Urteil des AG Heilbronn vom 15.04.2005

AG Heilbronn: kontrolle, leistungsklage, billigkeit, offenlegung, heizöl, verfügung, marktpreis, verbraucher, feststellungsklage, erdgas

AG Heilbronn Urteil vom 15.4.2005, 15 C 4394/04
Erhöhung von Tarifgaspreisen: Selbständige Klage auf Feststellung der Unbilligkeit; gerichtliche Billigkeitskontrolle; Billigkeitsnachweis
durch Gaslieferanten
Tatbestand
1
(aus Wohnungswirtschaft und Mietrecht WuM)
2 Im Streit steht die Erhöhung der Gaspreistarife durch die Beklagte zum 1.10.2004.
3 Die Beklagte versorgt Endverbraucher im Bereich der Stadt Heilbronn mit Erdgas. Der Kläger ist Tarifgaskunde. Am 30.9. 2004 teilte die Beklagte
in der "Heilbronner Stadtzeitung" (Beilage zur Heilbronner Stimme) ihren Tarifkunden mit, dass "aufgrund einer Kostensteigerung beim Bezug von
Erdgas ... sich die Abgabenpreise für Erdgas" erhöhen. Gleichzeitig wurden die neuen Gastarife bekannt gegeben. Eine vertragliche Regelung
bzgl. Preisänderungen existiert nicht.
4 Der Kläger trägt vor, die Beklagte begründe die Preiserhöhung mit einer angeblichen Bindung der Gaspreise an die Preisentwicklung von
leichtem Heizöl. Dies bestreite er. Die Beklagte möge die Größenordnung der Erhöhung seitens des Lieferanten der Beklagten benennen und
darlegen, wie hoch der Anteil der Gaseinkaufskosten an den gesamten Kosten des Betriebs der Beklagten sei, damit beurteilt werden könne, wie
hoch die Auswirkung der Erhöhung der Gaseinkaufskosten auf den Tarif höchstens sein könne. Schon der bisherige Tarif der Beklagten sei
überhöht, so dass die etwaige Erhöhung der Einkaufskosten ohne Tariferhöhung hätte aufgefangen werden können. Tatsächlich seien die
Gaseinfuhrpreise im Jahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr gesunken.
5 Der Kläger beantragt festzustellen, dass die zum 1.10.2004 von der Beklagten vorgenommene Erhöhung der Gastarife unbillig ist, und, dass
stattdessen die vom Gericht zu ermittelnde billige Tariferhöhung gilt.
6 Die Beklagte hält die Klage bereits für unzulässig, weil der vom Kläger gestellte Feststellungsantrag nicht geeignet sei, Rechtssicherheit zu
schaffen, und u.U. eine weitere Leistungsklage folgen müsse, wenn es um die Bezahlung der Jahresendabrechnung des Klägers gehe. Im
Bezugsvertrag der Beklagten mit der Gasversorgung Süddeutschland (im folgenden GVS) seien enthalten eine Bindung des Gaspreises an den
Preis für leichtes Heizöl sowie eine automatische Preisanpassung alle drei Monate, so dass die Beklagte gegenüber der GVS keine
Verhandlungsmöglichkeit habe. Mit der Tarifpreiserhöhung zum 1.10.2004 habe die Beklagte lediglich die bereits feststehenden
Bezugskostenerhöhungen für den Zeitraum 1.10.2004 bis 30.9.2005 weitergegeben. Die Vorschrift des § 315 III BGB sei vorliegend nicht
entsprechend anwendbar. Zum einen stelle die Rechtsschutzmöglichkeit nach § 19 IV, 4 GWB eine vorrangige Spezialnorm dar. Zum anderen
werde der Gaspreis durch den Wettbewerb mit dem leichten Heizöl geprägt und sei deshalb einer Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB nicht
zugänglich. Denn die Preise für Alt- wie für Neugaskunden seien gleich, der Preis für die Neukunden konkurriere aber mit Öl und Strom als
Heizenergien, so dass der Kläger immer den aktuell wettbewerbsfähigen Preis zahle. Die entsprechende Anwendung des § 315 III BGB sei durch
die Monopolrechtsprechung des BGH auf Fälle fehlenden Wettbewerbs beschränkt.
