Urteil des AG Hohenschönhausen vom 24.07.2007

AG Hohenschönhausen: bischof, gebühr, auflage, zwangsvollstreckung, bedürfnis, innenverhältnis, gegenforderung, quelle, link, sammlung

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Gericht:
AG
Hohenschönhausen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 C 16/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 2300 RVG,
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 3100 RVG,
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Teil 3
Vorbem 3 Abs 4 RVG
Vergütung des Rechtsanwalts: Anrechnung der
Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren
Tenor
In Sachen ... wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Juli 2007 auf die Erinnerung
der Klägerin aufgehoben. Das Gericht überträgt die Entscheidung dem Rechtspfleger,
der unter Beachtung der rechtlichen Beurteilung des Gerichts neu zu entscheiden hat.
Die Kosten des gem. § 11 Abs. 4 RPflG gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahrens
hat die Beklagte nach einem Wert von bis zu 600,00 EUR zu tragen.
Gründe
Da der Beschwerdewert des § 567 Abs. 2 ZPO nicht erreicht ist, ist die Erinnerung nach §
11 Abs. 2 RPflG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden.
I.
Die Erinnerung ist begründet, da sich die Verfahrensgebühr durch die Anrechung der
Geschäftsgebühr verringert und dies bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen ist.
1. Bis der Gesetzgeber sich eine Vereinfachung zum Ziel gemacht hat und im
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (BGB. I Nr. 21, S. 718 ff.) die
BRAGO durch das RVG ersetzt und in Vorbemerkung 3 Abs. 4 im Vergütungsverzeichnis
eine neue Anrechnungsvorschrift geschaffen hat, gab es ein wesentliches Problem nicht,
denn die Geschäftsgebühr war nach § 118 Abs. 2 BRAGO voll auf die spätere
Prozessgebühr anzurechnen. In der Praxis wurde einfach und effektiv die (durch die
Anrechung eigentlich auf Null reduzierte) Prozessgebühr in voller Höhe festgesetzt und
die Frage eines prozessualen oder materiellrechtlichen Erstattungsanspruchs der
Geschäftsgebühr wurde nicht gestellt.
2. Nach der Reform half die Praxis sich damit, dass nunmehr in der Klage meist ein auf
Verzug beruhender materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch bezüglich der
Geschäftsgebühr geltend macht wurde, allerdings gegen den jetzt als eindeutig
erkannten Wortlaut der neuen Anrechnungsvorschrift nur in Höhe der nach der
Anrechung verbleibenden Hälfte der Geschäftsgebühr. Die Verfahrensgebühr wurde
weiter in voller Höhe festgesetzt (vgl. z.B. KG, Beschluss vom 20. Juli 2005, RVGreport
10/2005, S. 392 f.). Dem hat der Bundesgerichtshof mit seiner viel zitierten und
besprochenen Entscheidung vom 7. März 2007 (VIII ZR 86/06) insofern ein Ende bereitet,
als er klar gestellt hat, dass sich durch die Anrechung die Verfahrensgebühr ermäßigt
und nicht die Geschäftsgebühr. Gründe der Prozessökonomie gestatteten es nicht, ein
Gesetz gegen seinen klaren Wortlaut anzuwenden. Infolge der Entscheidung wird nur
regelmäßig die volle Geschäftsgebühr neben der Hauptforderung mit der Klage geltend
gemacht (wie Hansens dies schon zuvor empfohlen hatte, vgl. RVGreport 4/2007, S. 121
ff.).
