Urteil des AG Grevenbroich vom 27.09.2010

AG Grevenbroich (grundsatz der erforderlichkeit, kläger, liste, höhe, zpo, ersatz, behauptung, rechnung, abholung, ermessen)

Amtsgericht Grevenbroich, 16 C 158/10
Datum:
27.09.2010
Gericht:
Amtsgericht Grevenbroich
Spruchkörper:
Richter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 C 158/10
Normen:
§ 7 Abs. 1 StVG, §§ 249 ff. BGB
Sachgebiet:
Verkehrsunfall (Ersatz von Mietwagenkosten)
Tenor:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 470,98 Euro nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
31.12.2009 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich
entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 43,32 Euro nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
31.12.2009 zu zahlen.
3.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
(entfällt gem. § 313 a Abs. 1 ZPO)
2
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
3
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
4
I.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der restlichen
Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 470,98 Euro aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1
Satz 1 VVG.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z.B. BGH NJW 2009, 58)
kann der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand Ersatz
derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig
denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf.
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Der Geschädigte hat nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten
Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des ihm Zumutbaren stets den wirtschaftlicheren
Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der
Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für
Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren
Ersatzfahrzeugs innerhalb eines gewissen Rahmens grundsätzlich nur den günstigeren
Mietpreis verlangen kann. Ausgangspunkt für die Betrachtung bildet der am Markt
übliche Normaltarif. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es
grundsätzlich zulässig, zu dessen Bestimmung in Ausübung des tatrichterlichen
Ermessens gemäß § 287 ZPO auf das gewichtige Mittel des "Schwacke-Autopreis-
Spiegels" (sog. Schwacke-Liste) im Postleitzahlengebiet des Geschädigten
zurückzugreifen. Die Eignung der Schwacke-Liste bedarf nur dann der Klärung, wenn
mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der
betreffenden Schätzgrundlage sich auf den entscheidenden Fall ausgewirkt haben.
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Das Gericht übt vorliegend das ihm nach § 287 ZPO eingeräumte Ermessen
dahingehend aus, dass die Höhe des Normaltarifs auf der Grundlage der Schwacke-
Liste geschätzt wird. Da sich der Unfall im November 2009 ereignete, ist die Schwacke-
Liste 2009 anwendbar. Beklagtenseits wurden keine konkreten Mängel gegen die
vorgenannte Schätzgrundlage eingewandt. Der pauschale Verweis auf die
Schätzgrundlage nach der Fraunhofer-Mietwagenliste stellt keinen Einwand dar, dem
das Gericht nachgehen muss. Auch die beklagtenseits vorgebrachten Einwendungen
gegen die Anwendbarkeit der Schwacke-Liste greifen nach Ansicht des Gerichts nicht
durch. Die Behauptung, einzelne Autovermieter hätten bei der von Schwacke gewählten
Erhebungsmethode im eigenen Interesse überhöhte Preise angegeben, ist nicht durch
konkrete Indizien zuverlässig erhärtet worden. Der Beklagten ist insoweit recht zu
geben, dass die anonyme Datenerhebung der Fraunhofer-Liste grundsätzlich einen
methodischen Vorteil bringt. Andererseits sprechen aber auch gewichtige Nachteile
gegen die Anwendung der Fraunhofer-Liste als Schätzgrundlage. So beruht die
Erhebung der Fraunhofer-Liste beispielsweise überwiegend auf der Abfrage von
Internettarifen der sechs großen Autovermieter, was den Vorwurf der fehlenden
Repräsentativität aufkommen lässt. Zudem beruht die Datenerhebung auf einer
Vorbuchungsfrist von einer Woche, während die Anmietung bei einem Unfall in aller
Regel kurzfristig erfolgt. Ferner spricht gegen die von Fraunhofer erhobenen Preise
auch, dass ihr ein Selbstbehalt bei der Vollkaskoversicherung von 750,00 bis 1.000,00
Euro zugrunde liegt, während bei Schwacke der Selbstbehalt "üblicherweise bei 500,00
Euro" liegt. Schließlich ergeben sich Probleme daraus, dass in der Fraunhofer-Liste
auch weitere Nebenkosten, die wesentlicher Bestandteil des zu ermittelnden
Marktpreises sein können, nicht genannt werden.
