Urteil des AG Kempen vom 03.07.2008

AG Kempen: anhänger, reifen, verschulden, gewalt, geschwindigkeit, betriebsgefahr, marke, kennzeichen, schadenersatz, sicherheitsleistung

Amtsgericht Kempen, 13 C 74/06
Datum:
03.07.2008
Gericht:
Amtsgericht Kempen
Spruchkörper:
Richter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 C 74/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Insoweit ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des bei dem Unfall vom 22. Mai 2005 zerstörten
Fahrzeuges der Marke mit dem amtlichen Kennzeichen. Am Unfalltag fuhr der Ehemann
der Klägerin diesen Pkw gegen 23 Uhr auf der Straße von nach. Mit dem zog er auf dem
bei dem Beklagten zu 1) gemieteten Anhänger mit dem amtlichen Kennzeichen ein
Kraftfahrzeug der Marke, welcher im Betriebsvermögen einer Gesellschaft der Klägerin
stand. Der Hänger geriet auf gerader Straße ins Schlingern und schaukelte sich auf.
Dem Ehemann der Klägerin gelangt es nicht, dem Aufschaukeln entgegenzuwirken. Der
Zugwagen wurde herumgerissen und landete entgegen der Fahrtrichtung im Graben an
einem Baum. Der erlitt einen Totalschaden, dessen hälftigen Ausgleich die Klägerin
begehrt.
3
Die Klägerin behauptet, die Reifen des Anhängers hätten eine zu geringe Profiltiefe
aufgewiesen.
4
Die Klägerin beantragte,
5
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 4.524,23 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 14.
März 2006 zu zahlen.
6
Die Beklagten beantragen,
7
die Klage abzuweisen.
8
Sie behaupten zum Unfallhergang, dass das Zugfahrzeug falsch beladen worden sei.
Ferner sei verabsäumt worden, das Abrissseil fachtechnisch korrekt am Zugfahrzeug zu
befestigen. Der Ehemann der Klägerin sei schließlich mit überhöhter Geschwindigkeit
gefahren.
9
Das Gericht hat aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 15. Dezember 2006 (Blatt 111 f
der Akte) und vom 7. Februar 2008 (Blatt 239 der Akte) durch Einholung eines
schriftlichen Sachverständigengutachtens Beweis über den Unfallhergang,
insbesondere zu den Behauptungen der Beklagten erhoben. Wegen der Einzelheiten
wird auf das schriftliche verkehrsanalytische Sachverständigengutachten der
Sachverständigen und vom 17. Oktober 2007 (Blatt 193 ff.) sowie auf das
Ergänzungsgutachten vom 4. April 2008 (Blatt 253 ff. der Akte) verwiesen.
10
Es wird ferner auf sämtliche zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze, Protokolle und
Unterlagen Bezug genommen (§ 313 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
11
Entscheidungsgründe:
12
Die zulässige Klage ist unbegründet.
13
Die Klägerin kann gegen die Beklagten aus den hier einzig in Betracht kommenden
rechtlichen Anspruchsgrundlagen (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 4 StVG, §§ 421, 823
BGB, § 3 Ziff. 1 PflVG, §§ 536a Abs. 1, 280 Abs. 1, 328 BGB) keinen
Schadensersatzanspruch herleiten.
14
I.
15
Die Klägerin hat gegen die Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Halterhaftung aus
§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 + 4 StVG i.V.m. § 3 Ziff. 1 PflVG keinen Anspruch auf Ersatz der
geltend gemachten Schäden. Die gebotene Abwägung der Verursachungs- und
Verschuldensbeiträge der unfallbeteiligten Fahrzeuge und Fahrer führt zu dem Ergebnis
einer derart überwiegenden Verursachung des streitgegenständlichen Unfalls durch den
Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beim Beladen des Lastzugs, dass für eine
Haftungsbeteiligung der Beklagten auch unter dem Aspekt der vom Anhänger des
Beklagten zu 1) ausgehenden Betriebsgefahr kein Raum ist.
