Urteil des AG Kassel vom 26.03.2009

AG Kassel: versammlung, miteigentümer, ergänzung, vollstreckung, beschlussfähigkeit, zutritt, sicherheitsleistung, belüftung, reihenhaus, russ

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Gericht:
AG Kassel
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
800 C 6255/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 14 WoEigG, § 22 WoEigG
(Wohnungseigentum: Anbringung eines
Edelstahlaußenkamins mit Abgasrohr am Reihenhaus einer
Mehrhausanlage als bauliche Veränderung)
Leitsatz
Nachträgliche Errichtungen einer Schornsteinanlage zum Betrieb eines Kaminofens ist
bauliche Veränderung und zustimmungspflichtig; Beschlusskompetenz der
Untereigentümergemeinschaft
Tenor
Der Beschluss zu TOP 2 der Eigentümerversammlung 11.2008 wird für
ungültig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu 1 und 2 zu 9 % die
Beklagte zu 91 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Kostenbetrages abwenden, wenn
nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren
Kostenbetrages leisten.
Die Kläger können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Kostenbetrages abwenden, wenn nicht
die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren
Kostenbetrages leisten.
Tatbestand
Die Kläger sind Miteigentümer eines Reihenhauses, welches zur
Wohnungseigentümergemeinschaft gehört. Nach Ziffer 18 der Teilungserklärung
vom 30.01.1996 sind Untergemeinschaften zu bilden, die für alle Angelegenheiten
ihrer jeweiligen Häuser mit bestimmten Wirkungskreis zuständig sein soll. Auf BI.
20 d.A. wird insoweit Bezug genommen. Mit Ergänzung der Teilungserklärung vom
25. 11. 1996 errichtet durch Notar … wird bestimmt, dass die Ziffer 18. 1. der
Teilungserklärung vom 30. 01. 1996 wie folgt geändert wird: "Die Verwaltung des
gemeinschaftlichen Eigentums steht den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich
zu. Angelegenheiten J über die nachdem Gesetz oder Vereinbarung die
Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können, werden durch
Beschlussfassung in einer a. Gesamteigentümergemeinschaft b. jeweils einer
Teileigentümergemeinschaft aus den Miteigentümern ... der genannten
Gebäudekomplexe geregelt, wobei eine Teileigentümerversammlung lediglich über
Angelegenheiten beschließt, die unmittelbar ihren Gebäudekomplex betrifft.
Weitergehende Beschlüsse (z.B. Verwalterbestellung, Angelegenheiten über die
nicht Sondernutzungsrechten unterliegenden Freiflächen) werden in einer
Gesamteigentümerversammlung gefasst."
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Mit Ergänzung bzw. Änderung der Teilungserklärung und nachfolgender Ergänzung
durch Erklärung vom 30.06. 1998 ist in Ziffer 9 bestimmt, dass die Wohnungen 11,
12, 27 und 28 eine Untereigentümergemeinschaft bilden.
Im Sommer 1998 errichtete der beklagte Miteigentümer … an der Außenfassade
des Objekts WE 27 einen Edelstahlaußenkamin für die Nutzung eines
Holzbrandkaminofens. Das Abgasrohr wird außerhalb des Gebäudes geführt und
überragt die geneigte Dachfläche des benachbarten Reihenhauses der Kläger (WE
12) um ca. 1 m. In der Dachfläche ist ein großflächiges Dachfenster eingelassen,
welches der Belüftung und Belichtung der im Dachgeschoss befindlichen Räume
dient. Die Feuerungsanlage wurde nach einer Bescheinigung des
Bezirksschornsteinfegermeisters … vom 22.07.2008 nach den geltenden Regeln
der Technik errichtet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Lichtbilder BI. 66 und 90
d.A. sowie auf den Lageplan BI. 88 d.A. Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 05. 11. 2008 lud die Hausverwaltung die Miteigentümer der
Untergemeinschaft WE 11, 12,27 und 28 für den 27. 11.2008 zu einer
außerordentlichen Eigentümerversammlung ein und teilte als beabsichtigten TOP
mit, das Herr … einen Antrag auf Errichtung einer Schornsteinanlage gestellt
habe. Am 27. 11.2008 fand die Versammlung der Untereigentümergemeinschaft
statt. Diese beschloss unter TOP 1 ihre Beschlussfähigkeit und unter TOP 2, dass
dem Antrag des Miteigentümers … auf Errichtung einer außen angebrachten
Schornsteinanlage zum Betrieb eines Kaminofens wie vom
Bezirksschornsteinfegermeister bereits geprüft und genehmigt stattgegeben
werde. Die Kläger stimmten dem Antrag nicht zu, weil sie Geruchsbelästigungen
fürchtete und der Schornstein außen sichtbar sei.
