Urteil des AG Hamm vom 11.02.2003

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Amtsgericht Hamm, 16 C 9/02
Datum:
11.02.2003
Gericht:
Amtsgericht Hamm
Spruchkörper:
Zivilrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 C 9/02
Schlagworte:
Restwert;Haftung des Sachverständigen;Online-Börse
Normen:
BGB §249
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Entspricht die Ermittlung des Restwertes eines Kraftfahrzeugs einer
Plausibilitätsberechnung und hat der Sachverständige 3
Vergleichsangebote aus dem regionalen Raum eingeholt, ist er nicht
verpflichtet, auf jeden Fall auch die Möglichkeit einer Online-Börse zu
nutzen
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages
abzuwenden, wenn nicht der Beklag-te vor der Vollstreckung Sicherheit
in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Am 6.7.2001 kam es aufgrund des alleinigen Verschuldens des Versicherungsnehmers
der Klägerin zu einem Verkehrsunfall, bei dem der PKW des Geschädigten I2, ein
Mercedes Benz mit dem amtlichen Kennzeichen UN-OO 100, beschädigt wurde. Der
Geschädigte I2 beauftragte den Beklagten mit der Erstattung eines
Schadensgutachtens, das dieser am 11.7.2001 erstellte. Den Restwert des PKW gab
der Beklagte darin mit 9.482,76 DM netto = 11.000,- DM inkl. Mehrwertsteuer an. Zu
diesem Betrag verkaufte der Geschädigte I2 am 17.7.2001 das Fahrzeug an die Firma P
GmbH in B. Das Gutachten ging am 31.7.2001 bei der Klägerin ein. Am 21.8.2001
übersandte die Klägerin dem Geschädigten ein Restwertangebot der Firma C in M2, die
bereit war, das Fahrzeug zum Preis von 21.000,- DM in Zahlung zu nehmen.
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Die Klägerin behauptet, tatsächlich habe der Restwert 18.103,45 DM netto = 21.000,-
DM inkl. Mehrwertsteuer betragen. Sie habe erstmals am 5.9.2001 das Fahrzeug in die
Autobörse AUTOonline eingestellt und dabei drei Angebote zwischen 22.500,- DM und
23.600,- DM erhalten. Am 28.11.2001 habe sie das Fahrzeug bei der Autobörse carTV
eingestellt und 22 Angebote erhalten, wovon die höchsten fünf zwischen 21.200,- DM
und 26.210,- DM gelegen hätten. Der Beklagte habe bei Anwendung der gebotenen
Sorgfalt bei der Ermittlung des Restwertes und Nutzung der Möglichkeiten der Online-
Börse den weitaus höheren erzielbaren Restwert erkennen können und müssen. Da sie
verpflichtet gewesen sei, mit dem Geschädigten auf der Grundlage des von dem
Beklagten fehlerhaft ermittelten Restwerts abzurechnen, nachdem der Geschädigte vor
Erhalt des höheren Angebots der Klägerin im Vertrauen auf die Richtigkeit des
eingeholten Gutachtens den PKW bereits verkauft gehabt habe, müsse der Beklagte ihr
für den entschandenen Schaden haften. Die Haftung ergebe sich aus Vertrag mit
Schutzwirkung zugunsten Dritter, da dem Beklagten bekannt gewesen sei, daß das
Gutachten allein der Abrechnung des Geschädigten mit der Klägerin gedient habe und
sie, die Klägerin, in den Schutz dieses Vertrages einbezogen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.407,69 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Ansicht, daß es bereits an einer Rechtsgrundlage für den geltend
gemachten Anspruch fehle. Darüber hinaus sei der Restwert aber auch zutreffend nach
den von der Rechtsprechung dafür entwickelten Grundsätzen ermittelt worden. Er habe
auf der Grundlage einer detaillierten Schadensbeschreibung drei Angebote ihm als
seriös bekannter Aufkäufer eingeholt und seiner Restwertbestimmung das höchste
dieser Angebote zugrunde gelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Es ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens, das der
Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Wegen des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-
Ing. H vom 26.9.2002 (Bl. 183 ff. d. A.) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom
14.1.2003 (Bl. 251 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten der geltend
gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu.
