Urteil des AG Herne vom 25.03.2008

AG Herne: heizöl, billigkeit, vollstreckung, erdgas, gestaltung, ausgangspreis, anknüpfung, abrede, beweisergebnis, wirtschaftspolitik

Amtsgericht Herne, 9 C 250/06
Datum:
25.03.2008
Gericht:
Amtsgericht Herne
Spruchkörper:
Einzelricher
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 C 250/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreites.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 500,-- € abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Streitwert: 1.365,00 EUR.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Erhöhungen der Gaspreistarife durch
die Beklagte zum 01.01.2005, 01.10.2005 und zum 01.01.2006.
2
Die Beklagte versorgt Endverbraucher im Bereich der Stadt Herne mit Erdgas.
3
Der Kläger ist Tarifgaskunde.
4
Die Beklagte erhöhte zum 01.01.2005 den Arbeitspreis für Erdgas im Heizgastarif von
3,74 Cent/Kilowattstunde (kwh) auf 4,26 Cent/Kilowattstunde und zum 01.10.2005 auf
weitere 4,84 Cent/Kilowattstunde incl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer. Per 01.01.2006
erhöhte die Beklagte ihren Heizgastarif erneut auf 5,24 Cent/Kilowattstunde ebenfalls
incl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
5
Der Kläger hat den Preiserhöhungen der Beklagten jeweils widersprochen.
6
Der Kläger ist der Ansicht, die Energiepreiserhöhungen seien unbillig gemäß
7
Der Kläger ist der Ansicht, die Energiepreiserhöhungen seien unbillig gemäß
7
§ 315 BGB. Unstreitig zahlt der Kläger seit dem 01.01.2005 für das an ihn gelieferte
8
Gas lediglich den bis zum 31.12.2004 gültigen Gaspreis zuzüglich eines
Sicherheitszuschlages von 2%. Mit Schreiben vom 14.12.2004 forderte der Kläger die
Beklagte auf, ihm die Erforderlichkeit und die Angemessenheit der Preiserhöhung durch
nachvollziehbare und prüffähige Offenlegung ihrer Kalkulationsgrundlagen
nachzuweisen.
9
Da die Beklagte bisher einen solchen Nachweis nicht gebracht hat, beantragt der Kläger
nunmehr festzustellen,
10
dass die von der Beklagten in dem zwischen den Parteien
11
bestehenden Gaslieferungsvertrag zum 01.01.2005,
12
01.10.2005 und zum 01.01.2006 vorgenommenen
13
Erhöhungen der Gastarife unbillig und unwirksam
14
sind.
15
Die Beklagte beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Sie trägt vor, die Klage könnte nach den Grundsätzen des Urteils des
Bundesgerichtshofs vom 28.03.2007 - VIII ZR 144/06 -
18
keinen Erfolg haben. Danach entspreche eine Tariferhöhung eines Gasversorgers
grundsätzlich dann der Billigkeit im Sinne des § 315 BGB, wenn mit ihr lediglich
gestiegene Bezugskosten an die Tarifkunden weitergegeben worden seien.
19
So liege der Fall hier.
20
Die vom Kläger vorgetragenen Tarifpreiserhöhungen beinhalteten eine Preiserhöhung
des Absatzpreises in Höhe von 44,9 %. Im gleichen Zeitraum habe sie jedoch bei ihren
Bezugspreisen von ihrem Vorlieferanten der Energie- und Wasserversorgung Mittleres
Ruhrgebiet GmbH ( ewmr ) eine derartige Preiserhöhung erfahren, dass sie diese trotz
der vorgenommenen Tariferhöhungen gegenüber den Endkunden nicht habe auffangen
können. Es ergebe sich in dem fraglichen Zeitraum noch ein Differenzbetrag zu ihren
Lasten von 3.114.042,57 €, den sie aufgrund der vertraglichen Gestaltung nicht
umgehend an ihre Kunden weitergeben könne.
21
Sie hoffe jedoch, in den folgenden Quartalen diese Mehrkosten durch weitere
Tarifpreisanpassungen auffangen zu können. Darüber hinaus könne auch keine Rede
davon sein, dass sie ihre gestiegenen Bezugskosten durch rückläufige Kosten aus
anderen Bereichen hätten ausgeglichen werden können. Im Gegenteil seien ihre Kosten
für die anderen Geschäftsbereiche in den Wirtschaftsjahren 2005 und 2006 ebenfalls
gestiegen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
23
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ... .
24
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom
25.03.2008 erwiesen.
25
Entscheidungsgründe:
26
Die Feststellungsklage ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
27
Die von der Beklagten gegenüber dem Kläger als Tarifkunden vorgenommenen
Gaspreiserhöhungen zum 01.01.2005, 01.10.2005 und 01.01.2006 sind im Rahmen der
Billigkeitsprüfung gemäß § 315 Abs. 3 BGB nicht zu beanstanden.
28
Grundsätzlich unterliegen einseitige Tariferhöhungen eines Gasversorgers gemäß
29
§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.
30
Dabei wird diese gerichtliche Billigkeitskontrolle nicht durch den Beseitigungs- und
Unterlassungsanspruch nach § 19 Abs. 4 Nr. 4, § 33 GWB nicht verdrängt ( vgl. BGH,
31
Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 ).
32
Nach Maßgabe des § 315 Abs. 3 BGB entspricht eine Weitergabe von gestiegenen
33
Bezugskosten an die Tarifkunden grundsätzlich der Billigkeit. Mit Preiserhöhungen
wegen gestiegener Bezugskosten nimmt das Gasversorgungunternehmen sein
berechtigtes Interesse wahr, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an die
Kunden weiterzugeben. Eine derartige Preiserhöhung kann allerdings dann gleichwohl
unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen
Bereichen ausgeglichen wird ( vgl. BGH am angegeben Ort ).
