Urteil des AG Frankfurt am Main vom 13.11.2008

AG Frankfurt: wohl des kindes, elterliche sorge, entziehung der elterlichen sorge, anhörung des kindes, persönliche anhörung, psychologisches gutachten, verfassungskonforme auslegung, sorgerecht

1
2
Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UF 72/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 1666 BGB
(Sorgerechtsregelung zugunsten der Großeltern:
Berücksichtigung des Willens eines 12jährigen Kindes)
Leitsatz
Sorgerechtsentzug
Zur Berücksichtigung des Willens eines 12jährigen Kindes bei der Entscheidung über die
elterliche Sorge
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten
werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,- Euro.
Der Mutter wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter
Beiordnung von Rechtsanwalt A, O1 Schwäbisch Gmünd, bewilligt.
Dem Vater wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beordnung
von Rechtsanwältin B, O2, bewilligt. Raten für die Prozesskosten werden
festgesetzt in Höhe von 45,- Euro monatlich. Die erste Rate wird fällig nach
Abschluss der Ratenzahlungsverpflichtung aus dem erstinstanzlichen Beschluss
zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe.
Gründe
I.C ist nunmehr 12 Jahre alt. Er hat zwei Halbgeschwister, nämlich D, geboren am
....1989, und E, geboren am ....1991. Seine Eltern haben sich im Jahre 2001
getrennt. Im Jahr 2002 wurde die Ehe geschieden. Eine Entscheidung zum
Sorgerecht wurde nicht getroffen. Aufgrund von Konflikten mit der Mutter
übersiedelte C im Einverständnis mit der Mutter im August 2004 zum Vater. Auch
hier kam es jedoch zu erheblichen Konflikten, weshalb die drei Kinder im Juli 2006
zu den Großeltern, den Verfahrensbeteiligten zu 1) und 2), zogen. Seitdem
besteht im Wesentlichen kein Kontakt zwischen C und seinen Eltern. Er lebt seither
bei den Großeltern.
Unter dem 24.7.2006 leitete das Jugendamt der Stadt O3 ein – hier beigezogenes
- familiengerichtliches Verfahren mit dem Ziel eines Entzuges des
Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern ein (Amtsgericht Frankfurt, Abt. Höchst,
Az. 404 F 4269/06), da die Mutter mit einem Aufenthalt in der Kinder bei den
Großeltern nicht (mehr) einverstanden war. In diesem Verfahren wurde C am
10.8.2006 persönlich angehört und sprach sich – wie auch seine beiden Brüder –
für einen Verbleib bei seinen Großeltern aus. Das Familiengericht holte zudem ein
psychologisches Gutachten ein, welches von der Diplom-Psychologin F unter dem
19.1.2007 erstattet worden ist. Diese kam in testpsychologischen Untersuchungen
unter anderem zu dem Ergebnis, dass C sich als jemand erlebe, der seinen
3
4
5
6
7
8
unter anderem zu dem Ergebnis, dass C sich als jemand erlebe, der seinen
eigenen Willen durchaus kontrollieren könne, er sehr wenig von außen beeinflusst
werde und sich auch nicht als von außen bestimmt erlebe. Auch habe er ein
geringes Bedürfnis, sich entsprechend sozial erwünschter Erwartungen anderer zu
verhalten. Es sei deswegen nicht davon auszugehen, dass seine
Weigerungshaltung gegenüber der Mutter primär durch die Beeinflussung
beispielsweise der Eltern zu Stande gekommen sei. Auch sei zu berücksichtigen,
dass die Willensäußerung C über eine lange Zeitdauer gleichbleibend und sich
auch gegenüber verschiedenen Personen nicht geändert habe. Ein Umzug zur
Mutter entgegen seinem erklärten und autonomen Kindeswillen würde bei einem
Kind in C Alter und bei der Entstehungsgeschichte seiner Willensäußerung sein
Kindeswohl gefährden, denn es seien als mögliche Reaktionen negative Folgen für
seine psychische Entwicklung zu erwarten im Sinne von erlebter Hilflosigkeit,
Depressionen oder aggressiven Verhaltensweisen. Auch stellten unter anderem
seine Großeltern einen Zuverlässigkeitsfaktor dar, der ihm genommen würde.