7 Da der Kläger nur die Preiserhöhung angegriffen habe, sei dem Gericht im übrigen verwehrt, die Billigkeit des Gesamtpreises zu überprüfen. Beim
Gaspreis handele es sich wegen des Wettbewerbs gegenüber dem leichten Heizöl um einen Marktpreis; durch die gestiegenen Preise für leichtes
Heizöl habe sich der Marktwert des Erdöls erhöht, was eine Anhebung der Gaspreise rechtfertige. Beim Marktpreis seien für die Billigkeit des vom
Verbraucher zu zahlenden Endpreises dessen einzelne Preisbestandteile nicht maßgeblich. Vielmehr komme es im Rahmen der
Billigkeitsprüfung allein darauf an, ob der zu zahlende Endpreis innerhalb der Bandbreite der maßgeblichen Wettbewerbspreise liege. Selbst
wenn man von einer Anwendbarkeit des § 315 III BGB ausginge, so müsse der vom Kläger erhobene Einwand der Unbilligkeit der Tarifanpassung
als unsubstantiiert angesehen werden. Denn nicht jede noch so pauschale Berufung auf die Unbilligkeit einer Preisbestimmung eröffne deren
gerichtliche Kontrolle.
Entscheidungsgründe
8
I. Die Klage ist zulässig.
9
Die selbständige Feststellungsklage ist die richtige Klageart, wenn die Unbilligkeit einer getroffenen Leistungsbestimmung gem. § 315 BGB
festgestellt werden soll (vgl. Staudinger, BGB, 2004, § 315, Rn.292ff).
10 Dies ergibt sich beispielsweise aus der Entscheidung des BGH vom 4.12.1986 (NJW 1987, 1828, 1829, Ziff. II. 3.), wo ausgeführt wird, dass zur
Nachprüfung einseitig bestimmter Preise (dort Baukostenzuschuss und Hausanschlusskosten für Gasanschluss) der Tarifkunde nach § 315 III, 2
BGB das Gericht "anrufen" kann (und diese Entscheidung auch dann begehrt wird, wenn gegenüber der Leistungsklage des Energieversorgers
geltend gemacht wird, die Richtigkeit und Angemessenheit der Preise würden bezweifelt). Der BGH geht dort offensichtlich davon aus, dass das
"Bestimmungsopfer" selbst aktiv eine Klärung der Frage der Billigkeit herbeiführen kann.
11 Das besondere rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung i.S.d. § 256 ZPO ist gegeben, zum einen weil die Beklagte sich des Rechts
berühmt, ab 1.10.2004 einen höheren Preis für ihre Leistungen verlangen zu dürfen als bislang zwischen den Parteien vereinbart; zum anderen
auch weil im Hinblick auf die vom Kläger zitierten Berechnungen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, wonach im Jahr 2004 der
durchschnittliche Einfuhrpreis für Erdgas gegenüber dem Vorjahr gesunken war, Zweifel an der Richtigkeit der von der Beklagten zur
Begründung gegenüber ihren Kunden aufgestellten Behauptung, sie gebe nur gestiegene Bezugskosten weiter, bestehen und damit auch an der
Billigkeit des ab 1.10.2004 verlangten Preises.
12 Auch steht dem Kläger keine bessere Rechtschutzmöglichkeit zur Verfügung, insbes. kann er nicht auf die Leistungsklage verwiesen werden,
weil seit Vorliegen der Jahresabrechnung für das Jahr 2004 der streitige Erhöhungsbetrag feststeht.
13 Für eine solche Leistungsklage sind derzeit die Voraussetzungen nicht gegeben: Der Kläger müsste zunächst die gerade streitige Preiserhöhung
unter Vorbehalt bezahlen, sich also eines Teiles seines Vermögens begeben, um überhaupt einen der Leistungsklage zugänglichen Anspruch
(gem. § 812 BGB) zu erhalten.
14 Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Leistungsklage bereits gegeben wären, würde dies nicht zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage
führen: Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 1996, 639ff.) ist seit langem anerkannt, dass eine ursprüngliche zulässige
Feststellungsklage nicht dadurch unzulässig wird, dass im Verlauf des Rechtsstreits die Voraussetzungen für den Übergang zur Leistungsklage
eintreten.
