Urteil des AG Hamm vom 15.10.2010

AG Hamm (zahlungsunfähigkeit, vernehmung von zeugen, kenntnis, höhe, gläubiger, akte, umstände, forderung, annahme, eröffnung)

Amtsgericht Hamm, 24 C 318/10
Datum:
15.10.2010
Gericht:
Amtsgericht Hamm
Spruchkörper:
24. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 C 318/10
Schlagworte:
Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit; Kenntnis der drohenden
Zahlungsunfähigkeit
Normen:
InsO § 133 Abs. 1; InsO § 130 Abs. 1
Leitsätze:
Kenntnis der tatsächlichen oder drohenden Zahlungsunfähigkeit kann
nicht allein daraus gefolgert werden, dass ein Schuldner seinen
Gläubiger wissen lässt, dass es ihm derzeit nicht möglich sei, die
offenen Forderungen zu begleichen. Diese Information kann auch auf
eine Krise hinweisen. Entscheidend ist eine wertende Gesamtschau
aller Umstände des Einzelfalls.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 130% des
insgesamt beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 130% des jeweils
beizutreibenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird festgesetzt auf EUR 1.000,00.
Tatbestand
1
Die Klägerin verfolgt mit der Klage insgesamt EUR 1.000,00 nach insolvenzrechtlicher
Anfechtung.
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Die Beklagte stellte der E. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) die folgenden
Rechnungen für erfolgte Warenlieferungen:
3
20.10.2008 Nr. 854560 EUR 1.342,32
4
23.10.2008 Nr. 855315 EUR 2.048,20
5
30.10.2008 Nr. 856513 EUR 3.507,82
6
31.10.2008 Nr. 856697 EUR 236,01
7
EUR 7.134,35
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Die Beklagte mahnte u.a. mit Schreiben vom 24.10.2008. Es kam zu Telefonaten. Die
Beklagte kam in Gespräche mit der Schuldnerin betreffend eine
Teilzahlungsvereinbarung an, worauf die Schuldnerin Zahlungen leistete am
13.02.2009 und 16.02.2009 über jeweils EUR 500,00. Mit Schreiben vom 13.02.2009
teilte die Beklagte der Klägerin schriftlich mit: "Leider ist es uns derzeit nicht möglich, die
Forderungen in voller Höhe in einer Einmalzahlung auszugleichen" und Vorkasse bei
weiteren Lieferungen in Aussicht stellte (Bl. 19 der Akte). Die Schuldnerin stellte unter
dem 12.05.2009 einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Über das
Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss vom 01.08.2009 vom Amtsgericht N
(XXXXXXXXXXXXXXXX) das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur
Insolvenzverwalterin bestellt.
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Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Beklagte schulde ihr EUR 1.000,00 unter dem
Gesichtspunkt der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung durch die Schuldnerin und
Kenntnis hiervon durch die Beklagte (§§ 129 Abs. 1, 133 Abs. 1, 143 Abs. 1 InsO), sowie
EUR 500,00 auch aus dem Gesichtspunkt der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der
Schuldnerin durch die Klägerin (§§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1, Abs. 2 InsO. Die Klägerin
behauptet, der Schuldnerin sei bereits zum Zeitpunkt der Zahlungen bekannt gewesen,
dass nicht alle Gläubiger befriedigt werden können. Am 13.02.2009 hätten die fälligen
angemeldeten und festgestellten Forderungen EUR 846.664,16 betragen und sich
nachher noch erhöht. Hierbei handle es sich um Forderungen in nicht unerheblicher
Höhe. Das Juli-Gehalt sei erst Ende August 2009 gezahlt worden, und seitdem habe der
Lohnrückstand in mindestens dieser Höhe fortbestanden. Die Arbeitnehmer hätten am
15.05.2009 bereits knapp fünf Monate keine M mehr erhalten.
Sozialversicherungsbeiträge seien nicht mehr vollständig entrichtet worden.
Systematische Sanierungsbemühungen habe es nicht gegeben. Die Beklagte habe
Druck ausgeübt, nur deshalb sei überhaupt etwas gezahlt worden. Die Beklagte habe
die Zahlungsunfähigkeit gekannt oder zumindest für möglich gehalten, denn anders
ließe es sich nicht erklären, dass sie nur noch gegen Vorkasse geliefert habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.000,00 nebst Zinsen hieraus in
Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Eröffnung des
Insolvenzverfahrens am 01.08.2009 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte bestreitet die Zahlungsunfähigkeit der Beklagten sowie die Richtigkeit der
Anlage K8. Sie bestreitet, dass der Geschäftsführung der Schuldnerin bekannt gewesen
sei, dass die Gesellschaft zahlungsunfähig gewesen sei. Dies ergebe sich schon aus
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den weiteren Teilzahlungsvergleichen. Sie bestreitet, dass sie bei der Durchsetzung
ihrer Forderungen besonderen Druck ausgeübt habe. Mahnungen seien normal. Die
Beklagte selbst sei zum Zahlungszeitpunkt gutgläubig gewesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen (Bl. 145 ff. der Akte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage war abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Basis von §§ 129
Abs. 1, 133 Abs. 1, 130 Abs.1, Abs. 2, 143 Abs. 1 InsO gegen die Beklagte in
Zusammenhang mit den Zahlungen vom 13.02.2009 und 16.02.2009 über jeweils EUR
500,00.
