Urteil des AG Giessen vom 22.05.2007

AG Gießen: reparaturkosten, haftpflichtversicherung, auto, wiederbeschaffungswert, eigentümer, vollstreckbarkeit, hauptsache, verkehrsunfall, dokumentation, sicherheitsleistung

1
2
3
4
5
Gericht:
AG Gießen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
43 C 798/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 249 BGB
Schadensersatz beim Kfz-Unfall: Ersatz der
Reparaturkosten bis zur 130%-Grenze unabhängig von der
Weiterbenutzung
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.763,37 EUR nebst 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.4.2007 sowie weitere
148,33 EUR zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom
17.03.2007. Der Beklagte stieß mit dem Pkw ... gegen den geparkten Pkw des
Klägers .... Die volle Haftung des Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit.
Ausweislich des Sachverständigengutachtens K vom 20.03.2007, auf das wegen
der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 6 bis 20 d. A.), beliefen sich die
voraussichtlichen Reparaturkosten für das Auto des Klägers inklusive
Mehrwertsteuer auf 3.829,78 Euro. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten
ermittelte einen Restwert für das verunfallte Auto in Höhe von 910,– Euro. Der
Kläger ließ sein Auto in der Markenwerkstatt Firma Auto B zum Preis von 3.803,37
Euro vollständig und fachgerecht reparieren.
Ursprünglich verlangte der Kläger mit seiner Klage Ersatz der Reparaturkosten auf
Gutachtenbasis. Im Termin zur mündlichen Verhandlung nahm er die Klage in
Höhe eines Betrages von 26,41 Euro zurück und macht jetzt nur noch die
tatsächlichen Reparaturkosten geltend. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten
regulierte den reinen Fahrzeugschaden auf Basis der Wiederbeschaffungskosten
(Wiederbeschaffungswert 2.950,– Euro abzüglich Restwert 910,– Euro, gleich
2.040,– Euro). Die Differenz in der ausgeurteilten Höhe verfolgt der Kläger mit
seiner Klage weiter.
Als weitere Schadenspositionen verlangte der Kläger den Ersatz der Kosten für das
Sachverständigengutachten in Höhe von 393,24 Euro und pauschaler Unfallkosten
in Höhe von 25,– Euro, welche die Haftpflichtversicherung des Beklagten in voller
Höhe regulierte. Später, nämlich am 18.04.2007, veranlasste die
Haftpflichtversicherung des Beklagten außerdem noch die Auszahlung der vom
Kläger geltend gemachten Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 290,– Euro.
In Ansehung dieses Betrages, der ursprünglich Teil der Klageforderung war, haben
die Parteien den Rechtsstreit im Termin zur mündlichen Verhandlung
übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt. Letztendlich verlangt der Kläger
noch Ersatz der ihm entstandenen nicht anrechnungsfähigen vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten, die er mit 148,33 Euro errechnet.
Der Kläger beruft sich für sein Verlangen auf vollen Schadensersatz auf die 130
Prozent-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, weil die Reparaturkosten
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Prozent-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, weil die Reparaturkosten
sowohl nach ihrer Schätzung als auch nach ihrem tatsächlichen Anfall nicht höher
als 30 Prozent über dem Wiederbeschaffungswert seines Autos lagen.
Nachdem der Kläger ursprünglich auf eine Hauptforderung von 2.079,78 Euro
geklagt hat, beantragt er nunmehr noch,
der Beklagten wird verurteilt, an den Kläger 1.763,37 Euro nebst 5 Prozent
Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 11.04.2007 zu zahlen zuzüglich
außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 148,33 Euro.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, dass der Kläger nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
sein Integritätsinteresse durch eine mindestens sechsmonatige Weiternutzung des
reparierten Autos nachweisen müsse, weshalb die Haftpflichtversicherung des
Beklagten jedenfalls derzeit zu Recht auf Basis der Wiederbeschaffungskosten
abgerechnet habe. In diesem Zusammenhang bestreitet er, dass der Kläger heute
noch Eigentümer und Nutzer des Autos sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist, soweit sie der Kläger noch verfolgt, in voller Höhe begründet.