15 Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage ist außerdem geeignet, Rechtssicherheit zu schaffen, denn im Falle eines obsiegenden
Feststellungsurteils erwächst die Feststellung der Unbilligkeit der letzten Gaspreiserhöhung in Rechtskraft, was bei einer Leistungsklage nicht
der Fall wäre (vgl. BGH NJW-RR 2002, 1377, 1378).
16 II. Die Klage ist auch begründet.
17 Es ist festzustellen, dass die von der Beklagten zum 1.10.2004 vorgenommene Erhöhung der Gastarife unbillig und deshalb unwirksam ist. Denn
die Beklagte hat bzgl. der neuen Gaspreise die Billigkeit i.S.d. § 315 BGB nicht dargelegt.
18 a) Die von der Beklagten zum 1.10.2004 vorgenommene Erhöhung der Tarifgaspreise unterliegt der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in analoger
Anwendung des § 315 III BGB. Denn in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass die Tarife von Unternehmen, die
im Rahmen eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren
Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, grds. der Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB unterworfen sind (vgl.
BGH Urteil v. 10.10.1991, NJW 1992, Seite 171, 173 mwN). Diese Rechtsprechung bezieht sich nicht nur auf Stromlieferverträge, sondern auch
auf andere Bereiche der Daseinsvorsorge, z. B. Wasserversorgung (BGH Urteil v. 30.10.2003, NJW 2003, Seite 3131ff. [=WM 2003, 460]),
Abwasser (BGH Urteil v. 10.10.1991, NJW 1992, Seite 171ff.) und Baukostenzuschüsse und Hausanschlusskosten nach AVBGasV (BGH Urteil v.
4.12.1986, NJW 1987, Seite 1828ff.).
19 Aus diesen Entscheidungen geht auch hervor, dass diese Rechtsprechung nicht nur für sog. Zwischenlieferverhältnisse gilt (wie im Urteil des
BGH v. 2.10.1991, NJW-RR 1992, Seite 183ff.), sondern auch für das Verhältnis zwischen Energieversorgungsunternehmen und
Endverbraucher.
20 Aus der Tatsache, dass der BGH die analoge Anwendung des § 315 III BGB auch bzgl. der Berechnung von Baukostenzuschüssen und
Hausanschlusskosten im Bereich der Gasversorgung für anwendbar hält (BGH Urteil v. 4.12.1986 a.a.O.), folgt, dass diese Rechtsprechung auch
für die Kontrolle von Gastarifen im Rahmen von Gasbezugsverträgen gilt. Dass es dabei nicht darauf ankommt, ob der Verbraucher die Wahl
zwischen verschiedenen Heizenergieträgern (wie beispielsweise Gas, Öl, Strom, Fernwärme) hat, zeigt der vom BGH entschiedene Fall deutlich.
Der BGH sieht es dort nicht als eine Alternative an, dass der beklagte Verbraucher sich der einseitigen Preisgestaltung durch den Gasversorger
dadurch hätte entziehen können, dass er sich beispielsweise für eine Ölheizung entschieden hätte, für die Anschlusskosten nicht angefallen
wären. In dieser Entscheidung hält der BGH § 315 III BGB gerade deshalb für anwendbar, weil die dortige Klägerin, die als kommunales
Wirtschaftsunternehmen Gas als Leistung der Daseinsvorsorge anbot, eine Monopolstellung inne hatte, und die dortige Beklagte als Tarifkundin
die Preise der Klägerin hatte akzeptieren oder aber von dem Gasanschluss Abstand nehmen müssen.
21 Auch im vorliegenden Falle ist die Beklagte der einzige Gasanbieter, hat also eine Monopolstellung inne, und der Kläger als Gastarifkunde ist
zwingend auf die Leistung der Beklagten angewiesen.
22 Wenn nach der Rechtsprechung des BGH die Billigkeitskontrolle für die pauschalen Anschlusskosten eines Gasanschlusses gilt, dann kann für
das durch den Gasanschluss begründete Gasbezugsverhältnis zwischen den Parteien nichts anderes gelten, so dass auch die Gastarife der
Billigkeitskontrolle unterliegen müssen.