16
1. Zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass der Beklagte zu 1) im Zeitpunkt des
Unfalls Halter des hier streitgegenständlichen Anhängers war und die Beklagte zu 2)
daher als die hinter ihm stehende Haftpflichtversicherung grundsätzlich für den durch
den Anhänger herbeigeführten Schaden als Gesamtschuldnerin einzustehen hat. Nach
ständiger Rechtsprechung verliert der Vermieter eines Kraftfahrzeugs die
Haltereigenschaft bei einer nur vorübergehenden Gebrauchsüberlassung, wie es hier
der Fall war, regelmäßig nicht. Im Ansatz geht die Klägerin ferner zutreffend davon aus,
dass die Haftung der Beklagten nicht schon gemäß § 8 StVG ausgeschlossen ist. Die
Voraussetzungen von § 8 Ziff. 3 StVG liegen hinsichtlich des durch den Unfall zerstörten
der Klägerin schon deshalb nicht vor, weil dieser nicht durch den Anhänger des
Beklagten zu 1) befördert worden ist. Da die Klägerin nach ihrem Sachvortrag, dem die
Beklagten nicht entgegengetreten sind, bei dem Betrieb des Anhängers nicht tätig
geworden ist, können sich die Beklagten, wovon auch die Parteien übereinstimmend
ausgehen, nicht auf § 8 Ziff. 3 StVG berufen. Beim Betrieb des Fahrzeuges oder des
17
Anhängers ist vor allem der Fahrer selbst tätig. Dies war hier der Ehemann der Klägerin,
nicht die Klägerin selbst. Die Klägerin war nach dem unstreitigen Sachvortrag der
Parteien ebenfalls nicht bei dem Beladen des Anhängers tätig, so dass auch unter
diesem Gesichtspunkt ein Tätigwerden im Sinne der genannten Vorschrift ausscheidet.
2. Zwar kann der Klägerin insofern kein bei der Abwägung zu berücksichtigender
Sorgfaltsverstoß angerechnet werden, als das Abreißsicherungsseil nicht
ordnungsgemäß mit dem Zugfahrzeug verbunden war. Denn dies war weder ursächlich
für den Unfall noch für die eingetretenen Schäden. Die Beklagten haben auch den
Beweis für ihre Behauptung, der Kläger sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren,
was die hier streitgegenständlichen verursacht habe, nicht erbracht. Die
Sachverständigen waren anhand des ihnen zur Verfügung gestellten
Tatsachenmaterials nicht in der Lage, die Ausgangsgeschwindigkeit des Gespanns zu
rekonstruieren und konnten aus diesem Grund die Behauptung der Beklagten nicht
bestätigen.
18
3. Das Gericht gelangt jedoch nach eigener Würdigung aufgrund der überzeugenden
Ausführungen der Sachverständigen und in ihrem schriftlichen Gutachten zu dem
Ergebnis, dass der Ehemann als Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht dafür Sorge
getragen hat, dass das Gespann und die Ladung vorschriftsmäßig sind und dass die
Verkehrssicherheit des Fahrzeugs durch die Ladung nicht leidet (§ 23 Abs. 1 Satz 2
StVO).
19
a. Vorschriftsmäßig sind Ladung und Gespann insbesondere dann nicht, wenn sie den
Bau- und Betriebsvorschriften der StVZO widersprechen. So liegt der Fall auch hier. Die
Sachverständigen Schimmelpfennig und Becke, die auf dem Gebiet der
Verkehrsunfallanalyse über eine umfangreiche wissenschaftliche und praktische
Verfahrung verfügen, haben in ihrem schriftlichen Gutachten vom 17. Oktober 2007
unter Mitwirkung des Sachverständigen eingehend und nachvollziehbar erläutert, dass
die vom Gesetzgeber in § 44 StVZO geforderte Mindeststützlast im Streitfall nicht
eingehalten wurde. Im Unfallzeitpunkt befand sich der der Klägerin vorwärts, also mit
der Front in Fahrtrichtung auf dem Anhänger. Daher wirkte, wie die Sachverständigen
eingehend erläutert haben, eine negative Stützlast ein, wodurch die Hinterachse des
klägerischen Fahrzeugs entlastet wurde und ein stabiles Fahrverhalten des Gespanns
nicht mehr zu erreichen war. Wenn die Sachverständigen bei dieser Sachlage zu dem
Ergebnis gelangen, dass der Anhänger des Beklagten falsch beladen war und diese
falsche Beladung mindestens mitursächlich für den Schleudervorgang des Gespanns
war, ist dies schlüssig und lässt Widersprüche nicht erkennen. Auch die Klägerin erhebt
keine durchgreifenden Einwendungen gegen die Feststellungen der Sachverständigen.