Sollte eine Vollmacht seitens der Mutter nicht erteilt werden – so die
Sachverständige – müsste das Sorgerecht insgesamt entzogen werden. Daraufhin
erteilte die Mutter am 15. März 2007 dem Großvater eine Vollmacht für die
gesamte Personensorge und erklärte ihr Einverständnis mit einem Verbleib C bei
den Großeltern, was zur Beendigung des Verfahrens führte.
C befindet sich seit Mai 2007 unter anderem wegen „Akuter Belastungsreaktion“
und „Anpassungsstörung“ auf Anraten des Jugendamtes einmal wöchentlich in
ambulanter Therapie. Am 7. Dezember 2007 attestierte die behandelnde
Fachärztin, dass C langsam beginne, sich emotional zu stabilisieren.
Im vorliegenden Verfahren haben die Großeltern unter dem 25. Oktober 2007
beim Familiengericht zunächst die „Erteilung des Sorgerechts“ für E und C
begehrt. Sie haben am 13. Dezember 2007 ihr Einverständnis mit der Einsetzung
einer neutralen Person als Vormund erklärt. Das Amtsgericht hat die
Verfahrensbeteiligten am 13. Dezember 2007 und C am 03. Januar 2008
persönlich angehört. C hat erklärt, bei den Großeltern bleiben zu wollen. Zwar
bekäme er die Streitigkeiten zwischen den Erwachsenen mit, die Großeltern
würden aber nicht schlecht über die Mutter reden. Einen Kontakt zur Mutter wolle
er nicht.
Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Amtsgericht den Eltern die elterliche
Sorge entzogen und einen Berufsvormund eingesetzt. Die Voraussetzungen des §
1666 BGB seien erfüllt. Die Eltern würden dadurch, dass sie trotz des eindeutig
geäußerten Kindeswillens mit C weiterem Verbleib bei den Großeltern nicht
einverstanden seien und die Herausgabe verlangen würden, das geistig-seelische
Wohl des Kindes erheblich gefährden.
Hiergegen wendet sich ausschließlich die Mutter mit ihrer Beschwerde. Zur
Begründung führt sie unter anderem aus, es bestünden Bedenken gegen die
Erziehungsfähigkeit der Großeltern. Diese würden C erheblich gegen sie
beeinflussen. Nicht ein Umzug des Minderjährigen zu ihr würde dessen Wohl
gefährden, sondern sein Verbleib bei den Großeltern. Diese würden auch den
Kontakt zur Mutter unterbinden. Sie würde akzeptieren, dass ein Dritter das
Sorgerecht erhalte, jedoch nur unter der Bedingung, dass C nicht bei den
Großeltern aufwachse.
Im Rahmen seiner oberlandesgerichtlichen Anhörung durch den vorbereitenden
Einzelrichter am 15. Oktober 2008 hat C erklärt, er wolle keinen Kontakt zu seinen
Eltern. Ihm gehe es gut, auch weil “ich zu Hause bin und Oma und Opa mich
immer gut behandeln“. Für die Zukunft könne er sich nicht vorstellen, dass seine
Eltern das Sorgerecht haben. Er hat des weiteren ausgeführt: „ Ich weiß auch, was
das ist: Wenn jemand das Aufenthaltsbestimmungsrecht hat, dann kann der
entscheiden, wo ich leben muss. Und bei dem Sorgerecht kann er dann auch
entscheiden, wie das bei den Ärzten ist und mit der Schule. Ich finde das eigentlich
ganz schön bekloppt, dass meine Eltern das haben wollen, die haben mich doch 2
½ Jahre gar nicht gesehen. Wie wollen die denn wissen, was am Besten für mich
ist? Die wissen doch gar nicht, was mich interessiert. (…)“.