23 Dies ist auch von anderen Gerichten bereits so beurteilt worden, beispielsweise vom Brandenburgischen OLG (Urteil v. 10.1.2001, Az.: 7 U
16/99) und vom Landgericht Frankenthal (ZMR 2004, Seite 270).
24 Die anders lautende Entscheidung des Landgerichts Hannover (Urteil v. 12.03.1992, NJW-RR 1992, Seite 1198ff.), wonach im Verhältnis
zwischen Tarifkunde und Gasversorgungsunternehmen eine Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB nicht vorzunehmen ist, gibt keinen Anlass zu
einer anderen Beurteilung. Dies schon deshalb nicht, weil das Landgericht Hannover sich in seiner Argumentation auf Rechtsvorschriften stützt,
die inzwischen geändert sind. So verneint das Landgericht Hannover die Notwendigkeit einer Billigkeitskontrolle von Gaspreisen nach § 315 III
BGB deshalb, weil der Gesetzgeber u.a. durch die BTOGas in die Ausgestaltung des Energieversorgungsvertrages mit dem Endverbraucher
eingegriffen habe. Die BTOGas (Bundestarifordnung Gas) ist aber gem. Artikel 5 II, 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts
im Jahre 1998 außer Kraft getreten. Weiter führt das Landgericht Hannover aus, dass für eine entsprechende Anwendung des § 315 BGB kein
Bedürfnis bestehe, weil die Preisgestaltung des Gasversorgungsunternehmens gem. § 7 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) staatlicher Kontrolle
(Energieaufsichtsbehörde) unterliege. Nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz gibt es eine solche Kontrolle nur noch hinsichtlich der Tarife
der Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Weiter sah das Landgericht Hannover den Tarifkunden auch wegen der kartellrechtlichen
Missbrauchsaufsicht gem. § 103 GWB (alter Fassung) als nicht schutzlos an. Dabei hat das Landgericht Hannover sich überhaupt nicht mit der
Entscheidung des BGH vom 2.10.1990 (NJW-RR 1992, Seite 183, 185) auseinandergesetzt, wonach die Bestimmung des § 103 IV, 2,2 GWB
nicht den Zweck verfolgt, die Frage der Billigkeit der Leistungsbestimmung i.S.d. § 315 BGB zu regeln, die kartellrechtlichen Bestimmungen
vielmehr allein diejenigen Nachteile ausgleichen wollen, die sich aus dem fehlenden Wettbewerb ergeben. Aus dieser Entscheidung des BGH
ergibt sich eindeutig, dass nach der Rechtsprechung des BGH von einem unterschiedlichen Regelungszweck auszugehen ist. Dies wird von der
Entscheidung des Landgerichts Hannover nicht beachtet.
25 Entgegen der Ansicht der Beklagten stellen die Rechtschutzmöglichkeiten nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbes. § 19
IV, 2 GWB keine gegenüber der Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB vorrangigen Spezialregelungen dar. Auch nach § 19 GWB gibt es keinen
Anspruch eines betroffenen Dritten gegen die Kartellbehörden auf ein Einschreiten (vgl. Immenga/Mestmäcker, GWB, § 19, Rn. 240). Der
Verbraucher kann sich allerdings auf § 134 BGB berufen, da § 19 als Verbotstatbestand gilt (vgl. Immenga/Mestmäcker, a.a.O., Rn.248).
26 Soweit in der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung (Landgericht Köln RdE 2004, Seite 306; Landgericht Bremen RdE 2004, Seite 304)
von einem Vorrang der Vorschrift des § 19 IV GWB vor einer Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB ausgegangen wird, sind die entschiedenen
Sachverhalte nicht mit dem vorliegenden vergleichbar. In beiden Fällen handelte es sich bei beiden Parteien um Mitbewerber, Gegenstand der
Verfahren waren jeweils Stromnetznutzungsentgelte. In beiden Entscheidungen wird nicht auf die bereits oben zitierte Ansicht des BGH
eingegangen, wonach die Zielrichtung der Regelungen des GWB und der des § 315 BGB sich nicht entsprechen.
27 Dies hat nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch für die Regelungen des GWB in der seit 1.01.1999 geltenden Fassung weiterhin seine
Gültigkeit.