Am 09.12.2008 haben die Kläger Klage bei dem Amtsgericht Kassel eingereicht,
mit der sie die Nichtigkeitsfeststellung bzw. Ungültigkeitserklärung der Beschlüsse
der Versammlung der Untereigentümergemeinschaft vom 27. 11.2009 erstreben.
Die Klage ist am 26.02.2009 zugestellt worden.
Die Kläger behaupten, durch die Errichtung der Schornsteinanlage werde in das
Gemeinschaftseigentum eingegriffen. Die Anlage sei eine optische
Beeinträchtigung. Zudem würden bei Betrieb der Anlage Abgase erzeugt, die die
Nutzung ihres benachbarten Sondereigentums insbesondere bei Belüftung des
Dachgeschosses durch Zutritt von Feinstaub, Russ und sonstigen Immissionen
beeinträchtigten. Es handele sich bei der durchgeführten Maßnahme um eine
bauliche Veränderung, so dass der Beschluss nur bei Einstimmigkeit der
betroffenen Miteigentümer wirksam sei. Sie halten die Beschlüsse für nichtig, weil
die Versammlung der Untereigentümergemeinschaft nicht beschlusskompetent
sei.
Die Kläger beantragen,
festzustellen, dass die von der Untergemeinschaft (WE 11, 12,27 und 28)
unter dem 27. 11. 2008 gefassten Beschlüsse zu TOP 1 und 2 der
außerordentlichen Versammlung der Untereigentümergemeinschaft nichtig sind;
hilfsweise, die unter TOP 1 (Beschlussfähigkeit) und TOP 2 (Errichtung einer
Schornsteinanlage) gefassten Beschlüsse der Untereigentümergemeinschaft vom
27. 11.2008 für ungültig zu erklären.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Versammlung der
Untereigentümergemeinschaft ein eigenes Beschlussrecht für die
Angelegenheiten der Gebäudeeinheit WE 11, WE 12 WE 27, WE 28 habe. Sie
behaupten, es sei unzutreffend, dass die Kläger bei Betrieb des Kaminofens durch
den Miteigentümer … einer erheblichen Beeinträchtigung durch
Schornsteinabgase, Ruß oder Feinstaub ausgesetzt seien. Die Errichtung des
Ofens sei eine Maßnahme der Energieersparnis.
Die klagende Partei hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch den
Schriftsatz vom 16.03.2009 zur Akte gereicht, die beklagte Partei den Schriftsatz
vom 23.03.2009.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
Die Kläger sind nicht nach § 46 Abs. 1 2 WEG mit ihrem Vorbringen
ausgeschlossen. Der Zeitpunkt der Klageeinreichung ist nach § 167 ZPO
maßgebend, da die Klage demnächst zugestellt wurde. Nach vorläufiger
Streitwertfestsetzung ist der Vorschuss zeitnah eingezahlt worden.
I.
Der Beschluss der Versammlung der Untereigentümergemeinschaft vom 27.
11.2008 zu TOP 2 ist ungültig. Dabei kann dahinstehen, ob die Versammlung der
Untereigentümergemeinschaft die erforderliche Beschlusskompetenz hatte; denn
der Beschluss ist jedenfalls nicht mit der nach § 22 Abs. 1 S. 1 WEG erforderlichen
Zustimmung aller betroffenen Eigentümer gefasst worden.
