Urteil des AG Kehl vom 04.01.2005

AG Kehl: gebühr, zahlungsaufforderung, anwaltskosten, verzug, zustellung, auskunft, kausalverlauf, säumnis, beweislast, zustand

AG Kehl Urteil vom 4.1.2005, 4 C 740/04
Rechtsanwaltsgebühr für einfache Zahlungsaufforderung
Leitsätze
Keine 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG bei einfacher Zahlungsaufforderung
Tenor
1. Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Euskirchen vom 11.10.04 (Gesch.-Nr.: 04-2633252-0-9) bleibt mit der Maßgabe aufrechterhalten,
dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 23,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
13.06.2004 abzüglich am 09.10.04 bezahlter EUR 23,40 sowie weitere 10,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 23.09.2004 zu bezahlen. Im Übrigen wird der Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung der Klägerin wird gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beklagte erwarb von der Klägerin CD‘s, die ihr mit Rechnung vom 29.04.04 über 59,70 EUR und mit Rechnung vom 10.05.04 für 23,40 EUR
geliefert wurden. Die Klägerin mahnte die erste Rechnung mit Schreiben vom 25.06.04 und die zweite Rechnung mit Schreiben vom 29.06.04
an.
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Nachdem ein Zahlungseingang bis dahin nicht festzustellen war, beauftragte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten am 12.08.04 mit der
weiteren Forderungseinziehung. Dieser forderte die Beklagte mit – nicht vorgelegtem - Schreiben vom 25.08.04 zur Zahlung des offenen
Betrages von 83,10 EUR zzgl. Zinsen und Kosten auf. Mit – ebenfalls nicht vorgelegtem - Schreiben vom gleichen Tag beantrage er eine
Auskunft aus der Schuldnerkartei. Die Beklagte bezahlte am 03.09.2004 die Rechnung vom 29.04.04 über EUR 59,70.
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Nach Zustellung eines Mahnbescheids am 22.09.04 über die noch offene Rechnung vom 10.05.2004 über 23,40 EUR zzgl. vorgerichtlichen
Anwaltskosten in Höhe von EUR 22,75 gemäß - nicht vorgelegter - „Zahlungsaufforderung vom 06.09.2004“ sowie Mahnkosten von 4 EUR
bezahlte die Beklagte am 09.10.04 weitere 23,40 EUR. Bereits am 07.10.04 hatte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid beantragt, der am
11.10.04 erlassen wurde. Die Beklagte legte am 18.10.04 Widerspruch ein.
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Mit der vorliegenden Klage fordert die Klägerin, den Vollstreckungsbescheid abzüglich der Zahlung vom 09.10.2004 aufrecht zu halten.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte zur Zahlung der gesamten, nicht auf die Prozessgebühren anzurechnenden vorgerichtlichen
Anwaltskosten in Höhe von EUR 22,75 verpflichtet sei. Es seien vorgerichtlich eine 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV aus einem
Gegenstandswert von EUR 83,10 EUR, somit 32,50 EUR, und eine Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV von 6,50 EUR angefallen. Von
diesen 39,00 EUR sei die Hälfte der Geschäftsgebühr, somit 16,25 EUR, auf die Gebühr Nr. 3305 VV RVG anzurechnen und somit in Abzug zu
bringen.
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Sie habe ihrem Prozessbevollmächtigten von Anfang an einen umfassenden Auftrag erteilt, der sich nicht auf ein einfaches Schreiben im Sinne
der Ziffer 2402 VV RVG beschränkt, sondern sich auch auf die mahngerichtliche Geltendmachung im Falle der Nichtzahlung sowie auf die
Zwangsvollstreckung und eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Forderungseinziehung durch Einsicht in das Schuldnerverzeichnis erstreckt
habe. Dieser umfassende Auftrag habe eine Gebühr nach Ziffer 2400 VV RVG ausgelöst, die die Beklagte zu ersetzen habe. Insbesondere weil
die Klägerin als besonders wohlhabend anzusehen sei, sei eine 1,3 Gebühr anzusetzen gewesen.
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Die Klägerin könne auch Zahlung verlangen, selbst wenn sie den Betrag noch nicht an ihren Prozessbevollmächtigten beglichen habe, zumal da
die Klägerin auf eine Vergütungsberechnung bis zum Abschluss der Angelegenheit verzichte. Um Bedenken des Gerichts Rechnung zu tragen,
habe ihr Prozessbevollmächtigter die Vergütung mit Note vom 07.12.04 (AS 47) fällig gestellt.
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Die Klägerin beantragt,
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den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts E. vom 11.10.04 (Gesch.-Nr.: 04-2633252-0-9) abzüglich am 09.10.04 bezahlter EUR
23,40 aufrecht zu halten.
10 Die Beklagte ist der Klage nicht entgegengetreten.
11 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst
Anlagen und sonstigen Aktenteile, insbesondere den Aktenausdruck des Amtsgerichts Euskirchen (AS 1 ff), Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Die Klage ist zulässig, in der Sache aber teilweise ohne Erfolg.