3. Hieraus folgt nur die hier zu entscheidende Rechtsfrage: Ist im
Kostenfestsetzungsverfahren weiter die volle Verfahrensgebühr festzusetzen (wie KG,
a.a.O.) oder nur die nach der Anrechung reduzierte Verfahrensgebühr. Neue, den BGH
berücksichtigende, obergerichtliche Entscheidungen oder Literaturmeinungen liegen
hierzu bislang offenbar nicht vor. Jungbauer hatte zuvor ganz folgerichtig vertreten, dass
wenn man sich streng an Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG hielte (so jetzt der BGH), man
die volle Geschäftsgebühr einklagen müsse mit der Folge, dass im
Kostenfestsetzungsverfahren nur noch die reduzierte Verfahrensgebühr geltend
gemacht werden könne (Jungbauer, Rechtsanwaltsvergütung, 4. Auflage, Beispiel in
Rdnr. 1413). Am differenziertesten setzt sich Bischof mit der Frage auseinander (Bischof
u.a., Kompaktkommentar RVG, 2. Auflage 2007, Vorbem. 3 VV, Rdnr. 99 ff., Nr. 3100 VV,
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u.a., Kompaktkommentar RVG, 2. Auflage 2007, Vorbem. 3 VV, Rdnr. 99 ff., Nr. 3100 VV,
Rdnr. 55 ff.) und bezeichnet es als “das Problem der Novelle”. Er zitiert den BayVGH
(JurBüro 2006, 77), der kurz und knapp und zutreffend entschieden hat, der Wortlaut
dieser Vorschrift sei eindeutig und keiner Auslegung zugänglich. Aus ihr ergebe sich klar,
dass die Verfahrensgebühr und nicht die Geschäftsgebühr zu kürzen sei.
4. Dagegen sind die anderen Konstruktionen der herrschenden Meinung, die dieses aus
dem nicht zu Ende gedachten Gesetz (Bischof a.a.o., Rdnr. 103) folgende Ergebnis nicht
billig findet (vgl. Bischof, Rdnr. 104 ff. mit zutreffender und lesenswerter Kritik), allesamt
mit dem klaren Gesetzeswortlauf nicht zu vereinbaren und also zu verwerfen.
5. Hansens meint (RVGreport 4/2007, S. 122 m.w.N.), eine Kürzung der
Verfahrensgebühr in der Kostenfestsetzung um den anzurechnenden Teil der
Geschäftsgebühr werde allgemein abgelehnt, weil der Gegner andernfalls nur deshalb
entlastet würde, weil die erstattungsberechtigte Partei sich vorgerichtlich durch
denselben Rechtsanwalt hat vertreten lassen wie im nachfolgenden Rechtsstreit. Dieses
Argument überzeugt allerdings nicht, weil es sich hierbei lediglich um eine grundsätzlich
gewollte gesetzliche Folge handelt. In der Gesetzesbegründung heißt es: “
.” (BT-
Drs. 15/1971, S. 209). Es dürfte sich hierbei wohl um eine Frage der
Schadensminderungspflicht handeln, d.h. wer keine sachlichen Gründe für die
Beauftragung eines weiteren Anwalts hat, muss sich, da er Anspruch auf Festsetzung
einer vollen Verfahrensgebühr hat, bei der materiellrechtlichen Geltendmachung der
Geschäftsgebühr eine Gegenforderung als Schadensersatzanspruch anrechnen lassen
mit dem Ergebnis, dass nur eine reduzierte Geschäftsgebühr tituliert werden kann. Dies
allerdings nur, wenn der Gegner entsprechend aufmerksam ist bzw. vorsorglich die
-Einrede erhebt. Eine einfachere bzw. prozessökonomischere Lösung ist im Hinblick
auf den eindeutigen Wortlauf des Gesetzes nicht möglich. Hierbei scheint es sich
allerdings um ein in der Praxis kaum relevantes Problem zu handeln, denn fast immer
wird der Prozessanwalt auch vorher mit der Sache befasst gewesen sein.
6. Für eine andere Begründung, die Anrechnungsregel solle lediglich das
Gebührenaufkommen des Rechtsanwalts beschränken, das dieser seinem Auftraggeber
gegenüber geltend machen kann, sie bezwecke jedoch nicht, den Auftraggeber des
Rechtsanwalts dadurch zu belasten, dass er die im gerichtlichen Verfahren
entstandenen Gebühren von der erstattungspflichtigen Gegenseite nicht in vollem
Umfang erstattet bekomme (vgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2006,
RVGreport 8/2006, S. 311), findet sich im Gesetz keine Stütze. Es besteht nicht nur kein
Bedürfnis, sondern kein Anspruch darauf, dass etwas als zu erstatten festgesetzt wird,
das nicht in der Höhe angefallen ist. Und dass es (nämlich die volle Verfahrensgebühr)
nicht angefallen bzw. später zum Teil weggefallen ist, ergibt sich eindeutig aus der
Anrechnungsvorschrift. Dieser Ansatz würde im übrigen zu weiteren Schwierigkeiten
führen: Da nicht mehr erstattet werden muss, als angefallen ist, wäre eine
Zwangsvollstreckung zunächst der vollen Geschäftsgebühr aus dem entsprechenden
Ausspruch als Nebenforderung im Urteil und anschließend aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss (mit der darin voll berücksichtigten Verfahrensgebühr)
arglistig und also unzulässig. Soll hier jede erstattungspflichtige Partei ggf. auf eine
Vollstreckungsabwehrklage verwiesen werden? Ob es sich hierbei überhaupt um
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Vollstreckungsabwehrklage verwiesen werden? Ob es sich hierbei überhaupt um
zulässige Einwendungen im Sinne von § 767 Abs. 2 ZPO handelt, ist zweifelhaft, denn die
Gründe, auf denen sie beruhen, sind ja nicht erst nach Schluss der mündlichen
Verhandlung entstanden. Auch hieraus folgt, dass es nicht richtig sein kann, sehenden
Auges einen Titel zu schaffen, der in der Höhe nicht besteht.