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Der Klägerin ist es nicht gelungen, die Kenntnis der Beklagten von der drohenden oder
tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin darzulegen. Für die Frage, ob sie
Kenntnis hatte oder Tatsachen kannte, die zwingend auf eine drohende oder
tatsächliche Zahlungsunfähigkeit hinwiesen, waren alle Umstände des Einzelfalls in die
vorzunehmende Wertung einzustellen.
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Zu Lasten der Beklagten ist einzustellen, dass die Forderung insgesamt EUR 7.134,35
betrug, die angebotenen Raten jedoch lediglich 7% der offenen Forderung. Die
Rechnungen waren zum Zahlungszeitpunkt trotz Mahnungen bereits seit rund vier
Monaten offen. Die erstmalige Stundungsbitte erfolgte weit nach Fälligkeit der
Forderungen. Sachliche Einwendungen gegen die Forderungen waren nicht erhoben.
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Andererseits aber ist zu berücksichtigen, dass das Schreiben vom 13.02.2009 dem
Wortlaut nach lediglich auf eine Zahlungsstockung hinweist ("ist es uns derzeit nicht
möglich"). Die Beklagte durfte anhand der Formulierung des Schreibens auch für
möglich halten, dass das Schreiben erfolgt war, um eine ggfs. zu erwarten stehende
Liquiditätslücke angesichts besonderer Zahlungsverpflichtungen der Schuldnerin zu
schließen. Vor dem Hintergrund ist eine derartige Annahme gelebte Praxis der
wirtschaftlichen Realität. In diesem Zusammenhang weist es lediglich auf eine Krise der
Schuldnerin hin, wenn von ihrer Seite vorher noch nie eine Teilzahlungsvereinbarung
mit der Beklagten geschlossen worden war.
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Es ist nicht dargetan, dass der Beklagten weitere Anhaltspunkte für eine drohende
Zahlungsunfähigkeit zu Kenntnis gelangt wären.
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Die Beklagte ist vor dem Hintergrund der Relation der Umsätze mit der Schuldnerin und
der insgesamt vorgetragenen offenen Verbindlichkeiten allem Anschein nach als
Zulieferer nicht bedeutsam für die Schuldnerin, und ortsansässig und daher aus diesem
Grund für die Schuldnerin wichtig war die Beklagte auch nicht, was den Umstand
relativiert, dass auch die vergleichsweise geringe Forderung der Beklagten in kleinen
Raten abgetragen werden sollte.
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Soweit die Beklagte nur noch gegen Vorkasse an die Schuldnerin lieferte, ergibt sich
das entsprechende Angebot hierzu bereits aus dem Schreiben vom 13.02.2009. Kein
Gläubiger offener Rechnungsbeträge würde ein derartiges Angebot ohne weiteres
ablehnen, eine derartige Annahme wäre lebensfremd.
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Soweit die Klägerin anführt, die Rechnungen der Beklagten seien über Monate offen
gewesen, ist auch dies ein inzwischen schon fast alltäglicher Vorgang, der keinen
zwingenden Schluss auf eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit zur Folge hat.
Auch die Zusammenschau der einzelnen Umstände rechtfertigt keinen zwingenden
Schluss auf drohende Zahlungsunfähigkeit.
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Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des BGH ("Sind einem Gläubiger
Tatsachen bekannt, die den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit begründen, kann er
gehalten sein, sich um zusätzliche Informationen zu bemühen. Unter dieser
Voraussetzung schadet ihm schon einfache Fahrlässigkeit bei der Beurteilung des
maßgeblichen Sachverhalts." BGH, IX ZR 81/99 mit Verweis auf BGH IX ZR 337/97) ist
nicht einschlägig, da sie sich auf § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO und damit auf einen
Fahrlässigkeitstatbestand bezieht. Vorliegend aber kommt es auf die Kenntnis, und nicht
das Kennenmüssen an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert wird festgesetzt auf EUR
1.000,00.
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