20
b. Der Ehemann der Klägerin war als Fahrer des Gespanns im Rahmen des ihm
Möglichen und Zumutbaren verantwortlich, dass das Gespann vorschriftsmäßig beladen
war. Der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin das Gespann zur weiteren Führung
lediglich übernommen hat und auf die Angaben des Speditionsunternehmens vertraute,
entlastet ihn nicht (BGH, VRS 29, 26). Dies gilt um so mehr, als der Ehemann der
Klägerin den selbst auf den Hänger aufgefahren hat. Gerade weil der Ehemann der
Klägerin im Führen von Pkw nebst Anhängern "routiniert" gewesen sein soll und häufig
"mit dem Sportwagen Rennstrecken aufsucht", hätte er nicht auf die Angaben des
Speditionsunternehmens vertrauen dürfen, sondern sich – wie jeder Führer eines
Gespanns – mit den besonderen Vorschriften des § 44 StVZO vertraut machen müssen.
21
c. Die Klägerin muss sich die Sorgfaltspflicht ihres Ehemannes gemäß § 9 StVG
zurechnen lassen. Nach dieser Vorschrift finden, wenn bei der Entstehung des
Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat, die Vorschriften des § 254
BGB mit der Maßgabe Anwendung, dass im Falle der Beschädigung einer Sache das
Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem
Verschulden des Verletzten gleichsteht. Entgegen der von der Klägerin vertretenen
Rechtsauffassung übte der Ehemann als Fahrzeugführer die tatsächliche Gewalt über
das zerstörte klägerische Fahrzeug aus (siehe bereits oben).
22
4. Das Gericht geht mit den Feststellungen der Sachverständigen davon aus, dass die
falsche Beladung mindestens mitursächlich für das instabile Fahrverhalten des
Gespanns und den Schleudervorgang war. Die Klägerin ist für ihre Behauptung, eine zu
geringe Profiltiefe der Reifen des Anhängers habe mit zu dem Unfall geführt,
beweisfällig geblieben. Ob zum Unfallzeitpunkt gegebenenfalls weitere Umstände
vorherrschten, die die Unfallentstehung zusätzlich begünstigten, war aufgrund fehlender
Rekonstruktionsmöglichkeiten auch aus sachverständiger Sicht nicht mehr zu
beurteilen. Die Sachverständigen haben jedoch einleuchtend dargelegt, dass auch bei
günstigen äußeren Verhältnissen etwa bei besseren Witterungsverhältnissen, ein
stabiles Fahrverhalten des Gespanns wegen der falschen Beladung nicht gegeben
gewesen wäre. Sind mithin andere Ursachen für den Unfallhergang nicht feststellbar,
lässt das Ergebnis der erhobenen Beweise für das Gericht nur den Schluss zu, dass die
falsche Beladung bei der Verursachung des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls
derart überwiegt, dass für eine Haftungsbeteiligung der Beklagten allein unter dem
Aspekt der vom Anhänger des Beklagten zu 1) ausgehenden Betriebsgefahr kein Raum
ist.
23
II.
24
Die Klägerin hat nach dem oben Gesagten auch keinen Anspruch auf Schadenersatz
aus §§ 533, 536a, 280 Abs. 1 BGB. Ungeachtet der Frage, ob die Klägerin nach den
Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte (§ 328 BGB) in den
Schutzbereich des zwischen dem Beklagten zu 1) und der Firma geschlossenen
Mietvertrages einbezogen war, hat die Klägerin nicht dargelegt und bewiesen, dass der
Unfall aufgrund eines Mangels des angemieteten Anhängers verursacht worden ist. Wie
bereits dargelegt, haben die Sachverständigen auch auf die ergänzende Befragung hin
die Profiltiefe der Reifen zwischen 3 und 6 mm angegeben und sind somit
nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Gesetzgeber geforderte
Mindestprofiltiefe von 1,6 mm eingehalten wurde. Den Sachverständigen lagen keine
Anhaltspunkte für eine geringere Profiltiefe vor. Solche werden auch von der Klägerin
nicht nachvollziehbarer Weise dargelegt. Ihre Ausführungen hierzu sind überwiegend
spekulativ; ihren diesbezüglichen Beweisantrag hat sie zurückgezogen.
25
III.
26
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 und S. 2
ZPO
27