7. Auch die vom BGH abweichende und davor ergangene Entscheidung des
Kammergerichts vom 2. Juli 2005 (RVGreport 10/205, S. 392 f.) ist nicht so zu verstehen,
dass die volle Geschäftsgebühr und die volle Verfahrensgebühr von der
erstattungsberechtigten Partei verlangt werden können, obwohl der Rechtsanwalt im
Innenverhältnis weniger bekommt. Das Kammergericht führt aus: “
Hieran ist nach der Entscheidung des BGH richtig, dass die obsiegende Partei in der Tat
darauf angewiesen ist, außergerichtlich bzw. außerhalb des
Kostenfestsetzungsverfahrens aber im vorangegangenen Rechtsstreit (oder hinterher
separat) die volle Geschäftsgebühr geltend zu machen. Konsequenterweise kann sie
dann aber bei der Kostenfestsetzung nicht mehr die volle Verfahrensgebühr verlangen.
Aus der auf einer falschen Prämisse beruhenden Überlegung des Kammergerichts ergibt
sich jedenfalls, dass es nicht davon ausgeht, die obsiegende Partei könne von der
unterlegenen Partei mehr erstattet verlangen, als sie ihrem Rechtsanwalt zahlen muss.
8. Dass die Geschäftsgebühr nicht festgesetzt werden kann, sondern ggf. als
materiellrechtlicher Schadensersatzanspruch geltend zu machen ist, hat der BGH nun in
der genannten Entscheidung ausdrücklich festgestellt (bei Juris Randnummer 12) und
damit den kreativen Lösungsvorschlag des LG Deggendorf (JurBüro 2006, 83, vgl.
Bischof, a.a.O., Nr. 3100 VV, Rdnr. 60) verworfen.
II.
Da bislang nur feststeht, dass bei dem Beklagtenvertreter eine 1,3 Geschäftsgebühr
angefallen ist (vgl. Schriftsatz vom 5. Juli 2007, Bl. 254 d.A.), nicht aber, wie es sich
hierzu seitens der Klägervertreter verhält und für die Kostenausgleichung die
Anwaltskosten beider Parteien zu berücksichtigen sind, ist eine abschließende
Entscheidung noch nicht möglich. Es ist vielmehr noch eine Erklärung der Klägervertreter
erforderlich und einzuholen, ob ihnen von der Klägerin eine Geschäftsgebühr zusteht und
ggf. in welcher Höhe. Deshalb wird von der Möglichkeit nach §§ 11 Abs. 2 S. 4 RPflG
i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung dem Rechtspfleger zu übertragen, Gebrauch
gemacht.
Im übrigen dürfte es praktikabel sein, bei Kostenfestsetzungsanträgen entsprechend der
Situation zur Vorsteuerabzugsberechtigung immer Angaben dazu zu verlangen, ob und
ggf. in welcher Höhe die Geschäftsgebühr angefallen ist, um daraus ermitteln zu können,
in welcher verbleibenden Höhe die Verfahrensgebühr festgesetzt werden kann. Und dies
nicht nur, wenn der Gegner der Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr widerspricht.
Denn wer ohne weitere Angaben die volle Verfahrensgebühr beim
Kostenfestsetzungsantrag ansetzt, erklärt damit eigentlich konkludent, dass diese auch
in voller Höhe angefallen und keine Geschäftsgebühr anzurechnen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 97 ZPO.
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