Urteil des AG Frankfurt am Main vom 20.03.2007

AG Frankfurt: fahrgast, rechtshängigkeit, schmerzensgeld, fahrzeug, vollstreckung, bad, haltestelle, fahrrad, stillstand, offenkundig

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Gericht:
AG Frankfurt
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
30 C 3480/06 - 25,
30 C 3480/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 254 Abs 1 BGB, § 823 Abs 1
BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 7
StVG, § 8a StVG
Alleinverschulden bei Sturz einen Fahrgastes in einem
Linienbus
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit
in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Am 25.6.2006 fuhr die Klägerin mit einem von der Beklagten zu 2) gehaltenen und
bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Bus der Linie 30 mit dem amtlichen
Kennzeichen ... auf der F Straße in Bad V.
Bevor der Bus an der Haltestelle eintraf, stand die Klägerin auf, um sich für den
Ausstieg bereit zu machen. Als der Fahrer des Busses eine Bremsung vornahm,
stürzte die Klägerin gegen die Absperrungsvorrichtung neben dem Fahrer des
Busses.
Bei der ärztlichen Versorgung der Klägerin im Unfallkrankenhaus stellte sich
heraus, dass sie einen Schleimbeutelriss erlitten hatte. Sie wurde in der Folgezeit
ambulant operiert. Wegen der weiteren Einzelheiten der angeblichen Unfallfolgen
wird auf die Darstellung in der Klageschrift Bezug genommen.
Die Beklagte zu 1) hat vorprozessual 800,00 Euro an die Klägerin gezahlt.
Die Klägerin meint, die Beklagten seien gesamtschuldnerisch verpflichtet, ihr ein
angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Sie behauptet, der Fahrer des Busses
habe plötzlich und unerwartet eine Vollbremsung vorgenommen. Er habe daher
ihre Gesundheitsbeeinträchtigung verursacht, so dass die Beklagten an sie ein
Schmerzensgeld zu zahlen hätte, das unter Berücksichtigung der bereits erfolgten
Zahlung in Höhe von 800,00 Euro einen Betrag von 1.700,00 Euro nicht
unterschreiten sollte.
Die Klägerin behauptet des weiteren unter Vorlage einer Reihe von Belegen, ihr sei
ein materieller Schaden in Höhe von 423,18 Euro entstanden, den zu ersetzen die
Beklagten ebenfalls verpflichtet seien. Schließlich könne sie nicht absehen, welche
materiellen und immateriellen Schäden ihr aufgrund des Unfalls noch entstehen
würden. Weder ein nochmaliger Krankenhausaufenthalt noch das Auftreten von
Spätfolgen könne ausgeschlossen werden.
Weiterhin beansprucht die Klägerin den Ersatz nicht anrechenbarer vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten.
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Sie beantragt,
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 439,18 Euro
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für 423,18
Euro seit dem 3.10.2006 und für den Betrag in Höhe von 439,18 Euro ab
Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin ein
angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab
Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der
Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin
aus dem Verkehrsunfall vom 25.6.2006 im Bus der Linie 30 der Beklagten zu 2)
zwischen dem Skreisel und dem Zentralparkplatz in Bad V noch entstehen
werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger
übergegangen ist, sowie
4. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 144,59 Euro
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, eine Haftung der Beklagten bestehe nicht. Der Fahrer habe deswegen
bremsen müssen, weil ein Kind mit einem Fahrrad auf die Straße gefahren sei. Die
Klägerin habe mit Blick auf die Regelung des § 4 Abs. 3 Ziff. 4 der dem
Beförderungsverhältnis unstreitig zugrunde liegenden Allgemeinen
Beförderungsbedingungen für die Beförderung im Straßenbahn- und
Omnibusverkehr sowie im Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen ihren Sturz selbst
verursacht. Die Klägerin hätte sitzen bleiben müssen, bis die Bushaltestelle
erreicht war. Im innerstädtischen Verkehr sei immer mit Bremsungen zu rechnen.
Angesichts des Alters der Klägerin gelte umso mehr, dass sie bis zum endgültigen
Stillstand des Busses hätte sitzen bleiben müssen.
Dem gegenüber trägt die Klägerin vor, selbst wenn sich ein Kind auf der Straße
befunden haben sollte, stelle dies grundsätzlich kein Grund dar, abrupt
abzubremsen. Im Übrigen habe sich die Klägerin an den dafür vorgesehenen
Befestigungen festgehalten.
Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz besteht nicht.
Soweit ein solcher Schadensersatz der Klägerin auf Ersatz ihres materiellen und
immateriellen Schadens gegen die Beklagte zu 1) gemäß §§ 7 Abs. 1, 11 StVG
(aus Gefährdungshaftung) oder gemäß § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB (aus unerlaubter
Handlung) gegen sein könnte, für den die Beklagte zu 1) gemäß § 3 Nr. 2 PflVersG
gesamtschuldnerisch einzustehen hätte, besteht ein solcher
Schadensersatzanspruch nicht.
Das von der Klägerin behauptete Schadensereignis einschließlich seiner Folgen,
die Richtigkeit des klägerischen Vorbringens unterstellt, ist gemäß § 254 BGB
unter dem Gesichtspunkt des Selbstverschuldens alleine von der Klägerin
verursacht.
Die Klägerin war nach den allgemeinen Beförderungsbedingungen gemäß § 4 Abs.