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Als Anspruchsgrundlage kommt hier nur die Verletzung eines Vertrages mit
Schutzwirkung zugunsten Dritter durch den Beklagten in Betracht, wenn man davon
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ausgeht, daß die Klägerin in den mit dem Geschädigten zustandegekommenen Vertrag
über die Begutachtung der bei dem Verkehrsunfall entstandenen Schäden an dessen
Fahrzeug einbezogen ist. Dies kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn auch
wenn man grundsätzlich davon ausgeht, daß die Klägerin in den Schutzbereich des
Vertrages zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten einbezogen ist, scheitern
Schadensersatzansprüche der Klägerin daran, daß nicht festgestellt werden kann, daß
der Beklagte gegen seine Vertragspflichten verstoßen und dadurch kausal bei der
Klägerin einen Schaden verursacht hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, daß der Beklagte bei der
Ermittlung des Restwerts schuldhaft seine ihm nach dem Vertrag obliegenden Pflichten
verletzt hat und deswegen zu einem unzutreffenden Ergebnis gekommen ist.
Der Auftrag des Geschädigten an den Beklagten ging dahin, den technischen Zustand
des unfallbeschädigten Pkw zu beurteilen, seine Reparaturfähigkeit bzw. -würdigkeit zu
ermitteln sowie für den Fall eines Totalschadens den Restwert zu ermitteln. Dieser
Restwert ist zu definieren als der Betrag, den ein seriöser Restwertaufkäufer kalkuliert,
der das Fahrzeug unter Verwendung von Gebrauchtteilen wieder aufbauen und
anschließend unter Offenlegung des behobenen Schadens mit Gewinn veräußern will
(vgl. OLG Hamm, r+s 1998, 64; AG Dortmund, NZV 1997, 403; LG Gießen, MDR 2001,
1237).
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Diesen Restwert hat der Beklagte auf 11.000,- DM geschätzt. Es läßt sich nicht
feststellen, daß der Beklagte damit den wahren Restwert fahrlässig verkannt hat.
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Wie der Sachverständige H ausgeführt hat, ist für die seriöse Kalkulation des Restwerts
von dem erzielbaren Marktpreis auszugehen. Dieser dürfte nach seiner Einschätzung im
vorliegenden Fall, da es sich um ein schwer unfallbeschädigtes Fahrzeug handelte,
etwa 5.000,- DM unter dem Wiederbeschaffungswert von 49.800,- DM liegen, da selbst
bei einer vollwertigen und einwandfreien Reparatur ein merkantiler Minderwert in etwa
dieser Höhe anzunehmen ist. Ein Restwertaufkäufer mag für seine Kalkulation ein
erheblich niedrigeres Lohnniveau zugrunde legen als eine Fachwerkstatt. Auch dann
sind aber nach Einschätzung des Sachverständigen angesichts des hier vorliegenden
Beschädigungsumfangs im sicherheitsrelevanten Bereich für eine sorgfältige
Gesamtreparatur selbst bei Verwendung von Gebrauchtteilen, soweit diese verfügbar
sind, an Reparaturaufwand (Lohn und Ersatzteile) Kosten in Höhe von jedenfalls 50 bis
60 % der im Gutachten des Beklagten veranschlagten Reparaturkosten anzusetzen.
Das sind angesichts der von dem Beklagten festgestellten und von der Klägerin nicht
angezweifelten Reparaturkosten von 59.473,19 DM jedenfalls ca. 30.000,- DM. Wie der
Sachverständige weiter überzeugend ausgeführt hat, ist die Berücksichtigung einer
Gewinnerwartung des Restwertaufkäufers und einer bestimmten, wenn auch nicht
hohen Gewinnspanne üblich und regelmäßig bei der Kalkulation zu berücksichtigen.