Die Mutter hat bei ihrer persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren
insbesondere erklärt, für den Fall der Wiedererlangung des Sorgerechts begehre
sie nunmehr keine unmittelbare Herausgabe des Kindes an sich, sondern sie wolle
C in einer vollstationären Einrichtung in O4 unterbringen, um ihn von dem
schädlichen Einfluss der Großeltern zu befreien, zumal der Großvater ein
9
10
11
12
13
14
schädlichen Einfluss der Großeltern zu befreien, zumal der Großvater ein
Alkoholproblem habe. Ihr sei klar, dass dies C erst einmal „aus den Angeln heben“
werde. Langfristig sei dies jedoch die beste Lösung für ihn. Der Vater unterstützt
das Vorhaben der Mutter. Er habe das Sorgerecht ohnehin an diese „abgeben“
wollen.Die Großeltern haben übereinstimmend bekundet, dass es C bei ihnen gut
gehe und er sich zunehmend stabilisiere. Eine Beeinflussung des Kindes liege nicht
vor. C wolle von sich aus keinen Kontakt zu den Eltern. Der Großvater habe im
Jahre 1976 eine Alkoholtherapie gemacht und sei 1979/1980 noch einmal rückfällig
geworden. Seitdem lebe er abstinent.
Das Jugendamt vertritt im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Auffassung,
dass der Wille des Kindes auf Grund seiner Intensität und Stabilität ernst zu
nehmen sei. Das Kindeswohl stehe der Beachtung des Kindeswillens auch nicht
entgegen. Eine stationäre Unterbringung Cs, wie die Mutter sie vorschlage,
komme grundsätzlich nur als letztes Mittel bei Vorliegen einer massiven
Kindeswohlgefährdung in Betracht. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Das
Wohl des Kindes sei bei den Großeltern nicht gefährdet. Vielmehr würde das Kind
traumatisiert, wenn der Wille gebrochen werde.
Vormund und Verfahrenspflegerin teilen die Auffassung des Jugendamtes. Nach
Ansicht der Verfahrenspflegerin ziehe die Nichtbeachtung des Kindeswillens
vorliegend die Gefahr einer massiven Schädigung des Kindeswohls nach sich.
II. Die nach § 621 e ZPO statthafte und vorliegend zulässige befristete Beschwerde
der Kindesmutter hat in der Sache keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist. Das
Amtsgericht hat ihr zu Recht die elterliche Sorge entzogen, weil die
Voraussetzungen des § 1666 BGB erfüllt sind und mildere Mittel nicht geeignet
sind, die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. 1. Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat
das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwehr einer geistigen oder
seelischen Gefährdung des Kindeswohls erforderlich sind, wenn die Eltern nicht
gewillt sind, die Gefahr abzuwenden. Zu den zu treffenden Maßnahmen gehört
unter anderem die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge
(vgl. § 1666 Abs. 3 Ziff. 6 BGB). Maßnahmen, die mit der Trennung des Kindes
verbunden sind, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht durch andere Weise
begegnet werden kann (vgl. § 1666 a BGB).
Die Auslegung der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe „Kindeswohl“,
„Gefährdung“ und „erforderliche Maßnahmen“ ist geprägt von der
verfassungsrechtlichen Ausgangssituation. Hiernach ist Pflege und Erziehung der
Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht
(vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Elternrecht besteht mithin nicht um seiner
selbst Willen, sondern zum Wohle der Kinder. Es vermittelt daher keinen
„ungebundenen Machtanspruch“ der Eltern gegenüber ihren Kindern, sondern die
verfassungsrechtliche Gewährleistung des Elternrechts gilt in erster Linie dem
Schutz des Kindes (vgl. BVerfGE 61, 358, 371; 72, 155, 172). Das Kindeswohl ist
mithin der Richtpunkt für den auch den Familiengerichten durch die Verfassung
übergebenen Auftrag des staatlichen Wächteramtes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG
(vgl. BVerfGE 24, 119, 144). Zudem ist das Kind selbst Grundrechtsträger, denn
ihm steht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 i.V.m. Art. 2 GG zur Seite
(vgl. BVerfGE, a.a.O.).
Im Rahmen der Anwendung der einfachgesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen für
einen Entzug der elterlichen Sorge ist vor diesem Hintergrund eine
verfassungskonforme Auslegung geboten und daher zum einen einzubeziehen,
dass die Verfassung nach einer Beachtung entstandener kindlichen Bindungen
verlangt (vgl. BVerfGE 68, 176, 188). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern
ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts mithin dann aufrechtzuerhalten,
wenn das Kind neue Bezugspersonen gefunden hat und die Trennung von ihnen
als schweren seelischen Schock empfinden würde (vgl. BVerG, a.a.O; BVerfGE 72,
122ff.). Überdies muss das Elternrecht insbesondere dann zurücktreten, wenn die
Herausgabe des Kindes nicht an die Eltern selbst begehrt wird (vgl. nur Palandt-
Diederichsen, § 1632 Rn. 16 m.w.Nachw.).
