Urteil des AG Heidenheim vom 26.05.2006

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AG Heidenheim Urteil vom 26.5.2006, 2 F 897/05
Kindesunterhalt: Gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber den seit frühester Kindheit bei den Großeltern
lebenden volljährigen Kindern
Tenor
1. Die Klage wird
abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe
Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Die am 22.08.1987 geborene Klägerin, die noch in allgemeiner Schulausbildung ist, verlangt vom Beklagten,
ihrem Vater, Unterhalt.
2
Die Klägerin wohnt seit frühester Kindheit bei den Großeltern. Die Mutter der Klägerin lebt in den USA. Sie hat
in der Vergangenheit keinen Unterhalt für die Klägerin bezahlt und hat auch auf Auskunftsverlangen wegen
ihres Verdienstes nicht reagiert.
3
Der Beklagte hat bis zur Volljährigkeit der Klägerin Unterhalt bezahlt, danach die Zahlungen aber eingestellt.
4
Der Beklagte ist wieder verheiratet und hat aus dieser Ehe einen 4-jährigen Sohn. Die Ehefrau des Beklagten
ist nicht berufstätig. Der Beklagte hat bis November 2005 ein Gesamtbruttoeinkommen von 33.983,91 EUR
verdient. Er erhält vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers mit monatlich 26,59 EUR. Im Jahr 2005
musste er Steuern für das Jahr 2004 mit 77,32 EUR nachzahlen (vgl. Steuerbescheid für 2004 vom
15.09.2005).
5
Die Klägerin, die kein eigenes Einkommen hat, beantragt entsprechend dem Beschluss des
Oberlandesgerichts Stuttgart über Bewilligung von Prozeßkostenhilfe vom 02.03.2006 (Bl. 41/33 Rückseite
d.A.):
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Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin monatlichen Unterhalt in Höhe von 275,00 EUR ab September
2005 zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt
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Klagabweisung.
9
Er ist der Ansicht, die Klägerin sei im Hinblick auf die Regelung in § 1603 Absatz II Satz 2 BGB
unterhaltsrechtlich einem minderjährigen Kind nicht gleich gestellt, weil sie nicht bei einem Elternteil wohne.
Unter Berücksichtigung der vorrangigen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Ehefrau und eigenem Kind und
seinem eigenen angemessenen Selbstbehalt sei er nicht mehr leistungsfähig.
10 Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
11 Die zulässige Klage ist nicht begründet, weil der Beklagte nicht leistungsfähig ist.
12 Die Klägerin ist unterhaltsrechtlich nachrangig, weil sie nicht als volljähriges privilegiertes Kind zu behandeln
ist. Der Wortlauf des § 1603 Absatz II Satz 2 BGB geht eindeutig davon aus, dass die Privilegierung nur für
volljährige Schüler in allgemeiner Schulausbildung gilt, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben.
Eine analoge Anwendung dieser Regelung auf den Fall des volljährigen Kindes, das sich seit frühester Kindheit
bei den Großeltern befindet, ist nicht möglich.
13 Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Das Gericht hält die vom OLG Dresden gemachte
Analogie (vgl. Beschluss vom 12.09.2001, FamRZ 2000, 695/696) nicht für zulässig, weil keine
Regelungslücke vorliegt. Zu Recht weist Friederici (Anmerkung zum Beschluss des OlG Dresden in Neue
Justiz, 2002, 157/158) darauf hin, dass "vor Anwendung der verschiedenen Techniken der Lückenausfüllung
vorab einmal festgestellt werden müsse, dass überhaupt eine Gesetzeslücke vorliegt. Dies ist entgegen OLG
Dresden nicht der Fall. Im Unterhaltsrecht stellten sich die Fragen der erhöhten Obliegenheitspflicht zunächst
zeitlich spät, solange die Volljährigkeit erst mit dem 21. Lebensjahr eintrat. Nach Absenkung auf das 18.
Lebensjahr hat die Rechtsprechung – nicht einheitlich, aber überwiegend – den Eintritt der Volljährigkeit
zunächst unterhaltsrechtlich nicht als Einschnitt gewertet, solange sich in der tatsächlichen Situation des
Kindes nichts veränderte, es sich im heutigen Sinne weiterhin in der allgemeinen Ausbildung befand (vgl.