Diesen Gewinn hat der Sachverständige eher zurückhaltend mit 10 %, also etwa 4.500,-
DM angesetzt. Berücksichtigt man all diese Kalkulationsfaktoren, erscheint der von dem
Beklagten ermittelte Restwert von 11.000,- DM bei Veräußerung an einen seriösen
Händler nachvollziehbar und realistisch. Der Sachverständige weist zutreffend darauf
hin, daß auch die Berechnung der Klägerin von ähnlichen Ansätzen ausgeht, ohne
allerdings einen von dem Restwertaufkäufer zu erzielenden Gewinn auszuweisen.
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Auch wenn ein Fahrzeugaufkäufer das Fahrzeug nicht zu reparieren beabsichtigte,
sondern dieses nur "ausschlachen", also lediglich die noch verwertbaren Teile
ausbauen und veräußern will, so läge der damit erzielbare Erlös, wie der
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Sachverständige ausgeführt hat, lediglich bei etwa 8.000,- DM und würde ein über
11.000,- DM liegendes Angebot ebenfalls nicht erklären.
Dies zugrundeglegt, kann ein Pflichtenverstoß des Beklagten nicht festgestellt werden.
Die von ihm erstellte Kalkulation bewegt sich, wie ausgeführt, in einem plausiblen,
nachvollziehbaren und realistischen Rahmen. Sie wird durch Einholung von drei
Angeboten aus dem regionalen Raum bestätigt, mit deren Hilfe der Sachverständige
den bei der Schätzung des Restwerts lediglich auf der Grundlage rechnerischer
Kalkulationen verbleibenden Spielraum ausloten kann.
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Der Beklagte war dagegen nicht verpflichtet, trotz der Vereinbarkeit seiner Bewertung
mit den von ihm eingeholten Angeboten auf jeden Fall auch die Möglichkeiten der
Online-Börse zu nutzen.
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Zwar weisen die von der Klägerin vorgelegten Restwertangebote, die sie über Online-
Dienste eingeholt hat, deutlich höhere Ankaufsgebote aus als die von dem Beklagten
eingeholten. Es ist aber nicht festzustellen, daß diesen seriöse Kalkulationen
zugrundeliegen und der Beklagte verpflichtet war, solche Angebote bei seiner
Schadensschätzung im Rahmen der in Auftrag gegebenen Schadenskalkulation zu
berücksichtigen.
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Wie es zu den von der Klägerin ermittelten höheren Restwertangeboten gekommen ist,
insbesondere ob die Angebote auf zutreffenden und ausreichenden Informationen über
den Umfang des tatsächlich an dem Fahrzeug bestehenden Schadens beruhen, ist
unklar. Wie der Sachverständige H ausgeführt hat, ist der Umfang des Schadens,
insbesondere das Ausmaß der Schäden an sicherheitsrelevanten Teilen, auf den
angefertigten Fotos nicht ausreichend zu erkennen, sondern ergibt sich erst aus der
Schadenskalkulation. Ob diese den Anbietern vollständig zur Verfügung gestanden hat,
hat die Klägerin nicht vorgetragen. Darüber hinaus sind die Angebote erst erhebliche
Zeit nach dem Verkehrsunfall eingeholt worden. Wie der Sachverständige ausgeführt
hat, können aber die Ergebnisse bei Einstellung eines bestimmten Fahrzeugs in die
Online-Börse auch innerhalb weniger Wochen ganz unterschiedlich sein, so daß aus
dem Umstand, daß bei einer Einstellung im September 2001 bzw. November 2001
bestimmte Ergebnisse erzielt worden sind, nicht automatisch der Schluß gezogen
werden kann, daß diese Ergebnisse einige Wochen früher auch erzielt worden wären.
Darüber hinaus handelt es sich im wesentlichen um Angebote, die nicht aus dem
regionalen Raum stammen und die der Sachverständige bei der Bestimmung des
Restwerts unter Berücksichtigung des Interesses des Geschädigten an einer einfachen
und für ihn komplikationslosen Schadensabwicklung nicht zu berücksichtigen brauchte.