I.
13 Durch den zulässigen, insbesondere gemäß §§ 700, 339 ZPO form- und fristgerecht eingelegten als Einspruch zu behandelnden Widerspruch
der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid vom 11.09.2004 wird das Verfahren gemäß §§ 700, 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der
es sich vor Eintritt der „Säumnis“ befand, so dass Zulässigkeit und Begründetheit der Klage zu prüfen sind.
II.
14 1. Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 249 BGB lediglich weitere 10,50 EUR verlangen. Dieser Betrag setzt sich
aus jeweils 2,00 EUR für die beiden Mahnschreiben vom 25.06.04 und vom 29.06.04 sowie der Hälfte einer 0,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr.
2400, 2402 VV RVG, die sich gemäß § 13 Abs. 2 RVG auf 10 EUR beläuft (Mindestgebühr, vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl., § 13 RN 12) zzgl.
einer vorgerichtlichen Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG in Höhe von EUR 1,50 zusammen. Ein Anspruch auf Erstattung einer
hälftigen 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV besteht dagegen nicht, da eine solche weder angefallen ist noch im Sinne der §§ 249 ff BGB
ersatzfähig wäre.
15 Gemäß § 249 Absatz 1 BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum
Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Ersatzpflicht des Geschädigten erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Kosten der
Rechtsverfolgung, insbesondere auch auf die Anwaltskosten, da seine Beauftragung dem adäquaten Kausalverlauf entspricht und im
Allgemeinen nicht gegen § 254 BGB verstößt (Palandt, 63. Aufl., § 286 RN 47). Zusätzliche Voraussetzung ist aber auch hier, dass die
Ersatzpflicht nur besteht, soweit die Inanspruchnahme des Rechtsanwalts erforderlich, somit notwendig und angemessen, war (vgl. Palandt, 63.
Aufl., § 286 RN 47 mit Hinweis auf § 249 RN 21 [richtig aber: § 249 RN 38, 39] und Hinweis auf OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 929; AG Kehl,
NZV 2004, 416; nun rechtskräftig, nachdem die Berufung des Klägers durch Urteil des Landgerichts Offenburg vom 30.11.2004, Az.: 1 S 36/04,
nicht veröffentlicht, zurückgewiesen wurde).
16 Vorliegend hat der Kl. weder dargelegt, dass die Entrichtung einer 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG erforderlich in diesem Sinne ist
noch dass eine solche Gebühr auch angefallen ist. Hierfür ist er als Anspruchsteller aber darlegungspflichtig (vgl. Palandt, 63. Aufl., Vorbem. §
249 Rdnr. 162; Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl., § 14 RVG, Rdnr. 24 zur Beweislast des Rechtsanwalts in Bezug auf die Billigkeit mit Hinweis auf
BGH, NJW 83, 1178; vgl. auch AG Kehl a.a.O.).
17 Ausreichend war es vorliegend nämlich, den Rechtsanwalt zunächst nur mit einer anwaltlichen Zahlungsaufforderung sowie der Einholung einer
Auskunft aus der Schuldnerkartei zu beauftragen, die - auch zusammen - als routinemäßig erstellte Schreiben einfach(st)er Art, d.h. ohne
schwierige rechtliche Ausführungen und größere sachliche Auseinandersetzungen, im vorgerichtlichen Bereich lediglich eine 3/10
Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400, 2402 VV RVG auslösen (vgl. hierzu ; Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl., Nr. 2400-2403 VV, RN 105 ff).
18 2. Die Entscheidung zu den Zinsen stützt sich auf §§ 288, 291 BGB. Hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von 23,40 EUR geriet die Beklagte
am 13.06.04 30 Tage nach Übersendung der Rechnung vom 10.05.04 in Verzug. Hinsichtlich des Verzugsschadens der Klägerin geriet die
Beklagte erst mit Zustellung des Mahnbescheids in Verzug; jedenfalls ist ein früherer Verzugseintritt von der Klägerin nicht dargelegt.
III.
19 Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 91a ZPO. Vor dem Prozessgericht waren lediglich noch die Kosten
streitig, bei denen die Klägerin mit 54 % unterliegt. In Höhe der Hauptforderung hat sich der Rechtsstreit durch die Zahlung der Beklagten vom
09.10.04 erledigt. Es erschien daher insgesamt angemessen, die Kosten gegeneinander aufzuheben. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
IV.
20 Das Gericht hat die Berufung der Klägerin zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, da zur
Abgrenzung einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG und einer Gebühr nach Nr. 2402, 2400 VV RVG eine gesicherte Rechtsprechung
bisher nicht vorliegt, zumal da sich diese Problematik unter der Geltung der BRAGO wegen der Anrechnung der vorgerichtlichen
Geschäftsgebühr auf die entsprechenden Gerichtsgebühren gemäß § 118 Abs. 2 BRAGO so nicht gestellt hat.