtshof
a.a.O. im "Flugreisefall" deshalb bereits im Rahmen der Prüfung des "erlangten Etwas"
alle Fragen der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) und der Bösgläubigkeit (§ 819 BGB)
geprüft hat und so untersucht hat, ob der Betroffene gehindert sei, geltend zu machen,
es sei eben nicht nur eine Bereicherung weggefallen, sondern erst gar keine
(dauerhafte) Bereicherung entstanden (S. 611). Derartige Konstruktionen – die letztlich
zu der "Fiktion" einer Bereicherung führen - sind nach richtiger Auffassung
insbesondere von MüKo-BGB/Lieb, 4. Aufl., § 812 Rn. 357 ff. m.w.N. aber nur
dogmatischer Ballast und entbehrlich. "Erlangtes Etwas" ist systematisch wie begrifflich
zunächst allein und ausschließlich die unkörperliche Beförderungsleistung als solche.
Das entspricht auch einer natürlichen Betrachtungsweise, wonach sich der
Minderjährige eben einen "Flug" – und nicht eine "Aufwandsersparnis" o.ä. -
erschlichen haben soll. Der Bundesgerichtshof hat eine solche moderne
Betrachtungsweise zwar seinerzeit verworfen – weil andernfalls der allgemein
anerkannte oberste Grundsatz des Bereicherungsrechts in Frage gestellt würde, dass
die Herausgabepflicht des Bereicherten keinesfalls zu einer Verminderung seines
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Vermögens über den Betrag der wirklichen Bereicherung hinaus führen dürfe. Diese
Ausführungen basierten jedoch ersichtlich nur auf der von der Vorinstanz
vorgezeichneten (irrigen) Lösung, dass bei Anerkennung der Nutzungsmöglichkeit als
erlangtes Etwas der Gutgläubige stets gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz auch dann
leisten müsse, wenn die Nutzung letztlich ohne Erfolg geblieben sei (zutreffend
analysiert bei Lieb, a.a.O., § 812 Rn. 361). Dieses berechtigte Anliegen des
Bundesgerichtshofes kann aber durch sachgerechte Handhabung des § 818 Abs. 3
BGB – ohne jedwede dogmatische "Verrenkung" – erreicht werden (vgl. auch Lieb
a.a.O., Rn. 362). Die hier vertretene Lesart entspricht daher heute auch der zu Recht
wohl h.M. (vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/213. Aufl. 1994, § 71 I 2 a); AnwKomm-
BGB/von Sachsen Gessaphe, Bd. 2, § 812 Rn. 12; Koppensteiner/Karmer, a.a.O. S. 116,
120; Wendehorst, in: Bamberger/Roth, 1. Aufl. 2003, § 812 Rn. 13 jeweils m.w.N. und
wohl im Ergebnis auch BGHZ 82, 299, 307; BGH, NJW-RR 1986, 155).
cc) Die damit nach § 812 BGB zunächst geschuldete Rückgewähr dieser
unkörperlichen Leistung als "Etwas" war der Beklagten – kraft Natur der Sache – rein
tatsächlich bereits unmittelbar mit dem Erhalt unmöglich. Dem somit nach § 818 Abs. 2
BGB entstehenden Wertersatzanspruch – der auf den Flugpreis als verkehrsüblichen
Wert gerichtet war – stand nach Auffassung des Gerichts vorliegend § 818 Abs. 3 BGB
entgegen. Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass es sich bei den Flügen für
sie um sog. Luxusaufwendungen gehandelt hat, die sie sich sonst nie mit ihren
(unstreitig bescheidenen) Mitteln hätte leisten können und geleistet hätte. Der dagegen
gerichtete Klägervortrag – der vor allem auf die geringen Entgelte für die Einzeltickets
abstellte – war entschieden zu unsubstantiiert und überzeugte vor allem wegen der
Fülle von Flügen und der Summe der angefallenen Entgelte nicht. Derartige
außergewöhnlichen Ausgaben innerhalb kürzester Zeit können die Anwendung des §
818 Abs. 3 BGB tragen (vgl. auch BGH NJW 1971, 609, 610). Dem steht nicht entgegen,
dass die Flugleistungen als unkörperliche Leistungen sachlogisch immer sogleich
"verbraucht" werden. Denn keinesfalls ist es – entgegen älterer Ansicht (etwa
Mestmäcker, JZ 1958, 521 ff-) – so, dass bei unkörperlichen Leistungen die Anwendung
des § 818 Abs. 3 BGB begrifflich bereits ausgeschlossen ist (eingehend Lieb, NJW
1971, 1289, 1291 ff.). Vielmehr ist die Möglichkeit der Anwendung des § 818 Abs. 3
BGB auf diese Fälle geradezu "Kehrseite" der oben gemachten modernen
Betrachtungsweise zur Bestimmung des erlangten etwas i.S.d. § 812 BGB.