Daß sich bei einer Einstellung zeitnah im Zusammenhang mit der Gutachtenerstellung
überhaupt regionale Restwerthändler an den Geboten beteiligt hätten und in welcher
Höhe diese Angebote abgegeben hätten, ist offen.
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Wie der Sachverständige H ausgeführt hat, sind die von der Klägerin vorgelegten, den
vom Beklagten ermittelten Restwert erheblich übersteigenden Angebote kalkulatorisch
nicht nachvollziehbar. Derart hohe Angebote für das beschädigte Fahrzeug sind
angesichts der Höhe der für eine seriöse Reparatur erforderlichen Kosten und
angesichts der notwendig eintretenden Wertminderung des Fahrzeugs nicht realistisch.
Es könne bei einem solchen Angebot nicht davon ausgegangen werden, daß die
Anbieter das Fahrzeug jedenfalls im Inland überhaupt für eine Reparatur vorgesehen
haben.
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Hatten die fraglichen Anbieter von vornherein nicht die Absicht, eine fachgerechte und
jedenfalls den verkehrstechnischen Sicherheitsanforderungen entsprechende Reparatur
durchzuführen, mit der das Fahrzeug wieder in einen verkehrssicheren Zustand versetzt
würde, sondern soll ein Gewinn dadurch erzielt werden, daß das Fahrzeug nur
unvollständig und nicht vekehrssicher repariert wird, können Angebote mit einer solchen
Tendenz von dem beauftragten Kraftfahrzeug-Sachverständigen nicht berücksichtigt
werden. Dasselbe gilt, soweit der angebotene Preis darauf beruht, daß der Aufkäufer
sich überhaupt nicht für das Fahrzeug, sondern lediglich für den Fahrzeugbrief und die
Fahrgestellnummer interessiert, um diese für kriminelle Zwecke zu verwenden.
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Solche Angebote sind kein Maßstab für die Beurteilung eines Restwerts. Sie muß der
Sachverständige im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung aussondern. Inwieweit es sich
um ein seriöses Angebot handelt, kann der Sachverständige lediglich aufgrund der von
ihm vorgenommenen Bewertung der Kalkulation, wie sie oben dargestellt wurde,
einschätzen. Deutlich darüber hinausgehende Angebote muß er schon deshalb nicht
berücksichtigen, weil er deren Seriosität mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln
nicht feststellen kann.
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In seine Restwertbewertung können aber im Interesse des Geschädigten lediglich
seriöse, kalkulatorisch nachvollziehbare Angebote einfließen. Denn der Geschädigte
als Vertragspartner des Beklagten, dessen Interessen er in erster Linie wahrzunehmen
hat, braucht sich auf Risikogeschäfte mit Aufkäufern, deren Absichten unklar und
möglicherweise nicht seriös sind, nicht einzulassen. Vielmehr muß dem Geschädigten
eine unkomplizierte Schadensbeseitigung möglich sein. Aufgabe des mit der
Schadensfeststellung beauftragten Sachverständigen ist es, nach nachvollziehbaren
Kriterien den auf dem allgemeinen regionalen Markt erzielbaren Preis für das
beschädigte Fahrzeug zu ermitteln, zu dem der Geschädigte das Fahrzeug ohne
übermäßige Anstrengungen verkaufen kann. Diesen Anforderungen hat der Beklagte,
wie oben ausgeführt, genügt. Es ist nicht Sache des von dem Geschädigten
beauftragten Sachverständigen, im Interesse der Klägerin an einer bestmöglichen
Verwertung des Fahrzeugs den regional oder überregional aus besonderen Motiven
meistbietenden Käufer zu finden und dem Geschädigten zu benennen.
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Im Ergebnis war daher die Klage mit den Nebenentscheidungen gem. §§ 91, 708 Nr. 11,
711 ZPO abzuweisen.
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