28 In der bereits zitierten Entscheidung vom 2.10.1991 (NJW-RR 1992, 183, 185) hat der BGH auch darauf hingewiesen, dass die Grenzen des
allgemeinen kartellrechtlichen Missbrauchsverbots und des Diskriminierungsverbots (§ § 22 bzw. 26 GWB in der bis 1999 geltenden Fassung; §
19, 20 GWB in der seitherigen Fassung) nicht mit den Grenzen der Billigkeitsentscheidung nach § 315 BGB zusammenfallen. Dies hat der BGH
in seiner Entscheidung vom 5.2.2003 (NJW 2003, 1449, 1450) nochmals wiederholt; der dort entschiedene Sachverhalt ist zwar auch noch unter
die Geltung des "alten" GWB gefallen, jedoch ergibt sich aus der Art der Formulierung, dass der BGH diesen Grundsatz für weiterhin gültig
ansieht. In dieser Entscheidung ist der Grundsatz allgemein formuliert, ohne Bezugnahme auf die maßgeblichen Rechtsvorschriften, die
Rechtsvorschriften der § § 22, 26 GWB in der alten Fassung werden lediglich im vorangegangenen Satz erwähnt. Da zum Zeitpunkt dieser
Entscheidung die Novellierung des GWB bereits vier Jahre zurücklag, hätte man einen Hinweis des BGH erwartet, wenn unter der aktuellen
Fassung des GWB etwas anderes gelten sollte.
29 Nach der Entscheidung des BGH vom 2.10.1991 liegt auch der maßgebliche Unterschied darin, dass die kartellrechtlichen Bestimmungen nur
die Nachteile ausgleichen wollen, die sich aus einem fehlenden Wettbewerb ergeben, während die Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB im
Unterschied dazu die der einen Vertragspartei übertragene (bzw. faktisch zustehende) Rechtsmacht, den Inhalt des Vertrages (im entschiedenen
Fall die Höhe des Strompreises) einseitig festzusetzen, eingrenzen soll. An dieser unterschiedlichen Zielsetzung hat sich auch durch die
Novellierung des GWB zum 1.1.1999 nichts geändert.
30 Deshalb ergibt sich auch für die vom Gericht vorzunehmende Billigkeitsprüfung kein zugunsten der Beklagten zu berücksichtigender Aspekt
daraus, dass die Landeskartellbehörde Baden-Württemberg inzwischen aufgrund der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen zu dem Schluss
gekommen ist, dass eine missbräuchliche Preiserhöhung bei der Beklagten nicht vorliegt.
31 Vor dem Hintergrund der oben genannten Zielsetzung der Billigkeitsprüfung verfängt auch der Einwand der Beklagten, die Rechtsprechung zur
Billigkeitsprüfung bei Strompreisen sei auf Gaspreise nicht anwendbar, weil Gaspreise wegen des Wettbewerbs mit dem Heizöl zumindest um
Neukunden einen Marktpreis darstelle, während der Strompreis ein reiner Kostenpreis sei. Angesichts der von der Beklagten behaupteten und
durch Vorlage einer entsprechenden schriftlichen Bestätigung ihres Lieferanten, der GVS vom 16.12.2004, bestätigten Bindung der vom
Beklagten zu bezahlenden Gaspreise an die Entwicklung der Heizölpreise kann vom Vorliegen einer Wettbewerbssituation im Verhältnis zum
Heizöl wohl nur eingeschränkt gesprochen werden. Davon abgesehen kann es für die Frage der Kontrolle einer der Beklagten zugebilligten
einseitigen Rechtsmacht nicht darauf ankommen, welchen äußeren Einflüssen die der Leistungsbestimmung zugrundeliegende Preisbildung
unterworfen ist.
32 Die wiederholten und umfangreichen Ausführungen der Beklagten zur Besonderheit des Gaspreises im Unterschied zum Strompreis lassen für
diese Kernfrage keine Antwort erkennen. Mangels anderweitiger Hinweise ist davon auszugehen, dass auch beim "Marktpreis" Gaspreis der
Verkaufspreis nicht dem Einkaufspreis entspricht, sondern, dass der Beklagten weitere Kosten entstehen (z.B. der Versorgungseinrichtungen,
des Personals), die bei der Preisbildung ebenso berücksichtigt werden müssen, wie ein Gewinn. Somit ist auch beim Gaspreis von einem
gewissen unternehmerischen Spielraum bei der Preiskalkulation auszugehen.