34
dd) Das Berufen auf § 818 Abs. 3 BGB war der Beklagten schließlich vorliegend nicht
etwa wegen Bösgläubigkeit i.S.d. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB verwehrt – wobei
dahinstehen mag, ob Rechtsfolge des § 819 Abs. 1 BGB generell der "Ausschluss" des
§ 818 Abs. 3 BGB ist (so die h.M., etwa Koppensteiner/Kramer, a.a.O., S. 112;
Wendehorst, a.a.OOO., § 818 Rn. 116 ) oder (dem Wortlaut des Gesetzes gemäß) nur
über § 818 Abs. 4 BGB auf die "allgemeinen Vorschriften" zu verweisen ist (vgl. Lieb,
NJW 1971, 1289, 1292).
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(1) Denn bei § 819 Abs. 1 BGB kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht auf die
Frage der eigenen Bösgläubigkeit und/oder deliktischen Einsichtsfähigkeit (analog §
828 BGB) der Beklagten an, sondern – so ärgerlich und unverständlich man dies im
Ergebnis finden mag - allein auf die Frage der Bösgläubigkeit der Eltern der Beklagten
als deren gesetzliche Vertreter (§§ 1626 ff., 166 BGB). Dass bei diesen – oder auch nur
einem von Ihnen - positive Kenntnis geherrscht hat – was die Beklagte substantiiert
bestritten hat -, haben die Klägerinnen letztlich wohl schon gar nicht mehr schlüssig
behauptet. Sie haben es jedenfalls - obwohl ihnen die Darlegungs- und Beweislast für
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die Voraussetzungen des § 819 BGB obliegt (vgl. dazu Palandt/Sprau, a.a.O., § 819 Rn.
20) – nicht unter Beweis gestellt. Soweit die Klägerinnen – sicherlich nicht ohne Grund –
schwerwiegende Aufsichtspflichtverletzungen der Eltern der Beklagten gerügt haben, ist
dies ohne Belang: Selbst noch so grobe Fahrlässigkeit genügt für § 819 BGB nach
richtiger Lesart nicht (Lieb, a.a.O., § 819 Rn. 3 m.w.N.)
(2) Dass aber aus Rechtsgründen allein und ausschließlich auf die Kenntnis der Eltern
als gesetzliche Vertreter der Beklagten abzustellen ist, entnimmt das Gericht der
eindeutigen gesetzlichen Wertung der §§ 104 ff. BGB mit dem dort zum Ausdruck
gebrachten Wunsch nach umfassendem Minderjährigenschutz. Diese Wertung mag
man heute – im Zeitalter unzähliger schwererziehbarer Kinder bzw. in
Erziehungsdingen unbedarfter Eltern - mit gutem Grund als von der Wirklichkeit überholt
und blauäugig ansehen. Nichtsdestotrotz ist sie – auch nach der sog. großen
Schuldrechtsreform - weiterhin geltendes Recht. Ist aber – wie es z.B. Braunschneider,
BGB AT zwar höchst unwissenschaftlich, doch umso plastischer betont – der
Minderjährige die "Heilige Kuh des BGB", darf dieser Schutz eben nicht vorschnell
konterkariert werden. Dabei mag dahinstehen, ob bei § 819 Abs. 1 BGB – wie es
verbreitet mit gutem Grund angenommen wird – generell ausschließlich auf die
gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen abzustellen ist (so Lieb, a.a.O., § 819 Rn. 7;
Canaris, JZ 1971, 560, 563; Larenz/Canaris, a.a.O., § 73 II, S. 312 f.; Pinger, MDR 1972,
101, 103 Fn. 40; Ebel, JA 1982, 526; AnwKomm-BGB/Linke, Bd. 2, § 819 Rn. 5;
Wendehorst, a.a.O., § 819 Rn. 8 und wohl auch KG, NJW 1998, 2911). Denn jedenfalls
überzeugt eine solche Lösung für die – wie gesagt auch hier einschlägigen – Fälle der
sog. Leistungskondiktion (so die differenzierte Lösung etwa von Medicus, Bürgerliches
Recht, a.a.O., Rn. 176 und wohl auch Palandt/Sprau, a.a.O., § 819 Rn. 4).