34
Unter Beachtung dieser höchstrichterlichen Grundsätze hat die Beweisaufnahme zur
35
Überzeugung des Gerichts zu dem Ergebnis geführt, dass die Beklagte mit den
streitgegenständlichen Tariferhöhungen zum 01.01.2005, 01.10.2005 und 01.01.2006
gestiegene eigene Bezugskosten weitergegeben hat, wobei sogar festzustellen ist,
36
dass die eigenen gestiegenen Kosten in dem fraglichen Zeitraum nicht einmal in vollem
Umfang durch die Tariferhöhungen aufgefangen werden konnten.
37
Die Beklagte muss als kleineres Energieversorgungsunternehmen ihr Gas ebenfalls
einkaufen und zwar aufgrund von Lieferverträgen bei der ewmr. In diesen
Lieferverträgen ist ein Arbeitspreis, dies ist der Bezugspreis der Beklagten, vereinbart.
Diesem Bezugspreis liegt ein Ausgangspreis zugrunde, der sodann der Veränderung
durch Steigerungsfaktoren unterliegt. Diese Steigerungsfaktoren wiederum werden
maßgeblich durch die Anknüpfung an den Preis für leichtes Heizöl einerseits wie durch
die jeweils abgenommene Gasmenge andererseits bestimmt. Dieser Sachverhalt ist
aufgrund der überzeugenden Bekundungen des Zeugen und Einkaufsleiters der
38
Beklagten ... sowie denen des für die Beklagte zuständigen Verkaufsleiters bei der
ewmr, des Zeugen ... zwischen den Parteien unstreitig geworden.
Aufgrund dieser unstreitig gewordenen Faktoren für die Gestaltung der Bezugspreise ist
nach den weiteren glaubhaften Aussagen der Zeugen ... und ... erwiesen, dass in dem
Zeitraum vom 01.01.2005 bis einschließlich 31.03.2006, mithin für den Zeitraum, in den
die streitigen Tarifpreiserhöhungen fallen - allein über den Steigerungsfaktor "Preise für
leichtes Heizöl" eine Steigerung von 52% verursacht wurde. Diese Koppelung des
Gaspreises an den Preis für leichtes Heizöl hat, wie der Zeuge ... weiter überzeugend
ausgeführt hat, zur Folge gehabt, dass die Bezugskostensteigerungen für die Beklagte
nicht einmal durch die vorgenommenen Tarifpreiserhöhungen hatten aufgefangen
werden können. Für den fraglichen Zeitraum verbleibt sogar ein Differenzbetrag zum
Nachteil der Beklagten in Höhe von 3.114.042,57 €, wie der für die Beklagte zuständige
Verkaufsleiter bei der ewmr, der Zeuge ... ausdrücklich und glaubhaft bestätigt hat. Nach
alledem muss das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgehen,
dass die Tarifpreiserhöhungen der Beklagten zum 01.01.2005, 01.10.2005 sowie
01.01.2006 der Billigkeit entsprechen, da hiermit ausschließlich
Bezugskostensteigerungen der Beklagten selbst an die Tarifkunden, also auch dem
Kläger weitergegeben wurden.
39
Gegen dieses Beweisergebnis hat der Kläger keine Einwendungen erhoben, die eine
andere Beurteilung rechtfertigen könnten. Sein maßgeblicher Vortrag, die
Preiskoppelung an die Preise für leichtes Heizöl sei unbillig, ist im Rahmen des
vorliegenden Rechtsstreits nicht erheblich. Die Beklagte ist insbesondere nicht
verpflichtet, darzulegen, warum sie der in ihren Lieferverträgen mit der ewmr enthaltenen
Preiskoppelungsklausel nicht ausweichen kann.
40
Paragraph 315 BGB sieht, wie der BGH am angegebenen Ort ausgeführt hat, nur die
Überprüfung des zwischen den Parteien einseitig bestimmten Preises vor.
41
Entspricht dieser Preis für sich genommen der Billigkeit, so ist damit die Prüfung aus
42
§ 315 BGB abgeschlossen.
43
Paragraph 315 BGB ermöglicht nicht die Preiskontrolle des in einer vorgelagerten Stufe
der Lieferkette vereinbarten Preises. Auch eine etwaige Kartellwidrigkeit der Bindung
des Bezugspreises der Beklagten an den Preis für leichtes Heizöl muss im Rahmen der
vorliegenden Billigkeitsüberprüfung außer Betracht bleiben.
44
Insoweit ist möglicherweise die Wirtschaftspolitik aufgerufen, preisgestaltend auf dem
Energiesektor tätig zu werden.
45
Letztlich kann der Kläger gegenüber den Tarifpreiserhöhungen für Gas auch nicht
einwenden, die Unbilligkeit dieser Preiserhöhungen folge bereits aus der sonstigen
Geschäftsentwicklung bei der Beklagten. Die Beklagte hat die Gewinn- und
Verlustrechnungen für die Wirtschaftsjahre 2005 und 2006 als Auszug der nach § 325
HGB im Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschlüsse vorgelegt. Darüber hinaus
hat sie insofern Wirtschaftsprüfertestate überreicht. Hieraus ergibt sich, wie der Kläger
nicht begründet in Abrede gestellt hat, dass die sonstigen Geschäftsbereiche der
Beklagten keinesfalls zu einem Gewinnanstieg geführt haben, der die Preiserhöhungen
gegenüber den Tarifkunden hätte vermeiden können.
46
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
47
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
48
M
49