33 Entscheidend für die Anwendbarkeit des § 315 III BGB ist jedoch, dass es sich bei dem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien um ein
privatrechtliches handelt, das auch der Kontrolle der ordentlichen Gerichte nach den für das Privatrecht maßgeblichen Rechtssätzen unterliegt.
Zu letzteren gehört auch der Grundsatz der Vertragstreue, der u.a. besagt, dass Vertragsparteien an ihre vertraglichen Vereinbarungen
gebunden sind. Durch die Preiserhöhung zum 1.10.2004 hat sich die Beklagte einseitig von den bisherigen vertraglichen Vereinbarungen zum
Preis gelöst und dem Kläger einen neuen Preis "diktiert". Dass diese Vorgehensweise gerichtlich überprüfbar sein muss, liegt auf der Hand.
34 Als Grundlage und Beurteilungsmaßstab für die gerichtliche Kontrolle könnte man neben § 315 III BGB auch in Betracht ziehen die
Vertragsanpassung wegen Änderung der Vertragsgrundlagen gemäß § 313 BGB (Beurteilungsmaßstab: Zumutbarkeit) oder die Überprüfung
nach § § 134 BGB, 19 GWB (Rechtsfolge: Nichtigkeit des gesamten Vertrages). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich für die
Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB entschieden und diese "passt" auch am besten: sowohl von den Voraussetzungen, weil Ausgangspunkt
eine einseitige Leistungsbestimmung durch einen Vertragspartner ist, als auch von der Rechtsfolge wegen der Möglichkeit richterlicher
Gestaltung durch Festsetzung der "billigen" Leistung, ohne dass der Vertrag im übrigen angetastet werden muss.
35 Für das Gericht ist die Rechtsprechung des BGH zur Billigkeitskontrolle von auf Leistungen der Daseinsvorsorge gerichteten Verträgen mit
Monopolunternehmen eindeutig und sie ist eindeutig auf den vorliegenden Fall anwendbar.
36 b) Nicht zutreffend ist der Einwand der Beklagten, der klägerische Vortrag zur Unbilligkeit der Preisgestaltung der Beklagten sei unsubstantiiert.
Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung (z.B. BGH Urteil vom 4.12.1986, NJW 1987, 1828, 1829) und Literatur (vgl. Held, NZM 2004,
Seite 169, 175 mwN) trägt derjenige, dem das einseitige Leistungsbestimmungsrecht zusteht, die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit
der Entscheidung, vorliegend also die Beklagte.
37 Deshalb genügt für einen schlüssigen Klagevortrag grds. das Bestreiten der Billigkeit im Rahmen der für das besondere Feststellungsinteresse
gem. § 256 ZPO erforderlichen Darlegungen.
38 Selbst wenn man eine weitergehende Substantiierung des klägerischen Vortrages verlangen wollte, ist zu beachten, dass der Kläger außerhalb
des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen besitzen kann. Der BGH hat in
seinem Urteil vom 5.2.2003 (NJW 2003, 1449, 1450) deshalb entschieden, dass sogar im Falle einer Rückforderungsklage eines Stromkunden,
bei der eigentlich den Kläger die Beweislast für die rechtsgrundlose Leistung trifft, das beklagte Energieversorgungsunternehmen in der Form
substantiiert bestreiten muss, dass es die Umstände darlegt, die für eine billige Preisbestimmung sprechen. In dem entschiedenen Fall hat der
BGH erst nach Vorlage der Genehmigungsunterlagen durch den beklagten Stromversorger vom dortigen Kläger ein substantiiertes Bestreiten
dieser Kalkulationsansätze verlangt.
39 Selbst wenn man also vom Kläger einen weitergehenden schlüssigen Vortrag verlangen wollte, so müsste zunächst die Beklagte ihm den dazu
notwendigen Tatsachenstoff in Form einer ansatzweisen Darlegung der Kalkulation liefern.