Zum anderen sind der Bedeutung und Tragweite des Elternrechts über die
Notwendigkeit der Berücksichtigung des Kindeswohls auch durch den Kindeswillen
Grenzen gesetzt. Denn der Wille des Kindes ist grundsätzlich zu berücksichtigen,
soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist (vgl. BVErfGE 55, 171, 182). Das Kind ist
bei jeder Entscheidung des Familiengerichts in seiner Individualität und mit seinem
Willen vor allem auch deswegen einzubeziehen, weil familiengerichtliche
15
16
17
18
Willen vor allem auch deswegen einzubeziehen, weil familiengerichtliche
Entscheidungen maßgeblichen Einfluss auf sein künftiges Leben nehmen und es
damit unmittelbar betroffen wird (vgl. BVerfG, FamRZ 2008, 1737, 1738; vgl. auch
Kammergericht, FamRZ 2004, 483). Dieser Gesichtspunkt gewinnt mit
zunehmendem Alter und zunehmender Einsichtsfähigkeit des Kindes an
Bedeutung, da es sich nur so zu einer eigenverantwortlichen und
gemeinschaftsfähigen Person entwickeln kann (vgl. BVerfG, FamRZ 2007, 105,
106; FamRZ 2007, 1078, 1079; FamRZ 2008, 845, 848; FamRZ 2008, 1737, 1738).
2. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe führt eine Gesamtabwägung der
maßgeblichen Umstände dazu, dass der Mutter die elterliche Sorge zu entziehen
ist, weil anderenfalls das Wohl des Kindes C erheblich gefährdet wäre. Denn die
Mutter strebt bei Übertragung des Sorgerechts eine Herausnahme C aus seinem
gefestigten Lebensumfeld gegen seinen mehrmals erklärten Willen und eine
vorübergehende Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung an.
a) C hat sich nach Überzeugung des Senats bei seinen Großeltern gut integriert.
Dies ergibt sich aus dem in der persönlichen Anhörung nach § 50 b FGG
gewonnenen Eindruck, der Stellungnahme des Jugendamtes und der
Verfahrenspflegerin sowie dem Bericht des Vormundes. Nicht zuletzt findet dieser
Eindruck auch seine Bestätigung durch das im Vorverfahren in überzeugender und
nachvollziehbarer Weise erstattete Sachverständigengutachten. Bereits im Januar
2007 hat die Diplom-Psychologin F festgestellt, dass die Großeltern für C einen
großen Zuverlässigkeitsfaktor bedeuten. Die Stellungnahmen des Jugendamtes,
der Verfahrenspflegerin und des Vormundes bestätigen, dass dies auch heute so
ist. Sie zeigen, dass sich C inzwischen – auch durch den Einfluss der ambulanten
Therapie - konsolidiert und positiv entwickelt hat. Seine schulischen Leistungen
sind sehr zufriedenstellend. Auch seine persönliche Anhörung beim
Oberlandesgericht hat einen ausgeglichen und offenen jungen Menschen
offenbart, dem es gelungen ist, seine Gedanken und Überlegungen in einer sehr
altersentsprechenden Weise transparent zu machen. Bei seinen Großeltern hat C
nunmehr trotz mehrjähriger Probleme, die anfänglich geprägt waren von der
Trennung der Eltern, dem Umzug zum Vater und der Übersiedlung zu den
Großeltern, einen festen Platz gefunden. Ein Lebensumstand, den die
Sachverständige F bereits vor knapp zwei Jahren als so bedeutend erachtet hat,
dass er erhaltenswert ist. Nunmehr hat sich diese Situation – wie den vorliegenden
Stellungnahmen und dem in der persönlichen Anhörung des Kindes gewonnenen
Eindruck zu entnehmen ist - durch den weiteren Zeitablauf und die damit
einhergehende Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse noch verfestigt.