Der Kläger hat gemäß den §§ 7, 17, 18 StVG Anspruch auf Ersatz der restlichen
ihm entstandenen Reparaturkosten in Höhe der ausgeurteilten 1.763,37 Euro, weil
die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten die so genannte Opfergrenze von
130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes seines Autos nicht überstiegen haben.
Damit folgt das Gericht der gefestigten, langjährigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes (vergleiche aus neuerer Zeit die beiden Urteile vom
15.02.2005 VI ZR 70/04 und VI ZR 172/04). Der gegenteiligen Interpretation des
Urteils des BGH vom 23.05.2006 (VI ZR 192/05) durch die Beklagte vermag sich
das Gericht aus vier Gründen nicht anzuschließen. Zum einen betrifft dieses Urteil
einen völlig anders gelagerten Sachverhalt. Zum zweiten hat der BGH seine neue
Rechtsprechung zum 6-Monats-Zeitraum ausweislich des Wortlautes in Rnd.-Nr. 11
des genannten Urteils aus guten Gründen nur auf die konkret zu entscheidende
Fallkonstellation bezogen. Zum dritten hat der BGH in seinem Urteil vom
15.02.2005 (VI ZR 172/04) unter Rnd.-Nr. 11 klargestellt, dass in den
Fallkonstellationen, wie sie auch dem hier zu entscheidenden Fall zugrunde liegt,
"der Geschädigte durch eine qualifizierte Reparatur der oben beschriebenen Art
sein Integritätsinteresse nachweist". Denn – zum vierten – hat der Kläger durch
seine Reparatur im Rahmen der Opfergrenze die für die fachgerechte Reparatur
erforderlichen Kosten konkret aufgebracht, weshalb für eine fiktive
Schadensabrechnung kein Raum mehr bleibt. Darin liegt die Manifestation seines
Integritätsinteresses nach außen in ihrer stärksten Form, nämlich durch
tatsächliche Hingabe von Geld als effektive Vermögensminderung, die nur dann
wirtschaftlich Sinn macht, wenn tatsächlich ein konkretes Interesse an der weiteren
Benutzung des Fahrzeuges vorliegt. Denn eine sich unmittelbar an die Reparatur
anschließende Weiterveräußerung des Autos würde bei typisierender
Betrachtungsweise lediglich den Wiederbeschaffungswert einbringen und wäre
damit für den Kläger ein wirtschaftliches Verlustgeschäft. Gleichwohl steht es ihm
aber frei, solches zu tun, weil er nach der tatsächlich durchgeführten
fachgerechten Reparatur wieder die volle Dispositionsfreiheit über sein Fahrzeug,
jedenfalls im schadensrechtlichen Sinne, erlangt hat. Aus diesem Grunde kommt
es nicht auf die Behauptung des Beklagten an, dass der Kläger nicht mehr
Eigentümer des Autos sei und es nicht mehr weiter nutze. Hinzu kommt schließlich
noch die ergänzende Erwägung, dass mit Übertragung der 6-Monats-
Rechtsprechung auch auf Fallkonstellationen der hier vorliegenden Art eine sehr
große Anzahl von Unfallregulierungen erheblich verzögert würde, was der davon
betroffenen Masse von Geschädigten schlichtweg nicht zugemutet werden kann.
Der Beklagte schuldet die Zinsen in der gesetzlichen Höhe wegen seines
Zahlungsverzuges, §§ 286, 288 BGB.
Den Ersatz der jedenfalls nicht zu hoch bemessenen nicht anrechnungsfähigen
15
16
17
Den Ersatz der jedenfalls nicht zu hoch bemessenen nicht anrechnungsfähigen
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten schuldet der Beklagte als
Rechtsverfolgungskosten gemäß § 249 BGB.
Der Beklagte hat als die im Wesentlichen unterlegene Partei die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Denn die zurückgenommene
Zuvielforderung des Klägers war verhältnismäßig geringfügig und hat keine
höheren Kosten veranlasst. Auch in Bezug auf den übereinstimmend für erledigt
erklärten Teil der Hauptsache trifft den Beklagten gemäß § 91 a ZPO die
Kostenlast, weil er ansonsten auch insoweit verurteilt worden wäre.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 709
ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.