Urteil des AG Esslingen vom 21.03.2005

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AG Esslingen Urteil vom 21.3.2005, 4 C 2432/04
Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Kollision eines wartepflichtigen Abbiegers mit einem mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden
Vorfahrtberechtigten
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 974,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2004 zu
bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des
vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Regressansprüche gemäß § 67 VVG sowie einen Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB anlässlich eines Unfalls, der
sich am 25.10.2002 in 73728 Esslingen am Neckar auf der Ausfahrt von der B 10 in Richtung Esslingen/Mettingen ereignete.
2
Die Zeugin A fuhr mit dem bei dem Beklagten versicherten PKW Ford Fiesta, amtliches Kennzeichen ..., in Fahrtrichtung Stuttgart die Auffahrt zur
HMS-Brücke hinauf, als der Zeuge B mit dem bei dem Kläger versicherten PKW VW Golf, amtliches Kennzeichen ..., von rechts kommend in die
bevorrechtigte Straße einfuhr. Der aus der untergeordneten Straße eingebogene Zeuge B, der der Versicherungsnehmerin der Beklagten auf
Grund des Verkehrszeichens 205 StVO zur Vorfahrtgewährung verpflichtet war, setzte sich vor die Versicherungsnehmerin der Beklagten auf die
linke Fahrspur, wobei es sodann zu einem Auffahrunfall kam. Der dem Kläger entstandene Gesamtschadensbetrag als Vollkasko Versicherer
beträgt 4670,– Euro zuzüglich der an den im bei der Beklagten versicherten PKW verletzten Mitfahrer geleisteten Schmerzensgeldzahlung in
Höhe von 556,40 Euro. Die Klägerin verlangte von der Beklagten unter Fristsetzung zum 31.10.2004 Zahlung von 974,26 Euro.
3
Der Kläger ist der Ansicht, dass zwar eine Vorfahrtsverletzung des Versicherungsnehmers des Klägers vorlag, jedoch auch ein Mitverschulden
der Versicherungsnehmerin der Beklagten in Höhe von 1/3 vorliege, da diese die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten
habe.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 974,26 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz ab 1.11.2004 zu
bezahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
8
Die Beklagte ist der Ansicht, die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs habe die an der Unfallstelle vorgeschriebenen
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten und trotz sofortiger Bremsung den Auffahrunfall nicht vermeiden können.
9
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen zugenommen.
10 Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 07.01.2005 (Blatt 29 der Akte). Hinsichtlich des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2005 (Blatt 90 der Akte) Bezug genommen.
11 Die Akte der Stadt Esslingen mit dem Aktenzeichen 505.43.711864.1 war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
12 I. Die zulässige Klage ist begründet.
13 1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 974,26 EUR gem. § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG i.
V. m. § 7 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG zu.
14 Nachdem der Kläger als Haftpflichtversicherer des bei dem Kläger haftpflicht- und vollkaskoversicherten PKW den Gesamtschaden an den
Versicherungsnehmer ersetzt hatte, gingen diesbezügliche Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen die Beklagte als "Dritten" gem. § 67
Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Kläger über.
15 Unstreitig sind Schäden beim Betrieb des bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeugs entstanden und die Beklagte konnte nicht die
Unabwendbarkeit gem. § 17 Abs. 3 StVG beweisen. Beim Unabwendbarkeitsnachweis kommt es darauf an, ob für einen besonders sorgfältigen
Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage der Unfall unvermeidbar gewesen wäre. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass besonders vorsichtige
Fahrer an Stelle der Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den Unfall vermieden hätte. Dies ergibt sich bereits das Umstand,
dass der Sachverständige – vom Gericht im Einzelnen nachvollzogen – ausgeführt hat, dass die Geschwindigkeit des auffahrenden Fahrzeugs
zwischen 60 und 70 km/h betrug und bei Einhaltung der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h der Unfall hätte vermieden
werden können, da die Fahrerin bei ordnungsgemäßem Abbremsen des Fahrzeugs das klägerische Fahrzeug nicht berührt hätte.
16 Steht somit die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadenersatz sowie der
Umfang des zu leistenden Ersatzes gem. §§ 17, 18 Abs. 3 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden
vorwiegend vom einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen
Verschuldens eines Beteiligten. Jedoch können Rahmen dieser Abwägung zu Lasten einer Partei nur solche Tatsachen berücksichtigt werden,
die als unfallursächlich feststehen. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Entscheidungsfall führt zu einer Schadensverteilung insofern, als
die Klägerin 75 Prozent und die Beklagte 25 Prozent des Schadens zu tragen haben. Das Gutachten des Sachverständige S zum Unfallhergang
ist dem Gericht logisch nachvollziehbar, es macht sich daher dieses bezüglich der Entscheidungsfindung zu eigen. Das Gericht kommt daher zu
der Überzeugung, dass die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten PKW bei Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h den Unfall
hätte vermeiden können, tatsächlich jedoch eine Geschwindigkeit von zumindest 60 km/h eingehalten hatte. Bei der Abwägung muss weiterhin
berücksichtigt werden, dass der Fahrer des beim Kläger versicherten PKW gegen die Vorschrift des § 8 StVO verstieß, als er in die
vorfahrtsberechtigte Straße einbog und dadurch die bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer, insbesondere die Fahrerin des bei der Beklagten
versicherten PKW gefährdete und behinderte.
17 Eine Gesamtschau führt zu, dass ein überwiegendes Verschulden des Fahrers des von dem bei der Klägerin versicherten PKW zum Tragen
kommt, dies deshalb, weil in dem Vorfahrtsverstoß ein deutlich gravierender Verstoß vorliegt, als in dem überschreiten der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit um 20 Prozent. Unter Berücksichtigung der sonstigen Rechtsprechung ist in einem solchen Fall der Überschreitung der
zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 20 Prozent und keinem Vorliegen weiterer Verschuldensmomente, von einer Verschuldensquote von 25
Prozent des Vorfahrtsberechtigten auszugehen.
18 Die Höhe des Schadens ist unbestritten und beträgt 25 % aus 4670,– Euro abzüglich der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers von
332,34 Euro, mithin also 835,16 Euro zuzüglich von 25 % des an den Mitfahrer des Beklagtenfahrzeugs geleisteten Schadensersatz von 556,40
Euro, insgesamt also die geltend gemachten 974,26 Euro.
19 2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
20 II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.