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(3) Dem steht nach Auffassung des Gerichts auch die Entscheidung des
Bundesgerichtshof in NJW 1971, 609, 611 f. nicht entgegen. Dort hat der
Bundesgerichtshof zwar u.a. wie folgt ausgeführt:
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"Der der Beschränkung der Geschäftsfähigkeit Minderjähriger zugrundeliegende
Schutzgedanke findet jedoch seine Grenze im Recht der unerlaubten Handlungen, das
die Verantwortlichkeit Jugendlicher für von ihnen verursachte Schäden nach anderen
Merkmalen bestimmt, unabhängig davon, in welchem Umfang sie in der Lage sind, sich
rechtsgeschäftlich zu verpflichten. Wird nun aber ein Minderjähriger ohnehin nicht
uneingeschränkt vor Nachteilen aus seinem eigenen Verhalten bewahrt, so besteht
jedenfalls dann kein Anlaß, ihm die Folgen der verschärften Haftung des § 819 BGB zu
ersparen, wenn und soweit er sich das Erlangte durch eine vorsätzliche unerlaubte
Handlung verschafft hat. In diesem Falle ist kein einleuchtender Grund zu erkennen,
sein Verhalten bereicherungsrechtlich nach anderen als den auch für unerlaubte
Handlungen maßgebenden Gesichtspunkten zu beurteilen. Hier hat der Beklagte, wenn
zu seinen Gunsten unterstellt wird, daß er sich - wie er behauptet - beim Einstieg in die
Maschine der Klägerin in Hamburg ohne Flugschein völlig passiv verhalten hat,
zumindest den Tatbestand des § 265a StGB verwirklicht, nämlich die Beförderung durch
ein Verkehrsmittel erschlichen in der Absicht, das Entgelt nicht zu entrichten.
Infolgedessen ist bei Beurteilung seiner Haftung aus ungerechtfertigter Bereicherung
nach § 819 BGB auf seine Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund abzuheben und im
Rahmen dieser Vorschrift § 828 Abs. 2 BGB entsprechend anzuwenden. c) Das
Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellung getroffen. Die gegebenen Umstände
ermöglichen aber eine abschließende Entscheidung. Denn daß der damals nahezu 18
Jahre alte Beklagte, wenn er vorher mit einem gültigen Flugschein von München nach
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Hamburg geflogen ist, die nach § 828 Abs. 2 BGB erforderliche Einsicht zu der
Erkenntnis hatte, daß er den Weiterflug nach New York ebenfalls nicht ohne
Berechtigungsausweis fortsetzen darf, kann keinem ernstlichen Zweifel unterzogen
werden. Damit haftet er nach den §§ 812,818 Abs. 2 und 4,819 BGB auf den Wert der
von ihm in Anspruch genommenen Leistung, also auf die für den Flug üblicherweise zu
zahlende Vergütung."
Indes handelte es sich damals – wie bereits oben betont – um einen Fall der sog.
Eingriffskondiktion, bei dem sich der Minderjährige bewusst und ohne Ticket und
mutmaßliche Vertragsbeziehung an Bord geschlichen hat. So lag der Fall vorliegend
gerade nicht. Insofern hat der Bundesgerichtshof aber damals – nach Darstellung des
Streitstandes – gerade ausdrücklich offen gelassen, "In welcher Weise etwa eine
unterschiedliche Behandlung der einzelnen Bereicherungsfälle notwendig werden
könnte" (S. 611). Eine abweichende Betrachtung erscheint dem erkennenden Gericht
aber zumindest für die Leistungskondiktion geboten.
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(4) Im Übrigen bestehen an der Lösung des Bundesgerichtshofes – die im Schrifttum
auch nur eher vereinzelt Zustimmung erfahren hat (etwa Teichmann, JuS 1972, 250) –
ganz grundsätzliche Bedenken. Zum einen ist die Auffassung des Bundesgerichtshof
schon deswegen fraglich, weil ein Minderjähriger, der ein Ticket in bar bezahlt und die
Leistung in Anspruch genommen hat, an und für sich sogar den Flugpreis nach der
Reise zurückerhalten müsste, wenn später nach dem Flug auffällt, dass der Vertrag
wegen der Minderjährigkeit unwirksam war (vgl. Larenz/Canaris, a.a.O.). Jedenfalls bei
einem (unerkannt) Geisteskranken würde dies auch jedem Betrachter sofort einleuchten;
beim Minderjährigen kann nichts anderes gelten.