3 Ziff. 4 verpflichtet, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen.
Dieser Verpflichtung hat die Klägerin zuwider gehandelt, als sie bereits aufstand,
bevor der Bus die Haltestelle erreicht hatte. Hintergrund dieser sowohl aus Sicht
des betreibenden Busunternehmens wie auch aus Sicht der Fahrgäste
bedeutsamen und sinnvollen Regelung ist, dass im Straßenverkehr ... im
innerstädtischen Bereich insbesondere, stets mit Fahrmanövern zu rechnen ist,
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innerstädtischen Bereich insbesondere, stets mit Fahrmanövern zu rechnen ist,
die die gleichmäßige Fahrbewegung des Busses abrupt unterbrechen und damit
Fahrgäste gefährden können, die sich im Fahrzeug keinen festen Halt verschafft
haben. Wird mithin der Bus im städtischen Verkehr bewegt, muss jeder Fahrgast in
jeder Sekunde damit rechnen, dass der Bus plötzlich und unerwartet abgebremst
wird. Denn es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass, insbesondere im
innerstädtischen Verkehr, jederzeit Verkehrssituationen auftreten können, die ein
abruptes Abbremsen erzwingen. Um hierbei Gefährdungen oder gar Verletzungen
der Fahrgäste zu vermeiden, ist zwischen dem Fahrgast und dem
Busunternehmen ausdrücklich geregelt, dass jeder Fahrgast verpflichtet ist, sich
im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen. Kommt der Fahrgast dieser
Verpflichtung nach, ist ein Sturz auch bei einem abrupten Bremsmanöver
praktisch ausgeschlossen, abgesehen von dem eher theoretischen Fall, dass ein
extrem starkes Bremsmanöver vollzogen wird. Dass ein solches außergewöhnlich
starkes Bremsmanöver im vorliegenden Fall vorgelegen hätte, ist nicht
vorgetragen, offenkundig aber auch nicht gegeben; denn in diesem Fall wären
außer der Klägerin noch weitere Fahrgäste zu Fall gekommen. Dass im
vorliegenden Fall lediglich die Klägerin gestürzt ist, macht vielmehr deutlich, dass
sich alle anderen Fahrgäste aus Gründen des Selbstschutzes und unter
Berücksichtigung der Regelung in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen
einen festen Halt verschafft haben, allerdings nicht die Klägerin, die
zugestandenermaßen während der Fahrt bereits aufgestanden ist und nicht den
Stillstand des Busses abgewartet hat. Aus welchem Grund der Fahrer gebremst
hat, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn der Busfahrer nicht, wie von den
Beklagten vorgetragen, wegen eines mit einem Fahrrad auf der Straße fahrenden
Kindes gezwungen worden wäre, abrupt abzubremsen, wenn er mithin
möglicherweise aufgrund einer in Wirklichkeit gar nicht gegebenen Gefahrenlage,
sondern aufgrund einer Fehleinschätzung plötzlich und abrupt abgebremst hätte,
würde dies nichts daran ändern, dass das Eigenverschulden der Klägerin unter
Berücksichtigung des § 254 BGB so überwiegt, dass die irrtümliche
Fehleinschätzung des Busfahrers und das hierdurch für die Fahrgäste gesetzte
Gefahrenmoment haftungsmäßig nicht ins Gewicht fiele. Dass die Klägerin sich an
den "dafür vorgesehenen Befestigungen festgehalten" haben will, ohne dass
benannt wird, an welchen "Befestigungen" sie sich festgehalten haben will, reichte
angesichts der Tatsache, dass die Klägerin bereits aufgestanden war, nicht aus,
um sich festen Halt zu verschaffen. Offenkundig war das angebliche Festhalten an
den dafür vorgesehenen Befestigungen eben nicht geeignet, der Klägerin festen
Halt zu verschaffen, sonst wäre sie nicht gestürzt.
Eine Haftung der Beklagten scheidet mithin wegen Alleinverschuldens der Klägerin
aus. Dass der Fahrgast in aller Regel allein haftet, ist so auch bereits vom OLG
Hamm mit Urteil vom 25.3.1993 (Az: 6 U 156/91) entschieden worden. In der
zitierten Entscheidung ist zutreffend ausgeführt, dass nur bei Vorliegen
"besonderer Umstände" das Eigenverschulden des gestürzten Fahrgastes
verringert wird. Ein solcher Fall, so das OLG Hamm, liege vor, wenn es sich bei dem
verletzten Fahrgast um eine ältere Frau handelt, die schwer bepackt in einen
Omnibus des ländlichen Linienverkehrs eingestiegen ist und die möglicherweise
der irrigen Annahme war, der Fahrer werde mit der Weiterfahrt warten, bis sie
festen Halt gefunden hat; für diesen Fall hat das OLG Hamm die Haftungsquote
des verletzten Fahrgastes auf 75 % herabgesetzt. Im vorliegenden Fall ist die
Klägerin jedoch ohne Not während der Fahrt aufgestanden, obwohl sich der Bus
noch im städtischen Verkehr bewegte und damit auch für die Klägerin jederzeit
damit zu rechnen war, dass der Busfahrer aufgrund einer tatsächlichen oder
vermeintlichen Gefahrenlage den Bus stark abbremst.
Die Klage war abzuweisen.
Die Klägerin hat, da sie in dem Rechtsstreit unterlegen ist, die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziff.
11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.