Das Gericht muss zu dem etwaigen Nichtigkeitsgrund der mangelnden
Beschlusskompetenz auch dann nicht Stellung nehmen, wenn
Nichtigkeitsfeststellung und Anfechtung ins Eventualverhältnis gestellt sind. Die
Streitgegenstände beider Anträge verfolgen nämlich das gleiche Rechtsschutzziel
und sind identisch, so dass ein Vorrang der Nichtigkeitsfeststellung nicht gegeben
ist (vgl. Niedenführ WEG 8. Auflg. § 46 Rz. 63).
Der Beschluss, die Errichtung eines Außenkamins zugunsten des Miteigentümers
zu genehmigen ist mangels Zustimmung aller betroffenen Eigentümer unwirksam.
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 WEG bedarf es einer derartigen Zustimmung, wenn die
beschlossene Maßnahme eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen
Eigentums darstellt. Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Außenwand des
Teilobjekts WE 11, 12, 27 und 28 der Mehrhausanlage ist nach der Ziffer 3
Teilungserklärung vom 30. 6. 1996 Gemeinschaftseigentum. Nach dieser
Bestimmung sind die Räume und Gebäudeteile, die nicht nach Ziffer 2 der
Teilungserklärung zum Sondereigentum erklärt worden sind
Gemeinschaftseigentum. Die Außenwand des Gebäudes wird in Ziffer 2 der
Teilungserklärung nicht aufgeführt. Die Maßnahme stellt auch eine bauliche
Veränderung dar. Die Anbringung des Außenkamins ist eine Maßnahme, die über
bloße Instandhaltung und Instandsetzung hinausgeht (vgl. dazu OLG Köln MDR
2000, 577,578). Durch die Maßnahme wird in die Substanz der Außenwand
eingegriffen. Zudem wird das äußere Erscheinungsbild des Objekts verändert.
Soweit die beklagte Partei - der Miteigentümer … - in dem nicht nachgelassenen
Schriftsatz vom 23. 03. 2009 unter Vorlage von Verkaufsprospekten behauptet,
die Anlage sei wegen des anzuschließenden besonders emissionsarmen Ofens als
Energiesparmaßnahme anzusehen, ist der Beklagte mit seinem Vortrag nach §
296 a S. 1 ZPO ausgeschlossen. Im Übrigen handelt es sich bei Errichtung des
Außenkamins, selbst wenn der von dem Beklagten … anzuschließende Kaminofen
die in den überreichten Verkaufsunterlagen angepriesenen Eigenschaften besitzen
sollte, nicht um eine Modernisierung. Als solche ist eine Maßnahme nur
anzusehen, wenn statt einer alten Anlage eine neue, technisch erheblich
verbesserte Anlage mit höherer Energieeffizienz eingesetzt wird (vgl. Niedenführ
WEG, 8. Auflg. § 22 Rz. 76). Dies ist nicht der Fall. Der Beklagte … beabsichtigt
lediglich eine vorhanden Gasheizung durch den Betrieb des Kaminofens zu
unterstützen und erhofft sich daraus eine Kostenersparnis, deren Umfang nicht
mitgeteilt wird.
Es haben nicht alle betroffenen Eigentümer der bauliche Veränderung
zugestimmt. Vielmehr haben die Kläger ihre Zustimmung zu der Errichtung des
Außenkamins nicht erteilt. Die Kläger hätten aber zur Wirksamkeit des Beschluss
zustimmen müssen; denn die Errichtung des Außenkamins begründet zu ihren
Lasten einen Nachteil der über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinausgeht.
Maßgebend hierfür ist, ob dem Wohnungseigentümer durch die Maßnahme in
vermeidbarer Weise eine Beeinträchtigung entsteht. Dabei gelten als Nachteile nur
konkrete und objektive Beeinträchtigungen, die nicht ganz unerheblich sind.
Entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer
nach Lage der Dinge in entsprechender Situation verständlicherweise
beeinträchtigt fühlen kann (vgl. BGH NJW 1992, 978, 979). Diese Voraussetzung ist
hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Errichtung des Außenkamins, den
optischen Eindruck des Objekts mit den WE 11, 12, 27, 28 nachteilig verändert. Die
Kläger sind jedenfalls dadurch beeinträchtigt, dass sie in der Nutzung ihres
Sondereigentums durch die emittierenden Abgase aus dem Schornstein
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Sondereigentums durch die emittierenden Abgase aus dem Schornstein
möglicherweise beeinträchtigt sein können (vgl. OLG Köln MDR aaO.). Bei
entsprechender Windrichtung und Wetterlage wird es zu Zutritt von Rauch und
Abgasen auch auf das Sondereigentum der Kläger kommen. Dies kann das
Gericht aufgrund allgemein bekannter Tatsachen und der unstreitigen örtlichen
Verhältnisse auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens beurteilen.
So ergibt sich bereits aus den örtlichen Verhältnissen und der allgemein bekannt
üblichen Wechselhaftigkeit der Wind- und Wetterbedingungen, dass der Eintritt
derartiger Beeinträchtigungen nicht ausgeschlossen werden kann; denn ein
Dachfenster des von den Klägern genutzten Reihenhauses befindet sich in
unmittelbarer Nachbarschaft des Schornsteins. Folglich ist bei
Inversionswetterlagen und drückenden Winden aus entsprechender Windrichtung
trotz der Schornsteinhöhe zu erwarten, dass die Abgase jedenfalls zu nicht
hinzunehmenden Geruchsbelästigungen führen. Dem steht nicht entgegen, dass
die Schornsteinanlage als feuerpolizeilich und emissionsrechtlich bedenkfrei von
dem Bezirksschornsteinfegermeister abgenommen worden ist. Auch der Zutritt
von Geruchsbelästigungen durch Schornsteinabgase unterhalb etwaiger gesetzlich
bestimmter oder technisch normierter Grenzwerte stellt eine nicht
hinzunehmende Verschlechterung des Sondereigentums der Kläger dar.
II.
Die Klage ist unbegründet, soweit die klagende Partei die Nichtigkeitsfeststellung
bzw. Ungültigkeitserklärung hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 1 der
Versammlung der Untereigentümergemeinschaft vom 27. 11.2008 begehrt.
Entgegen der Rechtsansicht der klagenden Partei durfte die Versammlung der
Untereigentümergemeinschaft ihre Beschlussfähigkeit feststellen. Zugunsten der
Versammlung der Untereigentümergemeinschaft WE 11, 12, 27, 28 ist gemäß
Ziffer 18 der Ergänzung vom 25. 11. 2006 iVm. Ziffer 9 der Änderung vom 30. 06.
1998 bestimmt, dass diese in Angelegenheiten zugewiesen, die unmittelbar den
jeweiligen Gebäudekomplex betreffen. Mithin ist der Versammlung der
Untereigentümergemeinschaft grundsätzlich die Befugnis zugestanden
Beschlüsse in derartigen Angelegenheiten zu fassen. Der Beschluss über die
Beschlussfähigkeit hat dabei lediglich die Entscheidung der beschließenden
Versammlung zum Gegenstand, dass die für eine Beschlussfassung erforderlich
Anzahl von Miteigentümern vorhanden ist. Ob die Eigentümerversammlung auch
die erforderliche Beschlusskompetenz für die nach der Tagesordnung
anstehenden Beschlüsse besitzt, wird durch einen derartigen Beschluss nicht
entscheiden. Dies gilt selbst wenn sich die Eigentümerversammlung wie hier
lediglich mit einem konkreten Beschlussantrag zu befassen.
Erst im Rahmen der weiteren Entscheidung über die materiellen
Beschlussvorlagen befindet die Versammlung darüber, ob sie über den zur
Entscheidung anstehenden Gegenstand überhaupt wirksam befinden darf. Ist dies
nicht der Fall, wird der Beschlussantrag durch die - beschlussfähige -
Eigentümerversammlung durch Negativbeschluss zurückzuweisen sein.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709 S. 2· und 3
ZPO. Die Kostenentscheidung folgt dem nach dem anzunehmenden Streitwert von
2000,00 Euro für den Beschluss zu TOP 2 und 200,00 Euro für den Beschluss zu
TOP 1 begründeten Maß des Obsiegens und Unterliegens.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.