40 Da vorliegend – wie bereits erwähnt – die Darlegungs- und Beweislast aber bei der Beklagten liegt, kommt es für die Schlüssigkeit der Klage
hierauf nicht an.
41 c) Zur Frage des Prüfungsumfanges der Billigkeitsprüfung hat der BGH in seiner Entscheidung vom 2.10.1991 (NJW-RR 1992, 183) ebenfalls die
maßgeblichen Kriterien aufgestellt.
42 Der BGH führt dort aus, dass eine einseitige Preisbestimmung u. U. als billig i.S.v. § 315 BGB anzusehen sein kann, wenn das verlangte Entgelt
im Rahmen des marktüblichen liegt. Hierauf beruft sich vorliegend auch die Beklagte.
43 Dabei übersieht sie jedoch, dass der BGH in dieser Entscheidung weiter feststellt, dass "grundsätzlich" eine umfassende Würdigung des
Vertragszwecks sowie der Interessenlage beider Parteien erforderlich ist, in die weitere Gesichtspunkte einfließen können. In der Folge führt der
BGH aus, dass als ein solcher weiterer Gesichtspunkt der das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschende Grundsatz berücksichtigt werden
muss, dass die Energieversorgung – unter Berücksichtigung der Sicherheit und Umweltfreundlichkeit der Versorgung – so preisgünstig wie
möglich zu gestalten ist (vgl. § 1 Energiewirtschaftsgesetz). Laut BGH muss sich der geforderte Energiepreis an den Kosten für die Belieferung
mit Energie ausrichten, darüber hinaus steht dem Energieversorger auch ein Gewinn zu, zur Bildung von Rücklagen, zur Finanzierung von
Investitionen oder zur Verzinsung des aufgenommenen Kapitals bzw. der Einlagen seiner Gesellschafter.
44 Die genannte Entscheidung des BGH betrifft zwar einen Stromlieferungsvertrag, seine Erwägungen beruhen jedoch auf im gesamten
Energiewirtschaftsrecht allgemein gültigen Grundsätzen und sind deshalb auch auf Gaspreise übertragbar, denn auch für die Gasversorgung gilt
das Energiewirtschaftsgesetz.
45 Wie bereits unter Punkt a) dargelegt, hat auch die Beklagte, trotz umfangreicher Versuche, dem Gericht den Unterschied zwischen dem
"Kostenpreis" Strompreis und dem "Marktpreis" Gaspreis verständlich zu machen, keine überzeugenden Argumente dafür geliefert, dass die
Preisgestaltung beim Gaspreis nicht ebenfalls an Kosten und Gewinn ausgerichtet ist.
46 Soweit bei der Billigkeitsprüfung Vertragszweck und beiderseitige Interessenlage zu berücksichtigen sind, ist dann auch zu bedenken, dass auch
die Gasversorger verpflichtet sind, allgemein gültige Tarife aufzustellen, so dass weder bei der Preisgestaltung seitens des Gasversorgers noch
dann bei der Überprüfung dieser Preisgestaltung im Rahmen der Billigkeitskontrolle es möglich ist, dem einzelnen Energieabnehmer
Einzelfallgerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vielmehr kommt es auf die vom betroffenen Tarifkunden (hier dem Kläger) "repräsentierte"
Abnehmergruppe an.
47 Vorliegend ist das Gericht durch den Klagantrag, in dem die Preiserhöhung zum 1.10.2004 genannt wird, in seinem Prüfungsumfang nicht
beschränkt (wie die Beklagte im letzten Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten meint). Das Gericht kann die Billigkeitsprüfung nach § 315 III
BGB nicht bloß auf den "Erhöhungsanteil" an der Preisgestaltung der Beklagten reduzieren. Denn zur Überprüfung steht naturgemäß der
gesamte Preis, weil auch die Preiserhöhung auf einer Preiskalkulation seitens der Beklagten beruht. Nachdem der Kläger mehrfach deutlich zum
Ausdruck gebracht hat, dass er den Preis insgesamt für unbillig hält, ist sein Klagantrag zumindest dahingehend auszulegen.