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Die pauschale Behauptung, der in Anspruch genommene Mietersatzwagen hätte zu
Kosten von 220,00 Euro ortsüblich und marktangemessen bei allen zumutbar
erreichbaren Vermietern angemietet werden können, reicht schließlich gleichfalls nicht
aus, das gewichtige Mittel des Schwacke-Mietpreisspiegels als
Entscheidungsgrundlage zu erschüttern.
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Darüber hinaus hält das Gericht vorliegend einen pauschalen Aufschlag auf den
Normaltarif in Höhe von 20 % für angemessen, um den Besonderheiten der Kosten und
Risiken des Unfallersatzgeschäfts im Vergleich zur "normalen" Autovermietung
angemessen zu berücksichtigen. Der Kläger hat entgegen der Behauptung der
Beklagten zu den unfallbedingten Mehrleistungen hinreichend vorgetragen. Nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung hat sich die Prüfung der Erforderlichkeit des
Unfallersatztarifes darauf zu beschränken, ob spezifische Leistungen bei der
Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein den Mehrpreis rechtfertigen (BGH NJW
2008, 2910,2911; BGH Urt. v. 02.02.2010, VI ZR 7/09). Der Kläger trägt insoweit vor, der
Mietvertrag habe keine Kilometerbeschränkung aufgewiesen, eine Insolvenz- oder
Risikoprüfung gegenüber dem Kläger sei nicht erfolgt und er habe keine Kaution oder
sonstige Sicherheit leisten müssen.
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Die vom Kläger in Rechnung gestellten Nebenkosten für die Haftungsbefreiung und die
Zustellung und Abholung sind gleichfalls erstattungsfähig (BGH, Urt. v. 15.02.2005, IV
ZR 74/04; OLG Köln NZV 2007, 199). Ferner sind die Kosten für die Winterreifen
erstattungsfähig. Den Autovermieter trifft die Pflicht, dem Kunden ein verkehrssicheres
Auto zur Verfügung zu stellen, zu welchem in den Wintermonaten die Winterbereifung
gehört. Es liegt im kalkulatorischen Ermessen des Autovermieters, ob er die Winterreifen
als Zusatzkosten in Rechnung stellt, wenn sie tatsächlich in Anspruch genommen
worden sind. Es ist mithin nicht zwingend davon auszugehen, dass die Kosten für die
Winterreifen im Normaltarif mit enthalten sind.
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Ersparte Eigenaufwendungen nach dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung sind nicht
in Abzug zu bringen, da der Kläger klassentiefer angemietet hat.
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Nach alledem ergibt sich unter Anwendung der Schwacke-Liste 2009, Fahrzeugklasse
3, PLZ-Gebiet 411, 5 Tage, arithm. Mittel, folgende Berechnung:
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1x 3-Tagespreis 285,30 Euro
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1x 1-Tagespreis 190,62 Euro
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Pauschaler Aufschlag von 20% 95,18 Euro
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zzgl. Haftungsbefreiung:
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1x 3 Tage á 60,68 Euro 60,68 Euro
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1x 1 Tag á 20,49 Euro 40,98 Euro
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Winterreifen 5x 12,32 Euro 61,60 Euro
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Zustellung/Abholung 48,92 Euro
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GESAMT 783,28 Euro
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Die dem Kläger konkret in Rechnung gestellten Mietwagenkosten belaufen sich auf
740,98 Euro und halten sich mithin im angemessenen Bereich. Die Kosten sind gemäß
§ 249 Abs. 2 BGB voll erstattungsfähig. Die Beklagte hat bereits 270,00 Euro an den
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Kläger gezahlt. Damit verbleibt der geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von
470,98 Euro.
Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten folgt als Verzugsschaden
aus §§ 280, 286 BGB.
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Die Zinsansprüche finden ihre Grundlage in den §§ 286, 288 BGB.
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II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Streitwert: 470,98 Euro
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