Hammer, Leitlinien 1996 Nr. 22 und 23 mit weiterem Nachweis, bei Bergerfurth: Der Ehescheidungsprozess, 11
Auflage, Seite 890); alle Leitlinien sahen einen höheren Bedarf vor, solange das Kind während dieser
Ausbildung noch im Haushalt eines Elternteils lebte. Es ist ohne jeden Zweifel davon auszugehen, dass diese
Rechsprechung, die gesetzlichen Regeln zur Obliegenheit und auch die unterschiedlichen Rangverhältnisse
dem Gesetzgeber bei Einführung des qualifizierten Volljährigen bekannt waren. Um die unterschiedliche
Rechsprechung zu vereinheitlichen, wurde die besondere Fallgestaltung als Ausnahme von der Regel
ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben, ohne andererseits die Rangverhältnisse neu zu regeln. Entgegen der
Ansicht des Oberlandesgerichts Dresden hat der Gesetzgeber daher nur eine ganz besondere Fallgestaltung
ausdrücklich geregelt, nicht einen allgemeinen Grundsatz aufgestellt mit der Folge, dass sie sich jeder
Auslegung – gleichgültig, ob sie nun als Analogie, teleologische Extension oder Reduktion bezeichnet wird –
entzieht".
14 Auch das OLG Hamm hält § 1603 Absatz II Satz 2 BGB für eine abschließende Regelung, die "grundsätzlich
nicht erweitert werden darf", weil "die Erweiterung einer derartigen Ausnahmeregelung grundsätzlich die
Aufgabe des Gesetzgebers" ist (OLG Hamm, FamRZ 2006, Seite 641/642). Auch die dort aufgeführte
Möglichkeit einer Einzelanalogie setzt aber zunächst voraus, dass eine Regelungslücke vorhanden ist, was
gerade – siehe die Anmerkung von Friederici – nicht der Fall ist.
15 Dies führt im Ergebnis dazu, dass dem Beklagten gegenüber der Klägerin ein Selbstbehalt von 1.100,00 EUR
verbleiben muss (21.3.1 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland) und der
Bedarf der jetzigen Ehefrau des Beklagten mit mindestens 800,00 EUR anzusetzen ist (22.2 der Leitlinien). Der
Bedarf des 4 Jahre alten Sohnes aus der jetzigen Ehe ist mit dem entsprechenden Tabellenbetrag der
Düsseldorfer Tabelle ebenfalls vorab sicherzustellen.
16 Ausgegangen werden kann beim Beklagten von einem Nettoeinkommen mit 2.173,00 EUR nach den
Jahreswerten der Abrechnung November 2005 (zur Berechnung vergleiche Beschluss vom 13. Januar 2006 Bl.
22/25 d.A.). Abzuziehen hiervon ist der Arbeitgeberanteil zu den vermögenswirksamen Leistungen mit 26,59
EUR und die anteilige Steuernachzahlung für 2004, die der Beklagte im Jahr 2005 leisten muss mit 6,44 EUR
(vgl. den Steuerbescheid für 2004 Anlage Blatt 15 d.A.). Es verbleiben dann 2.139,97 EUR. Abzuziehen
hiervon sind 5 % pauschale berufsbedingte Aufwendungen mit 107,00 EUR, so dass anrechenbar noch
verbleiben 2.032,97 EUR. Der Bedarf des 4 Jahre alten Sohnes des Beklagten beläuft sich damit auf
mindestens 262,00 EUR (Gruppe 5 1. Altersstufe Düsseldorfer Tabelle Stand 01.07.2005). Wenn von den
2.032,97 EUR abgezogen werden der Bedarf der Ehefrau mit 800,00 EUR und der Bedarf des Sohnes mit
262,00 EUR verbleiben noch 970,97 EUR. Dem Beklagten müssen aber – wie oben dargelegt – 1.100,00 EUR
monatlich verbleiben. Leistungsfähigkeit liegt damit nicht mehr vor, so dass die Klage abzuweisen war.
17 Kostenentscheidung: § 91 ZPO.
18 Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.