Es kommt hinzu, dass C sich mehrfach und eindeutig für eine Beibehaltung der
tatsächlichen Situation ausgesprochen hat. Die Notwendigkeit einer Respektierung
C als eigenständige Persönlichkeit verlangt im Lichte der verfassungsrechtlichen
Ausgangssituation danach, diesem Willen des 12 Jahre und 7 Monaten alten
Menschen das gebotene Gewicht einzuräumen, weil er nicht nur mehrfach in
unterschiedlichen Gesprächssituation und konstant geäußert wurde, sondern ihm
auch nachvollziehbare Erwägungen zu Grunde liegen, C nach seiner persönlichen
Entwicklung in der Lage ist, seinen Willen nach vernünftigen Erwägungen zu bilden
und eine Beachtung des geäußerten Willens seinem Wohl nicht entgegensteht.
C hat sich in den zwei Gesprächen mit dem Familienrichter erster Instanz, im
Gespräch mit der vormaligen Sachverständigen, in Gesprächen mit dem
Jugendamt, in mehreren Gesprächen mit der Verfahrenspflegerin und seinem
Vormund und zuletzt auch bei seiner Anhörung vor dem Oberlandesgericht
eindeutig positioniert, seinen Lebensmittelpunkt beibehalten zu wollen. Er war in
dieser Hinsicht nach den Erkenntnissen des Senats niemals zweifelnd oder
schwankend. Seine Erwägungen, nämlich die Beibehaltung der derzeit von ihm als
positiv empfundenen Lebensumstände und das damit verbundene „zur Ruhe
kommen“ sind vor dem Hintergrund seiner bisherigen Lebensumstände und der
innerfamiliären Konflikte beachtlich und nachvollziehbar. Er ist damit nicht nur Indiz
für die zu den Großeltern in den vergangenen Jahren gewachsenen Bindungen,
sondern auch Ausdruck einer bewussten Eigenentscheidung (vgl. hierzu nur
Staudinger-Coester, § 1666 Rn. 72ff.). Anhaltspunkte dafür, dass der von ihm
geäußerte Wille einer Beibehaltung der tatsächlichen Lebensumstände bei den
Großeltern seinem Wohl nicht entspricht, sind in keiner Weise ersichtlich. Etwas
anderes ergibt sich vor allem nicht aus der Behauptung der Mutter, der Großvater
habe ein Alkoholproblem, haben doch die Berichte von Jugendamt, Vormund und
Verfahrenspflegerin insoweit keinerlei Hinweise gegeben, die diese Behauptung
stützen.
19
20
21
22
Auch ist der Senat der Überzeugung, dass der Wille des Kindes nicht etwa
deswegen unbeachtlich sein könnte, weil er – so die Mutter – unter Beeinflussung
der Großeltern zustande gekommen sei. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob
und inwieweit ein auf Beeinflussung beruhender Kindeswille unbeachtlich sein
könnte. Denn eine Disqualifizierung des Kindeswillens kommt in diesen Fällen
überhaupt nur in Betracht, wenn auf Grund von Manipulation der geäußerte Wille
des Kindes die wirklichen Bindungsverhältnisse nicht zutreffend wiedergeben würde
(vgl. nur BVerfG, FamRZ 2001, S. 1057), wofür vorliegend keine Anhaltspunkte
ersichtlich sind. Zumal auch durch Beeinflussung echte und schützenswerte
Bindungen entstehen können und Erziehung immer auch mit Beeinflussung
einhergeht (vgl. Staudinger-Coester, § 1666 Rn. 76; siehe auch Zitelmann,
Kindeswohl und Kindeswille im Spannungsfeld von Pädagogik und Recht, S. 272).
Maßgeblich ist vielmehr, dass es für die Annahme einer Manipulation des
Kindeswillens keine objektiven Anhaltspunkte gibt. Dieser Aspekt war bereits
Gegenstand der gutachterlichen Äußerung der Sachverständigen F im
Vorverfahren, die in überzeugender Weise darzulegen verstand, dass schon der
vor zwei Jahren geäußerte Kindeswille auf Grund der Persönlichkeitsstruktur C nicht
das Ergebnis einer Manipulation durch die Großeltern gewesen ist. Aktuelle
Anhaltspunkte, beispielsweise im Sinne einer Verursachung oder Förderung der
gegen die Eltern gerichteten Weigerungshaltung des Kindes waren auch auf Grund
des Ergebnisses der persönlichen Anhörung der Großeltern und des Kindes sowie
mit Blick auf die Stellungnahmen von Jugendamt, Verfahrenspflegerin und
Vormund, die alle sozialpädagogisch qualifiziert sind, in keiner Weise zu erkennen.
Nach alledem stellt die von der Mutter angestrebte – und vom Vater unterstützte -
Herausnahme aus seinem bisherigen Lebensumfeld, die zugleich zu seiner
vorübergehenden Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung führen soll,
eine Gefährdung seines Wohls dar. Und dies nicht nur, weil damit die Auflösung
von gewachsenen und schützenswerten Bindungen einhergeht, sondern auch, weil
damit denknotwendig eine Nichtbeachtung des Kindeswillens verbunden ist, die
nach den nachvollziehbaren Feststellungen der Diplom-Psychologin F vom Januar
2007 für sich genommen bereits vor zwei Jahren die Gefahr von negativen Folgen
für seine psychische Entwicklung im Sinne von erlebter Hilflosigkeit, Depressionen
oder aggressiven Verhaltensweisen nach sich zog. Dies entspricht auch den
Grunderkenntnissen der Entwicklungspsychologie (vgl. nur Dettenborn/Walter,
Familienrechtspsychologie, S. 78f.), wobei sich die genannten Gefahren auf Grund
des Zeitablaufs und der Verfestigung des Willens noch erhöht haben.
Es kommt noch hinzu, dass die Mutter eine Lösung anstrebt, von der sie zum
einen selbst der Auffassung ist, sie werde C „aus den Angeln heben“ und die zum
anderen unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Ermittlungen des Senats in
keiner Weise indiziert ist. Eine Hilfe zur Erziehung im Sinne einer Unterbringung
des Kindes in einer vollstationären Einrichtung nach § 34 SGB VIII unterliegt nicht
nur nach Erfahrung des Senats, sondern auch nach der Stellungnahme des
Jugendamts als sozialpädagogischer Fachbehörde jedenfalls strengen
Voraussetzungen (vgl. auch Wiesner, SGB VIII, § 34 Rn. 34), die hier nicht
ersichtlich sind. Entsprechende Überlegungen der Mutter, die ihre Ursache nach
Überzeugung des Senats vor allem in dem tiefgreifenden Konflikt zu den
Großeltern finden, sind nicht hinzunehmen, weil sie das Wohl C im Ergebnis in
Gänze unberücksichtigt lassen. Insbesondere fehlt es an der gebotenen
Anerkennung der Bedeutung des Kindeswillens, die im Vorverfahren noch zu einer
von der Mutter dem Großvater erteilten Vollmacht geführt hat. Überdies
respektiert das beabsichtigte Vorgehen die im Leben von C eingetretenen
tatsächlichen Verhältnisse nicht in der gebotenen Weise.
Gleichwohl ist gut nachzuvollziehen, dass die Mutter grundsätzlich eine
Verbesserung ihres Verhältnisses zu C anstrebt. Eine Grundlage kann sie hierfür
jedoch erst schaffen, wenn sie die von ihm als positiv und wichtig empfundenen
Lebensverhältnisse akzeptiert und nicht immer wieder in Frage stellt. Insoweit war
es ihr im Rahmen der persönlichen Anhörung im Ergebnis nicht möglich zu
erkennen, dass sie C zwar seit mehreren Jahren nicht gesehen hat, sie jedoch über
die lange Zeit geführten gerichtlichen Auseinandersetzungen über seinen
Lebensmittelpunkt für ihn in negativer und bedrohlicher Weise existent ist. Sie
verkennt zudem, dass sich eine Normalisierung der Verhältnisse nicht erzwingen
lässt und eine erzwungene Übersiedelung des Kindes zu ihr erst recht geeignet ist,
zu einer kompletten Kontaktverweigerung zu führen (vgl. nur Wallerstein/Lewis/
Blakeslee, Scheidungsfolgen – Die Kinder tragen die Last, Eine Langzeitstudie über
25 Jahre, S. 201; Kölch/Fegert, FamRZ 2008, S. 1573, 1578).
23
24
25
26
27
28
29
b) Mildere Mittel als der Entzug der elterlichen Sorge, sind nicht in gleicher Weise
geeignet, die Kindeswohlgefährdung abzuwenden:
So scheidet ein teilweiser Entzug des Sorgerechts ebenso aus wie der
grundsätzlich vorrangige Erlass einer Verbleibensanordnung im Sinne von § 1632
Abs. 4 BGB (vgl. BVerfG, FamRZ 1989, S. 145).
Zum einen berührt die von der Mutter angestrebte Herausnahme C aus seinem
Lebensumfeld wesentliche Teilbereiche der elterlichen Sorge. Denn diese
Maßnahme verlangt insbesondere umfassende Entscheidungen auf dem Gebiet
der gesamten Personensorge im Sinne von § 1631 Abs. 1 BGB
(Aufenthaltsbestimmung, Pflege, Erziehung und Beaufsichtigung). Zum anderen
besteht zwischen der Mutter und den Großeltern als tatsächlichen
Betreuungspersonen des Kindes ein derartig tiefgreifende Zerwürfnis, dass mit
einer Beibehaltung von Teilbereichen der elterlichen Sorge ein hohes
Konfliktpotential verbunden wäre, welches sich mittelbar erheblich nachteilig auf
das Wohl des Kindes in einer Weise auswirken würden, dass auch insoweit die
Schwelle des § 1666 BGB überschritten ist. Unbeschadet dessen ist in die
Gesamtabwägung auch insoweit der Wille C einzubeziehen, der aus
nachvollziehbaren Gründen eine Sorgerechtsinhaberschaft der Mutter derzeit nicht
möchte.
c) Das Verfahren ist entscheidungsreif. Weiterer Ermittlungen bedarf es nicht.
Vielmehr besteht entsprechend § 300 Abs. 1 ZPO eine Pflicht zur Entscheidung.
Das Verfahren, welches den Aufenthalt des Kindes betrifft, ist nicht nur vorrangig,
sondern auch beschleunigt zu bearbeiten (vgl. § 50 e Abs. 1 FGG). Der
Gesetzgeber ist damit den Forderungen der Rechtswissenschaft und letztlich auch
des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 961ff.) nach einer
besonderen Berücksichtigung der Bedeutung des kindlichen Zeitempfindens und
der damit zusammenhängenden Gefahren der faktischen Präjudizierung sowie der
mit dem Verfahren einhergehenden besonderen psychischen Belastungen, gerade
auch für das Kind, gefolgt. Vor diesem Hintergrund ist in kindschaftsrechtlichen
Verfahren vor der Aufnahme weiterer Ermittlungen eine Abwägung zwischen
diesen Nachteilen der Verfahrensverzögerung einerseits und den Vorteilen des zu
erwartendem Erkenntnisgewinns andererseits vorzunehmen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bedarf es vorliegend keiner weiteren
Ermittlungen, insbesondere nicht der Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Es hat sich gezeigt, dass C durch die gerichtlichen
Verfahren in besonderem Maße belastet war. Dies offenbart sich nicht nur durch
die attestierten Überlastungsreaktionen, sondern auch durch seine Reaktionen auf
die Notwendigkeit immer erneuter Befragung und sein wiederholt geäußertes
Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit. Die durchgeführten Ermittlungen bilden,
insbesondere mit Blick auf die beigezogenen Verfahrensakten, den
schriftsätzlichen Vortrag der Verfahrensbeteiligten und das Ergebnis der
persönlichen Anhörungen, eine hinreichende Entscheidungsgrundlage. 3. Soweit
mit der angegriffenen Entscheidung zugleich dem Vater die elterliche Sorge
entzogen worden ist, hat dieser ein Rechtsmittel nicht eingelegt. Auch ist die
Auswahl des Vormundes nicht angegriffen. Einen Anlass zur Beanstandung der
familiengerichtlichen Entscheidung sieht der Senat aus den obengenannten
Gründen ohnehin nicht.
III. Die Kostenentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 131 Abs. 3 KostO und
§ 13 a Abs. 1 FGG. Die Wertfestsetzung beruht auf § 131 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 2
KostO. Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfeanträge folgt §§ 114 ff. ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.