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Auch das ganz zentrale Argument des Bundesgerichtshofes, der Minderjährige begehe
eine vorsätzliche unerlaubte Handlung und sei deswegen nach § 828 BGB zu
behandeln, geht bei näherer Betrachtung fehl, wenn – wie hier - kein Schaden
entstanden ist. Dessen Vorliegen ist jedoch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten von
ausschlaggebender Bedeutung: Zum einen ist der Geschädigte (zivilrechtlich) weitaus
schutzbedürftiger als derjenige, dem zwar eine Leistung "abgeschwindelt", aber
dadurch kein Schaden im Rechtssinne zugefügt worden ist. Zum anderen vermindert ein
eingetretener Schaden auch die Schutzwürdigkeit des Haftenden, weil dieser i.d.R. die
Gefahr seines Eintritts erkennen kann und darin für ihn eine Warnfunktion liegt, die etwa
bei der Inspruchnahme eines Platzes in einer nicht ausgebuchten Maschine fehlt (so
überzeugend Larenz/Canaris, a.a.O.). Zudem findet der vom Bundesgerichtshof a.a.O.
aufgestellte Satz, der der Beschränkung der Geschäftsfähigkeit Minderjähriger zugrunde
liegende Schutzgedanke finde seine "Grenze" im Recht der unerlaubten Handlungen,
im Bereicherungsrecht keine Stütze: Auch insoweit ist vielmehr zwischen der dem
Deliktsrecht zukommenden Aufgabe der Wiedergutmachung (Naturalrestitution) und der
schadensunabhängigen Restituierung eines erlangten Etwas strikt zu trennen.
Andernfalls kommt man im Bereich der sog. nichtgegenständlichen Vermögensvorteile
zu einer schadensersatzrechtlichen Haftung im bereicherungsrechtlichen Gewand.
Dass im Schadensersatzrecht vielfach die Nachweisbarkeit eines echten
Vermögensschadens Schwierigkeiten bereitet, ist kein Argument für, sondern eher
gegen die Anwendung des Bereicherungsrechts (überzeugend Lieb, a.a.O., § 819 Rn.
7). Hier wäre allenfalls gesetzgeberische Abhilfe de lege ferenda geboten.
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5. Mangels Hauptanspruch sind die eingeklagten Nebenforderungen – etwa aus §§ 280
Abs. 1, 2, 286 BGB o.ä. – nicht ersatzfähig. Diese sind zudem ohnehin teils überhöht,
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soweit etwa mehrfach ein (aussichtsloser) Lasteinzug versucht wurde (§ 254 BGB),
weitgehend unerläuterte und fragwürdige Servicepauschalen erhoben werden,
Mahnkosten von stolzen 3 € pro Brief verlangt und ferner Inkassokosten ohne jedwede
vernünftige Begrenzung auf die nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten geltend
gemacht werden.
II.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2
ZPO; § 100 Abs. 4 ZPO findet auf unterliegende Klägermehrheiten – jedenfalls in den
Fällen des § 147 ZPO – keine Anwendung. Hinsichtlich der Kostenentscheidung war
ausnahmsweise eine gestaffelte Kostengrundentscheidung geboten. Denn die zuvor
angefallenen Gerichtsgebühren der vorherigen Einzelverfahren bleiben von der
Verbindung unberührt (Zöller/Greger, a.a.O., § 147 Rn. 10), so dass die Klägerinnen
jeweils die vollen Gerichtskosten aus den sie betreffenden Einzelstreitwerten zu tragen
haben. Gleiches gilt grundsätzlich hinsichtlich der Anwaltskosten, doch besteht insofern
noch ein Wahlrecht der Beklagten (Greger, a.a.O.; Autor: Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl.
2005, § 147 Rn. 8 i.V.m. § 145 Rn. 35), was bei der Tenorierung der
Kostengrundentscheidung (alternativ) zu berücksichtigen war.
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Streitwert: 2.251,94 € (= 1.203,22 € + 1.048,72 €)
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