48 d) Aus dem dargelegten Prüfungsumfang bei der Billigkeitsprüfung ergibt sich auch der Umfang der der Beklagten obliegenden Darlegungen im
vorliegenden Rechtsstreit. Die Beklagte müsste also vortragen, inwiefern der geforderte Gaspreis zur Deckung der Kosten der Gaslieferung und
zur Erzielung eines im vertretbaren Rahmen liegenden Gewinnes dient, was ihr nur durch die Offenlegung ihrer Kosten- und
Gewinnkalkulationen möglich ist (BGH NJW-RR 1992, 183, 186).
49 Hierauf hat das Gericht die Beklagte bereits durch Verfügung vom 24.11.2004 hingewiesen, erneut im Beschluss vom 4.2.2005 und zuletzt mit
Verfügung vom 21.3.2005, jeweils unter Hinweis auf die genannte Entscheidung des BGH vom 2.10.1991. Soweit die Beklagte im Anschluss an
die letztgenannte Verfügung eine Konkretisierung des richterlichen Hinweises durch das Gericht hinsichtlich der vorzulegenden Unterlagen
verlangt hat, so ist dies zum einen im Hinblick auf § § 282 II, 296 II ZPO verspätet. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Sache des
Gerichts ist, der Beklagten die ihr im Rahmen ihrer Darlegungspflicht erforderlichen Tatsachenbehauptungen vorzugeben, etwa durch das
Verlangen der Vorlage bestimmter Urkunden.
50 Die Beklagte kann gegen die Pflicht zur Offenlegung ihrer Preiskalkulation auch nicht erfolgreich einwenden, dass es keine Norm gebe, aufgrund
derer das Gericht bei der Kontrolle von Gaspreisen die Offenlegung der Kostenkalkulation verlangen könne, insbes. weil es keine § 12 III BTOElt
entsprechende obligatorische Darstellung der Kosten- und Erlöslage des wie bei den Strompreisen auch für die Gaspreise gibt.
51 Die Verpflichtung zur Offenlegung der Preiskalkulation folgt spiegelbildlich aus dem Recht der Beklagten zur einseitigen Leistungsbestimmung
im zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis, ist also letztendlich Ausfluss dieses Vertragsverhältnisses.
52 Ebenso wenig kann die Beklagte sich damit verteidigen, die Offenlegung ihrer Preiskalkulation würde sie zur Offenlegung von
Geschäftsgeheimnissen zwingen und hierzu sei sie nicht verpflichtet. Näheres hat die Beklagte hierzu nicht vorgetragen und solange die
Beklagte nicht einmal ansatzweise ihre Preiskalkulation darstellt, kann das Gericht auch nicht beurteilen, inwiefern durch eine weitergehende
Offenbarung schützenswerte Geschäftsgeheimnisse der Beklagten betroffen wären.
53 Im übrigen hatte die Beklagte auch bzgl. der Bezugskostensteigerungsraten zunächst behauptet, hierbei handele es sich um
Geschäftsgeheimnisse, und deshalb deren Offenlegung verweigert. Schließlich hat sie hierzu doch noch Unterlagen vorgelegt (wohl weil dies
auch von der Landeskartellbehörde verlangt worden war).
54 Dadurch, dass die Beklagte inzwischen in durchaus nachvollziehbarer Weise Bezugskostensteigerungen nachgewiesen hat, hat sie ihrer
Darlegungslast jedenfalls nicht genügt (ähnlich der vom BGH am 2.10.1991 entschiedene Fall, NJW-RR 1992, 183, 186, Punkt 3c).
55 e) Da die Beklagte den Billigkeitsnachweis nicht geführt hat, ist festzustellen, dass die zum 1.10.2004 vorgenommene Preisbestimmung im
Vertragsverhältnis zum Kläger unbillig und damit unwirksam ist.
56 Die Klage ist daher in vollem Umfange begründet. Soweit der Urteilstenor vom Klagantrag abweicht, handelt es sich um eine im Rahmen des §
308 ZPO zulässige Konkretisierung. Eine teilweise Klagabweisung, weil der Kläger die Festsetzung des billigen Tarifes in seinen Antrag
aufgenommen hat, braucht nicht zu erfolgen, da durch die Feststellung der Unbilligkeit der Preiserhöhung automatisch der bisherigen Preis als
der billige Preis gilt.
57 III. […] Gem. § 511 II, 2, IV ZPO ist die Berufung zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert.